Der
einseitige, ideologische Blick auf Israels
Geschichte
Wie
sich das Magazin „Stern“ und deutsche politische
Bildungsinstitutionen das zionistische
Geschichtsnarrativ
zu eigen machen
Arn
Strohmeyer
Wenn es um
Darstellungen der Geschichte Israels – auch der
Früh- und Vorgeschichte – geht, ist immer
Vorsicht geboten, denn da geht es zumeist auch
um den Anspruch der Zionisten auf das Land
Palästina. Das Magazin „Stern“ hat in seiner
Sparte „Diskuthek“ den Antisemitismus-Streit in
Deutschland und den israelkritischen Vortrag des
protestantischen Bischofs Hans Jürgen Abromeit
zum Anlass genommen, die Geschichte Israels
darzustellen.
An dem Text, den „Stern“-Autor David Baum
erstellt hat, sind in ergänzenden Artikeln
die Bundeszentrale sowie Landeszentralen für
politische Bildung beteiligt – im Folgenden mit
BpB und LpB abgekürzt.
Der israelische
Historiker Tom Segev, der zu den „neuen
Historikern“ gehört, also zu denen, die in ihren
Arbeiten nicht den Vorgaben der zionistischen
Staatsideologie Israels folgen, hat einmal
gesagt, dass die Darstellung der israelischen
Geschichte vor den „neuen Historikern“ nichts
anderes als „zionistische Mythologie“ sei. In
diese Rubrik muss man auch die Chronologie des
„Stern“ einordnen, was in einer Zeit, in der
jede Kritik an der israelischen Politik (und sei
sie auch noch so berechtigt) als „antisemitisch“
diffamiert wird, auch gar nicht anders zu
erwarten ist.
Die Darstellung des
„Stern“ und der politischen
Bildungsinstitutionen zeichnet sich vor allem
durch Verdrehungen wichtiger historischer
Tatsachen und Ereignisse aus, zudem werden
wichtige Fakten weggelassen. Das Wort von der
„Lückenpresse“ findet wieder einmal seine volle
Bestätigung. Kennzeichnend für die Texte ist
eine Scheinobjektivität, die den Eindruck
erwecken soll, als ob man beiden
Konfliktparteien – Israelis und Palästinensern –
gerecht wird, was natürlich nicht der Fall ist.
Es kann hier nicht der gesamte Text analysiert
werden, aber an einigen wesentlichen Aussagen
soll seine völlige Einseitigkeit demonstriert
werden.
Der „Stern“-Autor
David Baum beginnt seinen Text mit der
Feststellung: „Palästinenser und Israelis: Zwei
Völker, die immer wieder vertrieben wurden und
auf der Suche nach einer Heimat in dasselbe
Gebiet zurückkehrten. Dort bekriegen sie sich
seit langer Zeit. Um die Gewalt im Nahen Osten
zu erklären, muss man in der Zeit weit
zurückblicken.“ Da stellen sich schon die ersten
Fragen. Wann sind die Palästinenser „immer
wieder“ vertrieben worden? Sie haben
Jahrhunderte wenn nicht Jahrtausende lang in
Palästina gelebt und sind nur zwei Mal
vertrieben worden: von den Zionisten 1948 und
1967. Und die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt
Israel ihnen bis heute, was eine Ursache des
gewaltsamen Konflikts im Nahen Osten ist.
Und: Sind die Juden
wirklich ein Volk? Der israelische Historiker
Shlomo Sand sagt: Nein! Denn zu einem Volk
gehörten eine gemeinsame Sprache und eine
gemeinsame Alltagskultur. Genau darüber verfügen
die Juden aber nicht. Die meisten Juden der Welt
leben nicht in Israel und sehr viele von ihnen
identifizieren sich auch gar nicht mit diesem
Staat, ja sie wehren sich sogar gegen die
Vereinnahmung durch den Zionismus, der sich
jüdisches Leben ausschließlich als
Ethno-Nationalismus vorstellen kann, dass
jüdisches Leben also nur in einer ethnisch
abgegrenzten Nation vorstellbar ist – siehe das
neue Nationalstaatsgesetz.
„Stern“-Autor David
Baum will also in der Zeit weit zurückblicken,
um zu erklären, wie der Konflikt seinen Anfang
nahm. Er und die Autoren der Zentralen für
politische Bildung greifen denn auch – sich an
das Alte Testament haltend – auf die weit
verbreitete These zurück, dass etwa um 1250
v.u.Z. jüdische Stämme aus Ägypten nach
Palästina eingewandert seien, die dort lebenden
Kanaaniter verdrängt und ein Reich errichtet
hätten. Auf dieses Reich beziehen sich die
Zionisten noch heute, um ihren Anspruch auf das
Land zu untermauern.
Nur: Israelische
Früh- und Vorgeschichtler sowie Archäologen sind
da ganz anderer Meinung. Genannt seien hier die
Archäologen Israel Finkelstein, Neil A.
Silberman, Rati Greenberg und Zeev Herzog. Sie
sagen übereinstimmend, dass es eben kein großes
jüdisches Reich gegeben habe, sondern nur zwei
kleine jüdische Stammes-Königtümer: Juda und
Israel. Für die Geschichte des Exodus unter
Moses aus Ägypten, die jüdische Wanderung im
Sinai oder Josuas Eroberung Kanaans sowie den
Tempel Salomons und die Paläste der Könige haben
sie keine Belege gefunden. Die Bibel hat also
ganz offensichtlich nicht Recht und ist keine
verlässliche historische Quelle.
Finkelstein und
Silberman sehen hinreichende archäologische
Beweise dafür, dass die Kanaaniter der
beherrschende Stamm im alten Palästina waren und
die frühen Israeliten durch Abtrennung von ihnen
als eigener Stamm hervorgegangen sind. Die
beiden Archäologen schreiben in ihrem Buch
„Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische
Wahrheit über die Bibel“: „Der [in dem Buch]
beschriebene Prozess ist genau das Gegenteil von
dem, was in der Bibel steht: Der Aufstieg des
frühen Israel war ein Ergebnis des
Zusammenbruchs der kanaanäischen Kultur, nicht
ihre Ursache. Und die meisten Israeliten kamen
nicht von außen nach Kanaan – sondern aus seiner
Mitte heraus. Es gab keinen Massenauszug aus
Ägypten, ebenso wenig wie eine gewaltsame
Einnahme Kanaans. Die meisten Menschen, die das
frühe Israel bildeten, waren Einheimische – die
gleichen Menschen, die im Bergland in der
Bronze- und Eisenzeit zu sehen sind. Die frühen
Israeliten waren – ein Gipfel der Ironie –
selbst ursprünglich Kanaaniter!“ (S.135)
Aufschlussreich
ist, dass der Autor des „Stern“ und seine
Mitstreiter aus den Zentralen für politische
Bildung auf die Ideologie des Zionismus und ihre
Geschichte als Antriebskraft für die Gründung
eines jüdischen Staates in Palästina gar nicht
(David Baum) oder nur am Rande eingehen, was
notwendigerweise auch den Hinweis bedeutet
hätte, dass die jüdische Einwanderung schon ab
etwa 1880 begonnen hat. Der Zionismus wird als
Bewegung beschrieben, die erstens die Flucht vor
dem Antisemitismus beenden sollte und zweitens
als jüdische „Selbstverwirklichung“ gedacht war.
Sein einziges Ziel, einen jüdischen
Nationalstaat in Palästina (also in einem von
Arabern bewohnten Land) zu gründen mit möglichst
wenig Arabern darin, wird nicht erwähnt. Hier
liegt aber die eigentliche Ursache des
Nahost-Konflikts bis heute, denn das
zionistische Ziel konnte nur mit Gewalt
realisiert und aufrechterhalten werden.
Den Autoren zufolge
flohen die jüdischen Neueinwanderer vor allem
vor dem antisemitischen Terror der Nazis, was
eben nur zum Teil stimmt. Wenn es in den Texten
heißt, dass es für viele Überlebende [des
Holocaust] festgestanden habe, dass sie nur in
einem, eigenen Staat frei und sicher leben
könnten – eben in Israel, dann ist das auch nur
die halbe Wahrheit. Denn die Mehrheit der
Überlebenden waren keine Zionisten und wäre viel
lieber nach Großbritannien oder in die USA
gegangen, die sie aber nicht hineinließen.
Zudem waren die
Überlebenden in Israel überhaupt nicht
willkommen, denn dort wurde das Ideal des „neuen
Juden“ propagiert, eines jungen dynamischen,
wehrhaften Tatmenschen, der Pionierarbeit beim
Aufbau des Staates leisten konnte. Die
Holocaust-Überlebenden waren aber zumeist
gebrochene Menschen, galten als feige und
dekadent, weil sie sich ohne Widerstand hätten
„zur Schlachtbank führen lassen“. (Siehe dazu
das Buch des israelischen Historikers Tom Segev:
„Die siebte Million“) Israels Regierungschef
Benjamin Netanjahu hat erst kürzlich in der
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geäußert, die
Juden in der Diaspora hätten den Holocaust
verdient, denn sie seien schwach gewesen und
hätten sich nicht gewehrt.
Der Autor des
„Stern“ und die Verfasser der
Bildungsinstitutionen erwecken in ihrer
Darstellung aber den Eindruck, ohne es direkt zu
sagen, als sei der Staat Israel durch die
Zuwanderung der Überlebenden entstanden, was
historisch schlicht falsch ist. Denn die seit
etwa 1880 eingewanderten Juden haben sehr
schnell begonnen, in strenger Separierung von
den Palästinensern, ihre eigenen vorstaatlichen
Strukturen (Verwaltung, Armee, Gesundheitswesen
usw.) aufzubauen – den sogenannten Jischuw.
Davon schreiben die Autoren kein Wort.
Auch über die nicht
immer auf koscheren Weg erfolgten Landkäufe der
Zionisten von arabischen Großgrundbesitzern und
der dadurch verursachten Entwurzelung und
Vertreibung palästinensischer Fellachen von
ihrem Land sowie von der Einführung exklusiv
„jüdischer Arbeit“, die die Beschäftigung von
Arabern in jüdischen Betrieben verbot, sowie dem
Boykott arabischer Produkte durch Juden erfährt
man nichts.
Die Palästinenser
verstanden natürlich ab den 30er Jahren, dass
die jüdischen Einwanderer nicht nach Palästina
gekommen waren, um mit ihnen einen gemeinsamen
Staat aufzubauen, sondern auf ihrem Land die
zionistische Nation verwirklichen wollten. Es
kam zunehmend zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen, von 1936 – 1939 führten
die Palästinenser einen großen Generalstreik
durch, der von der britischen Mandatsmacht und
zionistischen Milizen blutig niedergeschlagen
wurde. Die Autoren lassen diesen Teil der
Geschichte ganz weg oder behandeln ihn in diesem
und späteren Zusammenhang als „arabischen
Terrorismus“. Dass jüdische Terrorgruppen (Irgun,
Lechi und Stern) in den 40er Jahren furchtbare
Anschläge gegen britische und arabische
Einrichtungen begingen, findet keine Erwähnung.
Genannt seien hier nur der Anschlag auf das King
David Hotel in Jerusalem 1946 mit 90 Toten sowie
das Massaker von Deir Yassin 1948 mit 240 Toten.
An beiden Aktionen waren die Irgun und ihr
Führer Menachim Begin führend beteiligt.
Den
Teilungsbeschluss der UNO 1947 tut David Baum
mit zwei nichtssagenden Sätzen ab. Die Autoren
der politischen Bildungsinstitutionen geben
immerhin in Zahlen die haarsträubende
Ungerechtigkeit dieses Beschlusses an: Die
Palästinenser, die mit 1,3 Millionen Bewohnern
die deutliche Mehrheit in Palästina stellten,
sollten nur 43 Prozent ihres eigenen Landes
bekommen, die 600 000 Juden (ein Drittel der
Bevölkerung) aber gut 56 Prozent. Jerusalem
sollte unter internationale Verwaltung gestellt
werden. Die Autoren der Bundes- und
Landeszentrale erwähnen immerhin auch, dass man
die Palästinenser in Bezug auf die Teilung ihres
Landes gar nicht gefragt hat und dass die
arabische Seite den Beschluss abgelehnt hat,
weil hier über die Köpfe der Palästinenser
hinweg entschieden worden war.
Nicht nur
lückenhaft, sondern völlig falsch wird dann die
Zeit nach dem UNO-Teilungsbeschluss bis zum Ende
des Krieges zwischen Israel und der Arabern 1949
geschildert. Hier wird einfach die zionistische
Version übernommen, die von den „neuen“
israelischen Historikern längst widerlegt worden
ist. Da ist von einem „zionistisch-arabischen
Bürgerkrieg“ nach dem UNO-Beschluss die Rede,
den die jüdische Hagana für sich entschieden
habe. Darauf folgte dann – so die Autoren – die
Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948, der
Angriff der arabischen Staaten auf den neuen
Staat, sein militärischer Sieg und der
Waffenstillstand vom Frühjahr 1949. Dabei
vergrößerten die Israelis ihr Staatsgebiet auf
78 Prozent Palästinas, weil sie 40 Prozent des
im Teilungsplan für den palästinensischen Staat
vorgesehenen Landes dazu erobert hatten.
Die Nakba, also das
gewaltsame Vorgehen gegen die palästinensische
Bevölkerung, der Raub ihres Landes und ihre
Vertreibung werden irgendwie als Folge des
Krieges mit den Arabern dargestellt. Baum
schreibt: „Die Geschichte des Staates Israel
beginnt also mit einem Krieg, der auf
israelischer Seite als Unabhängigkeitskampf, auf
arabischer Seite als ‚Nakba‘, die Katastrophe,
in das jeweilige Geschichtsbewusstsein einging.“
Erwähnt wird auch noch, dass Jordanien das
Westjordanland „annektiert“ und Ägypten den
Gazastreifen in Besitz genommen habe.
Das ist eine
eindeutige falsche Darstellung der Ereignisse.
Die Nakba, die eine ethnische Säuberung war, war
keine Folge des Krieges, sie war Monate vor
Kriegsbeginn von den Zionisten im Detail geplant
und dann begonnen worden, indem sie die von
ihrer Führung beschlossenen Plan D(Dalet)
umsetzten. Die Palästinenser besaßen nur einige
kleine Milizgruppen, die militärisch im
Gegensatz zu den jüdischen Verbänden (der Hagana
und den mit ihr verbündeten Untergrundgruppen)
militärisch bedeutungslos waren, weshalb von
einem „Bürgerkrieg“, der zwei etwa gleich starke
Seiten voraussetzt, gar keine Rede sein kann.
Bevor ein einziger
arabischer Soldat in Palästina einrückte (also
vor der Staatsgründung am 14. Mai 1948), hatten
die zionistischen Truppen mehr als 200
palästinensische Ortschaften erobert und die
Einwohner daraus vertrieben. Erobert wurden:
Tiberias am 19.4, Haifa am 23.4, Jaffa am 11.5.
sowie Safed und Beisam am 12.5. Der israelische
Historiker Ilan Pappe schreibt über das Vorgehen
der Zionisten vor der Staatsgründung: „Alles das
geschah, bevor auch ein einziger regulärer
arabischer Soldat Palästina betreten hatte. Von
nun an entwickelten sich die Ereignisse so
rasant, dass zeitgenössische wie auch spätere
Historiker Mühe hatten, zu folgen. Zwischen dem
30. März und dem 15. Mai wurden 200 Ortschaften
besetzt und ihre Einwohner vertrieben. Diese
Tatsache ist noch einmal hervorzuheben, da sie
den israelischen Mythos erschüttert, die
‚Araber‘ seien geflüchtet, nachdem die
‚arabische Invasion‘ begonnen habe. Die Angriffe
auf beinahe die Hälfte der arabischen Dörfer
waren bereits erfolgt, als die arabischen
Regierungen schließlich widerstrebend, wie wir
wissen, beschlossen ihre Truppen zu entsenden.
Weitere 90 Dörfer sollten zwischen dem 15. Mai
und dem 11. Juni ausradiert werden, als die
erste der beiden Waffenrufen in Kraft traten.“ (Ilan
Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas,
S.148)
Israel beruft sich
immer wieder – auch heute noch – auf den
UN-Teilungsbeschluss, dabei hatte Ben Gurion,
der erste Ministerpräsident Israels, den
UN-Beschluss schon früh für Null und nichtig
erklärt – abgesehen von der Klausel, die die
Legalität des jüdischen Staates in Palästina
anerkannte. Angesichts der palästinensischen und
arabischen Ablehnung des Beschlusses würden
Israels Grenzen „durch Gewalt entschieden, nicht
durch die Teilungsresolution“, erklärte Ben
Gurion. (Pappe S. 63)
Die Bilanz der
Nakba, die nach der Staatsgründung separat vom
Krieg fortgesetzt wurde, war furchtbar: Die
Zionisten zerstörten elf arabische Stadtviertel
und 531 Dörfer, etwa 800 000 Menschen wurden
vertrieben oder flohen in Panik vor den
anrückenden zionistischen Verbänden. Es kam zu
Massakern und Plünderungen. Auch davon wissen
der „Stern“-Autor und die Autoren der
politischen Bildungseinrichtungen nichts zu
berichten. Ihre Behauptung, dass Jordanien das
Westjordanland „annektiert“ habe, stimmt so auch
nicht, denn die Führung des vorstaatlichen
Israel (Jischuw) hatte mit dem jordanischen
König Abdallah ein Geheimabkommen geschlossen:
Israel sicherte Jordanien zu, dass es das
Westjordanland bekommen sollte, wenn seine Armee
(die Arabische Legion, die stärkste arabische
Truppe des Nahen Ostens) nicht in den kommenden
Krieg mit den Arabern eingreifen würde. Woran
sich Jordanien – abgesehen von den Kämpfen um
Jerusalem – auch gehalten hat.
Auch die
Darstellung des Krieges 1948/49 zwischen den
Arabern und Israel ist in den Texten überaus
einseitig und unkorrekt. Sie folgt dem
zionistischen Mythos, die arabischen Staaten
seien entschlossen gewesen, Israel zu vernichten
– Israel habe den Arabern gegenübergestanden wie
David dem Riesen Goliath. Es heißt da: „Am 15.
Mai griffen die Streitkräfte Ägyptens,
Jordaniens, Syriens, des Libanon, des Irak und
Saudi-Arabiens Israel an. Im ersten
entscheidenden arabisch-israelischen Krieg
wollten die Israelis ‚ihr‘ Land sichern. Dazu
zählten sie die dem jüdischen Staat [durch die
UN-Resolution] zugedachten Gebiete sowie
jüdische Siedlungen jenseits der von den UN
gezogenen Grenzen. Sie eroberten rund 40 Prozent
des Landes, das im Teilungsplan für einen
arabischen Staat vorgesehen war.“
Am Ende des Krieges
hatte Israel – wie oben schon erwähnt – 78
Prozent Palästinas in seinen Besitz gebracht. Es
hatte mit militärischen Mitteln einen viel
größeren Staat geschaffen, als ihm im
Teilungsplan zugewiesen worden war. Ben Gurion
hatte es ja gesagt, dass man sich zusätzliches
Land mit Gewalt erobern würde. Der Name
Palästina war von der Landkarte ausradiert. Die
Darstellung des „Stern“-Autors und der
politischen Bildungszentralen weist an dieser
Stelle beträchtliche Lücken bzw.
Falschdarstellungen auf. Denn die Wirklichkeit
dieses Krieges sah doch etwas anders aus, als
sie da beschrieben wird.
Die Araber waren
keineswegs begierig darauf bedacht, das kleine
Israel zu überfallen: Sie wussten um die
militärische Überlegenheit der Zionisten,
deshalb versuchten sie verzweifelt, eine
Zauberformel zu finden, die ihnen den Krieg mit
Israel ersparen und es ihnen gleichwohl
gestatten würde, das Gesicht zu wahren. So
schreibt der israelische Historiker Simcha
Flapan: „Die Araber versuchten bis zum Schluss,
die Invasion abzuwenden. Sie wussten, dass sie
den jüdischen Staat nicht besiegen konnten.
(...) Über viele Kanäle standen sie mit den
Zionisten in Verbindung, um den Krieg noch zu
vermeiden.“ (Simcha Flapan: „Die Geburt
Israels“, S. 181f, 192f, 199f, 289ff)
Die Führer der
arabischen Staaten waren untereinander zutiefst
zerstritten, sie waren nicht in der Lage, ein
gemeinsames Oberkommando aufzustellen. Deshalb
beschlossen sie, getrennt zu kämpfen. Zudem
waren die arabischen Truppen schlecht
ausgerüstet, besaßen veraltete Waffen und hatten
Nachschubprobleme, besonders an Munition. Die
arabische Liga ernannte König Abdallah von
Jordanien zum Oberkommandierenden, obwohl er
wegen des Geheimabkommens mit Israel gar nicht
an den Kämpfen teilnehmen konnte. Auch kämpften
in Palästina nicht die arabischen Armeen,
sondern nur Teile von ihnen, genau gesagt
weniger als die Hälfte ihrer Streitkräfte. Die
Araber verfügten nicht über eine gemeinsame
Strategie, wie sie vorgehen wollten. Simcha
Flapan schreibt zudem, dass sich die Invasion
der arabischen Armeen gar nicht in erster Linie
gegen Israel gerichtet habe, sondern gegen König
Abdallah und seine Absicht, Teile Palästinas zu
annektieren und ein großsyrisches Reich zu
errichten. (S. 192)
Die Amerikaner
legten einen Plan für eine Waffenruhe vor, den
Israel aber ablehnte. Auch die Araber waren zu
einem Ausgleich mit Israel bereit. Es liegen
Pappe und Flapan zufolge etliche Belege dafür
vor, dass arabische Führer und Regierungen
bereit waren, während und nach dem Krieg den
Konflikt auf dem Verhandlungsweg beizulegen. Da
Israel massive Waffenhilfe aus der Sowjetunion
und der Tschechoslowakei bekam, die jüdischen
Truppen im Gegensatz zu den arabischen hoch
motiviert waren, war die Niederlage der Araber
früh besiegelt.
Für Israel hatte sich das Setzen auf die
kriegerische Karte gelohnt. Israel hatte auf
ganzer Linie gesiegt. Es hatte die Schaffung
eines palästinensischen Staates erfolgreich
verhindert und seinen eigenen Staat ins Leben
gerufen. Durch die Vertreibung von über 800 000
Palästinensern und die Zerstörung von Hunderten
von Städten, Stadtvierteln und Dörfern schufen
die Zionisten Raum für jüdische Siedler. Anstatt
der von der UNO zugesagten 56 Prozent für ihr
Staatsgebiet besaßen sie nun nach dem
Waffenstillstand von 1949 durch Eroberungen 78
Prozent Palästinas, das Westjordanland kam zu
Jordanien und der Gazastreifen zu Ägypten – sie
machten die restlichen 22 Prozent aus.
Israel zog aus dem Krieg von 1948/49 die
Schlussfolgerung, bei seiner Sicherheit künftig
allein auf militärische Stärke und damit auf die
Überlegenheit über seine Nachbarn zu setzen.
Dieser Staat hat auch später nie eine
Friedenspolitik verfolgt, ist nicht bereit
Kompromisse einzugehen oder Konzessionen zu
machen. Das zeigte sich nur acht Jahre nach der
Staatsgründung, als Israel zusammen mit
Frankreich und Großbritannien im Suezkrieg
Ägypten angriff. Der „Stern“-Autor David Baum
erwähnt diesen Krieg überhaupt nicht, im Text
der Zentralen für politische Bildung heißt es,
Israel sei ständig Terrorattacken von
ägyptischer Seite ausgesetzt gewesen. Außerdem
habe der ägyptische Präsident Nasser den Golf
von Akaba und den Suezkanal für israelische
Schiffe gesperrt.
Die Verstaatlichung des Suezkanals durch Nasser
rief Frankreich und Großbritannien auf den Plan,
die finanziell am Suezkanal beteiligt waren.
Diese beiden Staaten hätten – so die Darstellung
der Zentralen für politische Bildung – versucht,
die militärische Kontrolle über den Kanal zu
gewinnen. Nasser sollte gestürzt werden. Am 31.
Oktober 1956 hätten Großbritannien und
Frankreich die ägyptischen Flughäfen
bombardiert. Zusammen mit israelischen Soldaten
sei es ihnen gelungen, den Suezkanal zu
besetzen. Die ganze militärische Intervention
sei dann aber von den USA, der Sowjetunion und
der UNO gestoppt worden, die Kriegsparteien
hätten sich zurückziehen müssen.
Hier mischt sich Wahres mit Falschem, und vieles
fehlt in dieser Darstellung. Dieser Krieg war
eigentlich ein Stück aus dem politischen
Tollhaus. Denn den politischen Führern in Paris
und London war durchaus bewusst, dass Nasser mit
der Verstaatlichung des Kanals legal gehandelt
hatte. Illegal und ein Prestigeverlust wäre es
dagegen gewesen, wenn die beiden Mächte ohne
jede Rechtfertigung in den Krieg gezogen wären.
Sie konnten also nur gegen Ägypten losschlagen,
wenn Israel bereit war, ihnen einen Vorwand zu
liefern, indem es die Rolle des Angreifers
übernahm. Großbritannien und Frankreich legten
deshalb einen im Grunde perfiden Plan vor (den
sogenannten Challe-Plan), der besagte, dass
Israel Ägypten angreifen und die beiden Mächte
dann intervenieren sollten, um die Kämpfe zu
unterbinden. Ein Waffenstillstand sollte
gefordert werden, den Israel akzeptieren, Nasser
aber verweigern würde. Dann sollten britische
und französische Truppen den Kanal erobern und
Nasser stürzen. Israel sollte – so der Deal –
als Belohnung ägyptisches Land auf dem Sinai
dazu gewinnen. Außerdem bestand Israel im
Gegenzug auf Waffenlieferungen und der Lieferung
eines Atomreaktors, die sie auch bekamen.
Der Krieg nahm dann seinen Lauf. Briten und
Franzosen bombardierten Nassers Luftwaffe und
zerstörten sie. Die Israelis nahmen am 2.
November den Gazastreifen ein und am 5. November
den Sinai. Israels offizielle Erklärung war, es
habe sich an dem Krieg beteiligt, weil Nasser
die Existenz des jüdischen Staates bedroht habe.
Aber die Kriegsziele (die Verstaatlichung des
Suezkanals rückgängig zu machen und Nasser zu
stürzen) erreichten die drei Kriegspartner auf
Grund der Intervention der USA, der Sowjetunion
und der UNO nicht.
Auch der Krieg 1967 (der sogenannte
Sechs-Tage-Krieg) war nach Darstellung des „Stern“-Autors
und der BpB und LbP ein reiner Akt der
Selbstverteidigung: „Auslöser des Krieges war
die war die am 22. Mai 1967 verkündete Blockade
der Meerenge von Tiran für israelische Schiffe.
Ägyptische Truppen wurden in den Sinai verlegt.
Am 25. Mai wurden Syrien, Jordanien, der Irak
und Saudi-Arabien aufgefordert, ihre Truppen an
Israels Grenze zu verlegen. 250 000 Soldaten,
200 Panzer und 700 Kampfflugzeuge wurden von den
arabischen Staaten aufgeboten. In Israel war man
überzeugt, mit einem Krieg nicht länger warten
zu können. Israel müsse entweder bald zuschlagen
oder eine 100prozentige Sicherheitsgarantie von
Washington bekommen.“
Weiter heißt es in den Texten: Israel begann am
5. Juni den Krieg mit einem Überraschungsangriff
seiner Luftwaffe auf alle ägyptischen Flughäfen.
Die meisten Militärflugzeuge und Startpisten
wurden zerstört. Auch der größte Teil der
syrischen Luftwaffe wurde vernichtet.
Israelische Truppen rückten gegen arabische
Territorien vor und besetzten das
Westjordanland, Ost-Jerusalem, die Golan-Höhen
und den Gazastreifen. Israel war jetzt im Besitz
von 100 Prozent von Palästina. Weitere 100 000
Palästinenser mussten flüchten.
Wie korrekt ist diese Darstellung, die wieder
den Eindruck erweckt, als sei die Existenz
Israels bedroht gewesen? Dem Krieg
vorausgegangen waren permanente
Auseinandersetzungen an der syrisch-israelischen
Grenze. Die israelische Armee schoss auf
syrische Bauern, die ihr Land in der Nähe der
Waffenstillstandsgrenze bebauten. Zogen sich die
Bauern zurück, besetzten die Israelis die
entmilitarisierten Gebiete, weshalb Israel
zwischen 1963 und 1967 wiederholt vom
Weltsicherheitsrat der UNO verurteilt worden
ist. Ab dem Beginn des Jahres 1967 bombardierte
Israel syrische Dörfer. Die syrische Luftwaffe
war für Gegenschläge zu schwach. Die Regierung
in Damaskus bat deshalb Ägypten, mit dem es ein
Verteidigungsbündnis hatte, um Hilfe, woraufhin
Nasser die Wasserstraße von Tiran sperrte, die
nach der Suezkrise wieder geöffnet worden war.
Israel hatte die Meerenge in den letzten Jahren
aber gar nicht mehr genutzt.
Der israelische Verteidigungsminister Moshe
Dayan äußerte sich zu dem provokativen Vorgehen
gegen Syrien folgendermaßen: „Ich war über den
Beginn der Auseinandersetzungen zu mindestens 80
Prozent auf dem Laufenden. Es lief so: Wir
schickten einen Traktor zum Pflügen an einen
Ort, an dem es unmöglich war, etwas zu
verrichten, nämlich in die entmilitarisierte
Zone, und wir wussten schon im Voraus, dass die
Syrer zu schießen anfangen würden. Sollten die
Syrer das Feuer nicht eröffnen, dann sollten die
Traktoren immer weiter fahren, bis die Syrer
sich ärgerten und schossen. In dem Augenblick
hätten wir das Artilleriefeuer eröffnet, und
anschließend auch die Luftwaffe eingesetzt.“
(aus: Abels Gesichter. Palästina. Ethnische
Säuberung und Widerstand, Zambon, S. 148)
War Israel von den Arabern wirklich bedroht? Es
gibt zahlreiche Äußerungen von führenden
israelischen Politikern und Militärs, dass das
nicht der Fall war. So sagte der führende
General Chaim Bar-Lev: „Am Vorabend des
Sechstagekrieges waren wir nicht vom Genozid
bedroht und wir haben nie an eine solche
Möglichkeit gedacht.“ (Maariv, 19. April 1972)
Menachem Begin, zur Zeit des Krieges 1967
Mitglied der Regierung und später
Ministerpräsident Israels, sagte: „Im Juni 1967
hatten wir die Wahl. Die Tatsache, dass das
ägyptische Heer sich auf dem Sinai versammelt
hatte, zeigt keineswegs, dass Nasser wirklich im
Begriff war, uns anzugreifen. Wir müssen schon
ehrlich zu uns selbst sein. Wir waren es, die
entschieden haben, ihn anzugreifen.“ (New York
Times, 21. August 1982) Der führende General
Matiyahou Peled, oberster Logistikbefehlshaber
der israelischen Armee, sagte: „Die These, der
zufolge im Juni 1967 der Genozid über unseren
Häuptern schwebte, war nichts als ein Bluff, der
nach dem Krieg entstand und genährt wurde.“ (Le
Monde, 3. Juni 1972)
Natürlich wird von den Autoren von „Stern“, BpB
und LbP auch der Jom-Kippur-Krieg als
„Angriffskrieg“ der arabischen Staaten auf
Israel beschrieben. Der damalige ägyptische
Präsident Anwar al Sadat hat aber immer wieder
glaubhaft versichert, dass es das
ausschließliche Ziel Ägyptens gewesen sei, den
1967 von Israel besetzten Sinai zurückzugewinnen
und nicht Israel selbst anzugreifen. Im übrigen
gilt für alle von Israel geführten Kriege, was
der israelische Militärhistoriker Zeev Maoz in
seinem voluminösen Werk „Defending the Holy
Land. A Critical Analysis of Israels Security &
Foreig Policy“ konstatiert: „Alle Kriege
Israels waren bewusst herbeigeführte
Agressionskriege (the result of deliberate
Israeli Agession). Er bezeichnet nur den „Unabhägigkeitskrieg“
von 1948 als Ausnahme, da er „notwendig“ gewesen
sei. Dem widersprach der israelische Historiker
Motti Golani: auch der Unabhängigkeitskrieg sei
ein „Krieg der Wahl“ gewesen (war of choice),
der also auch vermeidbar war.
Maoz konstatiert weiter, das die israelische
Generalität in der Vergangenheit der politischen
Elite die Bedingungen diktiert und damit immer
wieder eine friedliche Lösung des
Nahost-Konflikts verhindert habe. Solange dieses
militärische Entscheidungsmonopol nicht
gebrochen werde, sei Israel nicht friedensfähig.
Israel verfüge nicht über eine
Friedensdiplomatie. Maoz ist kein politischer
Außenseiter, er ist ein Mann des israelischen
Establishments, hat in drei Kriegen gekämpft,
hatte hohe akademische Positionen inne und war
Berater des Regierungschefs Yitzhak Rabin.
Es sei hier noch der Libanon-Krieg von 1982
erwähnt. Der „Stern“-Autor geht auf diesen Krieg
gar nicht ein, die Autoren von BpB und LpB
rechtfertigen ihn, indem sie auf das Attentat
auf den israelischen Botschafter in London und
auf Feuerüberfälle der PLO auf Nordisrael
(Galiläa) verweisen, verschweigen aber die
israelische Gegengewalt und dass der Anschlag
auf den Botschafter gar nicht von der PLO verübt
wurde, sondern von der abtrünnigen Gruppe Abu
Nidals.
Im Juni 1982 drangen die israelischen Truppen in
den Libanon ein, vertrieben die PLO aus dem Land
(sie musste nach Tunis gehen) und ließen zu,
dass die christlichen Maroniten in den
palästinensischen Lagern Sabra und Schatila ein
furchtbares Massaker anrichteten: Zwischen 1000
und 5000 Tote gab es, die genaue Zahl ist nicht
bekannt, da die Leichen sofort verbrannt oder
weggeschafft wurden. Das eigentliche israelische
Ziel war aber, eine neue politische Ordnung im
Nahen Osten zu schaffen. Der damalige
Verteidigungsminister Ariel Sharon wollte im
Libanon zusammen mit der libanesischen „Phalange“
einen neuen Staat schaffen, der eng mit Israel
verbunden sein sollte. Die PLO wollte Sharon
nach Jordanien vertreiben, dort sollte das
Königshaus gestürzt werden und ein
palästinensischer Staat entstehen, so die
israelische Historikerin Amar Tamar Dahl in
ihrem Buch: „Das zionistische Israel. Jüdischer
Nationalismus und die Geschichte des
Nahost-Konflikts“, (S.158ff). Von all dem wissen
die Autoren von „Stern“ und politischen
Bildungsinstitutionen nichts, erwähnen aber das
Massaker von Sabra und Schatila.
Die Zeit nach 1982 sei hier in einem großen
Rahmen zusammengefasst. Israel besaß nach dem
Krieg von 1967 ganz Palästina und unterwarf die
palästinensischen Gebiete einer brutalen
Besatzungspolitik. Die Lage in diesen Gebieten
wurde immer unerträglicher. Israel erstickte die
Entwicklung der palästinensischen Wirtschaft,
was die soziale Lage und den Lebensstandard der
Palästinenser ständig verschlechterte. Im Jahr
1985 erlegte Rabin den besetzten Gebieten seine
Politik der „Eisernen Faust“ auf: Festnahmen,
Deportationen und Freiheitsstrafen (auch in
Administrativhaft, die permanent ohne
Rechtsbeistand verlängert werden konnte) häuften
sich. Ausgangssperren, die Zerstörung von
Häusern oder die Schließung von Universitäten
als Kollektivstrafen waren an der Tagesordnung.
Zudem raubten die Israelis ständig Land in den
besetzten Gebieten für ihren Siedlungsbau, ab
dem Jahr 200 wurde die Mauer gebaut, um die
Trennung von den Palästinensern zu vollziehen,
auch wenn es offiziell hieß, sie solle vor
Terrorismus schützen. Dieses monströse Bauwerk
nahm den Palästinensern noch mehr Land weg und
schränkte ihre Bewegungsfreiheit weiter ein.
Es kam zu zwei Aufständen der Palästinenser –
der ersten und zweiten Intifada, wobei die erste
Intifada zu den Verträgen von Oslo führte, die
die palästinensische Selbstverwaltung (aber
immer unter israelischer Kontrolle) einführten.
Oslo verbesserte die Lage der Palästinenser aber
in keiner Weise, der Landraub und der
Siedlungsbau gingen ungebremst weiter, was 2000
zur zweiten Intifada führte, die Israel mit
brutaler Gewalt niederschlug.
Die Autoren von „Stern“ und BpB und LpB erwähnen
zwar die friedensbehindernde Wirkung des
Siedlungsbaus, aber letzten Endes ist es doch
der „Terrorismus“ der Palästinenser, der eine
Friedenslösung verhindert. Die Hamas wird als
Terrororganisation hingestellt und auf ihre
Charta hingewiesen, die die Vernichtung Israels
fordere. Dass die Hamas dieser Charta längst
abgeschworen hat und sich mit der Bildung eines
palästinensischen Staates im Westjordanland und
im Gazastreifen begnügen würde, wenn die
Mehrheit der Palästinenser dieser Lösung in
einem Referendum zustimmen würde, wird
verschwiegen.
Die Aussage, dass die Hamas sich Ende der 80er
Jahre während der ersten Intifada gegründet
habe, ist schlicht falsch. Es gab sie als
soziale Wohltätigkeitsorganisation der
Muslimbrüder schon viel länger, sie ist von
Israel als Gegenorganisation zur PLO sogar
unterstützt worden. Erst Ende der 80er Jahre hat
sie sich dann politisiert und wegen der
unerträglichen Besatzungspolitik gegen Israel
gewandt. Dass Israel und die USA zusammen mit
der Fatah versucht haben, die Hamas mit Gewalt
zu stürzen, was aber misslang – von all dem
findet sich in den Texten von „Stern“ und
politischer Bildung kein Wort.
Ebenso wird die Entstehung der Hisbollah falsch
dargestellt, die heute mit dem Iran Israels
gefährlichster Feind ist. Als die israelischen
Truppen 1982 in den Libanon eindrangen, wurden
sie von den Südlibanesen dort als Befreier
begrüßt, denn dort regierte die PLO mit sehr
harter Hand. Aber die Freude währte nicht lange,
die Südlibanesen litten unter den neuen
Besatzern bald noch mehr als unter den alten.
Das war die Geburtsstunde der Hisbollah, die als
Widerstandsorganisation gegen Israel die Truppen
dieses Staates im zweiten Libanon-Krieg 2006 zum
Rückzug zwang.
Zusammenfassend lässt sich über die befassten
Texte von „Stern“-Autor und BpB sowie LpB sagen,
ihre Geschichtsdarstellung ist äußerst
unvollständig, lückenhaft, ideologisch gefärbt,
also einseitig und zum Teil sogar grob falsch.
Letzten Endes verbreiten diese Texte das
zionistische Narrativ, das zumeist aus Mythen
besteht. Der „Terrorismus“ der Palästinenser
wird groß herausgestellt, es fehlt aber jeder
Hinweis, dass unterdrückte und kolonisierte
Völker nach dem Völkerrecht ein Recht auf
Widerstand haben, das auch die Anwendung von
Gewalt einschließt, soweit sie sich nicht gegen
die Zivilbevölkerung richtet. Es wird ganz
offensichtlich die israelische Auffassung
akzeptiert, dass jeder palästinensische
Widerstand „Terrorismus“ ist. Dass die
permanente israelische Gewalt gegen die
palästinensische Zivilbevölkerung
Kriegsverbrechen sind, findet keine Erwähnung.
Wie überhaupt die Begriffe Völkerrecht und
Menschenrechte und ihre massive Verletzung durch
die israelische Besatzung in den Texten nicht
vorkommen, lediglich einige UN-Resolutionen
werden erwähnt.
Gewalt geht in diesen Texten in der Regel nur
von den Palästinensern aus, die Israelis
reagieren immer nur mit „Selbstverteidigung“,
etwa wenn sie den Gazastreifen bombardieren und
ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legen.
Dass die Raketen, die militante Palästinenser
aus dem Gazastreifen auf Israel abschießen, nur
selbst gebaute Sprengkörper sind, die in Israel
so gut wie keinen Schaden anrichten, die Autoren
verschweigen es, wie auch die Tatsache, wie
asymmetrisch der Krieg zwischen Israelis und
Palästinenser ist. Auch dass die Israelis den
Gazastreifen seit 2007 durch die vollständige
Abriegelung gegen jedes Völkerrecht (unerlaubte
Kollektivstrafe) in ein Elendsquartier
verwandelt haben, findet keine Erwähnung.
Die Autoren berücksichtigen in ihren
Ausführungen weder die Forschungsergebnisse (was
die frühe Geschichte der Juden angeht) der
wichtigsten israelischen Archäologen und Früh-
und Vorgeschichtler noch (was die jüngere
Geschichte und die Gegenwart betrifft) die
Arbeiten der „neuen“ israelischen Historiker,
sondern halten an zionistischen Mythen fest, die
die Realitäten nach Belieben auf den Kopf
stellen. Eine solche Sicht entspricht aber der
devoten Haltung der deutschen Politik gegenüber
Israel, ein realer Blick auf die Geschichte
dieses Staates und seine Politik ist nach
zionistischer und offizieller deutscher Sicht
reiner „Antisemitismus“. So weit ist es in
Deutschland mit der Freiheit von Presse und
Wissenschaft schon gekommen!
27.12.2019
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