Bushs Guru
Uri
Avnery, 12.3.05
Ein
amerikanischer und ein sowjetischer Soldat trafen sich 1945 in
Berlin und stritten darüber, welches ihrer beiden Länder
demokratischer sei.
„Nun“, sagte
der Amerikaner, „Ich kann in der Mitte des Times Square in New
York stehen und ausrufen: Truman ist ein Schurke! und mir wird
nichts geschehen“.
„Na und?“,
erwidert der Russe, „ich kann mich mitten auf den Roten Platz
in Moskau stellen und ausrufen: Truman ist ein Schurke! Und mir
wird nichts geschehen.“
Vielleicht ist
es diese Geschichte, die Natan Sharanskys Theorie anregte, dass
der letzte Test für Demokratie der sei, wenn eine Person sich
auf den zentralen Platz ihrer Stadt stellen und ihre eigene
Regierung verunglimpfen kann, ohne dass ihr etwas geschieht.
Das stimmt, es ist allerdings all zu simpel. Simpel genug, um
die Phantasie eines anderen großen Denkers, George W. Bush
anzuregen.
Als
Israelis zum ersten Mal davon hörten, dass Bush Sharansky als
seinen geistigen Lehrer zitierte, blieb ihnen fast die Luft
weg. Sharansky? Unser
Sharansky?
Um diese
Reaktion zu erklären, muss man ein wenig ausholen. Das erste Mal
hörten wir von Sharansky ( eigentlich Anatoli Shcharansky, denn
der Name wurde vereinfacht und hebraisiert, als er hierher
kam), als er ein „Dissident“ in der UDSSR war. Nachdem er in
Moskau internationale Aufmerksamkeit erregt hatte, wurde er vom
KGB* verhaftet und wegen Verrats verurteilt, was wie ein
besonders plumper Versuch aussah, ihn zum Schweigen zu bringen.
Wie wir hörten, war er in der Hölle des Gulag nicht gebrochen
worden, sondern blieb ein stolzer Kämpfer für seine Rechte und
Ideen. Eine große internationale Kampagne verlangte seine
Freilassung.
Schließlich
entschieden sich die Sowjets, ihn los zu werden und ihn gegen
einen für sie wichtigen sowjetischen Spion, der in Amerika
festgehalten wurde, auszutauschen. Das Bild von der kleinen,
aber aufrechten Gestalt, die die Brücke in Berlin überquerte,
ist in unserem Gedächtnis geblieben.
Mit
angehaltenem Atem warteten wir auf seine Ankunft in Israel. Da
war er nun, ein großer, wirklicher Held, der Mann, der den
sowjetischen Riesen allein besiegt hat, ein moderner David, der
dem mächtigen Goliath trotzte.
Als wir ihn
dann in natura vor uns sahen, waren wir enttäuscht. Als Held sah
er wenig beeindruckend aus. Aber das Aussehen kann ja
täuschen, oder ?
Am Flughafen
traf Anatoli, jetzt Nathan, wieder mit seiner Frau zusammen -
eine andere berühmte Dissidentin. Da sie es in Israel schon
als fanatisch rechte und religiöse Extremistin zu gewisser
Berühmtheit gebracht hatte, schien ihre Verbindung mit dem
Menschenrechtsaktivisten nicht recht zusammen zu passen.
Die wirkliche
Desillusionierung – wenigstens für mich – begann mit der
Husseini-Affäre. Irgend eine gute Seele arrangierte ein Treffen
zwischen dem großen Dissidenten und Feisal Husseini, dem Führer
der arabischen Gemeinde in Ost-Jerusalem, einem Kämpfer für die
palästinensischen Menschenrechte und einem wahren Humanisten.
Sharansky willigte ein, zog aber im letzten Augenblick zurück.
Er behauptete, er habe nicht gewusst, dass Husseini zur PLO
gehöre. (Das ist so, als habe er nicht gewusst, dass Bush
Amerikaner sei).
In jener Zeit
schrieb ich einen Artikel über ihn mit der Überschrift „Shafansky“
(Shafan bedeutete im Hebräischen Kaninchen, ein Symbol für
Feigling).
Seitdem ist der
große Menschenrechtler allmählich ein kompromissloser Aktivist
gegen die Menschen- (und andere) Rechte der Palästinenser in
den besetzten Gebieten geworden. Als erstes baute er eine
Partei der Einwanderer aus der früheren Sowjetunion auf,
erreichte ein bemerkenswertes Wahlergebnis und trat der
Koalition der Laborpartei bei; aber nach einiger Zeit rutschte
seine Partei wieder ab. Er versuchte sie zu retten, in dem er
sich aus der Regierung Ehud Baraks zurückzog. Er behauptete, sie
hätte gegenüber den Palästinensern zu viele Konzessionen
Jerusalem betreffend gemacht.
Schließlich
schloss er sich – den politischen Bankrott eingestehend - dem
Likud an. Nun ist er ein ziemlich unbedeutendes Mitglied der
Regierung und nennt sich selbst grandios „Minister für
Jerusalem“, dient aber tatsächlich als Minister ohne
Geschäftsbereich, der pro forma mit den Angelegenheiten
Jerusalems beauftragt ist.
Mittlerweile
hat er unter einigen Unannehmlichkeiten gelitten. Ein anderer
berühmter russischer Immigrant veröffentlichte ein äußerst
kritisches Buch über ihn. Er behauptet in ihm, dass Sharansky
niemals ein prominenter Dissident gewesen sei; seine Bedeutung
sei absichtlich vom KGB aufgebauscht worden, um ihn gegen den
wirklich bedeutenden Agenten im amerikanischen Gefängnis
auszutauschen. Das Buch deutet auch an, dass seine Rolle hinter
Gittern viel weniger heldenhaft war, als man verkündet hatte.
Sharansky
klagte wegen Verleumdung und gewann , trotz der Aussagen
einiger anderer früherer Dissidenten gegen ihn.
Während all der
Jahre driftete Sharansky – zusammen mit vielen „russischen“
Einwanderern – zur extremen Rechten. Schon als
Wohnungsbauminister hatte er systematisch die Siedlungen auf
enteignetem arabischem Land in der Westbank vergrößert und hat
so die Menschen- und nationalen Rechte der Palästinenser mit
Füßen getreten. Nun gehört er zu den Likud-„Rebellen“, der
Gruppe der extremen Rechten, die versucht, Ariel Sharons
Abzugsplan zu unterwandern und die Auflösung der Siedlungen zu
verhindern.
Seit Jahren
geht er nun mit der Idee hausieren, dass ein Frieden mit den
Arabern unmöglich wäre, solange sie nicht Demokraten würden.
In Israel wurde dies nur als weiterer Propagandatrick abgetan,
der der israelischen Regierungsopposition zu irgend einem
Frieden
diene, was das
Ende der Besatzung bedeuten würde.
Da Sharansky
absolut nichts über arabische Angelegenheit weiß und
wahrscheinlich auch nie ein ernsthaftes Gespräch mit einem
Araber geführt hatte, ist es für Israelis schwierig, ihn in
dieser Beziehung ernst zu nehmen. So weit ich weiß, tut das auch
keiner, nicht einmal Anhänger des rechten Flügels.
Seine wenig
originelle Behauptung, dass „Demokratien nicht gegen andere
Demokratien Kriege führen“ ist ein perfektes Alibi für die
Vereinigten Staaten, um den Irak, Syrien und den Iran
anzugreifen, die nach allem keine Demokratien sind ( während sie
Diktaturen wie Pakistan und Turkmenistan unterstützen).
Allein der
Gedanke, dass die Lehren dieses politischen Philosophen ein
Leitstern des mächtigsten Führers der Welt und des
Befehlshabers der größten Militärmaschinerie sind, die es je in
der Geschichte gab, jagt einem schon pure Angst ein.
*KGB : sowjetrussischer
Geheimdienst
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert) |