Juden unerwünscht?
Wie „Antideutsche“ in Bremen einen „antisemitischen“
Skandal inszenierten
Arn Strohmeyer
Aufregung
im Blätterwald von BILD bis zur taz und der Jüdischen
Allgemeinen: In Bremen soll ein israelisches Paar von einer
Vortragveranstaltung über Antisemitismus ausgeschlossen
worden sein. Was war passiert? Am Anfang des Bremer
„antisemitischen“ Skandals stand eine Buchrezension. Der
angesehene Bremer Sozialwissenschaftler Professor Rudolph
Bauer hatte eine Rezension über das Buch „Wer rettet Israel?
Ein Staat am Scheideweg“ geschrieben, das vom Verfasser
dieser Zeilen stammt. Die Rezension durfte einige Tage auf
der Webseite der Bremer Linkspartei stehen, dann kam aus der
Berlin Parteizentrale die Anweisung: runternehmen! Was einer
der Redakteure auch brav befolgte, obwohl er das gar nicht
musste, denn die Landesverbände sind in dieser Hinsicht
autonom.
Dann folgte ein übler Hetzartikel im „Stürmer“-Stil
in der BILD-Zeitung, die deren Mitarbeiter Jan Philipp Hein
verfasst hatte, der zugleich „Kopf“ und Antreiber der
neokonservativen Bremer „Antideutschen“ ist. Die Schlagzeile
lautete: „Wie viel Nazi-Sympathie steckt in den Bremer
Linken? Zwei Israel-Hasser bekommen immer wieder ein Forum
auf der Parteihomepage“. In dem Artikel wurden Bauer und der
Verfasser dieser Zeilen als „Israel-Hasser“ und
„Judenfeinde“ abgekanzelt. Der wohl gezielte Angriff
richtete sich neben den beiden parteilosen Autoren natürlich
vor allem gegen die Linkspartei. Nach der „antideutschen“
Weltanschauung sind Linke die schlimmsten Antisemiten, denn
wer den Kapitalismus kritisiert muss natürlich auch etwas
gegen Juden haben, so die „antideutsche“ Logik. (Dass in
dieser Behauptung schon selbst ein antisemitisches
Ressentiment steckt, merken diese Leute offenbar gar nicht.)
Die Linkspartei verhielt sich gegenüber den beiden Autoren
aber wenig solidarisch, sie stellte sich nicht hinter sie
und distanzierte sich erst nach Wochen von den
BILD-Angriffen – bis heute aber nicht öffentlich.
Ich selbst habe mir sofort einen Rechtsanwalt
genommen, der gegen den BILD-Artikel beim Hamburger
Mediengericht eine einstweilige Verfügung zu erwirken
versuchte, was aber scheiterte, weil die Hamburger Richter
der Ansicht waren, dass die Hetzworte „Israel-Hasser“ und
„Judenfeinde“ (welch schlimmere Beleidigung kann es nach dem
Holocaust für einen Deutschen geben!) durch die
Meinungsfreiheit gedeckt seien.
Der „Gesprächskreis Nahost“, eine kleine
Gruppe von Interessenten in Bremen, der sich für einen
gerechten Frieden in dieser leidgeprüften Region einsetzt,
beschloss daraufhin, eine Veranstaltung zum Thema
„Antisemitismus“ zu machen, um über diesen so schwierigen
Sachverhalt aufzuklären. Als Vorbild für einen Vortrag
diente dabei kein antisemitisches Pamphlet, sondern das Buch
„‚Antisemit!‘ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ des
israelischen Historikers und Philosophen Moshe Zuckermann
von der Universität Tel Aviv. Zuckermann ist ein Schüler des
deutsch-jüdischen Philosophen Theodor Adorno von der
Frankfurter Schule.
Das Buch ist im angesehenen Wiener
Promedia-Verlag erschienen. Seine Hauptthese lautet:
„Antisemitismus ist eine der verruchtesten Formen moderner
Ideologien. Diese Behauptung bedarf heutzutage keines
Nachweises mehr, zu katastrophal waren seine Auswirkungen,
als dass sie in Abrede gestellt werden könnte. Die Ächtung
von Antisemitismus ist ohne jeden Zweifel eine
gesellschaftliche Notwendigkeit. Problematisch und
kontraproduktiv wird es dort, wo ein vermeintlich kritischer
Diskurs in herrschaftliches Bekenntnis umschlägt, wo
Anti-Antisemitismus politisch missbraucht und ideologisch
instrumentalisiert wird. Wenn beispielsweise Gegner der
israelischen Vertreibungs- und Kriegspolitik unter dem
Deckmantel des Kampfes gegen den Antisemitismus Auftritts-
und Diskussionsverbote erhalten, das ist eine
demokratiepolitisch gefährliche Entwicklung. Mehr noch: Der
Vorwurf des Antisemitismus dient israelisch-jüdischen Lobbys
als Instrument, ihre Gegner mundtot zu machen und notwendige
Debatten im Keim zu ersticken.“
Das Buch übt scharfe Kritik an eben diesem
politischen Treiben der neokonservativen „Antideutschen“ und
anderen Gruppen, die Israels völkerrechtswidrige Politik
lauthals verteidigen und mit allen Mitteln – auch mit
Verleumdung, Denunziation und Gewalt ‑ gegen ihre Gegner
vorgehen. Zuckermann spricht im Zusammenhang mit dem von
bestimmten Personen und Gruppen vorgebrachten
Antisemitismus-Vorwurf von „diffamierender Verleumdung und
perfider Besudelung“. An Niedertracht stehe dieser
skrupellose Antisemitismus-Vorwurf der herkömmlichen
antisemitischen Besudelung in nichts nach: „Kaum zur Sprache
kommt nämlich, was es damit auf sich hat, dass der
Antisemitismus-Vorwurf inzwischen selbst zum Fetisch
geronnen ist, die Sachwalter des Antisemitismus-Vorwurfs
sich (nach alter deutscher Tradition) als scharfrichterliche
Gesinnungspolizisten gerieren, und der real grassierende
Antisemitismus sich an der Tendenz delektieren darf, dass
alles, was sich kontingent anbietet, so sehr dem
Antisemitismus-Vorwurf unterstellt wird, dass der wirklich
zu bekämpfende Antisemitismus sich hinter der Verwässerung
des Begriffs und seiner zunehmenden Entleerung konsensuell
verstecken kann. Vor lauter Antisemitismus-Jagd ist
inzwischen jeder und jede im deutschen öffentlichen und
halböffentlichen Raum tendenziell dem drohenden Vorwurf
ausgesetzt, manifest oder latent antisemitisch zu sein,
wobei die keulenartige Drohgebärde mittlerweile so
wirkmächtig geworden ist, dass viele in
eingeschüchtert-vorauseilender Unterwerfung die perfiden
Regeln des perfiden Katz- und Mausspiels verinnerlicht haben
und ihnen nichts dringlicher erscheint, als dem Vorwurf
dessen, was ihnen gar nicht in den Sinn gekommen war,
entkommen zu sollen.“
Die Jagd nach Antisemiten nehme McCartysche
Formen an. Zuckermann schreibt weiter: „Das in
Abrede-Stellen des Vorgeworfenen nützt nichts, wird mithin
im günstigen Fall belächelt, im gängigeren aber als umso
evidenterer Beweis für den unbewussten Antisemitismus des
sich des Vorwurfs Erwehrenden gedeutet (und auch lauthals
verkündet). Die Aura ahnungsvollen Wissens um das, was dem
ignoranten Beschuldigten verborgen bleiben muss, umgibt
jene, die sich schon mal in der Bezeichnung ‚hauptamtliche
Antisemiten-Jäger‘ gefallen, wobei sie inzwischen - auch das
hat deutsche Tradition - nicht nur dezidiert zu bestimmen
wissen, wer (annehmbarer) Jude, sondern gleich auch, wer
unweigerlich Antisemit sei.“
Klare Worte, die durch die Bremer Ereignisse
nur ihre Bestätigung erfuhren. Der „Gesprächskreis Nahost“
entschied sich als Referentin für die renommierte Hamburger
Publizistin Susann Witt-Stahl, die schon verschiedentlich
mit Moshe Zuckermann zusammen gearbeitet hat und auch einen
ähnlichen Ansatz in der Kritik am Antisemitismus-Vorwurf
vertritt. Die Flyer und Poster für den Termin 9. April waren
kaum gedruckt und ausgeliefert, da meldeten sich die
„Antideutschen“ und ihre Anhänger umgehend auf ihren
Blogseiten zu Wort. Die Seite „Partyzionist“ drohte am 28.
März – wenn auch sprachlich „nett“ verpackt direkt Gewalt
an: „Aber da helfen in solchen Kreisen ein paar Kopfnüsse.
Bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltung so nicht
stattfinden wird.“ BILD-Schreiber Jan Philipp Hein
verkündete am Tag der Veranstaltung auf seiner
Facebook-Seite, er wolle heute Abend mal „die Friedenszombis
von der Villa Ichon verarzten.“ Das ließ nichts Gutes ahnen.
Er hat Wort gehalten.
Kurz vor der Veranstaltung rückte dann
Polizei an und umstellte das Versammlungslokal. die Villa
Ichon. Gleichzeitig versammelten sich die Israel-Freunde mit
israelischen Flaggen zu ihrer „Mahnwache“. (Zu was oder
wovor wollten sie eigentliche mahnen?) Die Veranstaltung
fand also quasi im Belagerungszustand statt. Das
Vortragsthema „Der Antisemitismus-Vorwurf als ideologische
Waffe“ war von so großem Interesse, dass zwei Säle, die
miteinander verbunden sind, nicht ausreichten, und die
Besucher noch auf dem Flur und der Treppe standen. Der
Vortrag der Referentin und die anschließende Diskussion, bei
der auch ein „Antideutscher“ ausführlich zu Wort kam, ging
ohne Störungen über die Bühne. Zum Schluss gab es
langanhaltenden Beifall für die Referentin.
Sehr spät, als Flur und Treppen schon
überfüllt waren, entschlossen sich auch einige Leute von der
„Mahnwache“, ins Haus zu gehen, darunter auch ein Paar, das
nach eigener Auskunft israelischer Herkunft war. Wie der
Ordner vor dem Eingang später berichtete, habe er das Paar
darauf aufmerksam gemacht, dass er wegen der Überfüllung
niemanden mehr reinlassen würde. Worauf dieses Paar sehr
aggressiv reagiert habe. Es habe dann versucht, sich durch
den Keller Einlass zu verschaffen, was an einem
Polizeibeamten scheiterte, der dort stand. Am Haupteingang
kam es daraufhin zwischen den Ordnern und dem Paar zu einem
Wortwechsel. Einer der Ordner habe zu dem Paar gesagt: „Das
Haus ist völlig überfüllt. Geht doch woanders hin, die Welt
ist groß. Warum wollt Ihr heute Abend hier rein?“ Worauf der
Mann geantwortet habe: „Willst Du damit sagen, den Juden
gehört die ganze Welt?“
Die Ordner blieben hart und ließen niemanden
mehr rein. Sie beriefen sich auf das Versammlungsgesetz, das
den Versammlungsleiter oder seine Beauftragten ermächtigt,
bei Drohungen (die lagen vor) oder bei Gefahr (die lag wegen
Überfüllung auch vor) weitere Besucher nicht zu einer
Veranstaltung zuzulassen. Ein Augenzeuge erinnert sich an
die Vorgänge so: „Ich
habe die beiden Personen, die abgewiesen
wurden, als Türwache selber erlebt. Sie hätten längst - mit
einigen anderen Gesinnungsgenossen/innen - rechtzeitig den
Veranstaltungsraum aufsuchen können, haben aber bewusst so
lange gewartet, bis der Saal wirklich voll war. Außerdem hat
mir ein anderer Ordner berichtet, dass sich die beiden an
die Polizei gewandt haben, um den Eintritt zur Veranstaltung
zu erzwingen. Danach sind zwei Polizisten gekommen, von
denen sich einer die Situation oben im Saal angeschaut und
den beiden offiziell mitgeteilt hat, dass sie den Vortrag
nicht mehr besuchen können, weil der Saal überfüllt sei. Die
Polizei versicherte den Veranstaltern später nach dem
Vortrag, dass es keine besonderen Zwischenfälle gegeben
habe.
Ein antisemitischer Skandal? Wohl nicht mehr
als ein kleines Gerangel, das nun zum antisemitischen
Schauermärchen hochgespielt wurde. Den Anfang machte die
Bremer Ausgabe der taz. Für ihre Autorin Simone Schnase war
die Sache klar: Sie hatte in einem Bremer Kreisverband der
Linkspartei einen Genossen ausgemacht, der in einem
Reservistenverband aktiv war und dadurch offenbar Kontakt zu
bekannten Nazis aus Bremen hatte. Ein Problem, das diese
Partei ja eigentlich intern für sich klären müsste. Der
Kreisvorstand dieses Kreises der Linkspartei hatte aber die
Vortragveranstaltung u.a. mit unterstützt, nicht mit
veranstaltet. Aber Autorin Schnase schloss messerscharf: Bei
dem Vortrag von Susann Witt-Stahl muss es sich um eine reine
Nazi-Angelegenheit handeln! Außerdem verortete sie die
Referentin in einer weithin unbekannten Tierschützergruppe,
was natürlich zusätzlich ihre ideologische Nähe zu Hitler
und Co. belegte.
Dann legte der „antideutsche“ Ideologe Jan
Philipp Hein in seinem Hausblatt „BILD“ gleich nach: „Juden
bei Linken-Veranstaltung beschimpft. Wie judenfeindlich ist
die Bremer Linke?“ In Heins Text versichert die Frau des
israelischen Paares, dass die Aussage „Euch gehört sowieso
alles auf der Welt, auch die Medien!“ von einem der Ordner
stamme, was dieser auf Nachfrage erneut entschieden
zurückwies. Dass die beiden Israelis enge Facebook-Freunde
von Hein sind, schrieb dieser in seinem Artikel natürlich
nicht. Am 17. April folgte ein Artikel in der Jüdischen
Allgemeinen mit der Überschrift „Juden unerwünscht? Erneut
Antisemitismus-Vorwurf gegen die Linkspartei in der
Hansestadt.“ Er wiederholte die Vorwürfe und stellte vor
allem die Linkspartei unter Antisemitismus-Verdacht. Die
Schlagzeile ist schon deswegen falsch, weil die Bremer
Linkspartei nicht das geringste mit der Veranstaltung zu tun
hatte, außer dass ein Kreisvorstand aus der Ferne seine
Unterstützung zu dem Vortrag gegeben hatte. Niemand von
dieser Ortsgruppe oder der Partei hatte offiziell an den
Vorgesprächen zu der Veranstaltung teilgenommen. Der Bremer
Linkspartei ist die ganze Debatte verständlicherweise mehr
als peinlich. Zudem bilden „Antideutsche“ bzw.
Neokonservative in dieser Partei inzwischen bundesweit eine
mächtige Fraktion, was ein Grund dafür ist, dass die LINKE
nicht zu einer klaren Position in der Nahost-Frage findet.
Auch die taz schlug am 19. April noch einmal
mit einem Kommentar zu, der den Titel „Kein Zutritt für
Juden“ trägt. Dieser Text strotzt nur so von Unkenntnis der
Materie und Unterstellungen. Da behauptet die Autorin Eiken
Bruhn, dass die Debatten von Linken und Friedensbewegten
über den Nahostkonflikt von vornherein „judenfeindlich“
seien. Die Linken und Friedensbewegten, die die
Veranstaltung in Bremen durchgeführt haben, haben nie
behauptet, dass es keinen Antisemitismus in der Gesellschaft
gibt (in welchen weltanschaulichen Gruppen auch immer) und
dass er nicht entschieden entlarvt und bekämpft werden muss.
Aber es gibt eben auch den Antisemitismus-Vorwurf als
ideologische Waffe von neokonservativer Seite, der natürlich
den Zweck verfolgt, jede Kritik an Israels
völkerrechtswidriger Politik zu unterbinden. Siehe das Zitat
von Moshe Zuckermann oben.
Der taz-Autorin sei das Buch dieses
israelischen Autors oder anderer israelischer und jüdischer
Autoren empfohlen, die das ganz genau so sehen (Jeff Halper,
Shlomo Sand, Ilan Pappe, Michail Warschawski, Judith Butler,
Tony Judt, Noam Chomsky und viele andere). Die Bremer
Kampagne gegen die Veranstaltung mit Susann Witt-Stahl war
ein einziger Beleg für die Thesen Moshe Zuckermanns, der
nicht müde wird, immer wieder darauf hinzuweisen: Wer das
Judentum als monolithischen Block ansieht und nicht zwischen
Judentum, Zionismus und Israel und entsprechend zwischen
Antisemitismus, Anti-Zionismus und Kritik an Israels Politik
unterscheidet, der muss zu falschen Schlüssen kommen.
Die Referentin hat in ihrem Vortrag klar
belegt, woher der Antisemitismus-Vorwurf heute kommt: von
neokonservativer und „antideutscher“ Seite. Man muss nur die
blogs dieser Leute studieren. um dafür die Bestätigung zu
finden. So heißt es in dem blog „Quotenqueen“ über die
Bremer Veranstaltung: „Linke, von den Nationalsozialisten
[sic !!!] über die Sowjetkommunisten bis zur heutigen
Linkspartei in Deutschland hassen und verfolgen Juden.
Verständlich, denn die jüdische Hochkultur mit ihrer
traditionellen Hochschätzung von Intelligenz und
Individualität ist dem Hass linker Gleichmacher auf jeden,
der sich von der stumpfen Masse abhebt, entgegengesetzt. Bei
einer Veranstaltung eines Kreisverbandes der Linkspartei in
Bremen wurde zwei jüdischen Besuchern unter Bezug auf
antisemitische Verschwörungstheorien der Einlass verwehrt.“
Und ein Leser dieses blogs, der sich
„Kassandra von Troja“ nennt (antideutsche Blogger scheuen
die Nennung ihres Namens und ihrer Identität wie der Teufel
das Weihwasser!) antwortet darauf: „Sind wir wieder so weit?
Und das auch von ständigen ‚Nie-wieder!“-Schreiern? Da fällt
einem normal denkendem Menschen nichts mehr ein. Da kämpfen
irgendwelche Individuen gegen rechts und Antisemitismus und
sie selbst sind die schlimmsten Rassisten und Antisemiten.
Merke: Nur der Antisemitismus aus dem rechten Lager ist
schlimm, krank und verbrecherisch – der aus dem linken
islamischen Lager ist ok. Und die Frage, welche Lager größer
sind, dürfte auch schnell beantwortet sein.“ Offenbar hat
für diese Wirrköpfe das kleine Gerangel an der Tür zur Villa
Ichon das Tor zu Auschwitz wieder weit geöffnet. Man muss
das nicht weiter kommentieren. Diese Leute haben weder die
Antisemitismus-Problematik noch den Nahostkonflikt begriffen
und leben politisch nur vor Unterstellungen.
Es ist äußerst aufschlussreich, dass keine(r)
der Autoren/innen, die verbal über die Veranstaltung
hergefallen sind und mit dem Antisemitismus-Vorwurf so
schnell bei der Hand waren, sich im geringsten dafür
interessiert hat, was Susann Witt- Stahl in ihrem Vortrag
eigentlich gesagt hat. Es reicht für diese Art von
Journalismus, aus dem kleinen Gerangel an der Tür einen
„antisemitischen“ Skandal zu machen. Dabei lieferte die
Referentin – ausgehend von den jüdischen Philosophen der
Frankfurter Schule – eine brillante Analyse des
Antisemitismus als eine Spielart des Rassismus bis in die
Gegenwart und der Tatsache, wie der Antisemitismus-Vorwurf
heute politisch-ideologisch instrumentalisiert wird. Was nun
ja keineswegs heißt – um es zu wiederholen! ‑ , dass es
keinen Antisemitismus mehr gibt! Natürlich gibt es ihn und
die Referentin rief ausdrücklich dazu auf, ihn zu bekämpfen.
Sie schrieb den Neokonservativen und
„Antideutschen“ aber auch ins Stammbuch: „In den
gegenwärtigen ideologischen Schlachten um Israel und den
Antisemitismus geht es nur sekundär um den Nahostkonflikt
und das Judentum, sondern beide werden vorwiegend als
Instrumente und Joker benutzt, um die antikapitalistische
linke Opposition zu zerschlagen Antisemitismus-Vorwürfe
werden in großer Zahl und Dichte gegen antikapitalistische
Linke formuliert, es werden aber kaum noch
Antisemitismus-Vorwürfe gegen Nazis und andere Gruppen im
rechtsradikalen Spektrum – also genuine Antisemiten –
erhoben. Die können sich beruhigt zurücklehnen und weiter
antisemitisch sein. Das stört kaum jemanden. Gegen linke
emanzipative Bewegungen werden Antisemitismus-Vorwürfe fast
schon als Universal-Waffe in Stellung gebracht. Die Urheber
dieser Vorwürfe stammen zumeist aus dem neokonservativen
Spektrum und der Neuen Rechten.“
Um Antisemitismus-Vorwürfe als ideologische
Waffe einsetzen zu können, muss man natürlich einige
Taschenspielertricks anwenden. Witt-Stahl nannte drei:
Erstens: Die Erweiterung. Dabei geht es darum, die
Kriterien, die für die Definition und Kritik des
Antisemitismus verwendet werden, erheblich auszuweiten und
auf der anderen Seite natürlich darum, die
Abgrenzungskriterien zu vermindern und die Grenzen zwischen
Antisemitismus und Kritik zu verwischen. Ein Beispiel: Die
Aussage, israelische Regierungen unterhalten seit 46 Jahren
ein völkerrechtswidriges brutales Besatzungsregime ist nur
dann antisemitisch, wenn man zugleich die israelische
Regierung mit den Israelis und diese dann mit den
Juden gleichsetzt und identifiziert.
Wie man mit solchen Tricks arbeitet, belegt
eine Erhebung des European Monitoring Centre on Racism and
Xenophobia von 2005. Da wird beispielsweise als
„antisemitischer Vorfall“ registriert, dass junge Leute in
Spanien sich für die Unterstützung der PLO eingesetzt haben.
Ein kommunistischer Kongress, ebenfalls in Spanien, nahm
positiv Bezug auf Palästina. Auch das gilt in der EU schon
als Antisemitismus. Auch telefonische Proteste bei der
israelischen Botschaft werden in diesem Sinne schon
„antisemitisch“ verbucht, ohne dass man den Inhalt der
Telefonate überhaupt kennt.
Beim zweiten Taschenspielertrick geht es um
Verknüpfungen. Antisemitismus wird an
Weltanschauungen, politische Kollektive und Bewegungen
rückgebunden, die man diskreditieren will. Umgekehrt wird
das Judentum mit Weltanschauungen, politischen Kollektiven
und Bewegungen in Verbindung gebracht, die man vor jeglicher
Kritik schützen will. Das hat z.B. der neokonservative
Historiker Michael Wolffsohn gemacht, indem er Juden mit
Kapitalismus und Antisemitismus mit Antikapitalismus
gleichgesetzt hat. Er sagte, „nur im liberalen
kapitalistischen System konnten und können sich Juden frei
entfalten.“ Kommunistische Juden gibt es in Wolffsohns
Vorstellungswelt offenbar nicht. Seiner Ansicht nach „sahen
und sehen sich die Juden als Teil der Bourgeoisie.“ Sie
würden von der Linken gehasst, weil sie der „Klassenfeind“
seien. Sein Fazit: Die Linke (inklusive die Linkspartei) ist
antisemitisch. Sie muss es sein, wenn sie links sein will.“
[An dieser Stelle des Vortrags gab es lautes Gelächter.]
Schon der Antisemit Wilhelm Marr ging im 19.
Jahrhundert von der Grundannahme aus, dass der Jude
Kapitalist ist. Beide – Marr und Wolffsohn – argumentieren
also auf derselben Basis eines antisemitischen Stereotyps,
eben dass der Jude Kapitalist sei. Nur: Wolffsohn
identifiziert den Kapitalismus mit den Juden, um den
Kapitalismus zu verteidigen. Marr schiebt den Kapitalismus
vor, um die Juden anzugreifen. Beide Positionen sind
ideologisch und demagogisch und fördern auf unterschiedliche
Weise antisemitische Ressentiments.
Der dritte Taschenspielertrick besteht aus
Übertreibung und Verallgemeinerung. Er hat wie alle
Ideologien die Verstellung und Verzerrung der Realität zum
Ziel. Das funktioniert so, dass man Ausnahmen und marginale
Erscheinungen von tatsächlich vorhandenem Antisemitismus in
einem Kollektiv oder in einer politischen Bewegung als die
Regel darstellt und so tut, als sei das in diesem Kollektiv
oder der Bewegung vorherrschend. So schreibt etwa der „Welt“-Autor
Richard Herzinger: „Judenfeindlichkeit ist strukturell in
der sozialistischen Ideologiegeschichte angelegt.“
Herzingers hetzerische Botschaft lautet: Der Sozialismus ist
schon antisemitisch auf die Welt gekommen.
Die Referentin betonte, dass es in jeder
emanzipativen Bewegung immer dünne reaktionäre Ränder gibt,
die von Anhängern gebildet werden, die keine progressiven
Absichten haben oder sogar Rechte sind. Aber die Tatsache,
dass sich Öko-Nazis gegen Atomstrom aussprechen, heißt
nicht, dass die AKW-Bewegung der verlängerte Arm der NPD
ist. Oder wenn bei einer Montagsdemonstration gegen Hartz IV
das eine oder andere Mitglied einer Freien Kameradschaft
mitgelaufen ist, dann ist die Forderung „Hartz IV muss weg!“
noch lange keine Nazi-Parole.
Die Referentin und die Veranstalter können
sich durch die höchst unsachlichen und emotionalen Attacken
in ihrer Sicht der Dinge nur bestätigt fühlen. Es geht der
neokonservativen und „antideutschen“ Seite nicht um eine
Debatte über das so wichtige Thema, sondern um die
Verhinderung der Diskussion und das Aufbauen neuer Tabus,
indem man droht, denunziert und Skandälchen inszeniert und
so die Aufmerksamkeit vom Eigentlichen ablenkt. So gesehen –
das muss man diesen Leuten zugestehen - waren sie sehr
erfolgreich, denn die völlig unkritische Mainstream-Presse
ist auf ihrer Seite. Die Frau des früheren Bremer
Bürgermeisters, Louise Scherf, die im Vorstand der Villa
Ichon ist, hat inzwischen, wie BILD berichtet, den
Veranstaltern mit Hausverbot gedroht! Genau das wollten die
Antideutschen um Jan Philipp Hein erreichen. Glückwunsch!
„Wenn Israel fällt, dann fällt auch
der Westen!“ - Der Antisemitismus-Vorwurf
als stärkste Waffe der neoliberalen
Ideologie - Arn Strohmeyer
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