Machsom Watch Matria[1]
– Dezember 2007
Machsom Watch – eine Organisation israelischer Frauen gegen die
Besatzung und für Menschenrechte, die sich mit einem der
härtesten Aspekte der Besatzung befasst – der Einschränkung der
Bewegungsfreiheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten.
Wie jeden Tag ...
Wie jeden Tag, wie in ungezählten Stunden und an ungezählten
Tagen treffen wir auch heute die Palästinenser an den
Checkpoints an, wie sie ihr Leben vergeuden und verlieren. Sie
stehen dort, trauernd um ihre geraubte Zeit und den Verlust
ihrer Ehre. Auf der einen Seite, hinter den Drehkreuzen, drängen
sich die Männer, die darauf warten, dass sie an die Reihe kommen,
die Demütigung der Durchsuchung, des Durchstöberns und des
Ausfragens über sich ergehen zu lassen. Auf der anderen Seite
passieren Frauen und Kinder den Checkpoint auf einem kürzeren
Weg und warten, bis die Männer herauskommen und alle gemeinsam
nach Hause fahren können. Die Frauen suchen mit ihren Augen die
gedrängten Warteschlangen ab, um ihre Ehemänner ausfindig zu
machen, und manchmal fragen sie sie über das Handy, wie lange
sie glauben, dass es noch dauern wird, bis sie herauskommen.
Heute betrug die Wartezeit eine, anderthalb Stunde, weniger als
an anderen Tagen, an denen es zwei oder drei Stunden dauert.
(Chawara, südlich von Nablus, 15. Dezember 2007)
Von der Straße aus konnten wir eine große Anzahl Wagen sehen (mehr
als sonst an Freitagen), die auf die Kontrolle am Checkpoint an
der Ausfahrt aus dem Dorf warteten. Am Checkpoint selber finden
wir eine große Gruppe von Militärs vor, die meisten Offiziere.
Sie stehen mitten auf der Fahrspur, und der Kommandant des
Checkpoints hält ihnen einen Vortrag. Der Besuch der Gruppe
stoppt die Kontrolle und Weiterfahrt der Wagen. Die Soldaten/Offiziere
blockieren die Durchfahrt, und die Fahrer haben keine
Möglichkeit, das Ereignis zu stören. Warum können die Besucher
nicht ein paar Meter weiter an der Seite stehen und damit die
Durchfahrt ermöglichen? „Na und? Dann warten sie eben eine Weile,
was macht das schon?“ ist die Art der Antworten, die wir
bekommen. Richtig, es macht wirklich nichts. Die Palästinenser
in den Fahrzeugen warten geräuschlos, hupen nicht, beschweren
sich nicht. Die Götter stehen dort in ihrer Herrscherpose und
bewegen sich fort, wann es ihnen passt. Alles geschieht mit
solcher Ruhe und Bequemlichkeit, alles ist selbstverständlich
und natürlich. Nach einer Viertelstunde (wir wissen nicht, wann
der Besuch begonnen hat) gehen die Gäste ihres Weges und die
Wagen werden durchgelassen. Gesetze einer anderen Welt, einer
Welt, in der mit unerträglicher Leichtigkeit, ohne
Gewaltanwendung, Menschen einfach so aufgehalten werden, denn
wirklich - „Was macht das schon?“
(Beit Furik, östlich von Nablus, 14. Dezember 2007)
Soldaten erwischen in den Feldern beim Checkpoint drei
Jugendliche mit einem Esel, der einen kleinen Karren voll mit
Eisenabfällen zieht. Sie wollten sich an dem Kontrollposten
vorbei „durchschmuggeln“. Die Jugendlichen wurden nicht
geschlagen, wenigstens nicht, solange wir beobachteten. Wir
fotografierten. Schließlich stellte sich heraus, dass die drei
schon vorher von Soldaten auf den Feldern erwischt wurden beim
Versuch, den Checkpoint zu umgehen und als „rechtmäßige“ Strafe
drei Stunden festgehalten wurden. Nach ihrer Freilassung haben
sie noch einmal versucht, den Checkpoint zu umgehen, wurden
wieder gefasst und wieder für drei Stunden festgesetzt. Unsere
Versuche, die Militärbehörden, einschließlich des „humanitären
Notfalldienstes“, zu erweichen, trugen keine Früchte. Einer der
Taxifahrer wendet sich an uns und sagt mit vollem Ernst: „Ist es
nicht schade um den armen Esel? Seit dem Morgen hat er nichts
gegessen und getrunken! Sagt das den Soldaten!“
(Chawara, 23. Dezember 2007)
Fünf Minuten nach unserer Ankunft wurde ein großes Küchenmesser
im Gürtel eines 22-jährigen gefunden. Das Messer ist mit einem
grünen Band geschmückt, mit einer schönen dekorativen Schleife.
Die reinste Pralinenverpackung! Der Kommandant des Checkpoints
geht mit dem Messer umher, versucht, es sich in den Bauch zu
stoßen, zu sehen, ob das möglich ist, schwingt es hin und her,
lässt sich fotografieren, damit alle ihn so sehen können. Der
junge Mann wird in die Zelle gesperrt und der Kommandant ruft
die Polizei herbei. Die Tür der Zelle wurde offen gelassen, aber
der junge Mann zieht sie zu sich hin und schließt sie
(vielleicht fürchtet er, das jemand ihn dort herausholen wird).
Wir hören, wie die Soldaten untereinander erzählen, der Junge
habe gesagt, er sei mit dem Messer gekommen, um sich verhaften
zu lassen. (Hawara, 27.
Dezember 2007)
Eine riesige Warteschlange erstreckt sich auf
der anderen Seite des Checkpoints. Wir können ihr Ende nicht
sehen. Der Soldat auf dem Wachturm teilt dem Kommandanten des
Checkpoints in Abständen beunruhigt mit, dass die Schlange immer
länger wird und bietet sogar an, herunterzusteigen und bei der
Kontrolle zu helfen. Der Kommandant lehnt den Vorschlag ab und
besteht auf gründlichster Kontrolle. Jeder Fahrer hält zehn
Meter vor dem Checkpoint an (ansonsten wird er mit Schreien
zurückgeschickt), steigt aus, hebt das Hemd hoch und dreht sich
wie im Tanz mit entblößtem Bauch um die eigene Achse. Dann
werden die Papiere überprüft, die Fahrgäste und der sämtliche
Inhalt des Fahrzeugs. Die Kontrolle jedes Wagens dauert lange
Minuten. Dieselben Soldaten kontrollieren in beiden Richtungen,
so dass ab und zu die lange Schlange angehalten wird, um die
Kontrolle eines Fahrzeugs aus der Gegenrichtung zu ermöglichen.
(Beit Furik, 26. Dezember 2007)
Kurze Warteschlangen in beiden Richtungen.
Volle Kontrolle der hineingehenden und herauskommenden Fußgänger.
Eine alte, langsam gehende Frau fürchtet sich vor den Juden.
Ihre Tochter ermutigt sie und weist auf unseren (arabischen)
Fahrer Nadim. „Sieh nur, was für ein freundlicher Jude, wenn nur
alle Araber so gut wären wie er“. Eine Soldatin der
Militärpolizei verlangt von den Händlern, die Kleiderbündel aus
den Nylontüten herauszunehmen, bis zur letzten Tüte. Kleider
werden auf den Boden in die Pfütze geworfen. Die Soldatin rollt
den Finger als Zeichen, dass sie die Sachen weiter und weiter
herausziehen sollen. Der Kommandant des Checkpoints hindert uns
daran, sie bei ihrer Tätigkeit zu fotografieren. „Es ist ihr
unangenehm“, sagt er einfühlsam.
(Beit Iba,
südwestlich von Nablus, 2. Dezember 2007)
Wie gewöhnlich parkten wir gegenüber dem
Checkpoint, wie üblich stiegen wir aus dem Wagen und
betrachteten die Polizisten der Grenzpolizei, die mit Hilfe
eines Scheinwerfers Wagen auf die innere Spur zur Kontrolle der
Papiere der Fahrgäste lenkten. Nach etwa zehn Minuten, als wir
uns von den Soldaten trennten, fragte einer von ihnen: „Das
war's?“ Wir antworteten: „Hat es dir nicht gereicht? Was willst
du sonst noch?“ Und das war die Antwort, die wir erhielten: „Dass
ihr diesen Checkpoint hier wegnehmt, der zu nichts gut ist und
nur die Leute hier stört“. Halleluja!
(Lil, zwischen Jerusalem und Ramallah, 23. Dezember 2007)
Drei Geschichten aus Hebron
Am „Apotheken-Checkpoint“
steht ein fünf-sechsjähriger Junge mit angsterfüllten Augen und
um ihn herum bewaffnete Soldaten. Es stellt sich heraus, dass er
von einer Siedlerin verletzt wurde, die mit großer
Geschwindigkeit fuhr. Der Vater kam schnell herbei, die Polizei
hielt ihn auf, um die Personalien aufzunehmen, und niemand war
da, um das Kind in die Arme zu nehmen. Palästinensische
Krankenwagen dürfen das Gebiet nicht betreten. Das Kind wird in
einen israelischen Krankenwagen gesetzt und zum Gross-Platz
gefahren. Jenseits der Absperrung dort kann der palästinensische
Krankenwagen das Kind übernehmen und zum Aliya-Krankenhaus
fahren. Was wäre geschehen, wenn es sich um ein Kind der Siedler
gehandelt hätte, das von einem palästinensischen Fahrer
angefahren wurde? Das kann nicht geschehen, denn die Straße ist
eine Apartheidstraße, auf der nur Juden fahren dürfen ...
„Tarpat-Checkpoint“.
Eine alte Frau mit schmerzenden Füssen quält sich langsam den
Abhang von Tel Rumeida herab. Sie sagt, dass sie krank ist und
möchte, dass ein Taxi sie ins Krankenhaus bringt – aber die
Apartheidstraße und die Checkpoints machen das unmöglich. Sie
erklärt, dass sie den Checkpoint nicht überqueren kann, denn
dort ist eine Stufe, und es fällt ihr schwer, sie zu ersteigen.
Die Soldaten lassen sie durch das Seitentor hindurch und
begleiten sie bis hinter den Checkpoint – und von dort hilft
hier ein Palästinenser, zum Taxi zu kommen.
(12. Dezember 2007)
Tel Rumeida-Checkpoint.
Drei Handwerker warten neben der Werkstätte der Familie Abu
Aischa. Sie sollen im Haus der Familie, das sich jenseits des
Checkpoints gegenüber der Siedlung befindet, etwas reparieren.
Aber sie werden dorthin nicht durchgelassen, obwohl alle drei
Einwohner Hebrons sind und nur etwas reparieren möchten. Warum?
Abgesehen von Familie Abu Aischa selbst darf kein Einwohner den
Checkpoint passieren, und für jeden Besuch wird eine besondere
Erlaubnis benötigt.
(19. Dezember
2007)
[1]
"Matria" ist abgeleitet von dem hebräischen Verb
"lehatria", das "(als Alarmzeichen) in die Posaune/ins
Horn blasen" und "Protestgeschrei erheben" bedeutet.
[1]
"Matria" ist
abgeleitet von dem hebräischen Verb "lehatria", das
"(als Alarmzeichen) in die Posaune/ins Horn blasen" und
"Protestgeschrei erheben" bedeutet.