Der
eigentliche Skandal jedoch ist
das Verhalten von „höchsten
Stellen“ der Bundesrepublik, von
Parlamentariern wie in diesem
Fall Professor Weisskirchen.
Skandalös ist die sträfliche
Leichtfertigkeit, mit der das
Thema Antisemitismus verhandelt
wird, wenn man diesen „Experten“
in Gremien, die sich vorgeblich
dem Kampf gegen den
Antisemitismus verschrieben
haben, ein Forum bietet. Wie
kann es sein, dass in einem
solchen Gremium ein Jörg
Rensmann unwidersprochen haltlos
und verhetzend
herumschwadroniert: „Wir haben
es wie z.B. in Frankreich mit
dem Phänomen zu tun, dass sowohl
islamischer als auch arabischer
Antisemitismus in gewisser Weise
nach Europa zurücktransportiert
wird...und hier vor allem von
linken Basisbewegungen
aufgegriffen wird.“ –
Tendenziöse, suggestive
Äußerungen, die keiner
Überprüfung allein schon der
darin verwendeten
Begrifflichkeiten und
postulierten Zusammenhänge
standhalten. Ein Phänomen, das
genuin europäischer Provenienz
und Prägung ist, soll
„islamisch“ oder „arabisch“ sein
und nach Europa
„zurücktransportiert“ werden?
Falls es, selten belegt, in
Frankreich, Deutschland oder
anderswo Übergriffe auf jüdische
Einrichtungen oder Menschen und
anti-jüdische Äußerungen durch
arabischstämmige Europäer oder –
was wiederum deutlich
abzugrenzen wäre - aufgrund
religiöser (muslimischer) Motive
gegeben hat, wäre dies,
wissenschaftliche Redlichkeit
vorausgesetzt, nicht unbesehen
mit dem Begriff des
Antisemitismus
(christlich-europäischer
Tradition) zu belegen. Dass
irgendwelche „linken
Basisbewegungen“ diesen von
Rensmann behaupteten
„arabischen“ oder „islamischen
Antisemitismus“ „aufgreifen“
würden, wird auch durch
wiederholte Behauptung nicht
wahr.
Die
Ausführungen zweier der
geladenen Experten, beide nicht
in Deutschland lebend, atmeten
allerdings einen anderen Geist –
die von Alfred Grosser
(Frankreich) und von Brian Klug
(U.S.A. bzw. GB). Während
Experten und Diskutanten immer
wieder für klare Definitionen
und Kriterien als Grundlage
einer Bekämpfung des
Antisemitismus plädierten,
jedoch mit ungeklärten Begriffen
und unbelegten Behauptungen
hantierten, war es vor allem
Brian Klug, der tatsächlich
einen konstruktiven Beitrag zur
Klärung leistete, indem er den
häufig diffus verwendeten
Begriff vom „Existenzrecht
Israels“ auf seine verschiedenen
möglichen Bedeutungen hin
abklopfte und auf dieser
Grundlage der Frage nachging, ob
es antisemitisch sei, das Recht
Israels auf Existenz zu
verneinen. Jörg Rensmann
antworte, Professor Klug
verkenne den Vernichtungswillen
der Hamas. Mit dieser Antwort
offenbarte er sein schlichtes
Unvermögen, eine Begriffsklärung
von einer Aussage über real
existierende politische Akteure
zu unterscheiden.
Alfred
Grosser sprach als erster
Experte und wurde in
erschreckender Weise von fast
allen, die sich im Laufe der
Diskussion zu Wort meldeten, ins
Abseits gestellt und vom
Vorsitzenden nicht in Schutz
genommen. Vielmehr distanzierte
sich dieser sofort, nachdem
Grosser gesprochen hatte. Ralf
Schröder (ebenso wie Jörg
Rensmann von „die Jüdische“,
Berlin) zeigte sich „befremdet“,
dass eine Position wie die
Grossers „tatsächlich ernsthaft
und relevant in diesem Hause
diskutiert wird“.
Was hatte
Herr Grosser Ungeheuerliches
geäußert, das derart
inkompatibel mit den
Einstellungen der anderen
TeilnehmerInnen der Runde war,
dass sie nicht einmal darüber
reden wollten?
Er hatte aus
seiner Sicht die Frage
beantwortet, was es heiße,
Israel zu kritisieren, da die
Abgrenzung von Israelkritik und
Antisemitismus eine der Aufgaben
der Gesprächsrunde war. Es gehe,
so Grosser, nicht nur um die
Politik Israels, es gehe um
Verbrechen. Damit sprach er
etwas aus, was auch viele
Israelis, selbst führende
Vertreter des israelischen
Establishments inzwischen
glauben aussprechen zu müssen,
gerade weil ihnen ihr Land, ihre
Gesellschaft am Herzen liegt und
sie deren Absturz nicht ruhig
mit ansehen können. Alfred
Grosser begründete sein
kritisches Engagement im
Zusammenhang mit Israel mit
seiner jüdischen Identität, so
wie er sein kritisches
Engagement in Bezug auf den
Algerienkrieg mit seiner
französischen Identität
begründete und sein kritisches
Engagement in Bezug auf das
Nachkriegsdeutschland mit seiner
deutschen Herkunft und seinen
republikanischen Überzeugungen,
die ihm geboten sich
einzumischen, wenn ihm die
Bundesrepublik von grundlegenden
demokratischen Prinzipien
abzuweichen drohte (so
seinerzeit im Zusammenhang mit
den Berufsverboten).
Des weiteren
warf Grosser die Frage auf, was
Juden gegen Antisemitismus tun
könnten und kam zu dem Schluss:
„Es ist Antisemitismus fördernd,
wenn man nicht zugleich (mit dem
Kampf gegen Antisemitismus)
andere Rassismen bekämpft.“ Dies
sei Aufgabe von Juden und
jüdischen Organisationen. Mit
dieser Auffassung steht er unter
französischen Juden durchaus
nicht allein. Die Union Juive
Francaise pour la Paix
beispielsweise arbeitet eng mit
der Association des Travailleurs
Maghrebin de France zusammen und
ist wie diese selbstverständlich
Teil verschiedener
antirassistischer Bündnisse,
weil sie den Kampf gegen
Antisemitismus und andere Formen
von Rassismus und
Diskriminierung als ein
gemeinsames Anliegen von Juden,
Arabern/Muslimen und anderen
BürgerInnen der Republik
verstehen.
Grossers
Argumentation, die man als
humanistisch und republikanisch
beschreiben könnte, ein
politisches Selbstverständnis
jenseits partikularer Interessen
oder Ambitionen war für die
Teilnehmer einer Gesprächsrunde
bundesrepublikanischer
Parlamentarier und Experten in
Sachen „Antisemitismus“
unerträglich - sie sprechen eine
g r u n d s ä t z l i c h andere
Sprache. Eine wahrlich
gespenstische Situation, vor
allem für den mit wenigen
dämonisierenden Worten als
Gesprächpartner
Ausgeschlossenen. Immerhin
durchbrachen zwei Abgeordnete
das menschlich vollkommen
inakzeptable Verhalten der Runde
einschließlich ihres
Vorsitzenden; Frau Pfeiffer und
Frau Philipp, beide CDU/CSU,
gestanden Grosser das Recht zu,
eine abweichende Auffassung zu
äußern und bedauerten, dass sich
niemand argumentativ mit ihm
auseinandergesetzt hatte. Auch
die Grünen-Abgeordnete Claudia
Roth wies die unflätigen
Einlassungen von Ralf Schröder
(„Die Jüdische“) zurück.
Es bleibt die
Frage: Wie kommt es in der
Bundesrepublik und in einem
solchen für ihre politische
Kultur einigermaßen
repräsentativen Gremium zu einer
derart monolithischen, geradezu
totalitär verfestigten Ideologie
zum Thema Antisemitismus und
Israel (denn es handelt sich um
Ideologie - im Marx’schen Sinne:
falsches Bewusstsein - und nicht
um rational begründbare
Einschätzungen oder
Standpunkte)?"
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