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Der Gummimann
Uri Avnery, 14. Mai 2011
ICH KONNTE mich nicht beherrschen.
Obwohl ich allein im Zimmer war, brach ich in lautes Gelächter aus.
Ich las einen Zeitungsbericht über die
letzten Umfragen. Die Leute wurden nach der Bewertung der Führer der
Nation befragt.
Es scheint, dass der Staatspräsident
Shimon Peres bei weitem der volkstümlichste Führer in Israel ist. 72
% der befragten Leute stimmten für ihn, nur 20% missbilligten ihn.
Die weiteren Gewinner lagen weit hinter ihm: 60% nannten den
Knessetspräsidenten Reuven Rivlin; dasselbe gilt für den
Bankdirektor der Israelbank Stanley Fisher, und 57 % für den
aggressiven Staatskontrolleur Micha Lindenstrauss. Die Präsidentin
des Obersten Gerichthofes Dorit Beinish war schon unter der 50%-Rate
– sie erhielt 49%. Ihr folgte Tzipi Livni mit 48%
Die drei Meister der Unbeliebtheit waren
die drei mächtigsten Politiker des Landes, die Männer, die das
Geschick des Landes bestimmen: Binyamin Netanyahu (38% Zustimmung,
53% Abneigung), Avigdor Liebermann (40% Zustimmung, 52 % Abneigung),
und Ehud Barak (30% Zustimmung, 63% Abneigung)
Und warum lachte ich?
Die Geschichte hat eine Menge Humor (auf
Lager). Man kann sich leichter vorstellen, sie sei eher durch die
willigen und schadenfrohen Götter des Olymp als durch den strengen
Gott der Juden gelenkt worden, der über dem Tempelberg in Jerusalem
wohnt - Humor ist nie seine Sache gewesen.
Doch hier ist Shimon Peres, die
beliebteste Person in Israel. Absolut komisch. Weil er in seinem
langen Leben (er ist zwei Wochen älter als ich) nie eine Wahl
gewonnen hat.
Er ist seit seinem 20.Lebensjahr nie
etwas anderes als ein Politiker gewesen. Das Geschäft eines
Politikers in einem demokratischen Land ist, gewählt und wieder
gewählt zu werden. Doch Peres wurde nie gewählt. In Dutzenden von
Wahlkampagnen – Nationalwahlen und internen Parteiwahlen hat er nie
gewonnen. Die Wähler konnten es nicht über sich bringen, ihn zu
wählen.
(Er warf einmal eine rhetorische Frage
ins Parteipublikum: „Bin ich ein Verlierer?“ Die donnernde Antwort
lautete: „Ja!“)
Selbst seinen gegenwärtigen Job erhielt
er rein zufällig. Der Staatspräsident wird von der Knesset durch
geheime Abstimmung gewählt. Als Peres das erste Mal als Präsident
kandidierte, wies die Knesset ihn zurück und zog einen mittelmäßigen
Parteifunktionär mit Namen Moshe Katzav vor. Es war eine letzte
Demütigung. Erst als Katzav als Serien-Frauenbelästiger entdeckt
wurde und zurücktreten musste, wurde Peres von einer reumütigen
Knesset gewählt. Die Mitglieder schienen zu sich selbst gesagt zu
haben: jetzt reicht es. Wir sollten diesen Mann nicht weiter quälen,
der schließlich seit 45 Jahren ein Knessetmitglied war.
Und jetzt ist dieser Mann – den fast
jeder hasste – der beliebteste Führer des Landes geworden, wie ein
in aller Welt respektierter ältere Staatsmann. Sehr seltsam.
Zum ersten Mal traf ich ihn 1953. Ich
war der Besitzer und Herausgeber eines populären
Nachrichtenmagazins. Er war der neu ernannte Generaldirektor des
Verteidigungs-ministeriums, eine immens mächtige Position, weil der
Minister David Ben-Gurion war. Peres wurde sein wichtigster
Assistent.
Er hatte mich zu einem Gespräch über
einige triviale Angelegenheiten eingeladen. Es war keine Liebe auf
den ersten Blick. Tatsächlich waren wir uns vom ersten Augenblick an
unsympathisch.
Dies war nicht nur eine Sache, weil die
Chemie zwischen uns nicht stimmte. Es gab einen sehr konkreten
Grund, warum viele Leute in meinem und seinem Alters ihn
verachteten. Im 1948er Krieg diente er nicht in der Armee. Es war
eine fast unglaubliche Tatsache: wir alle eilten zu den Fahnen, als
der Kampf ausbrach, unsere ganze Altersgruppe wurde vom Krieg
dezimiert. Ich selbst wurde schwer verletzt. Doch hier war ein
junger Mann, der dieses bedeutsame Ereignis versäumt hat.
Um nicht ungerecht zu sein: Peres war
während des Krieges nicht nutzlos. Ben Gurion schickte ihn ins
Ausland, um Waffen zu beschaffen, die wir dringend benötigten. Aber
das hätte auch von einer älteren Person gemacht werden können. Nicht
von einem körperlich gesunden und kräftigen jungen Mann von 25. Dies
war ein Stigma für ihn, das ihm noch Jahrzehnte lang anhing, so
lange wie die Kriegsgeneration den Ton in unserm neuen Staat angab.
Dies erklärt übrigens auch, warum er mehrere Male gegen Yitzhak
Rabin verlor, einen authentischen Kampfkommandeur, der von fast
jedem geliebt und respektiert wurde.
Doch obwohl es immer gute Gründe gab,
ihn nicht zu lieben, scheint es, als wäre die Aversion im Grunde
irrational. Er beklagte sich einmal, dass er als Junge auf dem
Heimweg von der (jüdischen) Schule in seiner polnischen Heimatstadt
von anderen (jüdischen) Jungs ohne Grund geschlagen wurde und sein
jüngerer Bruder ihn verteidigen musste. „Warum hassen sie mich?“
fragte er seine Mutter wehleidig.
Zum Glück nahmen ihn seine Eltern in den
30er-Jahren, als er 13 war, nach Palästina mit (Ich kam ein bisschen
früher). Er wurde in ein berühmtes zionistisches Jugenddorf
geschickt, und heiratete später die Tochter eines lokalen
Schreiners. Er hatte sich gerade in einem Kibbuz niedergelassen, als
er entdeckte, dass er zu Höherem berufen sei.
IN DEN frühen 40ern gab es in der Mapei,
der allmächtig herrschenden Partei im Yishuv (die jüdische Gemeinde
in Palästina) eine Teilung. Die Dissidenten gründeten eine neue
Partei, sozialistischer, mehr Kibbuz orientiert und aktiver bei
nationalen Angelegenheiten. Natürlich waren die meisten jungen Leute
von ihr angezogen.
Das war Peres’ erste große Chance. Er
war einer der wenigen jungen Männer, die der alten Partei treu
blieben, und zog so die Aufmerksamkeit der alten Parteibosse,
Ben-Gurion und Levy Eschkol, auf sich. Das war das Ende von Peres,
dem Kibbuznik, und der Beginn von Peres, dem lebenslangen Politiker.
Er tat das, was er später viele Male
tat. Er „durchpflügte“ das Land, besuchte alle Ortsgruppen der
Jugendbewegung und hielt Reden. Sein unermüdlicher Fleiß stand für
den Mangel an natürlichem Charme. Seine tiefe Stimme gab seinen
banalen Plattitüden den Klang tiefer Wahrheit.
WAS WAREN seine innersten Überzeugungen?
Woran glaubte er?
Nun das hängt vom Jahr, dem Tag und der
Stunde ab. Während seines politischen Lebens hat Peres alle
möglichen Ansichten vertreten, legte sie nach Belieben ab,
adoptierte andere. Er ist ein perfektes Beispiel von Graucho Marx’
berühmtem Ausspruch *: „Dies sind meine Prinzipien. Wenn du sie
nicht magst, hab ich auch andere.“
Als ich ihn das erste Mal traf, war er
ein extremer Falke. Er und Moshe Dayan stießen Ben-Gurion - und
wurden von ihm gestoßen - in einen Krieg, indem sie die Grenzen mit
„Vergeltungsaktionen“ anheizten. Er rühmte sich, der Architekt der
damaligen französisch-israelischen Allianz gewesen zu sein.
Frankreich kämpfte gerade einen
schmutzigen Krieg, um Algerien im Griff zu behalten und benötigte
Israel, um den ägyptischen Führer Gamal Abd-al-Nasser abzulenken.
Peres diente willig dieser noblen Sache und bereitete die
französisch-israelisch-britische Verschwörung vor, die zu ihrem
Angriff auf Ägypten führte: der Suez-Krieg, 1956, war eine
Katastrophe für Israel, weil er schließlich in den Augen der Araber
Israels Stellung als ein Verbündeter der gehassten kolonialen Mächte
festigte. Frankreich revanchierte sich bei Peres mit einem
stattlichen Geschenk: dem Atommeiler in Dimona. Sogar jetzt
betrachtet Peres diesen als seine beste Errungenschaft.
Damals verkündete Peres, dass das
Bündnis zwischen Frankreich und Israel sich nicht auf gemeine
Interessen gründe, sondern auf gemeinsame, tiefe Werte. Wie so viele
andere von Peres unsterblichen Statements brauchte dieses weniger
als zehn Jahre, um widerlegt zu werden: Charles de Gaulle gab
Algerien auf, Frankreich versuchte seine Position in der arabischen
Welt neu zu etablieren, die Beziehungen mit Israel wurden - zusammen
mit diesen „tiefen gemeinsamen Werten“ - unfeierlich über Bord
geworfen.
ALS VERTEIDIGUNGSMINISTER Mitte der
70er-Jahre wurde Peres der Vater der Siedlungen in der zentralen
Westbank. Er benützte die Siedler, um seinen Erzfeind – Rabin,
damals sein Ministerpräsident – zu untergraben. Dieser war im
Prinzip gegen den Bau der Siedlungen in den besetzten Gebieten.
Als nächstes tauchte Peres plötzlich als
„Mann des Friedens“ auf. Nicht mit dem palästinensischen Volk – Gott
bewahre! – sondern mit König Hussein von Jordanien. Als
Außenminister im Koalitionskabinett von Yitzhak Shamir handelte er
ein geheimes Abkommen mit Seiner Majestät aus, das aber von Shamir
sofoert abgelehnt wurde, dem es nicht im Traume einfiel, mit irgend
jemandem Frieden zu schließen. Und das war’s dann!
In jener Zeit wurde Peres klar, dass
Frieden als abstrakte Idee gut für ihn sei. Er wurde der Prophet des
„Neuen Nahen Ostens“ und sprach unendlich viel darüber, tat aber
nichts dafür. Als Yassir Arafat das initiierte, was später das
Osloabkommen wurde, nahm Peres dies begeistert auf und behauptete,
er sei der alleinige Urheber. Er lud mich sogar zu einem privaten
Gespräch ein, bei dem er mir mit dem Eifer eines Konvertiten über
die Vorzüge der Zwei-Staatenlösung (die ich schon 1949 öffentlich
befürwortet habe) einen Vortrag hielt.
Der praktische Test kam, als Rabin
ermordet wurde und Peres an seine Stelle trat. Es war das erste Mal,
dass er frei handeln konnte und das Osloabkommen in ein sofortiges,
wirkliches Friedensabkommen hätte verwandeln können. Stattdessen
begann er einen Krieg im Libanon, der zu einem schnellen und
katastrophalen Ende kam, als die Artillerie durch einen fatalen
Irrtum ein Massaker in Qana anrichtete. Dann stimmte er der
Ermordung eines bedeutenden Hamasführers zu, was zu einer Reihe
blutiger Selbstmordanschläge in allen größeren israelischen Städten
führte. So verlor Peres bei den nächsten Wahlen (wieder), und
Netanyahu kam an die Macht.
Das war nicht das Ende. Ariel Sharon
verließ den Likud und gründete die Kadima-Partei. Nachdem er den
Vorsitz bei der Laborpartei verloren hatte, verließ Peres diese und
schloss sich Kadima an. Als der Erfinder des „neuen Nahen Ostens“
gab er Sharon, dem geschworenen Feind der palästinensischen
Unabhängigkeit, ein Kosher-Zertifikat und spielte eine größere Rolle
dabei, dass ihn die Welt akzeptierte. Jetzt verrichtet er denselben
Dienst für Netanyahu und nützt seine Position als Präsident und „Elder
Statesman“, um die Regierungen der Welt davon zu überzeugen,
dass Netanyahu insgeheim ein „Mann des Friedens“ sei , und wenn man
ihm viel Zeit – viel, viel Zeit - gebe, wird er „die Welt
überraschen“.
Als Staatspräsident redet Peres endlos,
wie er es immer getan hat. Doch in all seinen unzählig Millionen
Wörtern habe ich nie eine einzige originale Idee entdeckt.
Das ist an sich schon seltsam. Wie
Ben-Gurion, den er nachzuahmen versucht, stellt er sich als
tiefschürfender Denker, als Intellektueller dar, der alle
bedeutenden Bücher liest. Einer seiner Mitarbeiter behauptet, er
habe nie wirklich ein Buch gelesen, sondern seine Assistenten
Inhaltsangaben vorbereiten lassen, damit er wohl informiert über sie
reden könne. Ich urteile nach seinem Stil – eine Person, die
Dichtung und Literatur liest, reflektiert bestimmt etwas davon in
ihren Reden und ihrem Schreiben. Peres’ Produkte sind einförmig
flach, sein Hebräisch abgedroschen und oberflächlich. Kein Wunder,
dass er jetzt der beliebteste Führer in Israel ist.
Der Mann, der alles befürwortete, Krieg
und Frieden, Sozialismus und Kapitalismus, Säkularismus und Religion
und dessen Prinzipien so elastisch sind, dass sie alles und jeden
annehmen können --- hat letzten Endes zum 63.Jahrestag des Staates
Israel erreicht, was er sein ganzes Leben lang gesucht hat.
Das Volk liebt ihn.
*Berühmtester amerikanischer (jüd.)
Komiker – Trio Marx
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
Derselbe alte Trödel
Barak recycelt
Das „großzügige Angebot“ von 2000
Einen gestutzten Palästinenserstaat
Erdrückt und wie in Flaschen gesteckt
Mit fortdauernder israelischer Besatzung
Des Jordantals.
Es ist vollkommen absurd
Diesen alten, zusammengebrochenen Trödel
Noch einmal anzubieten.
Gush Shalom -Inserat in Haaretz
Wir bitten um finanzielle Mithilfe für
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Mit Scheck an Gush Shalom POB 3322 Tel
Aviv 63576
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