Den
Siegern die Beute
Uri Avnery, 16.3. 2013
IN DEN Tagen nach den israelischen Wahlen, ließ Yair
Lapid, der große Sieger, wissen, dass er der nächste Außenminister
sein möchte.
Kein Wunder. Es ist ein höllischer Job. Man kann
nichts falsch machen, weil der Außenminister für nichts
verantwortlich ist. Ernste ausländische Fiaskos liegen immer vor der
Tür des Ministerpräsidenten, der jedenfalls die Außenpolitik
bestimmt. Der Außenminister reist rund um die Welt, hält sich in
Luxushotels mit einer Küche für Feinschmecker auf, hat seine
Fototermine in Gesellschaft von Königen und Präsidenten, erscheint
fast täglich im Fernsehen. Das reine Paradies.
Für jemanden, der öffentlich erklärte, dass er bald –
vielleicht in anderthalb Jahren - Ministerpräsident werden will,
ist dieser Posten sehr vorteilhaft. Die Leute sehen ihn unter den
Großen der Welt. Man sieht „ministerpräsidentenhaft“ aus.
Außerdem ist keine Erfahrung nötig. Für Lapid, der
vor weniger als einem Jahr in die Politik ging, ist dies ideal. Er
hat alles, was ein Außenminister braucht: gutes Aussehen und
fotogene Qualität. Schließlich machte er seine Karriere beim
Fernsehen.
Warum wurde er nicht Außenminister? Warum ließ er
sich das Finanz-ministerium aufhalsen – der bei weitem
anstrengendste Job, der einen Politiker aufbauen oder kaputt machen
kann?
Sehr einfach, weil an der Tür des Außenministeriums
ein großes Schild hängt: Besetzt.
DER LETZTE Außenminister, Avigdor Lieberman war
wahrscheinlich die am wenigsten passende Person des Landes für
diesen Job. Er ist kein Apollo. Er hat ein brutales Aussehen,
verschlagene Augen und einen geringen Wortschatz. Er ist nirgends in
der Welt beliebt, außer in Russland und dessen Trabanten. Er ist von
den meisten seiner internationalen Kollegen gemieden worden. Viele
sehen ihn rundweg als einen Faschisten an.
Aber Netanyahu fürchtet sich vor Lieberman. Ohne
Liebermans parlamentarische Sturmtruppe hat der Likud nur 20 Sitze –
nur eine mehr als Lapid. Und innerhalb der vereinigten Partei
könnte Lieberman in einer nicht allzu entfernten Zukunft Netanjahu
ersetzen.
Lieberman ist gesetzlich gezwungen worden, das
Außenministerium zu verlassen. Das Gesetz verbietet einer
angeklagten Person, in der Regierung zu dienen. Seit vielen Jahren
schwebt eine dunkle juristische Wolke über seinem Haupt.
Ermittlungen, die folgten, erregten den Verdacht riesiger
Bestechungen; schließlich entschied der Staatsanwalt, sich mit einer
Anklage über Betrug und Vertrauensbruch zu begnügen: ein
unbedeutender Diplomat, der Lieberman eine geheime Akte zukommen
ließ, die die Ermittlungen über ihn betrafen, wurde mit einer
Botschafterstelle belohnt.
Netanyahus Furcht vor Lieberman verleitete ihn, ihm
zu versprechen, dass der Posten des Außenministers nicht vergeben
werde, bis zum Endurteil über seinen Fall. Wenn er freigesprochen
wird, wird seine gehobene Position auf ihn warten.
Dies mag eine einzigartige Vereinbarung sein. Nachdem
Lapids Wunsch, ihm zu folgen, blockiert war, erklärte Lieberman in
dieser Woche triumphierend: „Jeder weiß, dass das Außenministerium
der Beitenu-Partei gehört“.
DAS IST eine interessante Behauptung. Es könnte sich
lohnen, über ihre Auswirkungen nachzudenken.
Wie kann ein Regierungsamt einer Partei „gehören“?
In Feudalzeiten belohnte der König seine Edlen mit
einem vererbbaren Lehnsgut. Jeder Edelmann war in seiner Domäne wie
ein kleiner König, theoretisch schuldete er dem Herrscher Treue,
aber in der Praxis war er fast unabhängig. Sind moderne Ministerien
solche Lehnsgüter, die dem Parteichef „gehören“?
Dies ist eine Frage des Prinzips. Von Ministern
erwartet man, dass sie dem Land und dessen Bürgern dienen.
Theoretisch sollte der für dieses Amt geeignetste Mann/ die
geeignetste Frau ernannt werden. Die Parteizugehörigkeit spielt
natürlich eine Rolle. Der Ministerpräsident muss schließlich eine
wirksam arbeitende Koalition aufbauen. Doch der wichtigste
Gesichtspunkt selbst in einer Demokratie mit vielen Parteien sollte
die Fähigkeit des Kandidaten für dieses besondere Amt sein.
Leider ist dies selten der Fall. Obgleich kein
gewählter Ministerpräsident soweit gehen sollte wie Ehud Barak, der
1999 fast ein sadistisches Vergnügen zeigte, als er jeden seiner
Kollegen in ein Ministerium setzte, für das er am wenigsten tauglich
war. Shlomo Ben Ami, ein milder Professor der Geschichte, wurde ins
Polizeiministerium – auch bekannt als Ministerium für Innere
Sicherheit - gesetzt , wo er für einen Vorfall verantwortlich war,
in dem mehrere arabische Bürger erschossen worden waren. Yossi
Beilin, der von originellen politischen Ideen übersprudelte, wurde
ins Justizministerium geschickt u.s.w.
Ich erinnere mich an eine Zusammenkunft mehrerer
neuer Minister bei einem diplomatischen Empfang bald danach. Sie
waren alle verbittert; ihre Kommentare waren nicht druckreif.
Aber das war nicht der Punkt. Der springende Punkt
war, dass durch die Ernennung von Ministern, die ihren anvertrauten
Aufgaben gar nicht gewachsen waren, Barak gegenüber den Interessen
des Staates großen Schaden angerichtet hat. Man vertraut seinen
Körper nicht einem Arzt an, der in Wirklichkeit ein Jurist ist, so
wie man auch sein Geld nicht einem Banker anvertraut, der in
Wirklichkeit ein Biologe ist.
DOCH DIE Idee der Verleihung politischer Ämter
schwebte jetzt über dem ganzen Prozess der Kabinettsbildung. Die
Zuerkennung von Ministerien ähnelt mehr einem Streit unter Dieben um
die Beute als einem verantwortlichen Prozess, die Ministerien mit
Männern und Frauen zu besetzen, die für die Sicherheit und das
Wohlergehen der Nation verantwortlich sind.
Der Streit, der die Bildung der neuen Regierung
mehrere entscheidende Tage lang behindert hat, ging um das
Bildungsministerium. Lapid wünschte es für seine Nummer zwei, einen
orthodoxen, (wenn auch moderaten) Rabbiner. Der Amtsinhaber Gideon
Sa’ar klammerte sich mit all seiner Kraft an das Amt und
organisierte Petitionen zu seinen Gunsten unter Lehrern,
Bürgermeistern und anderen.
Dies hätte ein legitimer Kampf sein können, wenn es
über Fragen der Bildung gegangen wäre. Zum Beispiel hat Sa’ar, ein
fanatischer Likudmann, seine Schüler an religiöse und
nationalistische Orte im Groß-Erez-Israel geschickt, um sie mit
patriotischem Geist zu erfüllen. Er war auch mehr darauf
konzentriert, dass seine Schüler in internationalen Tests ihre
Fähigkeiten beweisen, als auf Bildung als solche.
Aber keiner sprach über diese Themen. Es war ein
reiner Kampf um das Amt. In mittelalterlichen Zeiten könnte dies mit
Lanzen in einem Turnier ausgefochten worden sein. In diesen
zivilisierten Tagen benützen beide Seiten politische Erpressung. Am
Ende siegte Lapid
ICH BIN kein großer Bewunderer von Zipi Livni und
ihrem Auftreten wie das eines verzogenen Gör. Aber ich bin froh über
ihre Ernennung zur Justizministerin.
Ihre beiden Vorgänger hatten die Absicht, den
Obersten Gerichtshof zu zerstören und dem „juristischen Aktivismus“
ein Ende zu setzen (dies scheint heutzutage in vielen Ländern ein
Problem zu sein. Regierungen wollen die Macht des Gerichtes
aufheben, anti-demokratische Gesetze ungültig zu machen). Auf Zipi
kann man sich verlassen, den Obersten Gerichtshof zu stärken, der
von vielen als „die letzte Bastion der israelischen Demokratie“
angesehen wird.
Viel problematischer ist die Ernennung von Moshe
Ya’alon als Verteidigungs-minister. Er bekam diesen Job, weil gerade
niemand da war, der an seiner Stelle hätte ernannt werden können.
Israelis nehmen ihre Verteidigung sehr ernst, und man kann da –
sagen wir mal – keinen Gynäkologen in dieses Amt wählen.
„Bogy“ - wie ihn jeder nennt – ist ein früherer
Stabschef der Armee und ein sehr mittelmäßiger. Als er seine
üblichen drei Pflichtjahre als Stabschef beendet hatte, weigerte
sich Ministerpräsident Ariel Sharon, ihm das sonst fast automatisch
gewährte vierte Jahr zu geben. Bogy war verbittert und klagte,
dass er immer hohe Stiefel hätte tragen müssen, weil es im
Verteidigungsministerium und im Generalstab so viele Schlangen
gibt. Er wird sie jetzt wieder benötigen.
Seine vielen Kritiker nennen ihn „Bock“ – deutsch und
jiddisch für Ziegenbock – und meinen damit einen Mangel an
Intelligenz. Er ist ein Militarist, der alle Probleme durch das
Fadenkreuz eines Gewehrs sieht. Er kann sich der Treue von Israels
großer Armee von Ex-Generälen (oder „De-Generälen“, wie ich sie zu
nennen pflege) sicher sein.
DIE PROBLEMATISCHSTE Ernennung von allen ist die Wahl
von Uri Ariel für den entscheidenden Posten des
Wohnungsbauministers.
Uri Ariel ist der Erz-Siedler. Er war der Gründer
einer Siedlung, ein Führer der Siedlerorganisation, ein
Verantwortlicher im Verteidigungsministerium, das offiziell für die
Siedlungen verantwortlich ist. Er war auch Direktor des Jüdischen
Nationalfonds (JNF), ein bedeutendes Instrument des
Siedlungsunternehmens. Er kam in die Knesset, als Rehavam Seewi,
der Führer der sehr extremen Rechten von einem palästinensischen
Schlägertrupp ermordet worden war.
Dieses Ministerium an so eine Person zu übergeben,
bedeutet, dass der größte Teil seiner Ressourcen in eine hektische
Erweiterung der Siedlungen geht, von denen jede ein Nagel für den
Sarg des Friedens ist. Doch Lapid unterstützte diese Ernennung mit
all seiner neu gefundenen politischen Schlagkraft als Teil seiner
„brüderlichen“ Bande mit Naftali Bennett, der jetzt der Pate der
Siedler-bewegung ist. Bennett erhielt auch das für die Siedlungen
äußerst wichtige Finanzkomitee der Knesset.
Praktisch bedeutet das, dass die Siedlungen den Staat
erobert haben; Lapids großer Sieg mag sich als Katastrophe für
Israel entpuppen.
Der brüderliche Packt zwischen Lapid und Bennett
machte es ihnen möglich, den armen Netanyahu zu erpressen, um
(fast) alles zu bekommen, was sie verlangten – außer dem
Außenministerium.
Wie würde sich Lapid als Finanzminister anstellen?
Schwer zu sagen. Da er in allen wirtschaftlichen Fragen völlig
unwissend ist und keinerlei Erfahrung hat, wird er vom
Ministerpräsidenten über sich und der ministeriellen Bürokratie
unter sich abhängig sein. Finanzbeamte sind ein knallharter Haufen
mit einer durch und durch neo-liberalen Einstellung. Lapid selbst
hängt diesem Glauben an, der von vielen Israelis „schweinischer
Kapitalismus“ genannt wird – ein von Shimon Peres erfundener
Terminus.
EINES VON Lapids Hauptwahlversprechen war, der
„alten Politik“ ein Ende zu machen, die für all das Böse und
Hässliche in unserm politischen Leben bis jetzt verantwortlich
gemacht wird. Nicht umsonst , sagt er, wird es eine neue Politik
geben, eine Ära voll glänzender Ehrenhaftigkeit und Transparenz,
verkörpert durch selbstlose und patriotische Führer, so wie die
Mitglieder seiner neuen Partei.
Nicht umsonst nannte er diese seine Partei: „Es gibt
eine Zukunft“.
Nun, die Zukunft ist angekommen, und sie sieht
verdächtig wie die Vergangenheit aus. Tatsächlich gleicht die ‚neue
Politik‘ sehr der ‚alten Politik‘.
Sehr, sehr alt. Sogar die alten Römer sollen gesagt
haben: „Dem Sieger die Beute!“ Doch Yair kennt kein Latein.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)