Geh nach Gaza !*
Uri Avnery, 7.2.04
Willst Du das
Geschäft Deines Lebens machen?
Dann geh nach Gaza!
Du kannst mit von der
Regierung zur Verfügung gestellten gepanzerten Fahrzeugen dorthin
gelangen. Dort erhältst Du eine Villa, von der Du Dein Leben lang geträumt
hast, zweistöckig und mit grünem Rasen – für fast nichts. Der Staat ist
reich.
Du kannst dort
Gewächshäuser aufbauen und Blumen und Gemüse ziehen. Es war mal eine Zeit,
da konnte man palästinensische Arbeiter anstellen, die für einen
Hungerlohn arbeiteten. Es gab für sie keine Alternative, weil ihnen das
Land weggenommen wurde. Jetzt ist es zu gefährlich. Also wirst du Arbeiter
aus Thailand anstellen – die bekommen noch weniger.
Da gibt es keine
rechtlichen Probleme, keinen Mindestlohn, keinen Jahresurlaub, keine
Entlassungs-entschädigung oder all diesen Unsinn. Israels Gesetze gelten
dort nicht. Das maßgebende Gesetz ist ägyptisch ( und stammt aus der
ägyptischen Zeit von vor 1967) – und die Verhältnisse sind auch ägyptisch.
Du kannst die
Produkte nach Europa exportieren. Das muss allerdings heimlich und unter
falschem Namen geschehen, aber es kommt auf den Markt. Die Bürokraten in
Brüssel werden wütend sein, weil dies das Handelsabkommen zwischen Israel
und der Europäischen Union verletzt. Lassen wir sie wüten! Wer kümmert
sich schon darum? Die Hauptsache ist, dass Du jene neuen Euroscheine
erhältst.
Natürlich gibt es da
ein Sicherheitsproblem. Du und alle anderen 7000 Siedler im Gazastreifen
leben unter einer Million von Palästinensern. Ihr habt ihnen die
wesentlichen Landreserven und die Hälfte des Wassers weggenommen. Deshalb
seid Ihr dort nicht gerade beliebt. Aber was macht’s ? Die IDF wird Euch
verteidigen – ein ganzes Bataillon, um eine Siedlung mit ein paar Dutzend
Familien zu verteidigen, eine ganze Division für den Gazastreifen. Viele
Soldaten. Viele Hauptquartiere. Viele gepanzerte Fahrzeuge. Viel Geld.
Aber der Staat zahlt.
Wenn Eure Siedlung zu
nahe an ein arabisches Wohngebiet reicht, gibt es ein Problem. Macht Euch
keine Sorgen! Die Armee wird alle benachbarten Häuser in die Luft sprengen
und das Gebiet „säubern“. Das erlaubt der Siedlung, sich auszudehnen –
dann wiederholt sich das Spiel. Die Hauptsache ist Eure Sicherheit -- und
das Geld, das Ihr macht.
Und das ist nur der
Anfang. Sollte wirklich entschieden werden, die Siedlungen im Gazastreifen
zu evakuieren, und sollte die Entscheidung wirklich erfüllt werden (Du
weißt ja, dass Entscheidung und Erfüllung zwei sehr unterschiedliche Dinge
sind – also nicht unbedingt mit einander verknüpft sind), dann wird Geld
rollen. Der Staat wird Euch eine Menge zahlen, wenn Ihr ruhig weggeht. So
war es, als Menahem Begin die Siedlungen im Sinai auflöste. Die Siedler
erhielten ein Vermögen. Diejenigen, die sich weigerten und erklärten, dass
sie niemals ihre Häuser aufgeben würden, erhielten das Doppelte und mehr.
Am Ende weigerte sich kein Siedler, das Geld anzunehmen.
Viele der vom Sinai
Evakuierten nahmen das Geld und siedelten in Amerika oder Australien. Die
Klugen gingen in den benachbarten Gazastreifen und werden ein zweites Mal
eine Kompensation erhalten.
Aber vorläufig
bevölkern die Siedler die Fernsehstudios, rollen ihre Augen himmelwärts
und behaupten, dass sie Ashkalon, Ashdod und sogar Tel Aviv verteidigen
und dass deshalb der bankrotte Staat mehr Milliarden in die Siedlungen
investieren müsste. Denn sie seien ja die „wirklichen Zionisten“.
Teure Siedler. Teurer
Zionismus.
Aber meint es Ariel
Sharon wirklich ernst, wenn er über seine Entscheidung redet, fast alle
Siedlungen im Gazastreifen zu evakuieren?
„Fast alle“ - weil er
drei Siedlungen, die ganz nah an der „Grünen Linie“ also der
Vor-1967-Grenze liegen, aufrecht erhalten will. Dies ist eine typisch
israelische Methode: wenn wir nach viel Aufregung Gebiete aufgeben,
behalten wir immer ein kleines Stück, damit der Konflikt weitergeht.
Schließlich geben wir es ganz auf. Als wir das große Gebiet des Sinai
evakuierten, einschließlich der Ölquellen, die Stadt Yamit und die
Siedlungen, weigerten wir uns, das winzige, aber schöne Taba aufzugeben.
Der Streit darum ging noch lange weiter, bis wir es endlich doch
verließen. Als wir den Libanon verließen, hielten wir noch eine
Sicherheitszone fest. Als wir - nach weiteren Hunderten von Toten - diese
verließen, behielten wir noch die Shawa-Farm, wo unsere Soldaten weiter
getötet werden. Wenn Sharon jetzt verspricht, die Siedlungen im
Gazastreifen zu evakuieren, will er drei Siedlungen als Souvenir behalten.
(Da gab es mal einen
Menschen, dessen Zähne alle schlecht waren. Er bat darum, dass alle
gezogen werden sollten – bis auf einen. Der sollte ihn daran erinnern, wie
schmerzlich es war)
Und deshalb fragt
jeder zum wer-weiß-wievielten-Male: Was beabsichtigt er? Meint er es
diesmal ernst? Verdient er all die verbalen Umarmungen und Küsse von
Shimon Peres? Hat er sich zu guter Letzt doch noch in einen israelischen
De Gaulle verwandelt?
Nun, jeder kennt
seine Propaganda. Sie ist dafür bestimmt, die Aufmerksamkeit von der
Bestechungsaffäre abzulenken, wegen der er in dieser Woche von
hochrangigen Polizeioffizieren verhört wurde; sie ist auch dafür bestimmt,
dem nagel-neuen Oberstaatsanwalt anzudeuten, dass der, falls er Sharon
anklagt, einen historischen Schritt in Richtung Frieden sabotieren würde.
Es geht am Vorabend von Sharons geplantem Besuch im Weißen Haus auch
darum, dem Präsidenten der USA zu sagen, dass er bereit sei, ernsthafte
Maßnahmen zu unternehmen und dass Bush ihm seinen Segen geben muss - und
ein paar mehr Milliarden Dollar (um die Siedler zu bezahlen.)
Aber es ist nicht nur
Propaganda. Diese Maßnahme passt zu Sharons Strategie. Er ist bereit,
einen Finger zu opfern, um den übrigen Körper zu retten. Er ist bereit,
Gaza mit seiner Million unerwünschter Palästinenser aufzugeben, dazu auch
ein paar isolierte Westbank-Siedlungen, um das amerikanische
Einverständnis zu erhalten, den größten Teil der West Bank zu annektieren.
Auch das ist keine
neue Strategie. Ben Gurion gab 22% Palästinas auf, um die anderen 78 % zu
behalten, anstelle nur der von den UN zugesprochenen 55 %. Menahem Begin
gab den ganzen Sinai auf, um Ägypten aus dem Krieg zu halten, damit er
sich auf die Übernahme der Westbank konzentrieren konnte. Sharon ist
bereit, den ganzen Gazastreifen und 45% der Westbank „aufzugeben“, um 55%
der Westbank an Israel anzuschließen.
Das ist der
„einseitige Schritt“ – ohne Einverständnis der Palästinenser, die in
Enklaven eingeschlossen, von Mauern und elektronisch überwachten Zäunen
umgeben werden.
Das ist die Idee, die
Sharon Bush verkaufen will: Sieh, ich evakuiere Siedlungen, im
Gazastreifen und mitten in der Westbank, obwohl mir das sehr weh tut. Das
ist ein riesiger Schritt in Richtung Frieden. Shimon Peres küsst und
umarmt mich dafür ( natürlich nur verbal !!).
Aber um einen solch gewagten politischen Akt
auszuführen, benötige ich eine offizielle und öffentliche amerikanische
Rückendeckung. Und, du musst mir versprechen, dich nicht einzumischen,
wenn ich den Rest schlucke.
Natürlich bringt dies
keinen Frieden. Dies wird auch keine Sicherheit mit sich bringen. Die
Folge wird sein, dass Hamas den Gazastreifen und die palästinensischen
Enklaven übernehmen wird. Es wird in Israel und überall in der Welt viel
mehr Attentate geben. Es wird ein Krieg ohne Ende folgen.
Aber in Sharons Augen ist es das entscheidende
Stadium der Realisierung des Zionismus, wie er ihn versteht. Der Staat
Israel wird aus 90% des Landes zwischen Jordan und Meer bestehen. Die
anderen 10% bleiben noch übrig. Gott ist groß!
*Dies ist ein hebräisches Wortspiel. Gaza
heißt auf hebräisch Asa; der Name wird im Slang als Abkürzung für Asasel/
Teufel verwendet. „Geh nach Asasel!“ bedeutet: Geh zum Teufel! (vgl.
3.Mose 16,8).
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
|