Kommentar,
23.1.2009
Anmerkungen zur Selbstbeweihräucherung in Sachen
Israelsolidarität
Unter dem Titel „Die Rolle des Iran im
Nahostkonflikt“ hat die Deutsch-Israelische
Gesellschaft in Nürnberg nicht nur Dr. Matthias
Küntzel als Referenten geladen, sondern dessen
Vortrag auch in Kooperation mit der Sparkasse
und dem Willstätter-Gymnasium durchgeführt.
Erwartungsgemäß und zur Freude der Veranstalter
waren auch Schüler am Abend des 22.1.2009 in der
Aula ihrer Schule zugegen. Eine Herausforderung
für jeden Geschichtslehrer, der auf die (a)historischen
Deutungen Küntzels reagieren muss. Schon immer
war es ein Problem der Geschichtsschreibung,
dass die ausgewählten Fakten Kausalzusammenhänge
suggerieren, die bei anderer Auswahl aus dem
immer viel umfangreicheren Faktenpool ganz
anders aussehen. Was also ist richtig bzw. wie
wahr sind halbe Wahrheiten?
Die
Selektivität von Küntzels historischem Abriss
der Entwicklungen im Nahen Osten und vor allem
im Iran ermöglichte es dem Referenten, den
situativen Kontext vor Ort komplett auszublenden
und aktuelle Entwicklungen einer Irrationalität
islamistischer Protagonisten zuzuschieben. Und
das geht so: Aufgeteilt in drei Unterpunkte –
Märtyrerkult, Antisemitismus und Atomprogramm –
wurde anhand ausgewählter Zitate iranischer oder
islamistischer Provenienz aus einem
länderübergreifenden Fundus die Boshaftigkeit
und Irrationalität der sich Äußernden in völlig
ahistorischer und entkontextualisierter Art und
Weise „belegt“. So wurde etwa das Jahr 1952 als
Schlüsseljahr für die iranische Geschichte
erwähnt, nicht jedoch die illegale Ausschaltung
des demokratisch gewählten Premierministers
Mossadeq und die direkten wie langfristigen
Folgen dieses imperialen Eingriffs in
inneriranische Angelegenheiten. Und so wurde aus
dem Brief Ahmadinejads an George Bush 2006, der
von unseren Medien gänzlich ignoriert wurde und
der an die eigenen christlichen Werte des
Präsidenten der USA appellierte, die eine Stelle
zitiert, die in die Theorie des Referenten von
einer „islamistischen“ Boshaftigkeit des
Iranischen Präsidenten passen mag. Wer
realistischeres über dieses Schreiben wissen
will, wende sich an Urs Gösken. Der schweizer
Wissenschaftler hat sich dem mehrseitigen Brief
und seinem Verschweigen ausgiebig gewidmet.
Gösken ist nicht der einzige, der ihm
deeskalierende Wirkung und alles andere als
Irrationalität bescheinigt. Aber offensichtlich
war man von US-Seite nicht daran interessiert,
das Feindbild Iran zu korrigieren. So hatte man
auch tunlichst die Angebote der iranischen
Führung nach dem 11. September 2001 ignoriert,
die Hilfe bei der Suche nach den Drahtziehern
anbot. Der Referent unterließ es, derlei Fakten
zu nennen.
In
der aktuellen Entwicklung in Zeiten des
Wirtschaftsembargos gegenüber Iran, wobei
europäische Firmen zunehmend an Umsätzen
einbüßen, während US-Firmen ihre seit Jahren
steigern, muss dafür nicht der tiefere Grund
liegen. Zu vermuten ist vielmehr die
Beibehaltung einer Politik des Angstschürens
gegenüber einer möglichen Regionalmacht, die
durch ihren direkten Zugang zu Rohstoffen
unabhängiger agieren könnte als etwa die USA,
die gerne als einzige Weltmacht anerkannt
bleiben möchte. Ist Israel vielleicht Mittel zum
Zweck der Großmachtpolitik der USA? Diesen
Fragen wird am Abend nicht nachgegangen, sondern
bereitwillig der ausgelegten Spur gefolgt,
wonach der Iran das ultimative Böse sei –
personifiziert, wie einst „das böse
Weltjudentum“. Warum Küntzel eine iranische
Atombombe mehr fürchtet, als die der USA , deren
„rationale“ Präsidenten bisher die einzigen
waren, die den Abwurf auf andere Länder
genehmigten, wurde auch nicht nachgefragt –
vielleicht war dem Publikum aber auch nicht
bekannt, dass „panzer-“ und „bunkerbrechende“
Bomben radioaktives Uran enthalten, welches
bereits tonnenweise im gesamten Nahen Osten
ausgebracht wurde und von dessen
Langzeitkontamination auch Israel nicht
verschont bleiben wird.
Die
überhöhte Feindschaft der iranischen Führung
gegenüber Israel schürt aber nicht nur die Angst
vor Terrorismus – vielleicht nur ein Versuch,
andere Länder zum Schulterschluss mit der
antiiranischen Propaganda zu bewegen, vielleicht
noch im Glauben, dies geschähe zum Wohle Israels
– sie gräbt der starken Opposition im Iran das
Wasser ab. Und das weiß jeder Diplomat und auch
ein Matthias Küntzel, dass man mit dem
antiiranischen Kurs die Opposition mundtot macht
– denn sie will sich nicht dem „westlichen
Imperialismus“ andienen und nicht dazu benutzt
werden, weiteren „westlichen“ Einfluss in der
Region zu legitimieren. Wer will also eine
Verhärtung der Fronten? Und wem arbeitet man mit
dieser Feindstigmatisierung zu? Zum Wohle
Israels, das in der Region als erstes den Kopf
hinhalten muss, geschieht dies ganz sicher
nicht.
Was
also will ganz konkret der ehemalige Linksaußen
Matthias Küntzel erreichen? Wozu zitiert er
ausschließlich den als tendenziös entlarvten
Übersetzungsdienst MEMRI, der 2007 sein
Deutschlandbüro schließen musste und der unter
anderem für das falsche Ahmadinejad-Zitat von
der „Vernichtung Israels“ verantwortlich ist?
Warum unterschlägt er wichtige Fakten und
überzeichnet ein Feindbild und ein
Bedrohungspotenzial bis hin zu der Äußerung,
dass er hoffe, „dass Israel nicht zum letzten
Mittel [militärischer Angriff] auf den Iran
greifen muss“?
Auch
die Definition von „islamischem Antisemitismus“
nach Matthias Küntzel ist kurios. Immer dann,
wenn Juden einerseits als Feiglinge und
Duckmäuser, gleichzeitig aber als
Weltbeherrscher stilisiert werden, läge dieser
vor. In der Tat ist dieser schizofrene Zug eines
jeden Feindbildes kritikwürdig und tatsächlich
irrational – nur ist dieses Moment von jeher ein
Merkaml des Antisemitismus überhaupt. Welche
andere Qualität hier unter muslimischen
Antisemiten vorliegen soll, erklärte Küntzel
nicht – aber das hat auch niemand verlangt. Der
wissenschaftlich anerkannte und treffendere
Begriff vom „islamisierten Antisemitismus“
(Michael Kiefer) fiel auch nicht.
Selten habe ich hingegen so viele
Nazi-Anspielungen in so kurzer Zeit gehört – es
scheint eine der Hauptfixierungen Küntzels zu
sein, Phänomene aus der islamischen Welt (auch
wenn er betont, dass er Islamismus von Islam
strikt trenne) mit Elementen des
Nationalsozialismus gleichzusetzen. Kein
Aufschrei angesichts dieser sonst als Tabu
geächteten Relativierung des Holocaust. Er lässt
sich sogar zu Gegenüberstellungen, wie sie in
der antisemitischen Nazi-Propaganda zu finden
sind, hinreißen wie etwa in folgendem Satz: „Der
Unterschied liegt zwischen der Moral Israels und
der Unmoral der Hamas.“ Damit ist die
Entmenschlichung vollzogen und die
„Unmoralischen“ werden zum Abschuss frei
gegeben. Antifaschistisch ist das nicht und
aufgeklärt sowieso nicht. Es erinnert vielmehr
an ähnliche Gegenüberstellungen im
Nazi-Propagandafilm „Der ewige Jude“, womit ich
mich der Küntzelschen Vergleichstechnik einmal
anschließen mag.
Interessant war Matthias Küntzels Reaktion auf
die Frage nach dem Grund, warum die iranischen
Juden den Iran nicht verlassen wollen. Hier war
nämlich plötzlich eine psychologisierende
Deutung nötig, um diese angesichts angeblich
tödlicher Bedrohung eines jeden Juden
irrationale Entscheidung zu erklären. Küntzel
verwies auf ihr arisches Selbstbild und die
Stärke des iranischen Nationalismus im Gegensatz
zu religiösen Ordnungskategorien. Das erstaunt –
hier, wo Kontext nützlich ist für die eigene
Argumentation, wird er gebracht. Aber noch mehr
erstaunt tatsächlich das Verhalten der Juden vor
Ort, die sich auf iher Website explizit von der
Politik Israels distanzieren. Natürlich hat
Küntzel recht, wenn er vermutet und prüft, ob
dies nicht schlichte Rhetorik einer Minderheit
in einer vielleicht feindlich gesinnten Mehrheit
sein könnte. Auf die Anwendung dieser Überlegung
bei der denunziatorischen Beoachtung von
sogenannten und tatsächlichen Islamisten
verzichtet er aber gänzlich. An keiner Stelle
deutet er auch nur an, dass es sich um
Omnipotenzparolen von eigentlich Ohnmächtigen
handeln könnte, die damit auf ihre
offensichtlichen Niederlagen reagieren – wie sie
auch der Kriegsrhetorik anderer Unterlegener zu
entnehmen sind.
Damit wendet er genau die Technik an, die den
Propagandafilm „Farewell Israel“ auszeichnet.
Unter Auslassung entscheidender Fakten und unter
der übermäßigen Einblendung islamischer Elemente
wird eine antiisraelische Verschwörung
konstruiert, wie sie die Welt noch nicht gesehen
hat. Auch in diesem impliziten
Verhandlungsverbot in Filmform – den
muslimischen Arabern sei eben niemals zu trauen,
sie seien eine homogene Masse mit immer
feststehenden Eigenschaften, wovon der Judenhass
ein Hauptbestandteil sei – wird an einer Stelle
psychologisiert, nämlich um das Verhalten
Menachem Begins (der die Friedensangebote Anwar
el-Sadats annahm) zu erklären und gleichzeitig
zu entwerten. So schafft man sich die Kohärenz,
die man braucht. Und Küntzel beherrscht das
Spiel ebenso perfekt.
Der
Kontext so mancher Aktion oder Äußerung wäre ja
viel zu aufschlussreich für den tatsächlichen
Sachverhalt und könnte die behaupteten
Zusammenhänge konterkarieren – so viel
Verwirrung will er einem „aufgeklärten“ Publikum
offensichtlich nicht zumuten.
Am
Beispiel des iranischen antisemitischen
Karikaturenwettbewerbs lässt sich dies
exemplarisch aufzeigen: Küntzel versucht mit dem
Verweis auf das Stattfinden des Wettbewerbs 2006
und durch das Zeigen zweier Karikaturen aus der
Sammlung zu beweisen, dass die Aktion im Kern
antisemitisch gewesen sei. Dies kann man nur
dann behaupten, wenn man – wie bewährt – den
Kontext eliminiert. Völlig unerwähnt lässt
Küntzel den Anlass des Wettbewerbs: eine Antwort
auf die dänischen Karikaturen bzw. deren
Verteidigung als Ausdruck von
„Meinungsfreiheit“. Genau diese behauptete
Meinungsfreiheit galt es nun zu testen – wird
doch bei antisemitischen Karikaturen,
pornografischen Darstellungen,
Gewaltverherrlichung oder im Fall von
Holocaustleugnung auch nicht für
Meinungsfreiheit plädiert, und zurecht. Ein Tabu
europäischer, aber vor allem deutscher
Meinungsfreiheit ist unter anderem die
Holocaustleugnung. Diese wurde also hier als
Mittel zum Zweck missbraucht und dies war der
Kern der Aktion, die dann schließlich
tatsächlich antisemitische Motive hervorbrachte
– aber zu behaupten, das wäre die
Ursprungsmotivation gewesen, ist schlicht falsch
und bewusst irreführend. Und während Küntzel
zwei marginale Zeichnungen auswählt und dem
Publikum daran demonstriert, wie die
Holocaustleugnung als antisemitisches Motiv
schlechthin verbildlicht wurde – wie gesagt, das
war ja überhaupt das zentrale und möglichst
provokante Thema dieser Reaktion auf den
Karikaturenstreit – unterschlägt er die
Bildmontage, die den Wettbewerb gewann und zwar
aus gutem Grund, wie man hier sieht (http://www.irancartoon.com/120/holocaust/):
Auch
den israelischen Karikaturenwettbewerb als
Antwort auf den Iranischen, lässt Küntzel
unerwähnt und auch das daraus als Gewinner
hervor gegangene Siegerbild „Fiddler on the Roof“,
das jegliche antisemitischen
Weltverschwörungstheorien nähren dürfte und
auch, wieder aus dem Kontext gerissen, an jedem
Ort und zu jeder Zeit in der Welt als
„Kronzeuge“ für alte Diffamierungen im neuen
Gewandt fungieren kann. Wenn aber
Holocaustleugnung eines der „schlimmsten
antisemitischen Verbrechen“ ist, wie Küntzel an
dem Abend in Nürnberg sagte, dann verwundert,
warum seine Website nur „islamische
Holocaustleugner“ aufweist und keine anderen,
wovon es leider immer noch genügend und auch
wesentlich prominentere auf der Welt gibt.
Dass
Küntzel die längst als Falschübersetzung
entlarvten Äußerungen Ahmadinejads, nachdem
dieser nicht „Regimechange“ verlangte, sondern
Israel von der Landkarte tilgen wollte, weiter
kolportiert, verwundert nicht angesichts der
kompletten Übernahme der MEMRI-Fixierung auf die
antiisraelischen Propagandasender Al-Manar und
Al-Aksa. Unter Ausblendung von deren
Entstehungskontext und Zielrichtung lassen sich
die wirklich schaurigen und nicht selten ins
offen Antisemitische abdriftende Darstellungen
einem Fanatismus zuschreiben, der außerhalb der
Situation vor Ort und ausschließlich innerhalb
des Islamismus zu suchen sei. Das nennt man
Schuldabwehr! Und diese Art von Entlastung hat
offensichtlich nicht nur der Antideutsche
Matthias Küntzel nötig, sondern wir alle, vor
allem wir Deutsche, die wir so viel wieder gut
zu machen haben und glauben, dies mit falscher
Solidarität einer umstrittenen israelischen
Politik gegenüber demonstrieren zu müssen. Dies
ist nichts als ein verlogenes, triefendes
Gutmenschentum, das die Isrealis in der Region
ans Messer liefern wird. Und während das
Publikum seinen Wunschträumen nachzuhängen
scheint, drängt sich mir der Verdacht auf, dass
Küntzel das weiß – denn er weiß, welche
Bausteine der Wahrheit er ausgelassen hat und
wie er also das absolute Feindbild Iran aufbaut.
Ganz so, wie man früher die Juden entmenschlicht
hat und mit vergleichbaren Metaphern
dämonisierte – und nach wie vor heute. Derlei
Metaphern kritisiert er zurecht in Bezug auf die
Anwendung auf Israel – jedoch deren Anwendung
auf Palästinenser oder den Iran lässt er einfach
unerwähnt.
So
konstruiert man einen Antisemitismus jenseits
der Realität, wie dies auch bei dem Verweis auf
Demonstrationsslogans geschah. Nun ist
„Kindermörder Israel“ sicher keine akzeptable
Formulierung und erinnert in der Tat an das alte
antisemitische Motiv vom Ritualmordvorwurf – mit
dem Verweis auf diesen Zusammenhang aber die
vielen getöteten Kinder zu rechtfertigen bzw.
sie der Hamas als Hauptverantwortlichem in die
Schuhe zu schieben, geht denn doch an
einseitiger Menschenfreundlichkeit zu weit. Den
moralischen Anspruch und vor allem die
beanspruchte Rationalität, verbunden mit dem
Wunsch, die dummen Palästinenser einmal
aufzuklären (so ein Vorschlag aus dem Publikum),
hat man an dieser Stelle längst verwirkt.
Dafür erhielt der ehemals linke und sich nun von
jedem Antisemitismusverdacht reinwaschende
Referent, der dafür sogar Israel ans Messer
liefern würde, in Nürnberg begeisterten Beifall.
Logisch war weder die Argumentation, noch die
Reaktion – aber Hauptsache und für alle
Anwesenden selbstentlastend. Wieder einmal
konnte die „Stadt der Menschenrechte“ ihrem
Anspruch nicht genügen. Wie die Geschichts- und
Ethiklehrer mit dieser Art der Entmenschlichung
ganzer Kulturkreise umgehen, würde mich brennend
interessieren, denn offentlich ist eine Mehrheit
von gutmeinenden Menschen heute nur auf
vergangene Entmenschlichungsmuster
spezialisiert. Mit dem Verweis auf die
nationalsozialistische Zeit wird aber
offensichtlich nicht viel mehr als
Selbstidealisierung betrieben und fleißig weiter
gehasst.
In
der Tat: es gibt viel und zunehmenden
Antisemitismus in der so genannten islamischen
Welt. Das ist Fakt, ungut und kontraproduktiv.
Diesen einer Irrationalität angesichts der
realen Fakten vor Ort und in der Rhetorik der
mächtigen Staaten zuzuschreiben, verhindert eine
Bekämpfung desselben. Im Gegenteil, jeder
ernsthaft an Frieden in der Region Interessierte
weiß, dass die Solidarität mit einer
menschenverachtenden Politik von Überlegenen den
Verdacht gegen die so Geschonten verstärken wird
– geschont wird übrigens nur die politische
Klasse, nicht die heterogene Bevölkerung und
schon gar nicht die israelische
Friedensbewegung. Die vermeintlichen
Israelfreunde, die aus falsch verstandener
Solidarität Menschenrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen decken und gar noch zu
rechtfertigen suchen, haben nicht nur ihre
Menschlichkeit, sondern auch ihre
Glaubwürdigkeit verraten.
Mit
einem anderen Zitat von Amos Oz, als das was
Küntzel ausgewählt hatte, soll deutlich werden,
wie echte Solidarität mit Israel aussieht: „Ihr
Deutschen sollt Euch nicht für eine Seite
entscheiden, ihr müsst für den Frieden sein –
und den kann es nur für alle geben!“
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