Israel – ein Produkt der ideologischen
Raumplanung
Viktoria Waltz schildert
in ihrem neuen Buch „Monopoly“,
wie die Zionisten ihr Kolonialprojekt durchsetzten
Arn Strohmeyer
Im
Diskurs über Israel und seine Politik setzt sich immer
mehr die realistische Sichtweise auf diesen Staat als
zionistisches siedlerkolonialistisches Projekt durch.
Der israelische Historiker Ilan Pappe benutzt diesen
Begriff seit langem. Die deutsche Islamwissenschaftlerin
Petra Wild hat ihn in ihrem Buch „Apartheid und
ethnische Säuberung. Der zionistische
Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ ausführlich mit
wissenschaftlicher Akribie beschrieben. Sie definiert
ihn folgendermaßen: „Der reine Siedlerkolonialismus, für
den Israel ein Beispiel ist, strebt danach, die
einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte
Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen. Die Grenzen
werden stets weiter nach vorne verschoben und die
einheimische Bevölkerung auf stets kleiner werdenden
Flächen zusammengedrängt, um ihr Land und ihre
Ressourcen für die Siedlerbevölkerung freizumachen.
Charakteristisch für siedlerkolonialistische Gebilde
sind neben territorialer Expansion ein ausgeprägter
Rassismus in der Siedlerbevölkerung und die Behauptung,
das Land sei menschenleer gewesen, als die Siedler
kamen.“
Die
frühere Dozentin für Raumplanung an der TU in Dortmund
Viktoria Waltz beschreibt nun in ihrem neuen Buch
„Israel. Monopoly ohne Grenzen“ im Detail, wie die
Zionisten ihr Projekt, das zuerst der Begründer der
Bewegung Theodor Herzl entworfen hatte, mit aller
Konsequenz und Härte – um nicht zu sagen gnadenlos –
durch- und umsetzten. Schon auf dem ersten
Zionisten-Kongress in Basel 1897 hatte man die Strategie
zur Errichtung des jüdischen Staates beschlossen. Damals
sprach die Bewegung allerdings – wie auch 1917 die
Balfour-Note der britischen Regierung – noch von einer
„Heimstätte“, wohl um die Palästinenser, die das ins
Auge gefasste Land bewohnten, und die internationale
Öffentlichkeit nicht zu erschrecken. Aber es war klar,
was gemeint war: ein exklusiv jüdischer Staat. Da
Palästina aber voll bewohnt und nicht „leer“ war, wie
die Zionisten behaupteten, waren die Konflikt
programmiert.
An
Warnungen – auch von jüdischer Seite – hat es nicht
gefehlt. So schrieb etwa der deutsch-jüdische Philosoph
Martin Buber im Mai 1948: „Dieser Zionismus entweiht den
Namen Zion; er ist nicht mehr als einer der krassen
Nationalismen unserer Zeit, die keine höhere Autorität
als das – vermeintliche! – Interesse der Nationen
anerkennen.“ Und weiter: „Dass dieses [zionistische]
Programm offenen Kampf mit den Nachbarn und somit auch
mit der arabischen Welt bedeutete, war offenbar: Welches
Mehrheitsvolk würde sich kampflos in den Status einer
Minderheit niederdrücken lassen!“
Hannah
Arendt warf der zionistischen Bewegung zur selben Zeit
vor, dass sie aus opportunistischen Erwägungen ihre
wahren und eigentlichen Ziele verborgen hätte. Nun aber
lägen sie offen zu Tage: Sie beanspruchten ganz
Palästina, was für die Palästinenser nur die Alternative
bedeute: Minderheitenstatus oder Verlassen ihres eigenen
Landes. Damit habe man die Chance auf Zusammenarbeit und
Gespräche mit den Arabern auf lange Zeit verwirkt. Und
Albert Einstein hielt den Zionistenführer Menachem Begin
schlicht für einen gefährlichen „Faschisten“:
Aber die
zionistische Bewegung kümmerten solche Warnungen nicht.
Sie hielten unbeirrt an ihrem Ziel fest, das Viktoria
Waltz in der Sprache ihres Faches so formuliert:
„Reduzierung des nicht-jüdischen Raumes bis zur
Eliminierung, Ersetzung und Überformung durch einen rein
jüdischen Raum.“ Und: „Bis ins kleinste Detail werden
sämtliche Fachrichtungen und ihre wissenschaftlichen
Zulieferer für die gewünschte Rauminterpretation und
Raumentwicklung, sprich für die Schaffung einer
jüdischen Boden- und Bevölkerungsmehrheit eingesetzt, um
dieses Ziel zu erreichen.“ Die Autorin sieht aber auch,
was dieses Projekt zwangsläufig für Folgen haben musste
und auch heute noch hat: Israel wurde ein absoluter
Ausnahmestaat, ein Konstrukt, das aus einer speziellen
Ideologie heraus entwickelt worden ist. Und wenn dieser
Staat sich eine Demokratie nennt, dann gilt das nur für
seine jüdische Bevölkerung, denn die palästinensischen
Bürger Israels, die immerhin 20 Prozent der Einwohner
dieses Staates ausmachen, gilt die Gleichheit vor dem
Gesetz nicht. In allen Planungsgesetzen und
Planungsprozessen spiegelt sich der rassistische,
ethnisch ausgrenzende und diskriminierende Umgang mit
der nicht-jüdischen Bevölkerung wider. Und die vier
Millionen Einwohner in den israelischen Kolonien, also
den besetzten Gebieten Westjordanland und Gazastreifen,
müssen ohne jedes bürgerliche und politische Recht
leben.
Die
Schaffung Israels wurde aber auch nur möglich, das
belegt der Text von Viktoria Waltz, weil die Zionisten
in den Kriegen von 1948 und 1967 insgesamt 1,5 Millionen
Palästinenser vertrieben haben und deren Boden und
Eigentum konfiszierten. Die Autorin belegt auch, dass
die Geburt Israels nicht die Folge der Tragödie der
europäischen Juden (Holocaust) war, sondern schon
Jahrzehnte früher mit einer ausgeklügelten und akribisch
geplanten Strategie angestrebt und dann auch
durchgesetzt wurde. Aber das Projekt ist noch nicht zu
Ende durchgeführt worden. Denn das Ziel, einen rein
jüdischen Staat in den Grenzen der Mandatszeit zu
schaffen mit möglichst wenig oder gar keinen
Palästinensern darin, ist noch nicht erreicht. Diesem
Ziel wird alles untergeordnet und dazu ist „alles
erlaubt“: vor allem brutale Gewalt und ständiges
Drangsalieren der Kolonisten gegen die Kolonisierten,
der Unterdrücker gegen die Unterdrückten, der reichen
Besatzer gegen die armen Belagerten.
Das
Schlimme an diesem nun schon seit Jahrzehnten
bestehenden Zustand sind die Gleichgültigkeit und das
Wegschauen der internationalen Staatengemeinschaft.
Viktoria Waltz beschreibt diese Situation so: „Die USA
in Zusammenarbeit mit den Europäern liefern das
Sicherungsnetz für dieses Projekt mit ihren
Sondergesetzen, mit Geld und Waffenlieferungen.
Menschen- und Bürgerechte stehen dabei nur im Wege und
haben keinerlei Geltung. Zur Verfolgung ihrer Ziele sind
ihnen alle Mittel recht.“
Ausführlich geht die Autorin auf ein Problem ein, das
gerade in den letzten Tagen hoch aktuell geworden ist:
die Vertreibung der Beduinen aus der Negev-Wüste. Der
Prawer-Plan, der am 11. September 2013 von der Knesset
verabschiedet wurde, sieht die gewaltsame „Umsiedlung“
von 37 Beduinendörfern mit 40 000 Menschen in ein neues
Areal in der Nähe der Abu-Dis-Müll-Deponie im Osten
Jerusalems vor. Das bedeutet: Zwei Drittel des noch
existierenden Landeigentums der Beduinen in der Region
Be’er Shewa sollen enteignet werden. Viktoria Waltz
schildert ausführlich, wie der zionistische Staat schon
in der Vergangenheit die Existenzbedingungen dieser
Menschen zerstört hat, die ein Teil der
palästinensischen Gesellschaft in Israel und Bürger
dieses Staates sind. Vor 1948 lebten in diesem Gebiet 80
– 90 000 Beduinen, die über 10 – 12 000 qkm Land
verfügten und dort ihre Herden weideten. Sie sahen
dieses Land seit Jahrhunderten als ihr Eigentum an und
können dies auch mit Dokumenten belegen. Schon bei der
ethnischen Säuberung 1947/48 wurden viele von ihnen
vertrieben. Im Zuge der Enteignung des sogenannten
„Abwesenden-Landes“ verloren die Beduinen damals schon
98 Prozent ihres Bodenbesitzes. Das Land wurde zu
Staatsbesitz erklärt. Heute gibt es in Israel noch 190
000 Beduinen – 145 000 leben im Süden, 45 000 in
Galiläa.
Die
Negev-Wüste ist wegen ihrer Rohstoffvorkommen (Phosphor,
keramische Stoffe, Erdöl, Erdgas und Eisen) für Israel
von großer Bedeutung. Außerdem befindet sich dort der
auch militärisch wichtige israelische Atommeiler Dimona.
Deshalb müssen die Beduinen weichen. Ihre Lage kann
ohnehin nur als bedauernswert bezeichnet werden. Da sie
keinerlei staatliche Unterstützung, d.h. auch keinen
Wasser- und Elektrizitätsanschluss, bekommen und ihnen
jede Bautätigkeit untersagt ist, müssen sie in
Ansiedlungen aus Zelten und Wellblechhütten (nicht
anerkannten Dörfern) hausen, die bei Aktionen des
israelischen Militärs und der Polizei immer wieder
zerstört werden.
Diejenigen, die man erfolgreich weggejagt hat, wurden in
sogenannte Beduinenstädte umgesiedelt, die zwar
staatlich anerkannt sind, aber wegen der erzwungenen
Aufgabe der nomadischen Lebensgewohnheiten ihrer neuen
Bewohner und der sich daraus ergebenden sozialen
Spannungen schnell zu suburbanen Ghettos oder zu Slums
mit hoher Arbeitslosigkeit, sozialer Abhängigkeit und
Kriminalität verkamen. Außerdem leben die Menschen in
diesen Städten in völliger Isolierung von den sie
umgebenden jüdischen Siedlungen. Um hier sesshaft zu
werden, mussten die Beduinen unterschreiben, dass sie
keinen Anspruch mehr auf ihr früher besessenes Land
erheben. Für diejenigen, die sich nicht fügen und sogar
Widerstand leisten, hält der zionistische Staat die
bekannten Maßnahmen und Instrumente bereit: Verweigerung
der infrastrukturellen Versorgung, strafrechtliche
Verfolgung, forciertes Vorgehen der Steuerbehörden,
Zwangsräumungen, Weideverbot für die Herden aus
„Umweltschutzgründen“, Häuserzerstörungen und sogar
Vergiftung der Felder. Auch das ist gegenwärtige
israelische Realität. Der Westen schweigt dazu, aber
erfreulich ist, dass immer mehr auch israelische
Demonstranten an den Protestaktionen gegen diese
Vertreibungspraktiken in der Negev-Wüste teilnehmen.
Viktoria
Waltz’s Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte
des Nahost-Konflikts. Er zeigt auf, wie das zionistische
Projekt nach einer bis ins Detail festgelegten Strategie
Schritt für Schritt umgesetzt wurde – als ein
Planungsprozess, der Raum für die Neusiedler schaffen
sollte und noch soll. Dass damit und dabei für die
Menschen, die schon seit Jahrhunderten dort lebten und
leben, die permanente große Katastrophe hereinbrach, die
immer noch andauert – die Welt hat es bisher wenig
interessiert.
Viktoria
Waltz
Monopoly ohne Grenzen.
Israel. Politische Raumplanung, Ethnozentrismus,
Rassismus,