Ist Deutschland eine Bananenrepublik?
Die Antisemitismus-Hysterie untergräbt die Kunstfreiheit /
Anmerkungen zum Rücktritt der Leiterin der Documenta
Arn Strohmeyer - 17.07.2022
Die Leiterin der Documenta, Sabine Schormann, konnte dem Druck der Antisemitismus-Jäger nicht mehr standhalten und hat hingeworfen. Damit ist die Documenta endgültig im Desaster versunken. Die Israel-Anhänger und die meisten Medienvertreter, die genau das wollten, können die Sektkorken knallen lassen! Was für sie ein Triumph ist, ein Sieg im Kampf gegen den Antisemitismus, wie sie ihn verstehen, ist in Wirklichkeit eine Schande für dieses Land. Es hat sie als unfähig erwiesen, die Stimme des Südens, der die furchtbare Erfahrung mit dem westlichen Kolonialismus machen musste, anzuhören bzw. seine Kunst anzuschauen.
Werner Ruf hat es so treffend formuliert: „Nicht die Stimme des Südens, der Entrechteten, ‚der Verdammten dieser Erde‘ (Frantz Fanon) soll gehört und verstanden werden, sondern die Definitionsmacht der Herrschenden wird durchgesetzt.“ Die Definitionsmacht in Politik und Kultur, das beweist der „Antisemitismus-Skandal“ der Documenta, ist die von Israel vorgegebene Erinnerungspolitik an den Holocaust. Sie ist das deutsche Staatsdogma und die deutsche Staatsräson, koste es, was es wolle. Dass die Meinungs- und die Kunstfreiheit – also wesentliche Elemente der Demokratie dabei unter die Räder kommen – , wird hingenommen, dank des höheren Wertes Israel.
Nun ist die Erinnerung an den Holocaust ja eine überaus wichtige, bedeutende und unerlässliche Sache, aber die deutsche Erinnerungspolitik ist wegen ihrer totalen Israel-Abhängigkeit schon lange ins Gerede gekommen. Da die Erinnerungspolitik immer die Magd der großen Politik ist – ganz besonders in diesem historisch schwierigen Fall –, ist das Holocaust-Gedenken auf der deutschen Seite nicht selbstbestimmt und zweckfrei, sondern vollständig im Kielwasser der Erinnerungsideologie, die sich in Israel herausgebildet hat. Das israelische Gedenken ist aber dadurch belastet, dass es den Genozid an den europäischen Juden als Staat einerseits in vieler Hinsicht für sich monopolisierend instrumentalisiert und andererseits durch seine brutale Okkupationspolitik über die Palästinenser dem sittlich-humanen Erbe, das die Holocaust-Opfer der Nachwelt verpflichtend auferlegt haben, in diametraler Weise widerspricht.
Mit diesem untragbaren und unerträglichen Widerspruch ist auch die deutsche Erinnerungspolitik belastet und sie hat wegen ihrer symbiotischen Abhängigkeit von Israel bisher nichts getan, diese spezielle Art des Widerspruchs aufzulösen. Ganz im Gegenteil, sie tut alles, um sie aufrechtzuerhalten. Das israelische Holocaust-Gedenken ist zutiefst partikularistisch-zionistisch, das heißt stammesbezogen, nationalistisch und damit antiuniversalistisch. Die deutsche Erinnerungspolitik hat die israelische Vorgabe ohne Wenn und Aber übernommen und gibt ihr eigenes Gedenken dennoch als universalistisch aus – eine verhängnisvolle historische und politische Unwahrheit. Dem Dilemma, in das sie dadurch geraten ist, kann sie nicht entkommen. Das Urteil, das man deshalb an dieser Stelle fällen muss, kann nur lauten: Solange das deutsche Gedenken sich nicht aus der Umarmung mit dem zionistischen Erinnern gelöst hat, ist es tief in der Krise, wenn nicht schon gescheitert!
Der deutsch-jüdische Historiker Alfred Grosser hat es als das Vermächtnis des Holocaust bezeichnet: man dürfe Auschwitz nur gedenken, wenn man gleichzeitig für die Gleichheit aller Menschen überall auf der Welt eintrete, also auch für die Palästinenser, das sei die zwingende Konsequenz aus Auschwitz. Das ist natürlich ein furchtbarer Hieb gegen den Besatzungs- und Apartheidstaat Israel, denn wo wird die Ungleichheit reiner und brutaler praktiziert als in Israel?
Sinn des Holocaust-Erinnerns kann es ja nur sein, zweck- und absichtsfrei der Opfer dieses Genozids zu gedenken. Aber die deutsche Erinnerungspolitik tut genau das nicht, sondern sie ist zum Erinnerungsdiktat und Herrschaftsinstrument geworden. Exekutiv schreibt sie vor, was in Deutschland gesagt und geschrieben werden darf. Richtschnur ist dabei ein instrumentalisierender Antisemitismus-Begriff, den selbst Israelis inzwischen als „infam“ und „perfide“ bezeichnen (Moshe Zuckermann), denn er dient letzten Ende nur dazu, Israels brutale Okkupationspolitik gegen Kritik abzuschirmen.
Diesem Zwangsdiktat der Holocausterinnerung ist nun auch die Documenta zum Opfer gefallen. Es sind dieselben Kreise, die die indonesische Stimme des Südens (und zu den Entrechteten und Verdammten dieser Erde gehören immer auch noch die Palästinenser) wie jetzt auf der Documenta zum Schweigen bringen. Der Holocaust und der Antisemitismus müssen als Gründe dafür herhalten, dass die Indonesier ihr Geschichtsnarrativ nicht erzählen dürfen und die Palästinenser aus der Kultur als „Antisemiten“ ausgeschlossen werden sollen. Denn sie waren es, die am Anfang der ganzen Antisemitismus-Debatte auf der Documenta standen.
Wie sehr die ganze Debatte von deutscher Hysterie bestimmt ist, belegt ein Korrespondenten-Bericht des Deutschlandfunks aus Israel und ein Interview mit Moshe Zuckermann. In Israel ist der Antisemitismus-Skandal in Kassel überhaupt kein Thema!