Ursprung
Europa - Verfallsdatum abgelaufen
Kolonialismus und Israel
James Brooks, 24. Januar 2007
Vor dem
Beginn der europäischen Besiedelung vor
einem Jahrhundert lebten Generationen von
muslimischen, christlichen und jüdischen
Palästinensern im heiligen Land ohne
nennenswerte Konflikte zusammen. Mit der
Ankunft des Zionismus begann eine Tradition
der Intoleranz, die allmählich zu einem
Strom vergossenen Blutes anwuchs, der direkt
in das Meer von Gewalt und Chaos mündet, das
die Region heute prägt.
Wie ihre
heutigen Nachkommen glorifizierten die
frühen zionistischen Siedler die Trennung
von Juden und Nichtjuden. Sie sonderten sich
von den anderen Menschen im Land ab und
träumten offen davon, ganz Palästina für die
Juden einzufordern. Als fremde Eindringlinge
unter selbstgegebenen Gesetzen stellten sie
eine Bedrohung für Land und Leben der
eingeborenen Bevölkerung dar.
Der
politische Zionismus war in dem
ethnisch-nationalistischen Eifer gediehen,
der während mehrerer Jahrzehnte vor und nach
dem ersten Weltkrieg in Europa im Schwange
war. Diese Bewegungen, die auch heute noch
schwelen, neigten dazu, ideologische
Anleihen bei den selbstbeweihräuchernden
Ergebnissen der rassistischen Wissenschaft
des 19. Jahrhunderts zu machen, die
ihrerseits ein Produkt des
jahrhundertelangen europäischen
völkermordenden Kolonialismus waren.
Für die
ethnischen Nationalisten Europas war ein
„Volk“ eine Nation, die das Recht auf einen
unabhängigen Staat hatte. Als Konsequenz
können Bewohner des Staates, die nicht dem
„Volk“ angehören, von den Angelegenheiten
der Nation ausgeschlossen, oder gar aus ihr
ausgewiesen oder vernichtet werden.
Nationalistische Bewegungen in Zentral- und
Osteuropa wurden oft von Großbritannien und
Frankreich unterstützt, um Deutschland und
die beiden multiethnischen Imperien, nämlich
das österreichisch-ungarische und
ottomanische, zu schwächen.
Die Zionisten
trieben den ethischen Nationalismus noch
einen Schritt weiter, als sie das Recht auf
einen eigenen Staat für eine
Religionsgemeinschaft geltend machten. Indem
sie eine „jüdische Rasse“ mit ihrer eigenen
spekulativen Geschichte zweier Teilrassen (Sephardim
und Ashkenase, A.d.Ü.) postulierten,
beförderten sie die Vorstellung, daß ein
„rassischer Typ“ ein „Volk“ (mit dem
Anspruch auf den Status einer Nation)
definieren kann. Gleichzeitig akzeptierten
sie eine religiöse Definition jüdischer
Identität. Auf diese Weise gelang es ihnen,
das Judentum für die Ziele ihrer Politik zu
instrumentalisieren.
Nachdem die
alte Ordnung in Europa und in Südwest-Asien
in der Folge des ersten Weltkriegs in
Trümmern lag, gestalteten die westlichen
Mächte die Landkarte unter der Aufsicht des
Völkerbundes neu. In dem vergeblichen
Versuch, die Geister des ethnischen
Nationalismus zu bändigen, den seine
Mitgliedsstaaten selbst entfesselt hatten,
forderte der Völkerbund von den
balkanisierten „demokratischen Staaten“, die
Rechte ihrer völkischen Minoritäten zu
respektieren.
In der Praxis
wurde diese Aufforderung zur Assimilierung
nicht besonders gefördert. Die Verfassungen
mehrerer der neuen Staaten definierten die
Staatsangehörigkeit entsprechend den
ethnischen Zugehörigkeiten. Liberale
debattierten über das
Assimilierungspotential der verschiedenen
ethischen Gruppen, um ihre Eignung zur
„Demokratie“ einzuschätzen. Dabei waren die
Juden diejenige Gruppe, die am häufigsten
als „schwierig“ oder „unmöglich zu
assimilieren“ eingeschätzt wurde.
In seinem
Buch Dark Continent (*) zeigt
Professor Mark Mazower, daß der
demokratische Frühling in Europa nach
Versailles schnell wieder in die autoritären
Gewohnheiten des Europas vor Versailles
zurückfiel, allerdings ohne dessen
stabilisierenden multi-ethnische Strukturen.
Mitte der zwanziger Jahre galt der
Faschismus in ganz Europa als respektable
und populäre Einstellung. Als Hitler die
Macht übernahm, waren faschistische
Regierungen derart normal, daß die Nazis
sich verpflichtet fühlten, der Bewegung mit
aggressiveren Worten und Taten neuen Schwung
zu verleihen.
In
Großbritannien und in Deutschland galt es
als attraktive und auch logische Lösung für
Europas altes „jüdisches Problem“, die
„jüdische Nation“ aus Europa
hinauszubefördern. Der Zionismus versprach,
genau dieses zu erreichen und genoß aus
diesem Grunde Unterstützung in den höchsten
Kreisen der europäischen Gesellschaft. Die
britische Besatzung ignorierte (auf
Anweisung aus London) die Gesetzlosigkeit
der Zionisten und ihre Verfolgung der
Araber, während die Nazis sie als Genossen
auf dem Weg in eine Zukunft der
beiderseitigen „Reinheit der Rassen“
feierten.
Natürlich war
es zutiefst kolonialistisch zu glauben, daß
Millionen von Europäern massenhaft an
irgendeinen Ort außerhalb Europas auswandern
könnnten, als wäre die Welt eine tabula
rasa, auf der der Kontinent seine
schlimmste Heuchelei in einem Zug
abschreiben könnte. Während der politische
Zionismus Ausdruck von Europas Betörung
durch den ethnischen Nationalismus war,
gehörte sein Programm dem 19 Jahrhundert an,
so wie Lincolns Besessenheit, Amerikaner
afrikanischer Herkunft nach Südamerika zu
verbringen.
Indem er sich
dem arabischen Palästina aufzwang, übernahm
der Zionismus die nationalistische Ideologie
und verkehrte sie 1948 mit der Gründung
eines europäischen kolonialen Staates
ethnischer Prägung im Herzen eines
arabischen Nahen Ostens, der gleichzeitig im
Begriff war, sich zu ent-kolonialisieren, in
ihr Gegenteil. Israel war bereits bei seiner
Geburt ein Anachronismus.
Gelenkt durch
die antisemitischen Einwanderungsgesetze der
westlichen Nationen (die die Lobby der
Zionisten unterstützt hatte) verpflanzte
sich die „jüdische Nation“ nach Palästina,
um ein göttliches Gebot umzusetzen und den
Anspruch der alten Nation Israel
einzufordern. Dieser allumfassende
historische und religiöse Anspruch übertraf
mit Leichtigkeit alle anderen nationalen
Mythen und begründete die andauernde Neigung
des Zionismus zur Dreistigkeit.
Die
Motivationen des Zionismus tragen weiterhin
dazu bei, Israel als expansionistisches
kolonialistisches Projekt im 21. Jahrhundert
fortzuführen, das unablässig erobert und
zerstört und palästinensisches Land und
Wasser raubt. Dieser offen praktizierte Raub
nimmt an Dynamik zu. Zum Teil ist dies der
„Trennungslinie“ zu verdanken, die Israel in
der palästinensischen West Bank baut. In
Europa wurden Mauern benutzt, um die Grenzen
von Nationen oder Ghettos zu markieren.
Israel nutzt sie, um seine Grenzen immer
weiter auszudehnen und Ghettos für den
eigenen Gebrauch zu schaffen.
Indem er
europäische Intoleranz und auf den Holocaust
mit den zutiefst rassistischen Begriffen des
Kolonialismus beantwortete, hat der
Zionismus das Bedürfnis der Juden nach
Freiheit und Sicherheit mit den finstersten
Beweggründen des menschlichen Herzens
verbunden. Er verband die moralische
Verblendung des ethnischen Nationalismus mit
dem moralischen Verbrechen des Völkermordes
und versah den Zionismus auf diese Weise mit
der unausweichlichen Notwendigkeit,
historische Wahrheit ebenso wie die
Menschlichkeit der arabischen und
muslimischen Völker zu leugnen.
Dieses sind die
tieferen Wurzeln der Gesetzlosigkeit, die
wir heute in Palästina und Israel
beobachten. Niemand wird verschont. Israel
wird von einer wachsenden Welle von
Verbrechen, Korruption, Inkompetenz und
Käuflichkeit überschwemmt, in die Regierung
und die Gesellschaft verstrickt sind.
Kürzlich erfuhren wir, daß die Gaunereien
sogar die Steuerbehörden und wahrscheinlich
auch den Premierminister höchstselbst erfaßt
haben. Zur selben Zeit stößt der Staat
Drohungen aus, den Iran mit Atomwaffen
anzugreifen.
Die Geschichte
legt nahe, daß Israel sich einer
unausweichlichen Abrechnung mit dem
moralischen und politischen Bankrott des
Kolonialismus stellen müssen wird. Es kann
den Kriegszustand mit seinen Nachbarn nicht
für immer aufrechterhalten. Es gibt einen
friedlichen Ausweg, der damit beginnt, daß
Israel dem Kolonialismus und der Politik der
Besatzung abschwört. Ob der ethnische
Nationalismus der Zionisten diese Änderungen
überstünde, bleibt dabei offen. Ohne die
Änderungen mag Israel sich überraschend
einem Tag der Abrechnung stellen müssen, den
es nicht beherrscht.
(*) Mazower, Mark:
Dark Continent: Europe’s Twentieth Century,
Alfred A. Knopf, New York, 1999
Original : CounterPunch
James Brooks
ist
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Vermonters for a Just
Peace in Palestine/Israel .
Übersetzt vom Englischen ins Deutsche von
Hergen Matussik und überprüft von Eva-Luise
Hirschmugl, Mitgliedern von
Tlaxcala,
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