Wenn es nicht
so traurig wäre, müsste man eigentlich darüber lachen: Der
Journalist Andreas Zumach, der heute in Genf u.a. für die
TAZ tätig ist, der zuvor Jahre lang als Freiwilliger und
dann als hauptamtlicher Mitarbeitet für die Aktion
Sühnezeichen/ Friedensdienste gearbeitet hat (die sich gegen
jede Form von Judenfeindlichkeit und für die Überlebenden
des Holocaust engagiert) und der schon zahlreiche Vorträge
im Rahmen der Kirche gehalten hat, darf in Karlsruhe vor
einem Kirchenpublikum nicht sprechen. Sein für den 6.
Dezember geplanter Vortrag zum Thema „Israel – seine wahren
und falschen Freunde“ wurde von der „dienstaufsichtsführenden
Ebene der Evangelischen Kirche in Karlsruhe“ abgesagt, weil
es nach der Ankündigung des Vortrages „Irritationen
unterschiedlicher Art“ gegeben habe.
Es bedarf
keiner großen Spekulationen, wer der Initiator der
„Irritationen“ war: die Jüdische Kultusgemeinde der Stadt,
namentlich deren stellvertretende Vorsitzende, Solange
Rosenberg, die in der Gemeinde für die Öffentlichkeitsarbeit
zuständig ist und mit dreisten, diffamierenden
Falschbehauptungen über Andreas Zumach die Veranstaltung zu
verhindern suchte. Sie hat aber ganz offensichtlich so
überzogen, dass sie inzwischen einen Rückzieher machen und
ihre Behauptungen zurücknehmen musste.
Das Problem ist
ja nicht neu, man muss fragen: die wievielte Veranstaltung
ist dies, die auf Intervention der Israel-Lobby in
Deutschland abgesagt wurde? Hier maßt sich eine sehr kleine
Gruppe der deutschen Gesellschaft inquisitorisch an drüber
zu entscheiden, ob und wie deutsche Staatsbürger sich zum
Thema Israel/Palästina im öffentlichen Diskurs informieren
und ihre Meinung äußern dürfen. Hier wird von dieser
Minderheit ein elementares demokratisches Grundrecht –
vielleicht das elementarste überhaupt – in Frage gestellt:
das Recht auf Meinungs-, Informations-, Presse- und
Wissenschaftsfreiheit (Grundgesetz Artikel 5). Die Folge
ist, dass die politische Debattenkultur in diesem Land in
perfider Weise vergiftet wird, ja sogar die Demokratie
gefährdet ist.
Die Kampagne
gegen die Kritiker der israelischen Politik verfolgt nur ein
Ziel: jede öffentliche Auseinandersetzung über die brutale,
menschenverachtende und völkerrechtswidrige Politik Israels
gegenüber den Palästinensern zu verhindern. Um dieses Ziel
zu erreichen, ist jedes Mittel Recht: Unterstellungen,
Diffamierungen und Denunziationen. Und da diese Inquisitoren
die Realität des israelisch-palästinensischen Konflikts
(dass Israel hier der Täter und nicht das Opfer ist) nicht
anerkennen wollen, setzen sie die stärkste Waffe ein, über
die sie verfügen: den verleumderischen
Antisemitismus-Vorwurf. Dabei ist allgemein bekannt und gar
nicht zu leugnen, dass es sich bei dem Konflikt zwischen
Israelis und Palästinensern gar nicht um ein
Antisemitismus-Problem handelt, sondern um einen
Territorial-Konflikt: Hier ist einem ganzen Volk (den
Palästinensern) von den israelischen Siedlerkolonialisten
ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage geraubt worden.
Damit ist diesem Volk aber auch sein völkerrechtlich
verbürgtes Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität
genommen worden. Verleumderisch ist der
Antisemitismus-Vorwurf in diesem Fall, weil ein Engagement
für Menschen- und Völkerrecht niemals „antisemitisch“ sein
kann.
Nun ist die
völkerrechtswidrige Politik des zionistischen Staates Israel
das Eine, das Andere ist, dass deutsche Entscheidungsträger
– Politiker, Kirchenführer und Publizisten – sich aus vom
deutschen Mega-Verbrechen Holocaust herrührenden
Schuldgefühlen zu blinder Solidarität (Kanzlerin Merkel:
„Staatsräson“) gegenüber Israel verpflichtet fühlen, wobei
sie in höchst fahrlässiger Weise übersehen, dass Judentum,
Zionismus und Israel (natürlich auch umgekehrt:
Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an Israels Politik)
nicht dasselbe, sondern grundverschiedene Dinge sind. Aus
berechtigten Schuldgefühlen gegenüber Juden (wobei hier
nicht die Kollektivschuldthese verteidigt werden soll) und
im Bestreben, Sühne zu erlangen, ist man zum Philosemitismus
übergewechselt und glaubt so, das zionistische System mit
seiner Unrechtspolitik unterstützen zu müssen. Dass es
gerade wegen dieser Politik mit Israel keine gemeinsamen
Werte geben kann, wird dabei geflissentlich verdrängt.
Diese
Ausgangslage zwingt zu einer permanenten Unaufrichtigkeit im
Verhältnis der Deutschen zu Juden bzw. Israel. Der Grund für
diesem Missstand liegt in einer verfehlten Aufarbeitung der
NS-Zeit. Dazu schreibt der israelische Philosoph und
Soziologe Moshe Zuckermann treffend: „Sollte sich etwa die
abstrakte Solidarität mit einem völkerrechtlich verkommenen
und verbrecherischen Israel als eine psycho-ideologisch
motivierte Entlastung der historischen Schuld der Deutschen
erweisen? Man misst diese Möglichkeit normalerweise der
deutschen Solidarität mit den Palästinensern bei. Muss man
nicht annehmen, dass sie sich viel gravierender, wenngleich
auch glänzend kaschiert, in der überbordenden Solidarität
mit dem Judenstaat niedergeschlagen hat?
Dies ist ein
sehr wichtiger, vielleicht der wichtigste Grund, wenn
Entscheidungsträger (wie jetzt die Evangelische Kirche in
Karlsruhe) Vorträge, die sich kritisch mit Israels Politik
auseinandersetzen, nicht zulassen bzw. absagen oder
verbieten. Wobei dabei völlig außer Acht gelassen wird, dass
die deutsche Schlussfolgerung aus den monströsen Verbrechen
der Nazis nicht die Komplizenschaft mit einem Staat sein
kann, der eine in jeder Hinsicht unmenschliche Politik
gegenüber einem anderen Volk betreibt, sondern sich überall
auf der Welt für Menschenrechte einzusetzen, wo sie
gefährdet sind oder verletzt werden.
Die Kirchen
haben dabei noch ein Sonderproblem, und der für die Absage
von Andreas Zumachs Vortrag in Karlsruhe verantwortliche
Dekan Thomas Schalla wird das sehr genau wissen: die
protestantische Nach-Auschwitz-Theologie. Wegen der Sünden,
die die Kirche Jahrhunderte lang mit ihrem Anti-Judaismus
und später der Unterstützung der Nazis begangen hat, hat sie
nach 1945 als Sühne eine Theologie entwickelt, die sie zu
rückhaltloser Identifikation mit dem heutigen Israel
verpflichtet, weil man in diesem Staat immer noch in
Kontinuität mit den antiken, biblischen Israeliten das „Volk
Gottes“ sieht. Diese Theologie unterstützt konsequenterweise
(eben aus alttestamentarischen Gründen) den heutigen
israelischen Anspruch auf das Land Palästina. Der
amerikanisch-jüdische Autor Mark Braverman schreibt über
diese Theologie in seinem Buch „Verhängnisvolle Scham.
Israels Politik und das Schweigen der Kirche“: „Palästina
wurde dem jüdischen Volk als modernes Schuldopfer
dargebracht.“
Die Kirche
scheut also eine offene Debatte über den Palästina-Konflikt
aus zwei Gründen: erstens fürchtet sie, dass durch ein
Eintreten für Gerechtigkeit für die Palästinenser die nach
1945 mühsam aufgebauten christlich-jüdischen Beziehungen
gefährdet würden; und zweitens fürchtet sie natürlich den
Antisemitismus-Vorwurf der Israel-Lobby in Deutschland. Mark
Braverman hat angemahnt, was in dieser Hinsicht die
eigentliche Aufgabe der Kirche sein müsste: „Die
Herausforderung [für die Theologie und die Kirche] besteht
nicht länger darin, die Vergangenheit in Ordnung zu bringen.
Die dringende Herausforderung besteht darin, nach vorne zu
sehen. Die Aufgabe, der sich die Glaubensgemeinschaften
heute gegenübersehen, ist es nicht, einen
christlich-jüdischen Dialog um seiner selbst willen zu
führen oder eine Versöhnung im Hinblick auf vergangene
Sünden und Tragödien zu erreichen. Vielmehr ist gewissenhaft
und bewusst das Augenmerk darauf zu richten, die
Grundursache für den israelisch-palästinensischen Konflikt
zu beseitigen: die Vertreibung der Palästinenser und die
Etablierung von Apartheidstrukturen der Diskriminierung. Wir
stehen vor einer prophetischen Herausforderung, die uns
vereinigen muss – dabei ist es ohne Bedeutung, ob wir
Christen, Juden, Muslime, Amerikaner, Deutsche, Südafrikaner
oder Israelis sind.“ Dass die Kirche wegen ihres Schweigens
zum Palästina-Konflikt neue schwere Schuld auf sich lädt,
darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.
Aber die Kirche
verharrt (der Fall Karlsruhe ist ein Musterbeispiel dafür)
auf ihren erstarrten theologischen Positionen und bewegt
sich in Bezug auf Israel nicht von der Stelle – ganz im
Gegensatz zu ihrem eigentlichen Auftrag: für die Schwachen,
Benachteiligten und Unterdrückten da zu sein. Und was den
jüdisch-christlichen Dialog angeht, auf den sich die Absage
von Andreas Zumachs Vortrag ausdrücklich bezieht, sollte man
an einen großen jüdischen Denker erinnern: an den Aufklärer
und Humanisten Moses Mendelsohn (1729 – 1786), der sich
rückhaltlos für Toleranz und ungebundene Gedankenfreiheit
einsetzte und ganz besonders die damaligen Zensurmaßnahmen
der Kirche gegen alle aufklärerischen Tendenzen radikal
ablehnte. So gesehen sind Veranstaltungsverbote oder
-absagen wie jetzt in Karlsruhe nicht nur ein schlimmer
Verstoß gegen das Grundgesetz, sondern ein Rückfall in
voraufklärerische Zeiten.
30.11.2018