Das
letzte Mal auf Jesu Weg
Jonathan
Cook in Beit Fage, 1.4.2004
Während Zusammenstöße wegen Landenteignungen von
palästinensischem Land in der Westbank Schlagzeilen machen, geht eine
andere schockierende Entwicklung im Zusammenhang mit Israels Mauer ganz
unbemerkt voran.
In den letzten Wochen haben israelische Bulldozer ihre
Arbeit im palästinensischen Ort Abu Dis, in nächster Umgebung von
Jerusalem, vollendet und bewegen sich nun mitten ins Herz der heiligen
Stadt: auf den Ölberg. Dort haben Zerstörungstruppen damit begonnen, die
östlichen Abhänge des Berges „vorzubereiten“, indem sie Hunderte alter
Olivenbäume zerstören. Seltsamerweise ist es ein kleiner Ort, der unter
dem Namen Beth Fage bekannt ist, wo sich die israelische Aktivitäten
konzentrieren. Zu dieser Zeit im Jahr gedenkt die Christenheit in aller
Welt an dieses Ortes, wo - der Überlieferung nach - Jesus vor 2000 Jahren
auf dem Weg nach Jerusalem angehalten hat, und nach Nahrung suchte. Alles,
was er finden konnte, waren unreife Früchte an einem Baum. Davon hat Beit
Fage seinen Namen: der Ort der unreifen Datteln. Bekannter ist, dass Jesus
hier ein Esel gebracht wurde, mit dem er in die Heilige Stadt einritt.
Palmenblätter wurden vor ihm auf den Weg gelegt.
Am Palmsonntag erinnern sich die Christen mit Prozessionen
an dieses Ereignis. Die bedeutendste Prozession wird auf dem Ölberg
stattfinden und Jesu Weg von Bethanien, dem heutigen modernen Ort
Al-Azariye, aus nachvollziehen.
In Beit Fage stehen zwei Kapellen, eine katholische und
eine griechisch-orthodoxe, die beide beanspruchen, an der Stelle zu
stehen, wo Jesus den Esel bestieg. Offiziell sagen die Kirchen im
Augenblick nichts Besonderes über diese Prozession, die wie sonst
verlaufen wird. Aber unter der Hand spricht man davon, dass es die letzte
Prozession gewesen ist – nächstes Jahr wird der Weg fast sicherlich
unpassierbar sein. Schon in diesem Jahr wurden die Palmen- und
Olivenzweige tragenden Pilger in Beit Fage von einem Abschnitt der 8 m
hohen Mauer begrüßt, die ihnen den Weg zu den Kapellen versperrte. Aber
sie werden noch einmal in der Lage sein, wenigstens drum herum zu gehen.
Die Hoffnung, dass der Bau der Mauer aufgehalten oder auf
dem Ölberg verzögert wird, scheint sich nicht zu erfüllen. Obwohl die
Legalität der Mauer in Den Haag angezweifelt wurde, ist die Verfügung,
auch wenn sie sich gegen die Mauer ausspricht, für Israel nicht bindend.
Auch das Katholische und Orthodoxe Patriarchat haben sich bis jetzt
geweigert, dazu etwas zu sagen. Beide Kirchen sind im Augenblick mit den
israelischen Behörden in schwierigen Gesprächen und wollen deshalb nicht
noch ein öffentliches Spektakel.
In Bet Fage waren nur durch die Intervention der
griechisch-orthodoxen Kirche 40 Häuser vor der Zerstörung bewahrt worden.
Sie hatte einen Teil ihres Landes zum Bau der Mauer zur Verfügung
gestellt. Die Folge davon wird nun aber sein, dass die Familien auf der
falschen Seite der Mauer festsitzen werden. Obwohl sie Steuern an die
Jerusalemer Gemeinde zahlen, wird es für sie fast unmöglich sein, nach
Jerusalem zu kommen oder in die Gunst städtischer Dienste. In diese nicht
beneidenswerte Situation sind tausende anderer Familien auch gekommen. Als
die Route der Mauer ihren Weg durch Jerusalem nahm, fanden sich immer mehr
Familien in Ghettos eingesperrt.
Afghani Nasira, 49, leidet an
Herzbeschwerden und ihr Mann Abid, 58, hat Diabetes. Beide sind voller
Ängste, wie sie damit fertig werden, wenn die Mauer fertig gebaut ist.
„Wir werden nicht in der Lage sein, in ein Krankenhaus nach Jerusalem zu
kommen und für die Westbank haben wir keine Krankenversicherung. Wir
befinden uns wie in einem schwarzen Loch. Niemand fühlt sich für uns
verantwortlich.“ Ihr einziger Weg nach Jerusalem wird der sein, in die
Westbank zu fahren und dann Straßen zu nehmen, die nur für Siedler
bestimmt sind. Dort müssen sie versuchen, ihren Weg durch die
militärischen Kontrollpunkte zu verhandeln. ... Ein Weg, der sonst nur
wenige Minuten zu Fuß gedauert hat, wird jetzt ein paar Stunden mit dem
Wagen dauern, falls es überhaupt möglich ist.“ Fügte sie noch hinzu.
Husam Katishi, 30, lebt auch in
einem der Häuser, das von der Zerstörung bedroht war. Die Gnadenfrist
bedeutet, dass er, seine Frau und seine drei kleinen Kinder nur 2 m
entfernt von der Mauer leben. Ihr Haus wird von einem mit Maschinengewehr
bestückten Wachturm und Sicherheitslichtern überragt werden. Katishi hat
sich den andern Familien angeschlossen, die ein Tor in der Mauer beantragt
haben. Aber die Erfahrung anderer Jerusalemer Araber, die von den
städtischen Diensten und andern Familienmitgliedern abgeschnitten wurden,
lässt vermuten, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein Tor jemals
genehmigt wird.
„Wir haben wiederholt die Vertreter der Armee angerufen,
aber sie weigern sich, eine Auskunft über das zu geben, was geplant ist.“
sagte er.
Etwa 200 Kinder des Ortes gehen jeden Tag an dem kleinen
Stück Mauer und den Kapellen von Bet Fage vorbei, um ihre Schule zu
erreichen. Manchmal schickt ein Soldat sie wieder zurück, an andern Tagen
ist er nicht dort. Bald wird es egal sein. Die Mauer versperrt ihnen auf
jeden Fall den Schulweg. Wohin sollen wir dann unsere Kinder schicken? Ich
weiß es nicht,“ sagt Katishi.
Fahdi Hamad, 28, hat seit vier
Jahren den alten Weg von Jesus genommen, um von seinem Haus in El-Azariye
nach Beit Fage zu kommen. Er ist der Torhüter der katholischen Kapelle in
Beit Fage. Er sagt, dass seine Tage dort gezählt sind. „Die Mauer wird
bald fertig sein und dann kann ich die Kirche nicht mehr erreichen. Es
scheint sich niemand darum zu kümmern.“
Enham Shama, die sich um das
benachbarte griechisch-orthodoxe Kloster kümmert, sagt, sie denkt mit
Schrecken daran, dass diese Palmsonntagsprozession wahrscheinlich die
letzte gewesen ist. „Ich frage mich, was würde Jesus getan haben, wenn er
mit solch einer Mauer konfrontiert worden wäre?
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/0DFBB346-726C-44A4-8FBD-67DBB84138C6.htm
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs) |