Eine wunderbare,
sehr mutige Frau und große Humanistin
Zum Tod von
Felicia Langer
Arn
Strohmeyer - 22. 6. 2018
Wenn es einen Satz gibt, der das Leben und
Wirken von Felicia Langer in wenigen Worten zusammenfasst, dann
ist es der Titel eines ihrer Bücher: „Lasst uns wie Menschen
leben!“ Das war der kategorische Imperativ ihrer Arbeit als
Rechtsanwältin in Israel und später als Publizistin in
Deutschland: sich unermüdlich und mit aller Kraft für die Rechte
der unterdrückten Palästinenser einzusetzen. Solidarität mit und
Kampf für die Entrechteten, Geschundenen und Vertriebenen – das
war ihr ganzer Lebensinhalt. „Sich fügen heißt Lügen!“ hat sie
in diesem Zusammenhang oft gesagt. Auch dieser Maxime ist diese
außergewöhnliche Frau kompromisslos gefolgt, was in Konsequenz
zum völligen Bruch mit dem zionistischen Israel führen musste,
das für sie – je mehr sie dessen Realität verstand – zur
Inkarnation eines Unrechtsstaates wurde.
Die Legitimation für ihr Handeln und Denken hat sie aus dem
Holocaust gezogen, indem sie die einzig mögliche
Schlussfolgerung aus diesem Mega-Verbrechen ableitete: „Meine
Lehre aus dem Holocaust war und ist, angesichts jeglichen
Unrechts und Verbrechens nicht zu schweigen, sondern alle Formen
von Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und die Würde und
Rechte der Menschen zu verteidigen.“ Damit wollte sie sich von
all jenen absetzen, „für die die Lehre des Holocaust Hass,
Grausamkeit und Gefühllosigkeit gegenüber dem Nachbarvolk (den
Palästinensern) bedeutet.“
Sie wusste, wovon sie sprach, und schrieb, wenn sie auf den
Holocaust einging, denn sie selbst musste als Jüdin vor dem
Nazi-Vernichtungs-Terror in die Sowjetunion fliehen. Ihr Mann
Mieciu hat fünf NS-Todeslager überlebt. Und so wurde sie mit
ihrer Lehre aus dem Holocaust und ihrer Kritik an Israels
verbrecherischer Besatzungs- und Okkupationspolitik eine
wichtige Repräsentantin des „anderen“ Israel, das sich einem
humanistischen Universalismus verpflichtet wusste und nicht der
partikularistisch-chauvinistischen Ideologie eines
Unrechtsstaates, der Millionen Menschen hinter Mauern und Zäunen
in Geiselhaft hält und ihnen jedes Menschenrecht verweigert.
Und sie verfügte nicht nur über einen ausgeprägten
Gerechtigkeitssinn, sondern auch über eine Eigenschaft, die den
meisten Israelis heute gegenüber ihren palästinensischen
Nachbarn völlig abgeht: Empathie – also mitleiden können mit den
Unterdrückten und Entrechteten. (Wenn die Israelis nur eine Spur
von Empathie hätten, gäbe es den Konflikt mit den Palästinensern
gar nicht.) Dieses Mitfühlen-Können war neben ihrem
Gerechtigkeitssinn die Quelle für ihr ganzes Schaffen, ihren
Einsatz für eine bessere Welt – vor allem in Palästina!
Nach ihrem Bruch mit Israel ist sie ins Land der Täter gezogen.
Womit sie kein Problem hatte. Sie hat das so begründet: „Wir
haben kein Recht, als Opfer von gestern Täter von heute zu sein
und die Schuldgefühle der anderen, insbesondere der Deutschen,
zu instrumentalisieren, um sie, was unsere Taten angeht, zum
Schweigen zu bringen. Man muss klar sagen, dass die
Instrumentalisierung des Holocaust zur Rechtfertigung unserer
Taten gegen die Palästinenser unzulässig ist.“
Dass ihr politisches Wirken mit dem Alternativen Nobelpreis
belohnt wurde, belegt, dass ihre Arbeit weit über Deutschlands
Grenzen hinaus anerkannt und gewürdigt wurde. Ihre Zivilcourage,
ihr Mut und ihre kompromisslose Aufrichtigkeit sollten für uns
alle, die wir uns für einen wirklich gerechten Frieden in
Palästina einsetzen, stets ein großes Vorbild sein.
Aber Felicia hatte auch erbitterte Feinde – etwa den
Schriftsteller Ralph Giordano (der das ihm verliehene
Bundesverdienstkreuz zurückgab, als Felicia Langer es auch
bekam): Anfang der 90er Jahre veröffentlichte dieser einen bösen
Aufsatz über sie: „Ihr Feind heißt – Israel. Gedanken zur
Nahost-Pathologie der Felicia Langer“. Der Titel dieses Textes
sagt schon aus, dass Giordano in einer Hass-Pathologie gegen
diese Frau befangen war. In diesem Aufsatz warf der
Schriftsteller Felicia Langer vor, nicht nach den Gründen zu
fragen, warum Israel im Krieg von 1967 das Westjordanland und
den Gazastreifen besetzt haben. Und diese“ Gründe hielt er für
durchaus stichhaltig sowie moralisch und politisch für in
Ordnung.
Er schreibt: „Nach Felicia Langer sind die Gebiete offenbar
besetzt, weil es einer israelischen Mehrheit Spaß macht (oder
weil die Moralistin sie für so ‚schlecht‘ hält), über rund zwei
Millionen Menschen regieren zu wollen, die ganz offensichtlich
nicht israelisch regiert werden möchten. Indes die einzig
plausible historische Erklärung dafür, bestärkt durch den
Golfkrieg [1991], doch nur sein kann, dass sich diese
[israelische] Mehrheit ohne die Besetzung noch bedrohter fühlte
als mit ihr. Und das natürlich nicht durch die Palästinenser,
sondern durch die arabischen Militärmächte!“
Felicia Langer kannte im Gegensatz zu Giordano die „einzig
plausible Erklärung“ sehr gut, warum Israel die „Gebiete“
besetzt hat und auch nicht bereit ist, sie für einen Frieden mit
den Palästinensern wieder herzugeben. Es ist das unumstößliche
zionistische Dogma: möglichst viel Land zu erobern mit möglichst
wenig Arabern bzw. Palästinensern darauf. Wenn Giordano Felicia
Langer in seinem Aufsatz zudem „notorische Täuschung des
Publikums über Totalität und Kausalität des Nahostkonflikts und
ideologisch bedingte Einseitigkeit und Teilung der Humanitas“
vorgeworfen hat, dann fällt dieses vernichtende Urteil auf ihn
selbst zurück.
Die Behauptung von der Bedrohung Israels durch die arabischen
Militärmächte war immer ein Scheinargument, um die aggressive
Politik dieses Staates zu verschleiern und zu rechtfertigen. Von
der arabischen Bedrohung redet heute niemand mehr und ob der
Iran wirklich eine Bedrohung für Israel ist, sei dahingestellt.
Und die Besatzung im größten „Gebiet“ – dem Westjordanland – ist
inzwischen für Israel zu einem solchen Problem geworden, dass
die Zukunft und Existenz des Staates gefährdet sind. Der Gang
der Geschichte hat Felicia Langer und nicht Ralph Giordano Recht
gegeben.
22.06.2018 |