Eine Geburtstagskonzert für
Felicia Langer
Ein Abend des Lichts
Sylvia Langer
Rechts Aeham Ahmad, Mitte hinten Michael
Langer (Sohn) - links Naomi Langer (Enkelin)
Zwei Menschen stehen auf der Bühne und liegen sich in den
Armen, eine 86-jährige Frau und ein
28-jähriger Mann – eine Jüdin und ein
Palästinenser; es ist eine Umarmung über
alle Grenzen hinweg, eine Umarmung zweier
Seelen, die sich an diesem Abend auch in
Form ihrer Körper begegnet sind.
Bei diesen beiden Menschen handelt sich um die
jüdisch-israelische Menschrechtsanwältin
Felicia Langer und den palästinensischen
„Klavierspieler von Yarmuk“, Aeham Ahmad.
Ein Konzertabend liegt hinter ihnen und uns Zuschauern und
Zuhörern, der eigentlich nicht für Worte
gemacht ist, der die Ausdruckskraft von
Worten bei weitem übersteigt .... Und
dennoch wissen wir, dass man ihn festhalten
und verewigen muss, dass er nicht nur in den
Herzen der Zuhörer bleiben soll, sondern
auch für diejenigen, die nicht das Glück
hatten, ihm beizuwohnen, in seiner Bedeutung
und Einzigartigkeit erlebbar gemacht werden
will.
Es ist der 86. Geburtstag von Felicia. Viele Wochen vorher
teilten ihr ihre Freunde, Hans Karl und
Mechthild Henne, mit, dass sie ihr ein ganz
besonderes Geburtstagsgeschenk bereiten
wollen: Ein Konzert des in Deutschland
inzwischen sehr berühmten Aeham Ahmad.
Als Sohn palästinensischer Flüchtlinge wuchs dieser in Jarmuk,
einem palästinensischen Flüchtlingslager in
Damaskus, auf und machte es sich während des
Bürgerkriegs zur Aufgabe, mit seiner Musik
Hoffnung zu spenden. Er rollte sein Klavier
durch die Trümmerstadt und machte für die
Kinder und Erwachsenen Musik. Nachdem der IS
sein Klavier vor seinen Augen verbrannt
hatte, flüchtete Aeham, seine Frau und
Kinder zurück lassend, über die Balkanroute
nach Deutschland.
Als Mechthild und Hans Karl Aeham von Felicia und ihrem
lebenslangen Wirken als israelische
Menschenrechtlerin erzählten, war dieser
tief beeindruckt von ihr und nahm mit Freude
die Idee eines Geburtstagskonzertes ihr zu
Ehren auf.
Am Abend des Konzerts, am 9.12.16, strömen unzählige Menschen
in den Gemeindesaal der evangelischen
Kirche, Lustnau, ahnend, dass sich hier
etwas ereignen würde, dass uns alle in
unserer Existenz tief berührt, etwas, nach
dem wir uns tief in unserem Inneren sehnen:
dem Mut und der Kraft, sich dem Leid, der
Grausamkeit, der unfassbaren
Menschenverachtung, die durch Menschenhand
geschieht, entgegenzustellen; der Zuversicht
und Hoffnung, dass es sich lohnt, die Stimme
zu erheben und mit dem Klavier gegen die
Grausamkeit anzuspielen , die Menschen gegen
Menschen richten, und einen Raum des Lichts
und der Liebe entstehen zu lassen!
250 Menschen sitzen erwartungsvoll im überfüllten
Gemeindehaus, über 50 mussten weggeschickt
werden ... und als die ersten Töne von Aeham
erklingen, da spüren wir alle, wie uns die
Musik und sein Gesang schmerzlich und
betörend zugleich ins Herz greifen, wie sie
uns hilflos und stark machen und wir diesem
jungen Mann, der so viel erlitten und
durchlebt hat, ausgeliefert sind.
Wie muss es bei dieser Musik erst Felicia gehen, die ihr
ganzes Leben dem Leid der Palästinenser
widmet(e) und sich dem Horror, das Menschen
ihren Mitmenschen antun, stellt(e). Hier
sitzt nun der 28-jährige Aeham, aufgewachsen
in Yarmuk als Kind palästinensischer
Flüchtlinge. Er spielt sich das Leid und die
Verzweiflung von der Seele: die Zerstörung
seiner Stadt, das Morden, das Sterben, die
Sorge um den seit vier Jahren in einem
Gefängnis verschollenen Bruder und die
Sehnsucht nach der Heimat Palästina. Und
dennoch ist seine Musik nicht zur Waffe des
Hasses geworden sondern zum lebendigen
Ausdruck der Verletzlichkeit des Menschen,
der Sehnsucht nach Frieden und der
unermesslichen menschlichen Gabe lieben zu
können!
Nach jedem Lied applaudieren die Zuhörer und Aeham verneigt
sich voller Demut vor der Frau, der er
dieses Konzert widmet, mit einem Lächeln aus
tiefstem Herzen, das sich für Felicia
anfühlen muss, als würde sie für ihren
Lebenskampf und ihren Mut tausendfach
belohnt.
Und genau das bringt sie am Ende des Konzerts zum Ausdruck;
ihre kleine Dankesrede, die sie für diesen
Anlass vorbereitet hat, wirft sie über Bord
– zu sehr ist sie überwältigt von diesem
charismatischen jungen Mann, mit seiner
Musik, seinem Gesang, seinem Lächeln und
seiner Dankbarkeit ihr gegenüber.
Voller Rührung und tief bewegt geht sie auf die Bühne, voll
Kraft gund Energie, und richtet sich
ergriffen an ihn:
„Mein Leben kommt zu mir zurück! Das alles, was ich gesehen
habe, alles, was ich gemacht habe, kommt zur
mir – durch deine Musik! Du bist ein großer
großer Musiker, aber noch wichtiger: du bist
ein großer Mensch! You are opening the
hearts! Du öffnest die Herzen der Menschen!
Das ist die Waffe, die alle Zionisten, alle
Faschisten nicht haben! Diese Waffe hast Du!
Du weißt, das ist das erste Mal im Leben,
dass ich so etwas erlebt habe. Ich habe doch
die gefolterten Menschen im Gefängnis
gesehen. Das ist Teil meines Lebens. Ich
bedanke mich sehr bei Dir!“
Zwei großartige Menschen stehen vor uns Zuschauern, ein junger
palästinensischer Mann und eine betagte
jüdische Frau, sie trotzen dem
unermesslichen Leid, das den Palästinensern
und vielen Menschen dieser Welt zugefügt
wird! Sie sind für uns ein Licht in dieser
Zeit!
Dieses Licht erfüllt nach diesem Abend unsere Gemüter und
Herzen, ein Licht, das aus der Dunkelheit
wächst und diese nicht verleugnet; kein
Licht, an dem man sich gemütlich in den
eigenen vier Wänden wärmen kann, sondern ein
Licht, das uns einen ganz klaren Weg weist:
Setzt euch ein für die Misshandelten, die
Unterdrückten und Wehrlosen dieser Erde!
„Bis zum letzten Atemzug!“, wie Felicia mit
fester klarer Stimme fordert.
So gehen die Spenden für diesen ergreifenden Abend zur Hälfte
an den Verein der Flüchtlingskinder im
Libanon und zur anderen Hälfte an Aeham.
Wie schön, dass Aeham seinen kleinen zwei-jährigen Sohn Achmad
zum Konzert mitgebracht hat – im August
konnte er endlich seine Familie nach
Deutschland nachholen, auch das ist ein
Licht in dieser dunklen Zeit!
Wir, die wir an diesem großartigen Abend reich beschenkt
wurden, bleibt nur unsere Dankbarkeit
auszudrücken:
Vielen Dank, lieber Aeham, vielen Dank, liebe Felicia, vielen
Dank an alle, die dieses Konzert möglich
gemacht haben!
Sylvia Langer
Tübingen den 10.12.16