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Raketen als einzige Perspektive für den Nahen Osten?
Alternativen zur militärischen Konfliktbewältigung zwischen Israelis und Palästinensern

Von Mohammed Khallouk

 

Frieden durch militärische Sicherheit oder Krieg als Dauerzustand?

Die erneute Eskalation der Gewalt zwischen der israelischen Armee und der islamistischen Palästinenserbewegung Hamas im Gazastreifen hat selbst bei Daueroptimisten Zweifel aufkommen lassen, ob ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern überhaupt erreichbar ist. Tagtäglich bestimmen Berichte von Toten, Verletzten und zerstörten Häusern aus dieser Region die Medien vor Ort und weltweit. Wut und Verzweifelung mischt sich mit Resignation und Hoffnungslosigkeit. Zwar gibt es zumindest von israelischer Seite militärische „Siege“ zu vermelden, gegenseitiger Hass und darauf sich stützende Gewaltbereitschaft pflanzt sich auf dieser Weise jedoch noch tiefer ins Bewusstsein. Während in der gesamten arabischen Welt das traditionelle „Feindbild Israel“ und damit einhergehend der gesamte Westen zur Ablenkung von Versäumnissen der gesellschaftspolitischen Verantwortungsträger herangezogen werden kann, versperrt sich die israelische Seite durch ungerechtfertigte und maßlose militärische Gewaltanwendung die psychologische Grundlage für die offiziell erstrebte Akzeptanz bei den es umgebenden Nationen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Hinterfragen der bisher verfolgten Strategien und Zielsetzungen unerlässlich, um für die Region doch noch eine Perspektive für eine zivilisatorische Entwicklung und den Aufbau einer beiderseits akzeptierten Gesellschaftsordnung zu erreichen. Kennt die Ethik beider Religionen, Islam wie Judentum, auf welche die Akteure sich zur Legitimation berufen, keine humaneren Umgangsformen als das „Auge um Auge – Zahn um Zahn“? Steht das israelisch-palästinensische Verhältnis tatsächlich als Beleg für die These eines „unvermeidlichen Kampfes der Kulturen“, der immerfort mit Gewalt ausgetragen wird? Wer diese Fragen verneint, sieht sich zu einem aktiven Beitrag aufgefordert, um von der Sprache des Blutes zur Sprache der Handreichung und der Worte zurückzukehren.

 

Anforderungen an die Palästinenser

Die Hamas und darüber hinaus die palästinensische Seite insgesamt sollten erkennen, dass sich utopische Großpalästinaziele mit technisch unbedeutend ausgerüsteten Raketen nicht erreichen lassen, zumal man einem Kontrahenten gegenübersteht, der über eine der modernsten Armeen des Globus verfügt und sich hierfür permanent mit Nachschub zu versorgen in der Lage ist. Die eher symbolisch wirkenden „Nadelstiche“ stehen in keinem Verhältnis zu dem Leid, das die eigene Bevölkerung durch die darauf folgende israelische Reaktion zu ertragen hat, welche zudem jeglichen Aufbau moderner Infrastruktur für einen erstrebten Palästinastaat konterkariert. Ein zukunftsfähiges Palästina lässt sich nicht gegen, sondern nur im Einklang mit dem israelischen Nachbarn errichten, der bereits über die Ressourcen verfügt, welche die Palästinenser für sich ebenfalls zu Recht beanspruchen. Anstatt der Aufrechterhaltung eines unrealistischen Kriegsziels erfordert es, die Israelis im Dialog davon zu überzeugen, dass ein lebensfähiger Palästinastaat, getragen vom Selbstbestimmungsrecht der Civil Society, nicht nur für die Palästinenser, sondern ebenso für ihre eigene Nation einen unschätzbaren Gewinn darstellt. Darüber hinaus sollte die Energie, die derzeit für einen nicht erfolgversprechenden Krieg vergeudet wird, eingesetzt werden, die arabischen Brudernationen wie die westlichen Staaten für ein Engagement im Sinne der Palästinenser und ihrer kollektiven Rechte heranzuziehen. Erst das Bewusstsein der Abhängigkeit von auswärtiger Unterstützung verhindert die Fixierung auf solitäre Aktionen, die sowohl politisch als auch militärisch nur in Niederlagen hineinmünden können.

 

Anforderungen an die Israelis

Israel sollte sich von der Illusion verabschieden, sein militärisches Potenzial und dessen permanente Einsatzbereitschaft werde kollektive Sicherheit garantieren können. Auf diese Weise wird der Konkurrent geradezu animiert, sich selbst modernere Waffensysteme zuzulegen und diese gegebenenfalls einzusetzen. Selbst wenn es bei dem hieraus entstehenden Rüstungswettlauf gelingen sollte, den objektiven militärisch-technologischen Vorsprung aufrecht zu erhalten, das subjektive Sicherheitsbewusstsein wird sich zu keiner Zeit einstellen, da man permanent befürchten muss, der tatsächliche oder fiktive Feind werde in Zukunft seinen gegenwärtigen Rückstand aufgeholt haben. Der Rüstungsindustrie im In- und Ausland bleiben hierdurch zwar die Aufträge gesichert, das angestrebte politische Ziel eines Friedens in Sicherheit bei kollektiver Akzeptanz des eigenen Existenzrechts wird sich nie erreichen lassen. Der bewusste Verzicht auf militärische Machtdemonstrationen ist hingegen eine Grundlage, von der aus Vertrauen beim Gegenüber aufgebaut werden kann. Dieses Vertrauen erweist sich als notwendig, um in einem ernsthaften Friedensdialog für die eigenen Positionen Verständnis zu erreichen. Die Bereitschaft der Gegenseite, sich von radikalen unrealistischen Zielen zu distanzieren, kann gefördert werden. Weiterhin erfordert es, einzusehen, dass ein Volk ohne permanente Demütigungen eher in die Lage versetzt wird, den Ausgleich im Miteinander zu suchen, wovon sowohl Israelis als auch Palästinenser und darüber hinaus die gesamte Region profitieren können. Eine palästinensische Civil Society, die sich in ihren nationalen Rechten auf staatliche Souveränität, politische Selbstbestimmung und zivilisatorische Entwicklung ernst genommen und unterstützt empfindet, wird auf Dauer Israel gleichermaßen seine berechtigten Existenzansprüche zugestehen. Hiermit stellt sie zugleich einen langfristigen Garanten für die israelische Sicherheit dar.

 

Anforderungen an die westliche Staatengemeinschaft

Mag der Westen als Hauptlieferant militärischen Nachschubmaterials ökonomisch von der Gewalteskalation im Nahen Osten profitieren, politisch erweist sich die Passivität,  einhergehend mit ungeeigneten und zudem von den Bevölkerungen vor Ort als einseitig wahrgenommenen Erklärungen der politischen Eliten als kontraproduktiv. Dem gleichzeitig immer wieder propagierten Ziel einer Durchsetzung des Völkerrechts und des demokratischen Prinzips auf internationaler Ebene wird entgegengewirkt. Radikale, gegen die westliche Werteordnung eingestellte Bewegungen erlangen Legitimität und korrupte, absolutistisch herrschende Machtpotentaten sehen ihr den universellen Menschenrechten entgegenstehendes System stabilisiert. Moderne westliche Leitideale, die in keiner Weise mit der konkreten westlichen Politik assoziiert werden, erfahren jenseits des westlichen Zivilisationsgebiets keine Attraktivität, so dass radikale Islamisten, die ihre erstrebten Ordnungsstrukturen aus der eigenen zivilisatorischen Historie zu ziehen verstehen, als eine Alternative erscheinen. Um seinen politisch-zivilisatorischen Grundsätzen universelle Gültigkeit zu garantieren, ist ein aktives Engagement des Westens im Sinne eines Friedens im Nahen Osten unerlässlich. Hierzu gehört in erster Linie, die Asymmetrie des israelisch-palästinensischen Verhältnisses anzuerkennen, sowie ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Palästinenser als in jeglicher Hinsicht schwächere Partei die Hauptunterstützung benötigen. Hieraus folgt, die kontraproduktive Boykottpolitik gegenüber der Hamas, die von vielen Pälestinensern als rechtmäßige Interessenvertretung wahrgenommen wird, aufzugeben und jegliche militärische Belieferung Israels – momentan die einzige mutmaßliche Atommacht im Nahen Osten – auszusetzen. Zugleich erfordert es, beide Konfliktparteien über diplomatischen Druck zur Dialogbereitschaft zu bringen und hierfür selbst als Moderator bereit zu stehen.

 

Religiöse Ethik als Basis friedlicher Konfliktlösungsbereitschaft

Letztlich erweist sich der Dialog mit gegenseitiger Garantie zum bewussten Verzicht auf die gewaltsame Konfliktlösung als einzige Perspektive, die sich immer weiter drehende Spirale des Hasses und der Feindseeligkeiten zu durchbrechen. Die Religionen mit ihrer gemeinsamen, auf dem Schutz des Lebens und der Verpflichtung gegenüber dem Nächsten basierenden Ethik könnten als Fundament eines Aufeinanderzugehens dienen. Hierfür sind sie allerdings von den verantwortlichen Autoritäten tolerant und friedensfördernd auszulegen. Es gilt anzuerkennen und unentwegt darauf hinzuweisen, dass die religiöse Ethik den Menschen in den Mittelpunkt stellt und die humane Verpflichtung nicht hinter symbolischen Orten oder technischen Detailfragen zurückstehen lässt. Davon unabhängig verlangt der origin nicht religiöse, sondern politisch-territoriale Konflikt der Beseitigung der politischen Konfliktursachen, wofür die Frage des momentanen militärstrategischen Gleichgewichts als unerheblich erkannt werden sollte. So lange der Konflikt nicht von seiner Entstehung her aufgearbeitet und über politische Abkommen bewältigt worden ist, bleibt er virulent, unabhängig davon, über welches militärische Potential die eine oder andere Seite aktuell verfügen mag. Um der religiösen Instrumentalisierung und permanenten gewalttätigen Anheizung des Konflikts durch radikale Kräfte auf beiden Seiten entgegenzuwirken, erweist sich eine Einigung in der Jerusalemfrage als prioritär, wobei beiden Völkern in den majoritär von ihnen besiedelten Stadtteilen die politische Hoheit ebenso zuzugestehen ist wie der ungehinderte Zugang zu den Heiligen Städten für Angehörige ihrer jeweiligen Religion, sowohl der Klagemauer für die Juden als auch der al-Aqsa Moschee und des Felsendoms für die Muslime. Die Humanitätsverpflichtung im Alltag erfordert außerdem eine von beiden Seiten als gerecht empfundene Einigung über die Zukunft der jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten und hinsichtlich der palästinensischen Flüchtlingsproblematik. Wenn diese Kernkonflikte auf politischem Wege bewältigt werden, besteht die Voraussetzung für eine vom gegenseitigen Respekt getragene, friedliche Koexistenz von Juden und Muslimen im Nahen Osten und weltweit, wie sie vor dem Konflikt im gesamten Orient Jahrhunderte lang bestand und angesichts der gemeinsamen ethischen Wurzel in Stammvater Abraham eigentlich als Selbstverständlichkeit gelten sollte. Auf diese Weise lässt sich sowohl der „Kalte Krieg“ aus den Köpfen und Herzen langfristig überwinden als auch die Epoche des „Heißen Krieges“, der keinen dauerhaften Sieger hervorbringt, als dunkles Kapitel in der muslimisch-jüdischen Historie endgültig abschließen.

      

 

 
 

 

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