Frauen für Menschenrechte
Klaus Maffei,
15.09.2007, 21:36
Dieser Bericht handelt von
Roni Hammermann, einer Israelin, die im Moment deutsche Schulen aufsucht um
Berichterstattungen der Situation Israel/Palästina vor Ort in einen Vortrag
zusammenzufassen. Sie ist 1969 von Österreich nach Jerusalem ausgewandert.
Ihr Mann war Wehrdienstverweigerer im Libanon-Krieg und ihre Kinder, sagt
sie, sind sozial aktiv. Ihre Urmotivation für menschenrechtliches Engagement
habe mit ihrem Großvater zu tun, der als orthodoxer ungarischer Jude
zusammen mit seinem jüngsten Sohn in Auschwitz ermordet wurde. „Für mich war
das ein Vermächtnis: Schau dich um und schweige nicht, schweige nie, wenn du
Unrecht in deiner Umgebung erlebst, sei aufmerksam, lass dich nicht
täuschen, und berichte. Denn verschwiegenes Unrecht kann zur Katastrophe
führen.“
Roni Hammermann ist Mitglied
von „Machsom Watch“, einer Menschenrechts-Basisorganisation, der heute knapp
500 Aktivistinnen angehören, welche als Antwort auf wiederholte
Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser im Januar 2001 gegründet
wurde. Ihre Freiwilligen patrouillieren regelmäßig in Schichten an
militärischen Kontrollpunkten innerhalb der Westbank und um Jerusalem.
Alleinig aus Frauen bestehend ist dieser Zusammenschluss einzigartig und
hält mit seinem Handeln die inhärente Würde des Menschen auf eine einmalige
Art und Weise aufrecht.
Das klare Ziel hinter
Machsom Watch ist, dass die Frauen nach ihren Erlebnissen „Zeugnis ablegen“
– sie beobachten und dokumentieren ihre Beobachtungen und berichten einer
breiten nationalen und internationalen Öffentlichkeit darüber. Sie wenden
sich an die Armee, an Menschenrechtsorganisationen, an die Medien und an die
Knesset, das israelische Einkammer-Parlament. Die Organisation erfährt aus
erster Hand, was genau an den Kontrollpunkten passiert, und ist deswegen
sehr gut informiert. Es ist die einzige Bürgerrechtsgruppe, die ständig
anwesend ist und deren Angaben zur Situation an den Kontrollpunkten auf dem
aktuellen Laufenden sind. Zweimal täglich an sechs Wochentagen werden etwa
20 Militärkontrollpunkte innerhalb der Westbank (um Jerusalem, in der
Südregion bei Hebron und in der nördlichen Zone nahe Dschenin und Barta'a)
überwacht: Teams aus vier bis sechs Frauen nehmen ihren eigenen Privatwagen
oder werden beispielsweise von einem israelisch-arabischen Taxifahrer zum
Bestimmungsort gebracht. Sie beobachten die Soldaten und werden von diesen
im Gegenzug gesehen. Die meisten dieser Frauen könnten vom Alter her die
Mütter (wenn nicht gar die Großmütter) der Soldaten sein und sind sich
dieser möglichen psychologischen Wirkung bewusst.
Als Aktivistin von Machsom
Watch bezeichnet Roni Hammermann die Politik Israels als „Politik der
Abriegelung“ und Beschränkung der Bewegungsfreiheit, eine Kontrolle der
Zivilbevölkerung und willkürliche Verhaftungen von Personen als
Kollektivbestrafung. Die Checkpoints und Straßenbarrieren – zumeist Erdwälle
sind oft nur zu Fuß zu überwinden. Dabei sind Betonblöcke, Felsen, Schranken
Stacheldraht, Zäune und Mauern als administratives System angelegt worden“,
berichtet sie.
Nach dem Untergang des
Osmanischen Reiches gehörte das Westjordanland, auch Westbank genannt, zum
britischen Völkerbundsmandat Palästina, wurde von der UN-Vollversammlung im
Teilungsplan von 1947 dem zu gründenden arabischen Staat zugesprochen und im
1. Nahostkrieg 1948/49 von Jordanien besetzt. Seit der Eroberung im
Sechstagekrieg 1967 wird es von Israel besetzt und besiedelt bzw. macht den
Großteil des palästinensischen Autonomiegebietes aus. Die Absperrung der
besetzten Gebiete fand nach dem 6-Tage Krieg statt. Vor der Besetzung der
Westbank durften sich die Palästinenser noch frei in Israel bewegen, vor
allem aus dem Grund der wirtschaftlichen Integration.
„Seit dem Golfkrieg 1991 gab
es eine Änderung und es konnten nur noch solche passieren, welche als
Privileg eine verschiedene Gültigkeit von Pässen und Erlaubnissen bekommen
konnten“. Hohe Persönlichkeiten hätten damit kein Problem, jedoch aber der
Rest der Bevölkerung. Diese Permissionen seien nötig, in einer Segmentierung
durch das Passsystem verwaltet durch ein Direktorium. Die jüdischen
Siedlungen sind in den letzten 20 Jahren angewachsen und werden durch
palästinensisches Land voneinander getrennt, die Aufteilung erfolgte in
verschiedene Kantons und man kann in manchen Fällen nicht mehr überall
hinreisen. Durch den Schutz und die Bewachung der jüdischen Siedlungen sei
das unmöglich geworden.
Seit 2000 habe sich der
Zustand vor Ort verändert, es gäbe große Reibungspunkte an den Checkpoints
beispielsweise bei einem Arzt- oder Familienbesuch. Studenten kommen nicht
an die Uni, Schüler verpassen Prüfungen, Geschäftsleute ihre Termine. Die
Überschreitung der Kontrollstationen ist in vielen Fällen nötig. Die
Checkpoints, großteilig innerhalb der besetzten Gebiete, existieren im
Moment beispielsweise im Umkreis von Jenin, Tulkarm, Nablus, Ramallah oder
Jerusalem. Nablus Area hat zum Beispiel 11 Checkpoints und 9 jüdische
Siedlungen ganz in der Nähe.
Die Anzahl der Barrieren ist
gewachsen, seit 2005 sind es ca. 546 Erdwälle und 75 bemannte Checkpoints.
Auch die Beschaffung der Checkpoints hat sich im Lauf der letzten Zeit
verändert, erzählt sie. Zuerst war Beton und Stacheldraht der Hauptbaustoff,
später wurden die Punkte ausgebaut. Die Ausstattung wurde verstärkt und
modernisiert. Für Wartende gibt es Dächer, Gitter oder Drehkreuze und noch
mehr Beton. Die Leute drängen sich dahinter und bleiben oft stecken. Die
Soldaten sind teilweise durch elektrische Knöpfe mit den Wartenden
verbunden, die Fenster sind aus kugelsicherem Glas. „In den Gängen mit
Gittern fühlt man sich wie ein Raubtier in der Manege“, sagt Roni
Hammermann.
Die Schranken bestehen
neuerdings aus riesigen Gebäuden. „Es soll keine Routine entstehen“, so die
Aussage von Soldaten, die zum Teil nur über Lautsprecher mit den Menschen
kommunizieren. Die Wartenden können sich in diesem Fall schwer mitteilen,
die Terminals sind stark entpersonalisiert und entfremdet sagt sie. „Eine
psychologische, administrative grausame Form der Machtausübung“. Es könne
keine Bitte vorgebracht werden, denn es werde bürokratisch agiert.
Passierscheine werden ausgestellt, um einen Tag, eine Woche oder mehr zu
genehmigen. Alles werde genauestens observiert. Passierscheine zum Arbeiten
würden bei der Zivilbehörde ausgestellt. Durch ein kugelsicheres Fenster
wird man öfters zusätzlich mit einem Gewehrlauf bewacht, zu sehen ist das
ganze auf der Internetpräsenz von Machsom Watch.
Bei einem Checkpoint in
Jerusalem gab es einen Fall, sagt Roni, bei dem ein Mann, der mit seinem
Sohn der zu einer Dialyse musste, eigentlich eine Erlaubnis hatte. Er durfte
nicht durch, obwohl er sich vor Tagen einen Passierschein geholt hatte. Der
Junge wollte essen und trinken, denn die beiden waren seit 6 Uhr Morgens auf
den Beinen. Dem Mann wurde erst drei Tagen zuvor verboten einzureisen. Ihm
selbst war das nicht klar gewesen, er hatte keine Information bekommen. Ein
Verwandter musste gesucht werden „Das alles hat dann natürlich 2-3 Stunden
gedauert“, berichtet die Aktivistin.
Alle Entscheidungen werden
ungültig, wenn Feiertage sind oder Gefahr droht. Die Checkpoints sind an 132
Tagen total unter Verschluss. Keine Magnetkarte bekommt man aus vielen
Gründen, vor allem Männer im Alter von 15-30 Jahren, da ihnen nicht selten
vorgeworfen wird, sie würden terroristische Aktivitäten auszuüben. Trauernde
Verwandte, von bei Auseinandersetzungen ums Leben Gekommenen, wurden
beispielsweise verdächtigt, sie würden Vergeltung üben, sollten sie eine
Smart Card bekommen. Der biometrische Pass für alle ist Standart, er besteht
aus einem Foto von beiden Gesichtshälften, Händen und Augen, Daten die eine
mögliche Verfolgung vereinfachen.
Oft fragt sich Roni
Hammermann, wohin die Menschen gehen sollen. Die Kontrollen finden zum Teil
auf wichtigsten Verkehrswegen statt. Dabei gibt auch es neue Straßen, so
genannte – ‚verbotene Straßen’. Diese seien nur für Israeli, sagt sie. Die
Straßen für die Palästinenser seien in nicht so gutem Zustand. Ebenso sollen
sich beide Parteien nicht begegnen und werden meist durch eine Brücke, oder
einen Tunnel getrennt gehalten. Daraus resultiert ein teilweise sehr
kompliziertes System und oft müssen Umwege in Kauf genommen werden.
Bei einem zweiten Beispiel
nennt sie einen Bauer mit Karren voller Waren, der nicht über den Checkpoint
durfte, weil er zwar einen Passierschein hatte, jedoch keine Erlaubnis für
den Wagen. Er musste sich jemanden suchen, der seine Waren auflädt und für
ihn über den Grenzposten fährt. Nach einiger Zeit hatte er jemanden
gefunden. Er hatte dann bei weitern Checkpoints dann allerdings erneut
Probleme, Roni Hammermann traf ihn an einem Tag 3 weitere Male an anderen
Checkpoints. Durch Schikanen wird eine Erlaubnis mit absurden Begründungen
verhindert, meint die Aktivistin. Oft seien die Wartenden dicht an den
Grenzübergängen gedrängt. Das Warten mache für sie den Anschein, als würde
es als Bestrafung dienen. Man kann schlecht seine Zeit planen, da sie in so
einer Situation keinen Wert habe.
Laut Berichten der WTO und
IWF haben die Palästinenser keine Chance sich wirtschaftlich zu erholen. 50%
der eigenen Gebiete kann nur über Grenzen erreicht werden, oder auch so gut
wie gar nicht. Die Folgen für das Gesundheitswesen machen sich bemerkbar.
Der Standard hat sich verschlechtert, da Behandlungen teilweise nicht
durchgeführt werden können. 36 Babys wurden bereits an den Checkpoints
geboren, sagt Hammermann, 60 Prozent starben dabei. Die Versorgung der
verarmten Gesellschaft gestaltet sich durch die Kontrollen als schwieriger.
Gaza ist isoliert worden, 80% sind arbeitslos.
Männer müssen sich bei
Kontrollen oft vor Frauen entkleiden, was normalerweise in der
Öffentlichkeit laut Religion ein Tabu in deren Umgebung ist. Man wird
bedroht, wenn man nicht Folge leistet, auch gefesselt mit zugeklebten Augen.
Der Hass der Bevölkerung, sagt die Beobachterin resultiere nicht nur aus
Fanatismus, sondern ebenso aus deren Behandlung. Wenn sie so etwas sieht,
greift sie mit ihrer Gruppe ein. Die Untersuchung der Autos erfolgt meist
durch Hunde, welche im Islam als unrein gelten.
Die israelische
Sperranlagen, auch Apartheid Mauer genannt, werden seit Ende 2002 gebaut.
Die Konstruktion ist als Sicherheitsgrund von der israelischen Regierung
festgelegt worden. Die Mauer hat eine Länge von 759 km. Sie soll das
israelische Kernland vom Westjordanland trennen. Da sie aber teilweise in
Kurven gebaut wird, nimmt sie 9,5 % der Westbank ein. Durch Gräben,
Schutzzonen und Wege auf denen die Polizei und Militär Patrouille fährt,
wird mehr Land genommen, als zu Anfang gedacht war.
Qalqiliya ist eine
palästinensische Stadt mit etwa 43.000 Einwohnern (2007), im nordwestlichen
Teil des Westjordanlands, von denen 35.000 Flüchtlinge sind. Die Mauer als
Sperranlage umschließt die Stadt von vier Seiten (Norden, Westen, Süden und
Osten) vollständig, der einzige Zugang zu Qalqiliya erfolgt daher von Osten
durch einen Checkpoint. Qalqiliya ist damit von dem Nachbarort Habla
abgeschnitten Jenseits der Mauer liegt landwirtschaftlicher Boden. Hierfür
werden jedoch Ausweise benötigt. In ländlichen Gebieten ist es meist ein
elektronischer Zaun, der die Gebiete trennt. Es gibt zusätzliche
Landwirtschaftstore, der Zugang kann allerdings nur zu bestimmten Tagen und
Stunden stattfinden. Häufig müssen Landarbeiter auf dem Feld übernachten,
auch wenn das eigentlich nicht gestattet ist. Permissionen sind selbst für
Esel und Erntehelfer nötig. Nicht jedes Land ist im Register eingetragen,
nach osmanischem Gesetz ist derjenige Besitzer, der das Land bearbeitet,
dadurch gibt es Komplikation. Eine Variante der Enteignung von
palästinensischem Land und nachfolgender Vertreibung geht auf Britische und
Osmanische Planungsgesetze zurück, die immer noch in Israel nach Belieben in
Kraft sind. Danach fällt Land, das sein Besitzer und Nutzer drei Jahre lang
nicht bebaut, an den Staat zurück – eine Bedingung, die wenn das Land aus
Sicherheitsgründen absperrt ist, schnell eintreffen kann.
Mehr als 100.000
Palästinenser leben in „nicht anerkannten“ Wohnsiedlungen in Israel. Der
Staat erlaubt sich, sie so zu bezeichnen und auch zu behandeln: Die Menschen
leben isoliert, sind nicht an die staatliche Versorgung mit Wasser und
Elektrizität angebunden; Schulen und Krankenhäuser gibt es dort nicht.
Khirbet, Jubara, werden von den Bewohnern oft „Enklaven“ genannt. Roni
Hammermann spricht von Flucht aus den Gebieten. Auch die Schulkinder müssen
pünktlich über die Grenze, welche nicht immer geöffnet ist. Bei
Unpünktlichkeit müssten sie wieder zurückgehen. Schule fällt deswegen öfters
aus, oder Umwege müssen gelaufen werden. 85% der Checkpoints sind
überflüssig, weil sie nicht an den Grenzen sind, sondern im Landesinneren.
Die Bereitschaft zum Terrorismus wächst, sagt die Aktivistin, trotz des
offiziellen Waffenstillstandes aus dem Jahr 2005, der mit der Hamas
ausgehandelt wurde. Die Selbstmordattentate sind zurückgegangen.
Die Zukunft ihrer Vorträge
sieht Roni Hammermann als Appell möglicher Einflussnahme auf die Regierung,
sowohl verschiedener Friedensbewegungen. Sie äußert Kritik an der
Regierungspolitik und nennt die Außenpolitik Deutschlands zu nachgiebig.
Deutschland habe sich häufig an Boykotten beteiligt. Unterstützungsgelder
wurden dann eingefroren. Israel argumentiere mit dem Vorwurf des
Antisemitismus, doch die Siedlungen seien illegal. Die Chance sehe sie im
Dialog eines Verhandeln gegen die Besatzer, wie sie sagt. Israelitische
Gruppen, die Gewalt ablehnen, begrüße sie dabei. „Vielleicht gibt es ja doch
noch irgendwann eine freie Staatenlösung.“
Diverse weitere Berichte von
Machsom Watch gibt es unter anderem auf deren Internethomepage:
http://www.machsomwatch.org/
machsomwatch@hotmail.com
055-300385
Roni Hammermann
roniham@gmail.com
+97225661601
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Mit freundlichen Grüßen,
"Jüdische Stimme für gerechten
Frieden in Nahost (Österreich)"
homepage: www.nahostfriede.at
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Liebe InteressentInnen!
Für diejenigen, die sich über die tägliche Nachrichten aus den Besetzten
Gebieten (Palästina)
gründlich informieren möchten, empfehlen wir diese websites:
http://www.arendt-art.de/deutsch/palestina (auf ‚Palästina Portal’
klicken)
http://www.kibush.co.il
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Viele fragen sich, was kann ich angesichts dieser politischen Lage
überhaupt tun? Gegen Unrecht kann man nicht dadurch ankämpfen, dass man
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