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„Der Westen bekämpft
den islamischen Terror, den er selbst geschaffen hat“
Zur Aktualität von Jürgen Todenhöfers Buch „Warum tötest Du,
Zaid?“
(Jürgen Todenhöfer: Warum tötest
Du, Zaid?, Bertelsmann-Verlag 2008, 19,95 Euro)
Von Arn Strohmeyer
Ich muss gestehen, dass ich das Erscheinen
dieses wichtigen Buches schlicht verpasst oder verschlafen
habe, es ist irgendwie an mir vorbeigegangen. Das mag an
seinem Verfasser liegen: Todenhöfer war mir als arroganter
Jung-Karrierist der CDU im Deutschen Bundestag in
Erinnerung. Und als Medien-Manager des Burda-Konzerns
(„Bunte Illustrierte“) war er mir auch nicht gerade
sympathisch, meine Vorurteile behielten die Oberhand. Aber
irgendwann und irgendwo muss der Mann ein Bekehrungserlebnis
gehabt haben: aus diesem Juppi-CDU-Saulus ist ein
überzeugender Menschenrechts-Paulus geworden. Ich muss da
Abbitte leisten. Todenhöfer hat mit „Warum tötest Du, Zaid?“
ein äußerst mutiges Buch geschrieben, das kaum politische
Tabus kennt - auch und gerade gegenüber dem großen
Verbündeten USA nicht. Es handelt von Bushs Irakkrieg und
seinem „Kreuzzug“ gegen den islamischen Terror, aber der
Autor arbeitete so gründlich auch die seit über 200 Jahren
total verfehlte Politik des Westens gegenüber der
islamischen Welt heraus, dass das Buch gerade jetzt
angesichts der Umbruchprozesse in der arabischen Welt noch
von höchster Aktualität ist. Und der Irak leidet schließlich
immer noch unter dem völkerrechtswidrigem Krieg der
Amerikaner, von Afghanistan ganz zu schweigen.
Der Autor schildert im ersten Teil seines
Buches mit gnadenloser Offenheit, was sich im Irak
abgespielt hat und auch nach dem Teilabzug der Amerikaner
noch abspielt: ein grausamer, brutaler und blutiger Krieg
vor allem gegen die Zivilbevölkerung, aus deren Reihen dann
auch verständlicherweise der intensivste Widerstand kommt.
Die Amerikaner unterscheiden nicht zwischen einem legitimen
Widerstand der Iraker und wirklichen Terroristen, wobei das
Kriterium Angriffe gegen die Zivilbevölkerung sind. Diese
sind für den irakischen Widerstand absolut tabu. Ein Faktum,
das wie so vieles andere im Irak im Westen und seinen Medien
gar nicht wahrgenommen wird. Der wirkliche Terrorismus kommt
- so der Autor - von der Al Qaida, den Milizen der
irakischen Politiker und westlichen Geheimdiensten (!). Ziel
dieser Terroraktionen ist es, den wirklichen irakischen
Widerstand national und international zu diskreditieren.
Todenhöfer beschreibt ein Land, das zwar eine
Diktatur gewesen ist, aber immerhin habe es dort auch so
etwas wie eine relative Sicherheit und Frieden gegeben.
Durch die amerikanische Invasion sei es völlig im Chaos
versunken. Viele der Iraker, die der Autor zu Wort kommen
lässt, betonen: „Der amerikanische Krieg und seine Gräuel
sind tausendmal schlimmer, als das, was man Saddam und Al
Qaida vorwirft.“ Einer sagt: „Hört auf, uns zu überfallen
und zu demütigen. Haut ab aus unseren Ländern! Dann wird Al
Qaida von selbst verschwinden.“ Denn vor der amerikanischen
Invasion habe es im Irak weder Terroristen noch
konfessionelle Kämpfe gegeben. Todenhöfer schließt sich
diesem Urteil an und klagt die Amerikaner vor allem wegen
ihrer grenzenlosen Verachtung der irakischen Menschen an.
Sie behandelten sie in einer Weise, die allen westlichen
Werten Hohn spreche.
Todenhöfers „Held“ ist der junge Iraker Zaid,
ein Siebzehnjähriger, der, nachdem amerikanische
Scharfschützen zwei seiner Brüder erschossen hatten,
Widerstandskämpfer wird. Auf die Frage, ob er bei seinen
Anschlägen nicht Gewissensbisse habe, junge amerikanische
Soldaten zu töten, sagt er: „Denken die amerikanischen
Familien, denkt irgendjemand im Westen an die unzähligen
irakischen Familien, die ihre Kinder, ihre Geschwister, ihre
Eltern verloren haben? Warum soll ich an die Familien der
Soldaten denken, die meine Brüder ermordet haben? Das kann
ich nicht und will es auch nicht. Sie haben unser Land mit
Panzern niedergewalzt, und sie haben das Leben meiner
Familie ruiniert. Sie haben hier nichts zu suchen!“
Todenhöfer zieht - wieder zu Hause - eine
bittere Bilanz seiner Irak-Reise. Aber er begnügt sich nicht
mit der Wiedergabe seiner im Land gewonnenen Impressionen.
Er geht tief in die Geschichte des Westens in den letzten
200 Jahren zurück und sieht da vor allem brutalste Gewalt
und Rassismus gegenüber der muslimischen Welt. Als Vorbild
für die Behandlung der Araber galt die Ausrottung der
Indianer Amerikas. Schon der Liberale Alexis de Tocqueville
habe in seinem Hauptwerk „Über die Demokratie in Amerika“
festgestellt, dass es „konsequenterweise keinen Grund gebe,
die muslimischen Subjekte zu behandeln, als wären sie uns
gleich.“ Die Strategie gegenüber den Muslimen lautete im 19.
Jahrhundert denn auch: „Ruinieren, jagen, terrorisieren!“
Überall hinterließ der Westen im Orient nur Friedhöfe. In
Algerien töteten die Franzosen allein in den letzten 120
Jahren ihrer „Zivilisierungsmission“ über zwei Millionen
Menschen, so dass Jean Paul Sartre sagen konnte: „Der Westen
hat die Araber oft als Untermenschen auf der Stufe eines
höheren Affen behandelt.“ Wenn man vom Niedergang der
arabischen Zivilisation spricht, kommt man nicht umhin zu
bedenken, dass der Westen dazu einen entscheidenden Beitrag
geleistet hat. Bei seinem Abzug aus diesen Kolonien hat er
ausgeplünderte und ausgeblutete Länder zurückgelassen.
Todenhöfers zweifellos richtiges Fazit:
„Nicht ein einziges Mal in den letzten zweihundert Jahren
hat ein muslimisches Land den Westen angegriffen. Die
europäischen Großmächte und die USA waren immer die
Aggressoren, nie Angegriffene. Seit Beginn der
Kolonialisierung wurden Millionen arabische Zivilisten
getötet. Der Westen führt in der traurigen Bilanz des Tötens
weit über 10:1. Die aktuelle Diskussion über die angebliche
Gewalttätigkeit der muslimischen Welt stellt die
historischen Fakten völlig auf den Kopf. Der Westen ist viel
gewalttätiger als die muslimische Welt. Nicht die
Gewalttätigkeit der Muslime, sondern die Gewalttätigkeit
einiger westlicher Länder ist das Problem unserer Zeit.“
Angesichts dieser Fakten versteht man, dass
die gegenwärtige und schon seit einigen Jahren laufende
Diskussion über den Kampf gegen den Terrorismus völlig am
Thema vorbeigeht, weil nur an den Symptomen herum laboriert
wird, aber nicht die Ursachen angegangen werden. Todenhöfer
ruft dazu auf, sich einmal in die Perspektive eines Muslims
zu versetzen und kommt dann zu folgender Schlussfolgerung:
„Hauptursache des Terrorismus unserer Tage ist nach meiner
tiefen Überzeugung die menschenverachtende Art, in der große
Teile der westlichen Welt seit zweihundert Jahren mit der
muslimischen Welt umgehen. Man darf Völker nicht ständig
demütigen. Erst wenn wir die muslimischen Länder genauso
fair behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen,
werden wir den Terrorismus überwinden.“
Todenhöfer holt dann zum großen
grundsätzlichen Schlag gegen die Politik des Westens
überhaupt aus - der USA wie der Europäer, die stets als
„westliche Wertegemeinschaft“ die Monstranz ihrer Ideale vor
sich her trügen: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und
Selbstbestimmung. Aber diese hehren Werte gelten nur da, wo
der Westen seine Interessen nicht gefährdet sieht. Die
jetzigen Ereignisse in Tunesien und Ägypten sind
Musterbeispiele für diese heuchlerische Politik und belegen
die große Aktualität von Todenhöfers Buch. Jahrzehnte lang
haben Europa und Amerika den Despoten in diesen Ländern (
und denen, die noch an der Macht sind) die Treue gehalten
und tun sich heute äußerst schwer, sich auf die Seite der
aufstrebenden Demokratien zu stellen. Despoten vertreten
ihre Interessen offensichtlich weitaus besser als
Demokratien mit ihren möglichen Machtwechseln - frei nach
Ronald Reagan, der ja einmal auf dieses Problem angesprochen
bemerkte: „Natürlich das sind Schurken, aber sind unsere
Schurken!“
Es gibt auch andere schon historische
Beispiele für diese doppelbödige Politik, die aber in der
muslimischen Welt nicht vergessen sind: der Sturz des aus
freien Wahlen hervorgegangenen iranischen Präsidenten
Mossadegh im Jahr 1954 durch die CIA, die den Schah an seine
Stelle setzte; Saddam Hussein, mit dem die USA lange eng
zusammenarbeiteten und ihn im Krieg gegen den Iran sogar
militärisch unterstützten sowie der Wahlsieg der Hamas in
den palästinensischen Gebieten, die dafür bis heute büßen
muss. Der Westen und seine Medien bestimmen, wer ein
„Schurke“ ist. Im Augenblick gebührt Ahmadinedschad diese
Ehre, ohne hier seine Politik hier rechtfertigen zu wollen.
Todenhöfer konstatiert, wie tief sich die
„Entmenschlichung im Namen der Menschenrechte“ - die
blutigen Bilder, die uns täglich aus Afghanistan, dem Irak
und Palästina erreichen - in das kulturelle Gedächtnis der
Muslime eingegraben hat. Und er fragt: „Wie soll die
muslimische Welt an unsere Werte Menschenwürde, Rechtsstaat
und Demokratie glauben, wenn sie von uns nur Erniedrigung,
Unterdrückung und Ausbeutung erlebt? Ist es wirklich
erstaunlich, dass die Extremisten immer mehr Zulauf
bekommen? Dass einige Menschen irgendwann zurückschlagen,
wenn ihre Familien wieder und wieder von unseren
Vernichtungsmaschinen niedergewalzt werden? Niemand kommt
als Terrorist auf die Welt.“
Todenhöfer geht noch einen Schritt weiter.
Ohne Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass Leute, die
unschuldige Zivilisten angreifen, Terroristen und Mörder
sind, stellt er dieses Prädikat auch den Hintermännern
völkerrechtswidriger Angriffskriege aus - etwa George W.
Bush und Tony Blair. Für sie dürfen keine anderen
rechtlichen Maßstäbe gelten als die, die wir an Saddam
Hussein und Slobdan Milosevic anlegen. Todenhöfer spricht
vom „Terrorismus der Mächtigen“, man kann es auch
„Staatsterrorismus“ nennen. Auch Politiker wie Bush oder
Blair gehörten vor ein internationales Strafgericht.
Angriffskriege sind deshalb für ihn die
unmoralischste und unintelligenteste Form, den Terror zu
bekämpfen. Der islamisch maskierte Terrorismus sei eine
Ideologie. Aber Ideologien könne man nicht erschießen, man
müsse ihnen die Grundlage entziehen, sie widerlegen.
Todenhöfer bescheinigt dem Westen mit seiner törichten
Politik der „Anti-Terrorkriege“ alles dafür getan zu haben,
den radikalen Islamismus zu stärken. Das Hochkommen
Ahmadimedschads, der Wahlsieg der Hamas, der Aufstieg der
radikalen Islamisten im Irak und das Wiedererstarken der
Taliban in Afghanistan seien eine direkte Folge der
westlichen Kreuzzugspolitik gegen den Islam. Die radikalen
Kräfte auf beiden Seiten hätten sich so hoch geschaukelt.
Der Westen bekämpft so gesehen im Anti-Terrorkrieg die
Gewalt, die er selbst geschaffen hat. Ein absurdes Spiel,
das möglichst schnell beendet werden sollte.
Was Todenhöfer schreibt, haben andere auch
schon ähnlich formuliert. Aber wenn solche Einsichten aus so
prominentem politischen Mund kommen und noch dazu aus der
eher rechten Ecke, löst das doch Erstaunen aus. Denn seine
Einsichten über den Irak lassen sich lückenlos auf die
Geschehnisse etwa in Afghanistan und Palästina übertragen.
Auch dort wird angeblich für westliche Werte gekämpft,
unterdrückt und getötet. Und die Medien verkaufen uns von
den Ereignissen dort eine völlig verkehrte, sehr einseitig
gesehene Darstellung. Todenhöfers Buch zeigt auf, wie tief
die Verstrickung in diese Ereignisse dort und anderswo mit
ihrem immensen Werteverlust schon längst Teil der Krise des
Westens ist. Ist der Mann eigentlich noch Mitglied der CDU?
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