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Gnade für Mord – Ein Geständnis ohne Reue

Felicia Langer

 

Am 12. April 1984 wurde in Israel ein Omnibus der Linie 300 entführt.  Zwei der vier palästinensischen Kidnapper kamen lebend aus dem Bus: Madschdi Ali Abed el Fatah und Subhi Shahade  Abu Dshuma, die beiden  anderen starben, als der Bus von der israelischen Armee gestürmt wurde.

 
 

Zorn und Hoffnung

Autobiographie

Taschenbuch. 453 S., ( Tb)
Mit Abb., Kartoniert

Ich habe die Familien von Madshdi und Subhi als Anwältin in Israel vertreten und die Geschichte in meiner Autobiographie „Zorn und Hoffnung“ im Jahre 1990 veröffentlicht für unsere und die zukünftigen Generationen: Es war „Die Affäre von Omnibus 300“.
 

Am 2. Februar 2013 zeigte Haaretz-online ein Foto eines der damaligen Bus-Entführer und darunter stand ein Text, der mich schockierte: „Das geheime Beweismaterial der Affäre Bus 300 wird jetzt zugänglich sein.“ (Gidi Weiz, Haaretz-online)

Weiter lautete der Text, ein Zeugnis expressis verbis: „Ich habe Geschrei auf Arabisch gehört, Weinen. Sie haben auf ihnen gestanden, sie sind auf das Gesicht getreten, haben sie auf den Bauch und die Hoden geschlagen. Ich habe gezittert.“  - Und ich auch.

 

Was geschah mit den Familien in Beni Suhela und Khan Yunis? Der Onkel von Madshdi wurde nach Gaza geschickt, auch die anderen Angehörigen und ihre Verwandten, zum Identifizieren. In meinem Buch schrieb ich: „Als der Onkel zu Hause in Beni Suhela angekommen war, empfingen ihn seine Verwandten und teilten ihm mit, Madschdi sei am Leben! Sie erzählten von einer Journalistin, die gekommen sei und ihnen ein Foto gezeigt hatte, auf dem

Madschdi ohne irgendwelche sichtbaren Verletzungen vom Bus abgeführt wird. Die Mutter Fatma und alle anderen identifizierten ihn mit Sicherheit und erkannten sogar seine Armbanduhr. Der Onkel zögerte erst, aber dann erzählte er, daß er den Leichnam von Madschdi identifizieren mußte und daß er bereits beerdigt sei. Die Familie, die gerade den gesunden, lebendigen Sohn auf dem Foto gesehen hatte und überzeugt war, daß er im Gewahrsam der Sicherheitsbehörden sei, traf der Schock.

 
Ganz ähnlich erging es der Familie von Subhi. Die offiziellen Meldungen waren widersprüchlich… (In meiner Anzeige hieß es unter anderem) „Wie ungeheuerlich der Gegenstand der Anzeige meiner Mandanten ist, darüber braucht man kein Wort zu verlieren. Die Sache reicht weit über die Tötung selbst  hinaus. Sie wird zu einem Problem der Moral und der Wahrung des Gesetzes für die, die im  Auftrag des Staates handeln, per se und gegenüber jeder anderen Person, die sich in ihren Händen befindet. Es wäre überflüssig, hier auch noch die Perspektiven, die sich aus dem Völkerrecht ergeben, zu betonen, da die Verstorbenen, die von den Streitkräften gefangengenommen wurden, Bewohner besetzter Gebiete sind. In Anbetracht des oben Gesagten möchten meine Mandanten erreichen, daß diejenigen, die den Tod ihrer Söhne verschuldet haben, vor Gericht gestellt  werden.“

 

Die Behörden ignorierten meine Schreiben, so blieb nichts anderes übrig, als das Oberste Gericht mit der Forderung anzurufen,  alle Befunde und Protokolle der Ermittlungskommission unter dem Vorsitz des Generals  der Reserve Meir Sorea herauszugeben. Ich schrieb in meinem Antrag unter anderem: „Die Tatsache, daß man die Antragsteller ignoriert, als seien sie rechtlos, erweckt den Verdacht, daß die Ermittlung lediglich als Alibi für die Kritiker in Israel und zur Verbesserung des Ansehens  im Ausland dienen soll. Die Wahrheit soll nämlich vertuscht und hochrangige Persönlichkeiten sollen von ihrer Verantwortung willkürlich entlastet werden.“

 

Ich wandte mich an den Rechtsbeauftragten der Regierung, Professor Yizhak Samir, und beantragte, weitere Einzelheiten zu erfahren. Da der Bericht der Geheimhaltung unterworfen sei, so seine Antwort, könne er mir keine Angaben zur Sache machen. Allerdings entschieden sich drei Shin-Beth-Agenten, nicht länger zu schweigen, und berichteten dem Premierminister, der gemäß Gesetz für die Aktivitäten des Shin Beth verantwortlich ist, daß der Chef des Shin Beth und andere die Sorea-Kommission  und andere belogen und daß Shin-Beth-Agenten die Entführer getötet hatten. Der Premierminister entschied sich sehr schnell und feuerte die ‚Denunzianten‘.  Die riefen ihrerseits das Oberste Gericht an, um der Entlassung zu widersprechen, und dadurch platzte die Affäre.

 

Infolge der Veröffentlichungen in der ausländischen Presse tauchten auch in Israel Meldungen auf, wonach Prof. Samir beschlossen hatte, gegen den Chef des Shin Beth zu ermitteln. Der Mann wurde verdächtigt, seinen Beamten befohlen zu haben, die zwei Kidnapper zu töten. Auf seine Anweisungen hin wurden die Agenten des Shin Beth, die in die falschen Aussagen verwickelt waren, ihrer Ämter enthoben.

 

Im weiteren Verlauf wandten sich alle Shin-Beth-Agenten, die in diese Affäre verwickelt waren, an den Staatspräsidenten,  um begnadigt zu werden. Und sie wurden tatsächlich von ihm begnadigt, bevor sie verurteilt waren. Prof. Samir dagegen bezahlte für seine mutige, konsequente Haltung in dieser Affäre mit seinem Amt.

 

Am 6. Juli 1986, zwei Jahre nach dem ersten Antrag, reichte ich einen weiteren Antrag Im Namen der Familien der Entführer ein, in dem die zuständigen Stellen der Regierung und der Staatspräsident  aufgefordert wurden, darzulegen, wie es zur Vertuschung der Verbrechen durch höchste Regierungsstellen und zur Begnadigung der Täter durch das Staatspräsidium kommen konnte.

Das Gerichtsurteil, das im Oktober 1986 gefällt wurde, war enttäuschend. Meine Kritik an diesem Urteil wurde in der Zeitung „Haaretz“ vom 11. Oktober unter der Überschrift „Recht, das nicht gesprochen wurde“ veröffentlicht.

Hier ein Auszug:

„… Aber es fehlen nicht nur die Fakten im Urteil. Das Oberste Gericht zog es darüber hinaus vor, bei seiner Prüfung der Begnadigung seitens des Präsidenten nicht ins Detail zu gehen und begnügte sich mit der Klärung der Frage der Kompetenz, Gesetzesbrecher, die noch nicht verurteilt sind, zu begnadigen.

Im Urteil des Richters Barak, das im Gegensatz zu seinen beiden Richterkollegen in Zukunft von Demokraten als Meinung der Minderheit öfter zitiert werden wird, wonach der Präsident nicht die Kompetenz besaß, die Agenten des Shin Beth zu begnadigen, wird eindeutig festgestellt, daß es ‚keine Sicherheit ohne Gesetz gibt‘.

Die Erwägungen, die den Präsidenten bei der Entscheidung über die Amnestie geleitet haben, wurden aber nicht im einzelnen zur Sache geprüft.

 

Hätten die Richter eine tiefgehende juristische Kritik in bezug auf die Handlungen des Präsidenten angewandt und seine Begründungen im einzelnen kritisch beleuchtet, hätten sie zwangsweise feststellen müssen, ob er willkürlich handelte oder von fremden Überlegungen bei der Begnadigung geleitet worden ist. Sie hätten feststellen müssen, ob es darum ging, wie der Präsident erklärt hat, diesen ‚Teufelstanz‘ um die Affäre zu beenden und Schaden von dem Shin Beth abzuwenden, und ob die Begnadigung zu diesem Zweck Rechtens war. Jene, welche die Demokratie verteidigten und die Vertuschung der Verbrechen aufdeckten, wurden verteufelt, und das Gericht  zitiert die Verteufelung ganz neutral.

 

Wenn der Tag kommt, an dem man dieses Gerichtsurteil in unseren Hochschulen lehrt, wird man seine konstitutionelle Bedeutung betonen. Einige werden dann bestimmt die Frage stellen: Wie war es möglich, daß der Präsident Anstifter zum  Mord, Mörder und solche, die Beweismittel erfunden haben und das Gericht behinderten, damit diese wegen ihrer verbrecherischen Handlungen nicht verurteilt werden können, begnadigte, und wie war es möglich, daß das Gericht es vorgezogen hat, ihn deshalb nicht zu kritisieren?

 

Die Familienangehörigen der Opfer in Beni Suhela formulieren ihr Erstaunen und ihre Enttäuschung in einer einfachen Sprache: ‚Uns und unseren Söhnen gegenüber wurde kein Recht gesprochen.‘ “

 

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Ich habe gestern, am 5. März 2013, alle sechs Shin-Beth-Direktoren in dem Film „The Gate-Keepers“, auf Deutsch „Töte zuerst“, gesehen und gehört. Es war das erste Mal in meinem Leben.

23 Jahre lang habe ich gegen ihre Taten vor den Gerichten  gekämpft und gesehen, was für eine Justiz es ist, die sich vor dem Shin Beth beugt…

Der am meisten Gesuchte für mich war Abraham Shalom, Shin Beth-Direktor in den Jahren 1980 bis 1986, der befohlen hatte, die Söhne meiner Mandanten  zu ermorden und es in dem Film vor laufender Kamera gestanden hat. Der Filmemacher hat ihn nach Einzelheiten gefragt und er antwortete, er habe den Chef des Einsatzes  gefragt: „In welchem Zustand sind sie?“ Er antwortete, sie seien „fast tot“. Ich sagte ihm: „Schlag sie weiter. Mach ein Ende.“

 

 

„Ich denke, er nahm einen Stein, um den Schädel zu zerschlagen.“ Der Filmemacher Dror Moreh fragte Abraham Shalom, warum er es befohlen hat, und er antwortete: „Ich wollte keine lebenden Terroristen mehr vor Gericht sehen.“

„Und die Moral?“ hat Dror Moreh gefragt und die Antwort lautete: „Wenn es um Terror geht, gibt es keine Moral.“

Das ist eine schockierende Aussage des alten Mannes, kaltblütig wie die anderen fünf Direktoren, ohne Reue.

 

Abraham Shalom gesteht, daß das eine Besatzung ist, wo die Armee der deutschen Okkupationsarmee ähnelt  – „nicht, was die Juden betrifft“… Er ist für Gespräche mit allen, Hamas und Ahmadinedschat, er ist für Frieden.

 

Auch die anderen fünf Shin Beth-Direktoren sind voller Kritik gegenüber der israelischen Politik, die sich mit Taktik befaßt und nicht mit Strategie und sie sagen, daß sie jede Schlacht gewonnen haben, aber den Krieg verloren… Über das Leid ihrer Opfer sagen sie kein einziges Wort.

 

Nach vielen Jahren meiner Tätigkeit und vielen Toten haben sie mir ihr wahres Gesicht gezeigt: Es hat mir bestätigt, daß der Kampf gegen das Unmenschliche so wichtig ist. Für immer.

 

 

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