„Die Siedlerinnen spucken uns an“
Teresa Arrieta
Die Israelin Roni Hammermann gehört zu den Gründerinnen der
Menschenrechtsgruppe „Machsom Watch“, die an israelischen
Checkpoints drangsalierten Palästinensern beisteht. Angesichts
dieses Unrechts darf man nicht schweigen, sagt Hammermann, diese
Checkpoints „machen das Leben der Menschen zur Hölle“.
Die
Furche: Frau Hammermann, menschenrechtliches Engagement scheint
ein Markenzeichen Ihrer Familie zu sein.
Roni
Hammermann: Ja, mein Mann war Wehrdienstverweigerer im
Libanon-Krieg und meine Kinder sind sozial aktiv. Meine
Urmotivation für menschenrechtliches Engagement hat aber mit
meinem Großvater zu tun, der als orthodoxer ungarischer Jude
zusammen mit seinem jüngsten Sohn in Auschwitz ermordet wurde.
Es geht die Familiensaga, er habe einen jungen Lagerinsassen
angefleht, alles zu tun, um zu überleben, damit er berichten
kann, was hier passiert. Der Insasse überlebte tatsächlich, und
suchte nach dem Krieg meine Mutter auf und erzählte ihr alles.
Für mich war das ein Vermächtnis: Schau dich um und schweige
nicht, schweige nie, wenn du Unrecht in deiner Umgebung erlebst,
sei aufmerksam, lass dich nicht täuschen, und berichte. Denn
verschwiegenes Unrecht kann zur Katastrophe führen.
Die
Furche: Deswegen lassen Sie nicht locker, das an den
Palästinensern begangene Unrecht an den Pranger zu stellen.
Hammermann: Als ich 1969 von Österreich nach Jerusalem
auswanderte, befand sich das Land noch in der Euphorie des
Sechs-Tage-Krieges, Israel war auf einmal so groß geworden, mir
wurde jedoch bald klar, dass es sich hier um eine Okkupation
handelte. Seit damals bin ich in Menschenrechtsgruppen aktiv.
Die
Furche: Haben persönliche Erlebnisse diese Einstellung
ausgelöst?
Hammermann: Fuhr man in die besetzten Gebiete, kam man in eine
andere Welt, in der Israel das Sagen hatte. Dieser Mangel an
Symmetrie wurde mir während der ersten Intifada in Nablus
deutlich. Damals sah ich einen Jeep mit einem etwa achtjährigen
Jungen, die Hände am Rücken gefesselt, auf dem Weg zum
Militärgericht. Das war für mich das erste einschneidende
Erlebnis. Mein Sohn war damals im selben Alter und sah ihm sehr
ähnlich.
Die
Furche: Für Sie ist die erste Intifada der Wendepunkt in der
israelisch-palästinensischen Beziehung.
Hammermann: Anfangs waren die besetzen Gebiete vor allem ein
Reservoir für billige Arbeitskräfte; man wollte gar nicht so
genau wissen, was sich dort abspielt. Die Araber arbeiteten in
israelischen Küchen, am Bau, sie waren sozusagen unsichtbar für
die Israelis. Die erste Intifada war deswegen eine große
Überraschung: Was, die sind unzufrieden? Damals begriff der
Durchschnittsisraeli erst, dass die Palästinenser existieren und
dass sie sogar Rechte einfordern. Man begann, sie als Menschen
zu sehen, nicht mehr als bloße Arbeitskulisse. Der Aufstand war
ja gewaltfrei, wenn man vom Steine-Werfen absieht.
Die
Furche: Nach der ersten Intifada kam es zum Osloer
Friedensprozess. Dieser wird heute sehr oft als Farce und von
Beginn an zum Scheitern verurteilt abgewertet – wie stehen Sie
zu diesen Friedensbemühungen?
Hammermann: Damals hatten wir die Illusion, dass Friede möglich
wird. Unser Irrglaube war, dass die israelische Regierung
dasselbe wollte wie die Friedensbewegung. Als dann die zweite
Intifada mit all ihrer Gewalt ausbrach, war es ein umso
schmerzlicheres Erwachen. Wir hatten nicht wahrhaben wollen,
dass auch in den Oslo-Jahren die aggressive Okkupation mit ihren
Schikanen weitergegangen war: Die Siedlungen waren weitergebaut
worden, Gebiete teilweise einfach geraubt, und es gab auch schon
Checkpoints. Ich erinnere mich auch an den berühmten Aufruf des
früheren israelischen Premiers Yitzhak Rabins, „den
Palästinensern Arme und Beine zu brechen“, was die Soldaten ja
dann tatsächlich taten. Dann begannen die Selbstmordattentate,
die die israelische Gesellschaft schwer geschockt haben
Die
Furche: Haben Sie Verständnis für die israelische Reaktion auf
diese Attentate?
Hammermann: Der israelische Gegenschlag war unverhältnismäßig
stark: Die Hubschrauberattentate, die Einbrüche in Jenin, das
war ein richtiger Feldzug, bei dem die halbe Stadt zerstört
wurde. Es gibt eben den Terror der Starken und den Terror der
Schwachen. Dann lasen wir in den Zeitungen, dass
palästinensische Frauen an den Checkpoints gebären mussten, weil
die Soldaten sie nicht durchließen. Das hat mich erschüttert.
Ich habe mich drei Israelinnen angeschlossen, die zu den
Checkpoints gegangen sind. So kam es zur Gründung von „Machsom
Watch“.
Die
Furche: Das war 2001, in der Zwischenzeit ist Ihre Organisation
auf 400 Mitglieder angewachsen – ausschließlich Frauen, warum?
Hammermann: Wir sind nur Frauen, weil diese sowohl für Soldaten
als auch für Palästinenser keine Bedrohung darstellen. Wir haben
uns das Recht errungen, an den Grenzposten zu stehen. Wir gehen
zwei Mal täglich dorthin. Wir beobachten, wir schreiben auf, wir
mischen uns ein. Wenn es zu Gewalt kommt, stellen wir uns vor
die Palästinenser. Nach jeder Schicht schreiben wir einen
Bericht, den wir auf unserer Website publizieren, es gibt auch
einen Jahresreport. Wir wenden uns an die Armee, an die Knesset,
an Menschenrechtsorganisationen und an die Medien.
Die Furche: Fotos zeigen Aktivistinnen, die gefesselten und
knienden Palästinensern Wasser geben.
Hammermann: Menschen müssen stundenlang in der prallen Sonne
ausharren oder im Regen, in Einpferchungen aus Beton.
Schwerkranke werden nicht durchgelassen, Studenten kommen nicht
an die Uni, Schüler verpassen Prüfungen, Geschäftsleute ihre
Termine. Aber seit wir da sind, müssen die Frauen nicht mehr auf
der Erde entbinden. Die Checkpoints sind der augenscheinlichste
Ausdruck der Besatzung. Sie sind Teil der Politik der
Abriegelung, mit deren Hilfe man die Bevölkerung unter Kontrolle
hält.
Die
Furche: Dienen die Checkpoints nicht auch zur Abwehr von
möglichen Attentätern?
Hammermann: Im Gegenteil, sie stellen ein Sicherheitsrisiko dar,
da die täglichen Demütigungen Wut erzeugen. Wer einen Anschlag
plant, kann die Checkpoints umgehen. Aber sie sind ein wirksames
Instrument zur Aufrechterhaltung der Besatzung. Sie machen das
Leben der Menschen zur Hölle, sie bestrafen sie für Verbrechen,
die andere begangen haben. Der ehemalige Geheimdienstchef Ami
Ajalon nannte sie die „Brutstätten des Hasses“. Von den 65
bemannten Checkpoints befinden sich nur neun im Grenzgebiet.
Alle anderen dividieren Dörfer auseinander. Diese inneren
Sperren dienen dem Schutz der israelischen Siedlungen. Die
israelischen Sicherheitskräfte sind also zu einer
Verteidigungsarmee der Siedler geworden, und sie kontrolliert
auch die Abriegelungen der Siedlerstraßen – die Siedler haben
eigene bequeme Straßen, die von den Palästinensern nicht
befahren werden dürfen. Wir nennen sie Apartheidsstraßen.
Die
Furche: Und der Mauerbau trägt wohl auch noch seinen Teil zur
Verschärfung der Situation bei…
Hammermann: Die Mauer trennt Familien, sie trennt Bauern von
ihrem Acker. Menschen werden zu illegalen Insassen ihrer eigenen
Wohnung. Alles dreht sich nur noch um die richtige
Identitätskarte.
Die
Furche: Wie reagieren die jüdischen Siedler auf Ihre Tätigkeit?
Hammermann: Nicht die Soldaten greifen uns an, sondern die
Siedlerinnen. Ausgerüstet mit Videokameras kommen sie mit
anderen Rechtsextremistinnen, werfen Wasser auf uns, spucken uns
an, beschimpfen uns. Sie versuchen, uns dabei zu filmen, wie wir
uns wehren, um uns in der Öffentlichkeit als aggressiv
darzustellen.
Das
Gespräch führte Teresa Arrieta.
Israelin,
Wienerin, Aktivistin
Roni
Hammermann wurde 1940 in Israel geboren und verbrachte dort die
ersten sechs Jahre ihres Lebens. Hammermann: „Mein Vater war
Kommunist, er wurde 1934 in Wöllersdorf interniert, und nur
unter der Bedingung entlassen, nach Israel auszuwandern, er war
kein Zionist. 1947 kehrten wir nach Wien zurück, mein Vater
träumte davon, hier am Aufbau einer neuen Gesellschaft
mitzuwirken. Ich hingegen wusste bereits während meiner Wiener
Schulzeit, dass Israel meine Heimat ist.“ 1969 kehrte Hammermann
nach Israel zurück. Sie war zuerst an der Hebräischen
Universität von Jerusalem Lektorin für slawische Literatur,
jetzt ist sie dort Bibliothekarin. Seit ihrer Ankunft in Israel
engagierte sie sich auch als Menschenrechtsaktivistin. 2001wurde
sie zur Mitbegründerin von „Checkpoint Watch“ (hebräisch „Machsom
Watch“), einer Frauenorganisation, die sich gegen den
entwürdigenden Umgang mit Palästinensern an israelischen
Checkpoints wendet.
Weitere
Info: www.machsomwatch.org
Quelle:
Die Furche,
Nr. 30, 28. Juli 2005, S.9
Wochenzeitung
für Gesellschaft, Politik, Kultur, Religion und Wirtschaft
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