Man kann es sich kaum
vorstellen, aber 1944 - sechs Jahre nach der Kristallnacht
– konnte Lessing J. Rosenwald, der Präsident des
amerikanischen Rats für Judentum, das zionistische Ideal
eines jüdischen Staates mit dem ‚Konzept eine rassischen
Staates nach dem Hitler-Konzept“ gleichwertig hinstellen.
Während des größten Teils des letzten Jahrhunderts war eine
prinzipientreue Opposition gegenüber dem Zionismus eine
vorherrschende Haltung innerhalb des amerikanischen
Judentums.
Selbst nach der
Gründung Israels war Anti-Zionismus keine besonders
ketzerische Position.
Die assimilierten
Reformjuden wie Rosenwald waren davon überzeugt, dass das
Judentum eher eine Sache der religiösen als der
politischen Loyalität sein sollte; die Ultra-Orthodoxen
sahen einen jüdischen Staat als einen unfrommen Versuch an,
„ Gott zu drängen“; und die marxistischen Juden – wie meine
Großeltern - neigten dazu, den Zionismus und jeden
Nationalismus als eine Ablenkung vom wichtigeren
Klassenkampf zu sehen.
Ich wurde in meinem
Jüdisch-Sein in dem Sinne erzogen, mich selbst als Teil
eines Stammes zu sehen, der immer wieder vertrieben,
misshandelt, ermordet wurde. Jahrtausende der Unterdrückung,
die vorausgingen, gaben uns nicht die Berechtigung einer
Heimat oder das Recht auf Selbstverteidigung … wenn man uns
etwas Außergewöhnliches anbot, war es eine Perspektive an
Unterdrückung und eine Verpflichtung, die aus der
prophetischen Tradition kam: sich für die Unterdrückten
einzusetzen und gegen den Unterdrücker zu schreien.
Während der letzten
Jahrzehnte war es jedoch unmöglich, gegen den israelischen
Staat zu schreien, ohne als Antisemit oder Schlimmeres
gebrandmarkt zu werden. Nicht nur Israels Aktionen zu
hinterfragen, sondern auch die zionistischen Glaubenssätze,
auf denen der Staat sich gründet, wird schon seit langem
als fast unaussprechliche Blasphemie angesehen.
Doch kann man nicht
länger mit gutem Gewissen glauben, dass die beklagenswerten
Bedingungen, unter denen Palästinenser im Gazastreifen und
auf der Westbank leben und sterben ein Resultat der
speziellen Politik, der Anführer oder Parteien jeder Seite
der Sackgasse sind. Das Problem ist grundsätzlich: einen
modernen Staat auf einer einzigen ethnischen oder religiösen
Identität zu gründen, noch dazu auf einem Gebiet mit
ethnischer und religiöser Vielfalt, führt unerbittlich
entweder zu einer Politik des Ausschlusses ( z.B. das
360qkm große Gefängnis des Gazastreifens) oder zu
umfassender ethnischer Säuberung. Einfach gesagt: der
Zionismus ist das Problem.
Es ist behauptet
worden, der Zionismus sei ein Anachronismus, eine übrig
gebliebene Ideologie ( romantischer Nationalismus) aus dem
19. Jahrhundert, die eigentlich unvereinbar in die
Geopolitik des 21.Jahrhundert hineingeriet. Aber der
Zionismus ist nicht nur überholt. Sogar schon vor 1948 war
eines seiner grundsätzlichen Fehler schnell offensichtlich:
die Gegenwart der Palästinenser in Palästina. Das brachte
einige der prominentesten jüdischen Denker des letzten
Jahrhunderts, viele von ihnen Zionisten, dahin, vor der Idee
eines jüdischen Staates zurückzuschrecken. Die Brit
Shalom-Bewegung, 1925 gegründet und mehrfach von Martin
Buber, Hannah Arendt und Gershom Scholem unterstützt, sprach
sich für einen säkularen, bi-nationalen Staat in Palästina
aus, in dem Juden und Arabern der gleiche Status gewährt
werden sollte. Ihre Besorgnis war moralisch und pragmatisch.
Buber fürchtete, dass die Errichtung eines jüdischen Staates
ein „vorsätzlicher nationaler Selbstmord“ bedeuten würde.
Das von Buber
vorausgesehene Schicksal hat uns eingeholt: ein Volk, das
Jahrzehnte lang in einem Kriegszustand gelebt hat, die
arabischen Bürger ( 1/5 der Bevölkerung), Bürger 2. Klasse
und mehr als 5 Millionen Palästinenser, die ihrer
politischen und menschlichen Grundrechte beraubt sind. Wenn
vor zwei Jahrzehnten Vergleiche mit dem südafrikanischen
Apartheidsystem als übertrieben empfunden wurden, so
empfindet man diesen Vergleich jetzt als schmeichelhaft.
Das weiße Südafrikanische Regime hat trotz all seiner
Verbrechen niemals die Bantustans mit derart zerstörerischer
Macht angegriffen, wie es Israel im Dezember 2008/ Januar
2009 getan hat, als 1400 Palästinenser getötet wurden, 1/3
davon waren Kinder.
Die israelische Politik
hat die einst scheinbar unvermeidliche Zwei-Staaten-Lösung
immer unmöglicher gemacht. Der jahrelange israelische
Siedlungsbau in der Westbank und in Ost-Jerusalem hat
planmäßig die Lebensfähigkeit eines palästinensischen
Staates ad absurdum geführt. Israels neuer
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat sich sogar
geweigert, die Idee eines unabhängigen palästinensischen
Staates zu unterstützen. Das lässt für die nächste Zukunft
Schlimmes ahnen: mehr Siedlungen, mehr „Strafaktionen“
(Kriege).
All dies hat zu einem
Wiederaufleben der Brit-Shalom-Idee eines einzigen
säkularen, bi-nationalen Staates geführt, in dem Juden und
Araber die gleichen politischen Rechte haben. Die
Hindernisse sind natürlich riesig: nicht nur ein starkes
israelisches Festhalten an der Idee eines exklusiven
jüdischen Staates, sondern auch seine palästinensische
Entsprechung: Hamas’ Ideal ist die islamische Herrschaft.
Beide Seiten müssten davon überzeugt sein, dass ihre
Sicherheit garantiert wird. Wie würde solch ein Staat
aussehen? Eine Demokratie, in der jeder Bürger eine Stimme
hat oder eher ein komplexes föderales System ? – Es wären
Jahre schmerzvoller Verhandlungen nötig, weisere Führer als
die jetzigen und ein kompromissloses Engagement vom Rest der
Welt, besonders von den USA.
Unterdessen enthüllt
die Charakterisierung des Anti-Zionismus als eine
gefährlichere ‚Seuche’ als der Antisemitismus nur die
Nicht-Nachhaltigkeit der Position, in die Israels
Apologeten gedrängt werden. Mit der internationalen
Verurteilung konfrontiert, suchen sie den Diskurs
einzuschränken, errichten Mauern, die aufzeigen, was gesagt
werden kann und was nicht.
Das funktioniert nicht.
Gegen den Zionismus zu sein, ist weder antisemitisch noch
besonders radikal. Es verlangt nur, dass wir unsere eigenen
Werte ernst nehmen und nicht länger (nach Amos 6,12) ‚das
Recht in Gift verwandeln und die Frucht der Gerechtigkeit
in Wermut!’
.
Eine säkulare,
pluralistische, demokratische Regierung in Israel und
Palästina zu bilden, würde natürlich bedeuten, den
zionistischen Traum aufzugeben. Das würde dann auch heißen
dass nur so die jüdischen Vorstellungen von Gerechtigkeit,
wie sie auf den Propheten Jeremia ( und Jesaja)
zurückgehen, bewahrt werden.