Der Zynismus von Macht und Gewalt
Yotam
Feldmans Film „The Lab“ hat viele Deutsche zutiefst
betroffen gemacht
Arn
Strohmeyer
Der
israelische Filmemacher Yotam Feldman hat seinen Film „The
Lab“ („Das Labor“) in Deutschland gezeigt. Diejenigen,
die ihn gesehen haben, können es bestätigen: Die
Zuschauer waren fast ausnahmslos zutiefst betroffen,
teilweise sogar sprachlos. Kein Wunder, dass es von
Seiten der Interessenvertreter Israels Versuche gab, die
Aufführung des Films zu verhindern – so geschehen in
Bremen. Aber so ganz einfach war das ja nicht, denn der
Film kommt aus Israel, ein renommierter israelischer
Journalist hat ihn gemacht, er ist im israelischen
Fernsehen gezeigt worden und hat beim
Dokumentarfilmfestival in Tel Aviv einen Preis bekommen.
„The Lab“ also ein antisemitischer Film, der deutschen
Zuschauern vorenthalten werden sollte? Völlig absurd!
Was der
Streifen über die israelische Rüstungsindustrie aussagt,
war weitgehend bekannt. Nach offiziellen Angaben des
israelischen Verteidigungsministeriums sind die
Waffenexporte dieses Staates von 2,5 Milliarden Dollar
im Jahr 2000 auf 7,4 Milliarden Dollar im Jahr 2009
angestiegen. 2010 gingen sie leicht auf 7,2 Milliarden
Dollar zurück, stiegen 2012 aber wieder auf 7,4
Milliarden Dollar. Dem Ministerium zufolge ist Israel
damit der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Nach
anderen Angaben rangiert das Land bei der Ausfuhr von
militärischen Gütern auf Rang sechs. Wie auch immer:
Israelische Tötungsmaschinen werden auf allen
Kriegsschauplätzen der Welt äußerst „erfolgreich“
eingesetzt.
Was an
Feldmans Film so erschreckt, ist der grenzenlose und
arrogante Zynismus, mit dem hier Militärs,
Waffenproduzenten und -Händler sowie Wissenschaftler
ganz selbstverständlich ihre Philosophie von gerechter
und brutaler Gewaltanwendung verkünden. Ohne Zögern,
ohne einen Hauch von Nachdenken und Verantwortungsgefühl
oder moralische Zweifel tun diese Männer kund, dass es
für sie auf der Welt nur gut und böse, nur friedliche
Normalmenschen auf der eigenen und „Terroristen“ auf der
Gegenseite gibt – und dass es nur gerecht und billig
ist, letztere mit Gewalt zu beseitigen, das Böse eben
mit Stumpf und Stiel auszurotten. Es wird kein Gedanke
daran verschwendet, dass Terrorismus gesellschaftliche
und politische Ursachen hat und entsprechende
Lösungsansätze verlangt; dass man Konflikte auch
friedlich auf dem Verhandlungsweg und mit Kompromissen
aus der Welt schaffen kann. Ja, dass diese rücksichtlose
Rechtfertigung und Anwendung von Gewalt eigentlich
selbst Terrorismus ist.
Wenn man
die manichäischen Ausführungen dieser Männer hört,
versteht man, warum der Frieden im Nahen Osten
unerreichbar ist. Diese typischen Vertreter ihres
Staates verkörpern die traumatischen Konsequenzen aus
dem Holocaust in Reinkultur. Das „Nie wieder!“ wird
nicht als eine universalistisch- ethische Forderung, die
für alle Menschen gilt, verstanden, sondern
ausschließlich als nationalistisch-ethnische und
militärische Maxime. Soll heißen: Damit Juden so etwas
nie wieder passiert, muss Israel sich bis an die Grenze
des Möglichen bewaffnen, allen Gegnern, die eine
vermeintliche Drohung darstellen, weit überlegen sein
und ihnen, wenn es denn nötig erscheint, Israels Stärke
und Abschreckungskraft ohne Gnade beweisen. Ihm ist
alles erlaubt, völker- und menschenrechtliche
Einschränkungen gibt es nicht. „Sie müssen Angst vor uns
haben“, hat Ariel Sharon immer wieder gesagt. Deshalb
befindet sich das Land seit seiner Gründung in einem
permanenten Kriegszustand. Den Willen zur Versöhnung, zu
der immer auch die Empathie gehört – das Nachempfinden
und Verstehen der Leiden des anderen – gibt es in dieser
Weltsicht nicht. Im Gegenteil: Die Palästinenser, ein
wehrloses Volk ohne Staat und Armee, dienen als lebende
Testpersonen für Israels Waffenindustrie, weil sie eben
„Terroristen“ sind.
Das geben
führende Militärs und Politiker auch offen zu. Zum
Beispiel der frühere Verteidigungsminister Benjamin
Elieser. Auf Feldmans Frage, warum Israel so erfolgreich
Waffen exportiere, antwortete er, das Ausland kaufe eben
vor allem militärisches Gerät, weil es bereits getestet
sei: „Wenn Israel Waffen verkauft, dann sind sie
getestet worden. Wir können sagen: Wir benutzen diese
Waffen seit zehn, fünfzehn Jahren. Darum ist die
Nachfrage so groß. Sie bringt uns Milliarden von
Dollar.“
Eine
deutsche Autorin konnte in dem Film allerdings keine
Kritik an Israel entdecken. Für sie ist es ein
Werbestreifen für die israelische Rüstungsindustrie. Sie
schrieb: „Was könnte diese israelische
‚Spezial-Industrie‘ eigentlich mehr wünschen als einen
Film, der in geradezu ‚aseptischer‘ Kälte diese
‚besonderen Vorzüge‘ des ‚jüdischen Staates‘ und seiner
Tötungsmaschinerie so werbemäßig eindrucksvoll ins
Ausland trägt wie ‚The Lab‘? Schließlich wird den Waffen
in Feldmans Film keinerlei ‚moralische oder unmoralische
Qualität‘ zugesprochen, lediglich ihre am Objekt
getestete Wirksamkeit.“
Hat diese
Kritikerin den Film überhaupt gesehen? Es ist gerade die
Stärke von Feldmans Streifen, dass er, ohne den
moralischen Zeigefinger zu erheben, die brutalen Fakten
direkt sprechen lässt. Die Bilder und Aussagen, die er
bringt, bedürfen keines zusätzlichen Kommentars, sie
sprechen für sich. Feldmann will dem Betrachter seine
Reaktionen nicht vorschreiben, er stellt Fragen, aber
überlässt die Antworten dem Betrachter. Dass diese
Einschätzung richtig ist, belegen die Reaktionen der
Zuschauer, die den Film sahen: eben tiefe Betroffenheit
und Sprachlosigkeit über solch einen blanken und kalten
Zynismus. Aber der Film verfehlt auch seine moralische
Wirkung nicht: Da ist zum Beispiel die Szene, in der ein
israelischer Sicherheitsberater den Einsatz von
israelischen Waffen und militärischen Erfahrungen gegen
die Ärmsten der Armen in den Slums (Favelas) von Rio de
Janeiro durch die brasilianische Polizei rechtfertigt.
Er sieht Ähnlichkeiten zu Gaza: „In Orten wie Gaza haben
wir die dieselbe Situation.“ Abgesehen davon, dass bei
dieser Aussage jedes politische Unterscheidungsvermögen
fehlt, erschreckt die totale Dehumanisierung der anderen
Seite. Hier geht es nicht um Menschen und ihre schlimme
soziale und politische Lage, sondern nur um Objekte, die
dank Israels effektiver militärischer Technik
niedergehalten und ausgeschaltet werden sollen. Gaza und
die Armenghettos in Brasilien oder anderswo auf der
Welt– alles ist eins und wir haben die gewaltsame Lösung
dafür!
Israel
liefert vor allem für solche asymmetrischen Kriege gegen
die „Terroristen“ dieser Erde die Sicherheits- und
Kampftechniken, die es aus den Erfahrungen der
Jahrzehnte langen Auseinandersetzung mit den
Palästinensern entwickelt hat. Darauf konzentriert es
seine Entwicklung und Produktion von Waffen. Wie
erfolgreich dies ist, belegen die Zahlen der Opfer in
Gaza-Krieg 2008/09: rund 1500 tote Palästinenser und nur
12 tote Israelis, die zumeist noch durch eigenes Feuer
umkamen. Solche Zahlen imponieren den Regierungen in der
Welt und deshalb stehen ihre Vertreter in Israel
Schlange, um solche Tötungsmaschinen samt dem
militärischen und strategischen Know How zu erwerben.
Es ist
gut möglich, dass der Film beim israelischen Publikum
völlig anders ankommt, weil dort das Verhältnis zum
Militär ein anderes ist. Der israelische Historiker
Shlomo Sand schreibt in seinem neuen Buch, die meisten
Israelis wären so rassistisch, dass Rassismus in Israel
gar nicht mehr auffalle. Ähnlich wird es mit der
Einstellung zum Militär sein: Die Israelis sind in ihrer
Paranoia (ein Ausdruck, den sehr viele israelische
Autoren benutzen) so von der Bedrohung ihres Staates und
ihrer Existenz überzeugt, dass der absolute Vorrang des
Militärs und die völlig überzogene Hochrüstung so
selbstverständlich sind, dass jeder Gedanke an
friedliche Lösungen völlig ausgeschlossen ist. Israel
ist ein Militärstaat durch und durch. Wie hätte Feldman
sonst auch bei den Dreharbeiten zu seinem Film auf
keinerlei Schwierigkeiten bei Interviewwünschen stoßen
können. Militärs, Waffenfabrikanten, Händler und
Sicherheitsberater gaben ihm bereitwillig Auskunft. So
gesehen wird der Film in Israel ganz anders aufgenommen
als zum Beispiel in Deutschland, wo es starke Reserven
gegenüber jedem Militarismus gibt. Feldmans
Dokumentation beweist aber auch: Es wird Zeit, dass die
Deutschen Israel mit realistischen Augen sehen.