Stramm hinter
Trump
Wie ein
führender Vertreter der Deutsch-Israelischen Gesellschaft den
Jerusalem-Vorstoß des US-Präsidenten sieht
Arn Strohmeyer
Dr. Hermann
Kuhn ist kein deutscher Polit-Promi, er ist eine Bremer
Lokalgröße, saß für die Grünen im Landesparlament, der
Bremischen Bürgerschaft, ist Vorsitzendender der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in der Hansestadt und
Schatzmeister dieser Organisation auf Bundesebene. Aber als Chef
der Bremer DIG hat er doch einen gewissen Einfluss. Vor allem
die Bremer Medien kontaktieren ihn oft, wenn es um jüdische
Probleme oder um Israel geht; dass die Kritiker der israelischen
Politik dabei nie zu Wort kommen, versteht sich dabei von
selbst, zu groß ist die Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf,
Nun muss man
nicht jedes Wort von Hermann Kuhn kommentieren und auf die
Goldwaage legen, man kennt seine Position, die mit der
offiziellen israelischen Position immer völlig identisch ist,
aber die Jerusalem-Frage ist von so großer Bedeutung, dass man
auf seine Aussage doch antworten muss, zumal sie sicher typisch
für die Position der DIGs in Deutschland ist. Aufschlussreich an
Kuhns Einstellung ist auch, dass sie im Widerspruch zur Haltung
fast aller deutschen Medien und sogar zu der der Bundesregierung
steht, die Trumps Coup kritisieren oder sogar verurteilen.
Kuhn geht in
seiner Stellungnahme zu Trumps Vorstoß auf die historischen
„Fakten“ ein, um mit ihnen die israelische Position in der
Jerusalem -Frage zu rechtfertigen. Er behauptet, dass Jordanien
den im UN-Teilungsbeschluss vom November 1947 vorgesehenen
Sonderstatus für Jerusalem durch sein militärisches Eingreifen
1948 zerstört habe. Die jordanische Armee habe in der Altstadt
von Jerusalem Synagogen zerstört, die Juden vertrieben und alles
getan, um Jerusalem zu erobern. Er schreibt wörtlich: „Das haben
die Israelis unter großen Opfern verhindert; in den folgenden
Kriegen, die ihnen aufgezwungen wurden, haben sie ganz Jerusalem
unter ihre Kontrolle gebracht – hauptsächlich aus Gründen
militärischer Sicherheit und um nach dem Vertreibungsunrecht den
Zugang zur Klagemauer zu sichern.“
Es ist schon
abenteuerlich, wie hier der wirkliche historische Ablauf der
Ereignisse auf den Kopf gestellt wird! Er sah so aus: Es war
nach dem für die Araber sehr nachteiligen UNO-Teilungsbeschluss
zu Unruhen unter der arabischen Bevölkerung gekommen. Die
zionistischen Streitkräfte der Hagana sowie die
Untergrundgruppen Irgun und Sterngruppe gingen daraufhin sehr
schnell zu militärischen Gegenaktionen über. Für die jüdischen
Gruppen galt der von der politischen und militärischen Führung
am 10. März 1948 beschlossene Plan Dalet, der besagte, dass
palästinensische Dörfer zu zerstören seien (durch Inbrandsetzen,
Sprengen und Verminung der Trümmer) und die Bevölkerung zu
vertreiben sei.
Im April 1948
begannen die jüdischen Truppen, Jerusalem anzugreifen – zuerst
den Stadtteil Shaykh Jarrah. Der Befehl lautete: „Das Viertel
besetzen und alle Häuser zerstören!“ Dass dies nicht sofort in
die Tat umgesetzt wurde, war dem Eingreifen der Briten zu
verdanken. Die zionistischen Truppen nahmen nun aber die anderen
Stadtteile Jerusalems unter Beschuss, die Stadt wurde regelrecht
belagert, auch die Altstadt, in der 2000 Juden, aber auch viele
Christen und Moslems lebten, die dorthin geflüchtet waren. In
den von den zionistischen Verbänden angegriffenen Stadtteilen
kam es zu schweren Übergriffen, auch zu Plünderungen. Viele
Häuser wurden zerstört, andere direkt von Juden übernommen.
In dieser Zeit
(am 9. April 1948) verübte die Irgun unter ihrem Anführer
Menachem Begin auch das Massaker von Deir Yassin (ein Dorf in
der Nähe Jerusalems), bei dem nach Angaben des Roten Kreuzes
etwa 250 Palästinenser ermordet wurden. Das Massaker verfolgte
vor allem die Absicht, die Palästinenser in Panik zu versetzen
und sie zur Flucht zu veranlassen. Erst am 19. Mai 1948 rückte
die jordanische Armee [die Arabische Legion] in Jerusalem ein.
Die zionistischen Streitkräfte zerstörten so gut wie alle 41
arabischen Dörfer in dem Teil des Distrikts von Jerusalem, den
sie eroberten und vertrieben 60 000 Araber aus West-Jerusalem
und seiner Umgebung.
In ganz
Palästina sind zwischen dem 30. März und dem 15. Mai 1948 etwa
200 palästinensische Ortschaften besetzt und ihre Einwohner
vertrieben worden. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass der
israelische Mythos nicht der Wahrheit entspricht, dass die
Araber „freiwillig“ geflüchtet sind. Das alles geschah, bevor
ein einziger arabischer Soldat palästinensischen Boden betreten
hat. Dass Israel Jerusalem aus „Gründen der Sicherheit und um
nach dem Vertreibungsunrecht den Zugang zu Klagemauer zu
sichern“, erobert hat, gehört auch ins Reich der Fabel. Denn
einmal hatte Jerusalem natürlich aus der Bibel abgeleitete hohe
symbolische Bedeutung für die Juden. Zum anderen hat Ben Gurion
immer wieder betont, dass man mindestens 90 Prozent von
Palästina in jüdischen Besitz bringen müsse, um einen
lebensfähigen Staat zu errichten. Und dazu gehörte natürlich
auch Jerusalem.
Auch Kuhns
Aussage, dass den „Israelis die folgenden Kriege aufgezwungen“
worden seien und dass sie deshalb Jerusalem unter ihre Kontrolle
gebracht hätten, ist historisch längst widerlegt. Der erste
Krieg, den der junge Staat Israel führte, war der gemeinsame
Angriff mit Frankreich und Großbritannien 1956 auf Ägypten (der
sogenannte „Suezkrieg). Nichts an diesem Überfall auf das
Nachbarland war „aufgezwungen“. Auch der Krieg von 1967 (dem
„Sechs-Tage-Krieg“, in dem Israel das Westjordanland, den
Gazastreifen und die Golanhöhen eroberte) war nicht
„aufgezwungen“, wie die Aussagen führender israelischer Militärs
und Politiker bezeugen.
So erklärte der
spätere israelische Ministerpräsident Menachem Begin nach dem
Krieg: „Im Juni 1967 hatten wir die Wahl: Die Tatsache, dass das
ägyptische Heer sich auf dem Sinai versammelt hatte, zeigte
keineswegs, dass Nasser wirklich im Begriff war, uns
anzugreifen. Wir müssen schon ehrlich zu uns selbst sein. Wir
waren es, die entschieden haben, ihn anzugreifen.“ (The New York
Times 21. August 1982) Der israelische General Matti Peled
sagte: „Die These, der zufolge im Juni 1967 der Genozid über
unseren Häuptern schwebte und dass Israel um sein physisches
Überleben kämpfte, war nichts als ein Bluff, der nach dem Krieg
entstand und genährt wurde. Mit der Fälschung der Kriegsursachen
und mit der Verschleierung der wahren Gründe versuchte die
israelische Regierung, die Leute von dem Grundsatz der
Teilannexion oder vollständigen Annexion von Gebieten zu
überzeugen “ (Le Monde, 3. Juni 1972) Und der General und
spätere israelische Regierungschef Itzhak Rabin erklärte: „Ich
glaube nicht, dass Nasser Krieg wollte. Seine Feldzüge, die er
am 14. Mai auf dem Sinai unternahm, hätten nicht ausgereicht, um
eine Offensive gegen Israel zu starten.“ (Le Monde, 29. Februar
1968)
Dann behauptet
Kuhn, dass es ein Segen für die Muslime sei, dass die Heiligen
Stätten unter sicherer israelischer Kontrolle seien und sie dort
ungestört beten könnten. Hat er noch nichts davon gehört, dass
ständig Siedler und strenggläubige Juden auf dem Tempelberg
provozieren, in die Al Aksa- Moschee eindringen und die dort
betenden Muslime bedrängen? Im Juli gab es bei diesen
Auseinandersetzungen sogar Tote und Verletzte. Im Jahr 2000
unternahm der damalige israelische Regierungschef Ariel Sharon
eine provozierenden „Spaziergang“ auf den Tempelberg, der die
zweite Intifada auslöste. Und schließlich: Strenggläubige
jüdische Kreise kämpfen seit langem dafür, dass die Heiligen
Stätten der Muslime abgerissen werden und an dieser Stelle der
dritte jüdische Tempel gebaut wird.
Kuhn geht dann
des längeren auf die Position der Hamas ein, was völlig
überflüssig ist, denn deren Position ist seit langem bekannt.
Dass sie Trumps Vorgehen ablehnt, ist nun wirklich nicht
überrasachend, wobei Leute wie Kuhn nie darauf eingehen, (wohl
aus Angst, dass sie das Objekt ihrer Dämonisierung verlieren
könnten), dass die Hamas sich längst zur Zweistaaten-Lösung
bekennt – also der Schaffung eines palästinensischen Staates aus
dem Westjordanland und dem Gazastreifen mit Ost-Jerusalem als
Hauptstadt. Die einzige Bedingung, die sie daran knüpft, ist die
Abhaltung eines Referendums, das heißt die Zustimmung der
Palästinenser.
Viel
aufschlussreicher ist, dass Kuhn mit keinem Wort auf die
völkerrechtliche Situation der Stadt eingeht. Die Behauptung,
dass der im UN-Teilungsbeschluss vorgesehene Sonderstatus für
die Stadt durch den jordanischen Einmarsch zerstört worden sei,
ist unsinnig. Denn die Israelis hatten ja schon vor dem
Eingreifen der Jordanier weite Teile der Stadt erobert. Außerdem
hatte die zionistische Führung unter Ben Gurion den Teilungsplan
wegen der arabischen Ablehnung längst für nichtig erklärt,
abgesehen von der Klausel, die die Legalität des jüdischen
Staates in Palästina anerkannte. Angesichts der arabischen
Ablehnung würden Israels „Grenzen durch Gewalt entschieden,
nicht durch die Teilungsresolution“, erklärte Ben Gurion.
Die
völkerrechtliche Lage der Stadt stellt sich so dar: Einer
Besatzungsmacht ist die Annexion besetzten Territoriums – also
bisher Ost-Jerusalem und die Golan-Höhen – nach Artikel 2.3 und
2.4 der UN-Charta verboten. Im Völkerrecht hat sich zudem die
nach einem amerikanischen Außenminister benannte Stimson-Doktrin
durchgesetzt, die den Erwerb fremden Territoriums durch
militärische Eroberung für null und nichtig erklärt. So machte
die UN-Resolution 298 vom 25. September 1971 mit aller
Deutlichkeit klar, dass „alle legislativen und administrativen
Aktivitäten Israels, um den Status von Jerusalem zu verändern,
einschließlich von Land und Eigentum, der Übersiedlung der
Bevölkerung und dem Erlass von Gesetzen zur Einverleibung
besetzten Gebietes, vollkommen unwirksam sind und den Status
nicht verändern können.“
In diesem Sinne
hat sich jetzt auch der Völkerrechtler Professor Stefan Talmon
von der Bonner Universität geäußert. Er sagte in einem Interview
mit SPIEGEL-online: „Präsident Trump verstößt zum einen gegen
die UNO-Resolution zum Status von Ost-Jerusalem. Und er verstößt
zum anderen gegen das Völkergewohnheitsrecht. Seit 1945 ist
Konsens, dass ein Gebiet, das gewaltsam erobert wurde, nicht
annektiert werden darf. Israel hat Ost-Jerusalem 1967 erobert
und 1980 annektiert. Indem der US-Präsident diese Schritte
anerkennt, kündigt er diesen Konsens auf.“
Auf das
Argument, dass Trump ja durchaus zugestanden habe, dass der
finale Status der Stadt und die Grenzen der israelischen
Souveränität über Jerusalem in einem zukünftigen Abkommen
geklärt werden sollten, antwortete der Völkerrechtler: „Das
ändert nichts daran, dass Präsident Trump Tatsachen anerkennt,
die Israel völkerrechtswidrig geschaffen hat. Israel definiert
seit 1980 ganz Jerusalem als seine Hauptstadt, das schließt
Ost-Jerusalem mit ein. Im Jahr 2000 hat Israel jede Änderung
dieses Zustandes an sehr hohe Zustimmungserfordernisse geknüpft,
was die Rückgabe Ost-Jerusalems ohnehin unwahrscheinlich macht.
Die USA übernehmen jetzt diese Position. Warum sollte Israels
Regierung also bei zukünftigen Verhandlungen mit den
Palästinensern ihre Haltung ändern, wenn sie die USA auf ihrer
Seite haben?
Und auf das
Argument, dass Trump ja schließlich nur Fakten anerkenne, die
seit langem beständen – eben, dass Israels Regierung und
Parlament seit langem in Jerusalem säßen, antwortete Talmon:
„Das ist ein ganz schwaches Argument. Fakten schaffen kein
Recht. Man stelle sich vor, die USA hätten 1960 die sowjetische
und polnische Souveränität über die deutschen Ostgebiete
anerkannt. So etwas müssen Verträge regeln, so wie das 1990 im
Zwei-Plus-Vier-Vertrag auch passiert ist. Deutschland hat seine
Gebietsansprüche erst dann endgültig aufgegeben und im Gegenzug
dafür die Wiedervereinigung erlangt.“
Und auf die
Schlussfrage, ob Israel als souveräner Staat nicht das Recht
habe, selbst über seine Hauptstadt zu bestimmen, sagt der
Völkerrechtler: „Ein Staat kann nur über das Gebiet entscheiden,
das ihm völkerrechtlich zusteht. Und Ost-Jerusalem steht Israel
völkerrechtlich nicht zu. Deutschland kann auch nicht Straßburg
zu seiner Hauptstadt erklären.“ Da helfe auch die Berufung auf
die Jahrtausende alte jüdische Geschichte Jerusalems nicht.
Völkerrechtlich sei das irrelevant. Kleinasien hätte einmal den
Griechen gehört. Und was würde Trump wohl sagen, wenn
amerikanische Ureinwohner ihren Anspruch auf Washington geltend
machen würden?
Es ist schon
paradox, dass ausgerechnet ein Politiker der Grünen, einer
Partei also, die neben der Umwelt vor allem auch die Menschen-
und Bürgerrechte in ihr Programm geschrieben hat (und zu den
Menschenrechten gehört auch das Völkerrecht), von all dem nichts
wissen will und historisch zu einer abenteuerlichen
Beweisführung greift, um Israels Unrechtspolitik und Trumps
völkerrechtswidrigen Schritt zu rechtfertigen.
10.12.2017
Die israel-jüdische Tragödie
Von Auschwitz zum Besatzungs- und Apartheidstaat.
Das Ende der Verklärung
Gabriele Schäfer Verlag Herne,
ISBN 978-3-944487-57-1, 19.90 Euro |