„Nützliche Idioten des US-Imperialismus“
Die Journalistin Eva C. Schweitzer hat ein
wichtiges Buch über die Antideutschen geschrieben
Arn Strohmeyer - 5. 11. 2021
Eva C.
Schweitzer
Links blinken – Rechts
abbiegen.
Die unheimliche Allianz zwischen Neurechten, woken
Antideutschen und amerikanischen Neokonservativen,
Frankfurt/ Main 1921, 20 Euro
ISBN 978-3-86489-342-1 |
Die deutsche
Journalistin Eva C. Schweitzer, die in New York lebt und
arbeitet, ist eine exzellente Kennerin der amerikanischen
Politik, Geschichte und Kultur. Da die deutsche Politsekte der
Antideutschen neben Israel in den USA ihr großes Vorbild sieht,
liegt es nahe, das politische Treiben dieses „Haufens von
politisch beschädigten Politaktivisten“ einmal aus der
amerikanischen Perspektive zu betrachten bzw. zu
diagnostizieren, welchen Einfluss Amerika (genau gesagt: das
extrem nationalistische und bellizistische Lager dort) auf diese
selbst ernannten deutschen Heilsbringer hat.
Die Autorin spart nicht mit sarkastischen Charakterisierungen
für die Antideutschen, wie sie überhaupt eine geniale Gabe für
sprachliche Zuspitzungen hat, die aber meistens den Kern der
Sache sehr genau treffen. So betitelt sie diese ehemals linken
Politstrategen als typisch „deutsche kontrollfreakige
Besserwisser, deren Lebensphilosophie es ist, andere zu
bestandpauken, wo es langzugehen hat.“ Oder: „Die Antideutschen
sind die Reichsbürger der früheren Linken.“ Oder: „Sie sind eine
Art Frankenstein’sche Kreatur. Diese neueren deutschen
Verrücktheiten sind die Spottgeburt einer Zwangsheirat des
stolzen amerikanischen Sendungsbewusstseins, das im Wilden
Westen wurzelt, mit dem deutschen Belehrbedürfnis. Das ist nicht
gut für Amerika und nicht gut für Deutschland.“ Oder ein Zitat
von Kurt Tucholsky, das die Autorin auf die Antideutschen
anwendet: „Die Blonden sind ganz umgängliche Menschen. Aber die
Dunklen, die gern blond sein möchten…“
Die Geschichte dieser obskuren Politsekte ist bekannt: Ihre
Hauptvertreter kommen aus den kommunistischen K-Gruppen, die
sich in den 70er Jahren als späte Ausläufer der
außerparlamentarischen Opposition der 68er bildeten, sich
zumeist am chinesischen Vorbild orientierten und nach dem
Mauerfall und der Wiedervereinigung einen politischen
Orientierungswechsel um 180 Grad vollzogen, denn sie begriffen
das Ende des Realsozialismus in der Sowjetunion, den
Ostblockstaaten und der DDR als schlimmen Vorboten eines neuen
großdeutschen Reiches. Die Autorin beschreibt ihren
Entstehungsprozess so: „Sie gehen auf kommunistische Uni-Gruppen
zurück, vor allem auf den Kommunistischen Bund [KB], auf eine
Tradition aus Hysterie vor dem nächsten Weltkrieg,
Deutschlandschlechtfinden, falscher Demut und als Selbsthass
getarnte Fremdenfeindlichkeit.“
Ihr Deutschlandschlechtfinden und ihre falsche Demut führten zu
einer tiefen Liebe zu Israel. Ihr extremer Philosemitismus
produzierte seltsame Blüten: Das Bekenntnis zu diesem Staat
führte dazu, dass man zum Eintritt in die israelische Armee
aufrief; einige wollten sogar zum Judentum übertreten. Die
Autorin beschreibt diese Überidentifizierung mit Juden sehr
treffend so: „Sie glauben, durch die Zurschaustellung ihrer
antideutschen Haltung in den Augen der Welt von der Erbsünde
Auschwitz ausgenommen zu sein, so wie sich kleine Kinder die
Hand vor die Augen halten, weil sie glauben, damit werde es
dunkel. Und natürlich hätten sie alle unter den Nazis ihr Leben
im Widerstand riskiert, so wie sie auch heute tapfer auf Social
Media Nazis bekämpfen. Parallel dazu leben sie in der Fantasie,
dass sie keine Opfer mehr sind, sondern Sieger, wenn sie sich
mit Bomber Harris identifizieren [der die Bombardierung Dresdens
befehligte], und das gänzlich ohne eigene Anstrengung und unter
Beibehaltung der Moralflagge.“ Man kann hinzufügen, dass die
Antideutschen ein musterhaftes Beispiel für die großenteils
verquere und misslungene deutsche Aufarbeitung des Holocaust
sind.
Der Irak-Krieg 2003, den US-Präsident George W. Bush mit dem
Lügen-Argument führte, dass Saddam Hussein
Massenvernichtungswaffen besitze, war der Anlass, dass die
Antideutschen, die einmal Warner vor dem Imperialismus waren,
rechte Bellizisten wurden, zu „Rumsfeld“-Linken, wie man
spöttisch sagen könnte – Rumsfeld war damals der amerikanische
Verteidigungsminister. Die Antideutschen spielten sich
anlässlich dieses Krieges als „Keybord Kommanders“ auf, die die
USA und Israel gegen die böse antisemitische arabische Welt
verteidigen wollten und deshalb den Einmarsch in den Irak mit
Nachdruck befürworteten. Natürlich nicht selbst mit Waffen,
sondern mit rhetorischen Ausfällen gegen alle, die gegen diesen
Krieg waren. Vor allem die Friedensbewegten bekamen eins mit der
Nazikeule übergezogen.
In der bedingungslosen Parteinahme für den kolonialistischen
Siedlerstaat Israel, der ganz unter US-Schutz steht, und mit dem
Engagement für den Irak-Krieg machten sich die Antideutschen
endgültig zur fünften Kolonne oder zum „nützlichen Idioten des
US-Imperialismus“ und damit auch zum langen Arm der
US-Neokonservativen (Neocons). Diese sind eine rechtsextreme
Gruppe von „US-amerikanischen Kriegstreibern“, von denen –
ähnlich wie bei den Antideutschen – viele ursprünglich aus dem
linken politischen Spektrum (Trotzkisten) oder der liberalen
politischen Szene kommen. Der Anteil von Juden bzw. Zionisten
unter ihnen ist hoch. Auf George W. Bush übten sie großen
Einfluss aus und kaperten unter ihm das Pentagon. Der Irak-Krieg
2003 war maßgeblich ihr Werk. Mit dem Amtsantritt von Barack
Obama verloren sie ihre Machtposition und schlüpften in Israel
nahestehenden Think Tanks unter. Dort machen sie gegenwärtig
massiv Stimmung gegen den Iran – unterstützt von den
Antideutschen.
Die Autorin untersucht ausführlich, wie es zu dieser
merkwürdigen Beziehung zwischen deutschen Pseudolinken, die
„links blinken, aber rechts abbiegen“ (so auch der Titel des
Buches) und den Vertretern eines extremen amerikanischen
Nationalismus, der zum Teil schon neofaschistische Züge trägt,
gekommen ist. Die Autorin macht in erster Linie den
„postkommunistischen Glaubensabfall und die Israelsolidarität“
als Ursache aus. Auf amerikanischer Seite habe nicht zuletzt die
Angst vor aufständischen Schwarzen zur Entstehung der
neokonservativen Bewegung geführt, bei den Antideutschen
parallel dazu die Angst vor aufständischen (soll heißen:
antisemitischen) Arabern. Aber es gibt auch deutliche
Differenzen zwischen den Neocons und den Antideutschen. Denn die
Neocons sind gar nicht antideutsch. Für sie war das Ende der
Sowjetunion ein zu bejubelndes Ereignis, für die Antideutschen
war der Mauerfall ein Weltuntergangsgeschehen, denn sie hielten
die Sowjets für die Sieger des Zweiten Weltkrieges.
Restlos aufklären kann die Autorin die Frage nach dem
Zustandekommen dieser merkwürdigen Allianz auch nicht, da sind
wohl zu viele irrationale Faktoren im Spiel. Die Antideutschen
sind zudem eine zu unbedeutende, weil marginale Gruppe, als dass
die einst so mächtigen Neocons sie als gleichwertigen Partner
ansehen würden. Die Liebe ist wohl eher einseitig: Die
Antideutschen dienen sich den Neocons an und machen sich die
Ideenwelt dieser abgefallenen Trotzkisten, Kalten Krieger und
Krypto-Zionisten zur eigenen Ersatzreligion.
Mögen die Antideutschen auch eine marginale Gruppe sein, ihr
Einfluss ist nicht zu unterschätzen und als Trojanisches Pferd
für die Neocons sind sie zur Propagierung ihrer Ideen in
Deutschland allemal wichtig. Die Autorin stellt dar, wie weit
die gefährlichen politischen Konzepte der Neocons und
Antideutschen inzwischen in die Leitideen aller deutschen
Parteien – besonders der Grünen – eingedrungen sind. Die Autorin
schreibt: Der Kosovo-Krieg, den vor allem der damalige
Außenminister Joschka Fischer zu verantworten hatte, sei der
Anfang des Umbaus der grünen Realos zu Wasserträgern der
US-Politik gewesen.
Die transatlantischen Gesellschaften, denen die maßgeblichen
Politiker/innen der Grünen und viele Medienvertreter angehören,
verfolgen alle dasselbe Ziel: ein starkes, aufgerüstetes Europa,
das unter dem Dach der NATO „im Namen der westlichen Werte“ vor
allem Russland und China als Gegner betrachtet. Von Entspannung
und einem europäischen Sicherheits- und Friedenssystem gemeinsam
mit Russland ist nicht mehr die Rede. Kalter Krieg ist angesagt.
Man darf gespannt sein, wie die entspannungswillige SPD mit den
bellizistischen Grünen in der Ampel eine vernünftige
Außenpolitik im Interesse des Landes machen will.
Eva C. Schweitzer hat ein wichtiges Buch geschrieben, weil es
das kuriose Phänomen der Antideutschen von der amerikanischen
Perspektive aus beschreibt und dabei Aspekte hervorhebt, denen
man im bisherigen Diskurs über diese Politsekte kaum
Aufmerksamkeit geschenkt hat.
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