Der zionistische Deal
Shir Haver,
aus News from Within, Februar 2007
Viele Juden in aller Welt
unterstützen einen Staat, der nur seinen
jüdischen Bürgern volle Rechte gewährt. Aber
erhalten die Juden der Welt den besten Deal,
während sie den Staat Israel so
unterstützen? Oder werden sie gar durch
falsche Versprechen von der zionistischen
Bewegung betrogen?
Warum unterstützen so
viele Juden in aller Welt Israel? Ein
antisemitisches Argument würde lauten, dass
Juden sich heimlich unter einander
verschwören, und die Juden in aller Welt
tatsächlich Agenten des zionistischen
Staates seien. Diese antisemitische
Erklärung weisen wir zurück. Die Frage
verlangt aber eine Antwort. Die Erklärung,
die wie hier geben wollen ist die eines
„Geschäftes“ (Trade-Off).
Wir sind davon überzeugt,
dass Leute, die die politische Entscheidung
treffen, den Zionismus oder den Staat Israel
zu unterstützen, denkende Leute sind. Ihre
Meinungen haben sie nicht geerbt oder
willkürlich ausgewählt - deshalb lohnt es
sich, die Gründe ihrer Wahl zu untersuchen.
Obgleich zionistische
Juden in aller Welt - und besonders in
Europa und Nordamerika – den Staat Israel
großzügig politisch und finanziell
unterstützen, ist ihre Beziehung zum Staat
Israel keine einseitige. Der Staat Israel
bietet den Juden in aller Welt für ihre
Unterstützung eine Art „Begünstigung“ – und
diese wollen wir hier näher untersuchen.
Um noch genauer zu sein:
Die Frage, die hier gestellt werden muss,
ist die, ob die Transaktion zwischen dem
Weltjudentum und dem Staat Israel eine faire
ist? Oder von einem andern Blickwinkel aus:
werden die Juden für ihre Unterstützung
Israels adäquat belohnt ?
So lange die Agenda des
Staates Israel eine zionistische Agenda ist,
die die vollen Bürgerrechte nur jüdischen
Bürgern zugesteht und darum kämpft, die
jüdische Mehrheit in Israel auf Kosten der
nicht-jüdischen Bürger zu bewahren (wie es
seit Anfang an gewesen ist), kann man davon
ausgehen, dass Israel großzügig von der
Unterstützung der Juden in aller Welt Nutzen
zieht. Der einseitige Geldfluss und die
Unterstützung der starken Lobby erlaubt
Israel eine wirtschaftliche und politische
Politik auszuführen , die andere Länder
nicht zu hoffen wagen. Deshalb ist klar,
dass sich für Israel dieser Deal lohnt.
Aber wie ist es mit dem
Weltjudentum ? Erhalten sie für ihre
Unterstützung des Staates Israel auch den
bestmöglichen Deal? Oder werden sie durch
die zionistische Bewegung durch falsche
Versprechen betrogen?
Um auf diese Frage näher
einzugehen, werden wir die bedeutendsten
Begünstigungen, die Israel als zionistischer
Staat dem Weltjudentum zu vergeben hat in
vier Kategorien aufteilen:
-
Israel wird als Bastion der jüdischen Kultur verstanden.
Israel wird als der bewaffnete Vertreter des jüdischen
Volkes angesehen.
Israel bietet verfolgten Juden in aller Welt Zuflucht.
Israel ist ein Symbol für jüdische Einheit.
Eine Bastion der jüdischen Kultur
Israel ist tatsächlich
das einzige Land, in dem Hebräisch die
offiziell gesprochene Sprache ist. Es hat
eine große Konzentration religiöser
Gemeinschaften und ihre Schulen lehren
jüdische Kultur - sogar den nichtjüdischen
Bürgern Israels .
Doch dieser kulturelle
Aspekt Israels ist eine gewaltsane
Interpretation der jüdischen Kultur. Israel
bringt es fertig, die reichen jüdischen
Traditionen auf Jiddisch, Arabisch und
Ladino an den Rand zu drängen, ja fast zum
Erlöschen zu bringen. Diese Kulturen wurden
von den säkularen Zionisten als eine
Erinnerung an die Diaspora angesehen und
wurden deshalb im jungen Staat Israels
unterdrückt. Außerdem wird das jüdische
Curriculum in den Schulen von der Regierung
aus zentral überwacht. Es dient der
politischen Agenda der zionistischen
Bewegung und gibt das zionistische Narrativ
in unkritischer Weise wieder.
Statt ein ausgedehntes
Verständnis für die jüdische Geschichte und
Tradition zu vermitteln, werden die Schüler
gezwungen, ein sinnloses Curriculum zu
lernen, das nach Propaganda stinkt, und
einen monolithischen Diskurs zu übernehmen,
der nicht hinterfragt und debattiert werden
kann. Es gibt da ein ärgerliches
Überschütten mit dieser propaganda-ähnlichen
Lehrmethode. Jüdische Gemeinschaften
außerhalb Israels folgen Israels Beispiel
und nehmen Studienpraktiken auf, nach der
Kritik bestimmter Art (z.B. an Israels
Politik oder der Notwendigkeit eines
jüdischen Staates) nicht annehmbar ist.
Vertretungen des
Weltjudentums und jüdische Praktiken
Israel vertritt nicht das
jüdische Volk – es benützt das jüdische Volk
zur Rechtfertigung seiner Existenz. Israel
übertreibt bewusst die Kritik an Israels
Politik und die Angriffe auf Juden als
ganzes. So dient sie den Interessen der
zionistischen Bewegung, und die
Menschenrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen, die von Israel begangen
werden, werden eher dem (gesamten) Judentum
zugerechnet als dem Zionismus. Der
Spillover-Effekt der Kritik ist gefährlich.
Es besteht das Risiko, dass jüdische Kultur
und Religion zunehmend mit Gewalt,
Diskriminierung und kolonialer Unterwerfung
assoziiert werden.
Die Legitimität von
Israels Rolle als Vertreter der Juden kommt
ursprünglich aus antisemitischen Quellen.
Dieselben europäischen Mächte, die die
Schaffung des Staates Israels unterstützten,
hatten so ihr jüdisches Problem
gelöst und gaben die Verantwortung für die
jüdischen Flüchtlinge nach dem Holocaust
mit Geld einfach an den jüdischen Staat
weiter, der sich mit ihnen befassen sollte.
Diese Idee unterminiert
das Konzept der jüdischen Emanzipation und
der gleichen Rechte in ihren Heimatländern,
und Israels Offizielle sind glücklich, wenn
sie sehen, dass sich Juden außer in Israel
nirgendwo zu Hause fühlen können. Außerdem
gebraucht Israel seine Rolle als sog.
Vertretung des jüdischen Volkes, um große
Teile der
Holocaust-„Wiedergutmachungs-gelder“ für
sich zu beanspruchen. Statt den Flüchtlingen
zur Genesung zu verhelfen, werden große
Teile dieser Gelder umgeleitet, um Waffen
für Israels Kriege zu kaufen.
Heute leben 40% der
Holocaustüberlebenden in Armut (Haaretz,
2005), weil Israel es unterlässt
weiterzugeben, was es um ihretwillen
bekommen hat. Außerdem hat die einzige
israelische Bank, die während des Holocaust
Konten von Juden gehalten hat, noch nicht
damit begonnen, die Gelder an die
Überlebenden oder ihre Erben auszuzahlen. Es
ist die Bank Leumi, die weitestgehend der
Regierung gehört. (Globes, 2005)
Zufluchtsort für Juden in aller Welt
Israel bietet den Juden
eine verführerische Idee an – es bietet
Zuflucht und Unterstützung an. Zionistische
Organisationen (wie die
Anti-Defamation-Liga) verbreiten ständig
Angst vor Antisemitismus, empfehlen und
loben aber Israels Bereitschaft, Juden
sofort die Staatsbürgerschaft zuzuerkennen .
Im Lichte der langen
Geschichte antisemitischer Verfolgung der
Juden in aller Welt, ist es schwierig, mit
diesem Argument nicht einverstanden zu sein.
Doch heute haben die meisten Juden, die
Zuflucht benötigten, diese auch gefunden;
denn der größte Teil, der Zuflucht in
Nordamerika, Australien oder Europa gefunden
hat, ist nun besser dran und lebt in
größerer Sicherheit, verglichen mit denen in
Israel.
Jetzt, da die Juden nicht
mehr die am meisten verfolgte Gruppe in der
Welt ist, verliert Israel seine
Rechtfertigung als Zufluchtsstätte. Efi
Eitan, ein früherer Minister in der
israelischen Regierung und ein Prominenter
vom rechtsreligiösen Zionismus gab zu, dass
Israel seine Rolle, eine sichere Zuflucht
für Juden zu sein, verfehlt hat. (Haaretz,
2004). Er konnte nicht einmal die Tatsache
ignorieren, dass Israels Militarismus,
dieses in einen fortdauernden und blutigen
Konflikt manövriert habe. Er verlangt
deshalb, Israel solle seine neue Rolle auf
die jüdisch kulturelle Überlegenheit
konzentrieren und die Schaffung eines
religiösen Staates, wenn auch eines
unsicheren für Juden.
Man sollte nicht den
Grund vergessen, warum Juden in Israel nicht
sicher sind – denn sie wurden nicht um ihrer
selbst willen dorthin gebracht, sondern um
die demographischen Aspirationen der
zionistischen Führer zu stärken. Israels
Führer haben ständig nur eine Politik der
ethnischen Säuberung verfolgt, anstelle von
Koexistenz mit der einheimischen arabischen
Bevölkerung – besonders der
palästinensischen . Und diese Politik
benötigt ständig loyale Soldaten.
Die demographischen
Aspirationen der zionistischen Führer
verwickelt so Juden in aller Welt mit dem
Zionismus und hilft so den von Antisemiten
begangenen Fehler aufrecht zu erhalten,
dass Judentum und Zionismus ein und
dasselbe sind.
Symbol für jüdische Einheit
Israel ist ein starker
Staat und hat eine phantastische Armee –
als starke symbolische Attraktion. Israel
verwendet jüdisch-religiöse Symbole in
seiner Flagge, seiner Nationalhymne und
diese Symbole und religiöse Fantasie wird
in der israelischen Architektur, bei
akademischen Studien und offiziellen
Veröffentlichungen angewandt. Die jüdischen
Gemeinden in aller Welt sehen Israel wie
einen Leuchtturm, auf den alle Blicke
gerichtet sind. Durch ihre Beziehungen mit
Israel fühlen sich alle jüdischen
Gemeinschaften näher bei einander.
Man kann nicht über die
symbolische Bedeutung Israels für die Juden
streiten, weil es einfach ein Tatsache ist.
….
Aber die Leute, die einen
Teil ihrer eigenen Identität mit der
Israels riskieren, erhalten mehr als sie zu
hoffen wagten. Sie sollten sich fragen, ob
sie wirklich wünschen, mit allem verknüpft
zu werden, für das Israel steht. Was
empfinden sie bei Gesetzen, die
palästinensisch-israelischen Bürger daran
hindern, Nicht-Israelis zu heiraten, bei
Gesetzen, die Land „nur für Juden“ schafft,
auf denen palästinensische Bürger Israels
nicht wohnen dürfen, bei Programmen, die
große Teile Israels judaisieren und von
ihrer ursprünglichen Bevölkerung
„säubern“, die 3,5 Millionen Palästinenser
in den besetzten Gebieten ihrer
grundlegenden Menschenrechte berauben und
ständig unbewaffnete Palästinenser
angreifen ?
Israel ist kein
demokratischer Staat: er versäumt es, die
Religion vom Staat zu trennen; er versäumt
es, allen seinen Bürgern die gleichen Rechte
zu geben; und er ist eine gewalttätige
Besatzungsmacht, die eklatant das
Völkerrecht verletzt. Alle die das Judentum
- und wofür dieses steht, achten, sollten
sich selbst darüber im Klaren sein, dass
Judentum nicht gleich Israel ist. Sie
sollten es auch andern gegenüber klar
machen.
Tausende in aller Welt,
die sich selbst Juden nennen oder die aus
jüdischen Familien kommen, haben damit
aufgehört, sich als Juden zu identifizieren.
Sie tun es deshalb, weil sie inzwischen die
Verbrechen Israels mit Judentum in
Verbindung bringen. Ihre wachsende Zahl sind
ein Beweis für den Schaden, den Israel dem
Weltjudentum zufügt. Glücklicherweise gibt
es auch viele Juden, die die Verbindung
zwischen Judentum und Zionismus
zurückweisen. Sie gehören zu der standhaften
Zahl der Aktivisten, die gegen Israels
Verletzungen des Völkerrechts kämpfen. Sie
sind es, die langsam ihren zionistischen
Freunden beibringen, das der Deal zwischen
Israel und den Juden ein einseitiger Deal
ist, bei dem sie nur verlieren können.
(Shir
Haver koordiniert das „Research and Advocacy
Projekt“ des Alternativen
Informationszentrums, West-Jerusalem)
(dt. Ellen
Rohlfs)
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