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Die Weisen von Anti-Zion
Uri
Avnery, 7.August 2010
ICH ZITTERTE vor Angst.
Ein gepflegter Herr erschien auf dem Fernsehschirm. Er stellte sich
als Vorsitzender einer Gesellschaft vor, die sich Re’uth („Sicht“ )
nennt, deren Ziel es ist, die Gruppen zu überwachen, die die
Legitimität des Staates Israel leugnen.
Was sie aufgedeckt haben, ist in der Tat erschreckend. Die Feinde
Israels – so wurde uns erzählt – glauben nicht länger daran, dass
sie Israel mit Waffengewalt zerstören können. Stattdessen haben sie
eine neue Strategie übernommen, um Israel zum Zusammenbruch zu
bringen, indem man seine Rechtmäßigkeit leugnet.
Die Initiativen der kleinen Gruppen verschiedener Länder sind nicht
das, was sie scheinen. Weit entfernt. Sie sind Teil einer weltweit
organisierten und koordinierten Verschwörung, die jedes Mittel
nützt, um ihr ruchloses Ziel zu erreichen. Im Gegensatz zu den
„Protokollen der Weisen von Zion“, das vor hundert Jahren
fabrizierte, gefälschte Dokument, ist dies ein echtes Komplott, etwa
wie „Protokolle der Weisen von Anti-Zion“.
Nur ein Detail fehlte bei der Enthüllung: wo ist das geheime
Hauptquartier der internationalen Verschwörung?
Zum Glück bin ich in der Lage, die fehlende Information zu liefern.
So schockierend es klingen mag, das Hauptquartier der Weisen von
Anti-Zion liegt in Jerusalem.
DIE RE’UTH-Organisation besteht aus einer Gruppe von Amateuren, die
sich nur mit oberflächlichen Symptomen befasst. Im Gegensatz zu
ihnen habe ich eine gründliche Recherche durchgeführt.
Wer sind die geheimen Agenten der Verschwörung, die jetzt die
Legitimität Israels bedrohen? Wer sind die Leute, die die
anti-israelischen Gruppen in aller Welt mit tödlicher Munition gegen
uns versorgen?
Hier ist eine erste Liste der gefährlichsten Verschwörer:
An
der Spitze der Liste erscheint natürlich Avigdor Ivett Lieberman,
der mit List den Posten des Außenministers von Israel erhalten
hat.
In
weniger als anderthalb Jahren gelang es Lieberman, die Legitimität
Israels in vielen Ländern irreparabel zu untergraben.
Allein sein Erfolg, als Außenminister ernannt zu werden, ist
umwerfend. Er wird in der ganzen Welt als hemmungsloser Rassist
angesehen, wobei Frankreichs Jean-Marie Le-Pen und Österreichs Jörg
Haider - verglichen mit ihm - als fromme Demokraten gelten können.
Seitdem er auf diesen Posten berufen wurde, weigern sich viele
seiner Kollegen in aller Welt, in seiner Gesellschaft gesehen zu
werden. Sie meiden ihn wie die Pest.
Seitdem ist es Lieberman gelungen, dass Israel in vielen Ländern
gehasst wird. Er nannte die Schweden und Norweger Antisemiten. Er
hat die Türken beleidigt, als sein folgsamer Vertreter den
türkischen Botschafter öffentlich demütigte und ihn auf einem
niedrigen Sofa sitzen ließ. Er hat dem Präsidenten Ägyptens gesagt,
er solle „zur Hölle fahren“. Es scheint, dass er jeden Morgen in
seinem Büro sitzt, den Globus dreht und sich fragt: „Welches Land
kann ich heute beleidigen?“
Es
gibt kaum mehr ein Land in der Welt, das ihn empfangen möchte, es
sei denn unter großem Druck. Seine Aktivitäten als Außenminister
sind meistens auf vier Länder begrenzt, die mit seinem eigenen
Ursprung zu tun haben: Moldawien, Weißrussland, Ukraine und
Kasachstan. Kein israelischer Außenminister könnte der Legitimität
seines Landes mehr Schaden zufügen.
ABER LIEBERMAN hat einen sehr ernst zu nehmenden Konkurrenten: den
Verteidigungsminister Ehud Barak.
Während der letzten paar Tage gelang ihm das Unmögliche: auch die
libanesische Armee in einen Feind zu verwandeln.
Um
dies richtig einzuschätzen, muss man sich daran erinnern, was vor
nur vier Jahren geschah: Israel veröffentlichte praktisch ein
Ultimatum, in dem es verlangte, dass die libanesische Armee an der
Grenze zu Israel eingesetzt werde. Es war eine von Israels
Bedingungen, den 2. Libanonkrieg zu beenden. Nur die libanesische
Armee könnte für Ruhe an der Grenze sorgen, glaubten die
Meisterstrategen in Jerusalem. Sie behandelten die UN-Kräfte UNIFIL
mit kaum verhohlener Verachtung.
In
dieser Woche eröffnete die libanesische Armee das Feuer auf
israelische Soldaten und tötete einen Bataillonkommandanten. Wie
konnte das passieren? An mehreren Orten gibt es winzige Enklaven
zwischen dem israelischen Grenzzaun und der international
anerkannten Grenze. Was die Souveränität betrifft, gehören die
Enklaven zu Israel. Das Land selbst jedoch wird von libanesischen
Dorfbewohnern bearbeitet. Die israelische Armee hat entschieden,
in diesem Gebiet Bäume zu beschneiden, die der genauen Beobachtung
im Wege standen.
Die Libanesen meldeten im voraus, dass sie dagegen seien. UNIFIL bat
Israel darum, zu warten, bis ihr Kommandeur aus dem Ausland wieder
zurück sei, damit er vermitteln könne. Die israelische Armee
weigerte sich, zu warten und sandte einen Bulldozer. Als der Arm des
Monsters sich über den Zaun streckte, und nachdem von libanesischer
Seite aus Warnrufe geschrieen worden waren, eröffneten die
libanesischen Soldaten das Feuer.
Würde ein normaler Mensch unsere guten Beziehungen mit der
libanesischen Armee wegen ein paar Ästen aufs Spiel setzen? Gewiss
nicht. Gibt es einen besseren Beweis dafür, als den, dass Barak nach
den Befehlen der Weisen von Anti-Zion handelt?
Aber dies ist nur das letzte Beispiel. Es wird überschattet vom
Gazakrieg („Cast Lead“). Es ist nicht nötig, die Details dieser
Operation zu wiederholen: das massenweise Töten von Zivilisten,
einschließlich Hunderte von Frauen und Kindern; die Zerstörung von
Häusern, einschließlich Schulen und Moscheen; die Anwendung
grausamer Waffen wie weißen Phosphors; die Weigerung, medizinischer
Hilfe für die Verletzten zuzulassen; das Blockieren von Fluchtwegen
etc. etc.
„Cast Lead“ hat weltweit einen Schock ausgelöst. In vielen Ländern
sprossen anti-israelische Gruppen wie Pilze nach Regen aus dem
Boden. Das weit entfernte Gaza wurde zum Mittelpunkt der
Weltaufmerksamkeit.
Für Barak war dies noch immer nicht genug. Er zwang die Regierung,
die Untersuchungskommission, die von der UN ernannt und von einem
zionistisch jüdischen Richter geleitet wurde, zu boykottieren. Die
Kommission machte ihre Arbeit trotzdem, und ihre Ergebnisse klagten
Israel wegen detaillierter Kriegsverbrechen an. Statt zu
untersuchen, zuzugeben, sich zu entschuldigen und Schadenersatz zu
zahlen, begann Barak, eine Kampagne persönlicher Diffamierung gegen
den Richter, was den Schaden gegenüber Israel nur noch größer
machte. Verspätet begann die israelische Armee doch noch mit eigenen
Untersuchungen, die vor kurzem die Hauptergebnisse des
Goldstone-Berichtes bestätigten. Was sagt dies über Barak aus?
Aber selbst dies genügte ihm nicht. Der Vorfall mit der
Gaza-Flotille enthüllte seine volle Fähigkeit, Israel zu
de-legitimieren. Wenn man den Schiffen erlaubt hätte, ihre kleine
symbolische Ladung in Gaza zu löschen, wäre die Angelegenheit nach
ein, zwei Tagen vergessen gewesen. Baraks militärische Operation hat
das Gegenteil erreicht: monatelang ist die Welt in Aufruhr, die
Gazablockade ist im Zentrum der Weltaufmerksamkeit geblieben, unsere
wichtigen Beziehungen zur Türkei sind irreparabel beschädigt
worden.
Als die UN Israel aufforderten, mit der internationalen Untersuchung
zusammen zu arbeiten, reagierte Barak mit Verachtung. Und statt
wenigstens einen staatlichen Untersuchungs-ausschuss mit Vollmacht
zu ernennen, kündete die israelische Regierung eine Kommission ohne
Vollmachten an, der jede Glaubwürdigkeit fehlt, und ohne
ernsthaften Aufgabenbereich. Und nach all dem schon verursachten
Schaden stimmte die israelische Regierung in dieser Woche zu,
schließlich doch mit der UN-Kommission zusammen zu arbeiten. Es ist
die bekannte Geschichte des Dieners, der seinem Herrn faule Fische
vom Markt bringt. Als ihm gesagt wurde, er solle wählen, zwischen
den Möglichkeiten, die Fische selbst zu essen, geschlagen oder aus
der Stadt vertrieben zu werden, wählte er das Essen der Fische,
konnte dies aber nicht zu Ende bringen. Als er tüchtig geschlagen
wurde und es nicht mehr ertragen konnte, wählte er die Vertreibung.
Also aß er faule Fische, wurde geschlagen und vertrieben.
Zweifellos sollten die Weisen von Anti-Zion Barak den Titel „Held
der De-Legitimierung“ verleihen.
DEN DRITTEN Platz auf der Liste nimmt sicher der Innenminister Eli
Yishai ein.
Jeder weiß, dass Israel der Staat der Holocaustüberlebenden ist, ein
Staat, der die Grundwerte des jüdischen Volkes verkörpert. Das ist
das Herzstück unserer Hasbarah ( buchstäblich „Erklärung“ – in
Wirklichkeit Propaganda)
Der bedeutende Beweis für diesen Anspruch sollte unsere Einstellung
gegenüber armen Flüchtlingen sein, die Überlebenden von Massakern,
die unser Land erreicht haben und um Asyl bitten.
Wenn es so ist, warum tut der Innenminister alles in seiner Macht
stehende, um das Gegenteil zu beweisen?
Seit Jahren misshandelte das Ministerium die Flüchtlinge aus Afrika
und andern Orten. Die Überlebenden aus Darfur, die ihr Leben
riskierten, um Israel durch die Sinaiwüste zu erreichen, werden in
den Straßen von speziellen Menschenjäger-Einheiten des
Ministeriums gefasst, in Gefängnisse gesteckt und dann deportiert.
In
dieser Woche entschied die Regierung, 400 Flüchtlingskinder, die
hier in Israel geboren wurden, die Hebräisch sprechen und nie eine
andere Heimat gekannt haben, zu deportieren. Dies weckt traurige
Erinnerungen an die 30er-Jahre, als jüdische Flüchtlinge kein Asyl
finden konnten und in die Nazihölle zurück geschickt wurden.
Es
stimmt, Israel ist nicht das einzige Land der Welt, dass die
„illegalen Immigranten“ schlecht behandelt. Viele Länder von den USA
bis Frankreich tun dasselbe. Aber Israel gibt vor, der „Jüdische
Staat“ zu sein, und die Misshandlung von Flüchtlingskindern ist ein
tödlicher Schlag gegen die Grundlage seiner Legitimität.
DIE LISTE ist lang.
Der andere zentrale Pfeiler der Legitimität Israels ist die
Behauptung, wir seien „die einzige Demokratie im Nahen Osten“.
Wenn dem so ist, was können wir über den Jerusalemer Richter sagen,
der einen Mann verurteilte, dessen neue israelische „Freundin“ nach
wenigen Minuten Bekanntschaft bereitwillig Sex mit ihm hatte, ihn
aber der Vergewaltigung für schuldig erklärte, nur weil er ihr
verschwiegen hatte, dass er - Gott bewahre! – ein Araber ist?
Was können wir über einen Polizeiminister sagen, der lautstark einen
Polizisten unterstützt, der seinen Revolver nimmt und an den Kopf
eines Diebes hält und ihn aus kürzestem Abstand erschießt, obwohl
der Mann in seinem Wagen saß und zu fliehen versuchte - und er ein
Araber war?
All dies - und vieles mehr – trägt jeden Tag zur Weltverschwörung
bei, die dahin zielt, dem Staat Israel die Rechtmäßigkeit
abzusprechen. Doch wer ist der Chef der Verschwörer?
Alles Beweismaterial deutet in eine Richtung: der Mann, der all
diese Agenten auf ihre Positionen berufen hat, wo sie irreparablen
Schaden anrichten: Binyamin Netanyahu. Ein Meisterverschwörer, der
sich hinter der Fassade eines inkompetenten Politikers verbirgt.
WIE WOHL bekannt ist, wurden „die Protokolle der Weisen von Zion“
von der Geheimpolizei des russischen Zaren zusammengestellt, in dem
ein Traktat, das ursprünglich gegen Napoleon III. geschrieben worden
war, benutzt wurde.
Die „Protokolle der Weisen von Anti-Zion“ werden in diesen Tagen von
Netanyahu und seinen Kumpels verfasst.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs; vom Verfasser autorisiert)
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