“I am not only a soldier,
I am a human being”
Gespräch mit einem IDF
Soldaten am Checkpoint Beit Hadassa in
Hebron am 23. Dezember 2004
Brigitta Boeckmann
Wie jeden Morgen um halb
acht Uhr stand ich am Checkpoint Beit
Hadassa, um Schuelerinnen und
Lehrerinnen der Cordoba-Schule in
“Empfang zu nehmen”.
Ich war allein an diesem
Morgen und traf auf einen israelischen
Soldaten, der ebenfalls allein auf Wache
war und gelangweilt an der Mauer neben
seinem Unterstand lehnte. Nach einem
freundlichen “good morning” kam er auf
mich zu und schien eine Unterhaltung mit
mir beginnen zu wollen.
Nach meiner vorsichtigen
Frage, ob ihm dieser Job nicht zu
langweilig würde und wie lange er denn
noch zu dienen habe, sprudelte es nur so
aus ihm heraus:
Er haette noch zwei volle
Monate vor sich, er waere froh, wenn
diese Zeit endlich vorueber sei, danach
wolle er Sozialwissenschaften studieren.
Der Militärdienst sei nun mal eine
Pflicht, die er zu absolvieren habe. Er
hätte verschiedene Kritikpunkte
anzumelden, die könne und möchte er aber
erst äußern, wenn alles hinter ihm läge.
Er habe in dieser Zeit so viel
Schreckliches gesehen, was ihn
sehr bedrücke.
“You know, I am not only
a soldier, I am a human being!”, betonte
er eindringlich.
Er fühle sich gespalten,
und das belaste ihn.
Ich zeigte ihm, dass ich
ihn verstand. Daraufhin fragte er mich,
was ich hier in Hebron machen würde,
welcher Organisation ich angehören würde
und wie lange ich bleiben wolle. Und
dann wollte er wissen, wie ich überhaupt
auf den Gedanken gekommen sei, hierher
zu fahren. Dieses Interesse überraschte
mich.
Ich erzählte ihm von
meinen ersten Besuchen hier im Land vor
fast zehn Jahren und von meiner Tochter,
die in dieser Zeit in Jerusalem an der
Hebräischen Universität studiert hatte.
Ich erzählte ihm von meinen israelischen
und palästinensischen Freunden, und dass
ich fast immer in Familien und
Gemeinschaften mitgelebt und somit
vieles von dem erfahren haette, was die
Menschen hier bedrücke. Dass ich danach
nicht mehr tatenlos in meinem
wohlgeordneten Deutschland herumsitzen
könne, sondern mich gedrängt fühlte,
immer wiederzukommen, um einige Zeit
lang Seite an Seite mit den Menschen
hier zu leben und in Projekten
mitzuarbeiten.
Ich erzählte ihm, dass
ich die Ängste auf beiden Seiten
verstehen könne, dass ich nachfühlen
könne, welche Sorgen beispielsweise
israelische Mütter haben, die ihre
Teenager außerhalb der Familie in Cafes
oder Diskotheken wissen, deren Kinder
auf dem Weg zur Schule oder Universität
sind oder einen Stadtbummel machen in
Jerusalem, Tel Aviv, Netanya, Haifa,
Afula oder anderswo.
Dass auch mich manchmal
ein höchst ungutes Gefühl beschleicht,
wenn ich in Jerusalem im Busbahnhof bin
oder an einer Bushaltestelle an der
Jaffa-Street stehe und mehrere Busse
gleichzeitig ankommen. Dass ich dann
manchmal schnell in eine Seitenstrasse
ausweichen würde, aus einer aufkommenden
Angst heraus, es könne ja passieren,
dass………..,
Dass mir dann
Fernsehbilder und Erfahrungen von
Selbstmordattentaten in Erinnerung
kommen und für Augenblicke eine Gefühl
der Enge mir die Luft zum Atmen nimmt.
Dass ich mich andererseits aber auch
zwinge, den Bus zu benutzen, um diese
Angst in den Griff zu bekommen und auch,
um in Solidarität mit der israelischen
Bevölkerung zu versuchen, ein Stück
Normalität in dieser unnormalen
Situation zu leben.
Der Soldat meinte
daraufhin nur, ja, die israelische
Bevölkerung hätte auch Angst und müsse
Einschränkungen hinnehmen, aber das wäre
nichts im Vergleich zu den Arabern, wie
er die Palästinenser nannte, die müssten
viel mehr leiden. Er sprach davon, dass
eben beide Völker einander nicht kennen
und deshalb nur Vorurteile und
Negativbilder tradiert würden, die dann
das Denken und Handeln bestimmen.
Ich erzählte ihm, dass
es mir wichtig war, während meiner
Aufenthalte in Gaza auch immer von den
Aktivitäten israelischer Friedensgruppen
zu berichten, damit die Menschen dort
erfahren, dass längst nicht alle
Israelis ihre Feinde seien, denn sie
würden Israelis ja ausschließlich nur
als Angst und Schrecken verbreitende
Soldaten kennen.
Er pflichtete mir bei
und meinte, dass die Palästinenser in
Hebron und besonders hier in der
Altstadt glaubten, alle Israelis wären
so wie diese radikalen Siedler hier. Er
meinte, diese Siedler verkörperten ja
keineswegs “die Israelis”. Im Gegenteil,
sie seien seiner Ansicht nach ein großes
Problem innerhalb der israelischen
Gesellschaft. Es war ihm deutlich
anzumerken, wie ablehnend er diesen
Siedlern gegenüber stand.
Auf einmal kamen weitere
Soldaten die Treppe herunter und
näherten sich dem Unterstand. Ich
beendete das Gespräch sofort und dankte
ihm für seine Offenheit.
Den Blick, den er mir
zuwarf, werde ich so schnell nicht
vergessen. Er schien erleichtert, seine
Gedanken einmal ehrlich und unverblümt
ausgesprochen zu haben, ohne Gefahr zu
laufen, dass sich das negativ für ihn
auswirken könne.
“You know I am not only a
soldier, I am a human being” – dieses
Gespräch war in der Tat ein
weihnachtliches Geschenk für mich an
diesem 23.
Dezember 2004.
Brigitta Boeckmann
Ecumenical Accompanier
Ecumenical Accompaniment Programme in
Palestine and Israel
Hebron, 6. Januar 2005
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