Zerstörte Geschichte
Ahmad Sub Laban
Am 9. August
2004 gruben sich israelische Bulldozer mit ihren Riesenschaufeln
in drei Gebäude von Hebrons Altstadt ein. Die Zerstörungen
sollten für eine Siedlerstraße zwischen Kirjat Arba und der
Ibrahimsmoschee freie Bahn machen. Dies stellt ein Verbrechen
dar.
Die drei
Gebäude waren alt - sie stammen aus der Mameluckenzeit, sind
also etwa 500 Jahre alt. Die Gassen im Jaber- und
Salaymehviertel, wo die Häuser standen, und die Steinbögen über
den Gassen stellten den südlichen Eingang zur Altstadt dar.
„Diese drei
Gebäude waren Teil des Gesamtgefüges von Hebrons Altstadt und
der historischen Umgebung der Ibrahimsmoschee,“ sagte Imad
Hamdan, der PR-Direktor für das Hebroner Wiederaufbaukomitee
im Interview mit Palästina-Report. „Es scheint, als ob die
Besatzungsmacht diese Tatsache ignoriert. Sie reißt diese
historischen Gebäude ab, um eine Siedlerstraße zu bauen, die sie
„Gottesdienstbesucherstraße“ nennt.
Die
Zerstörungen wurden von höchsten offiziellen Stellen
angeprangert. Ministerpräsident Qrai sagte in einem Statement
seiner Regierung vom 10.August, dass dies ein wahres Verbrechen
der Besatzung gegen das palästinensische Volk sei. Israel
zerstöre diese historischen Stätten ohne Rücksicht auf Humanität
und Zivilisation.
Hamdan ist
davon überzeugt, dass Israel einen Krieg gegen das Erbe von
Hebrons Altstadt führt und betont die Tatsache, dass noch zig
andere Häuser zur Zerstörung vorgesehen sind: einige von ihnen
aus der Mamelucken- andere aus der Ottomanenzeit. Einige wurden
während der britischen Mandatszeit erbaut. Dies beweist Hamdan
ganz klar, Israel versuche, die Altstadt rund um die
Ibrahimsmoschee zu judaisieren.
„ Die neue
Siedlerstraße wird durch das Wadi Nasara, Jabara und
Salaymehviertel gehen und durch den Stadtteil östlich der
Ibrahimsmoschee“, erklärte Hamdan und zeigte auf eine vorhandene
Straße, die für palästinensische Fahrzeuge auch gesperrt ist.
Sie läuft sehr ähnlich und ist nur 150m länger. „Mit dem Wagen
beträgt der Unterschied nur 15 sec.“, sagte er. „Was die
Sicherheitsbelange betreffen, so bestehen sie auch auf der
vorhandenen Straße.“
Ein Verlust von Jahrhunderten
„Diese
Zerstörungen beabsichtigen auf Kosten des Eigentums der
Bewohner der Altstadt und seiner Umgebung mit
Siedlungserweiterung neue Fakten zu schaffen,“ sagte Areef
Jabari, Hebrons Gouverneur. „ Was hier geschah, ist eine
Katastrophe, die niemals mehr korrigiert werden kann. Wir können
die alten Häuser nie wieder zurückholen, die jetzt abgerissen
wurden. Mit ihnen sind fast sechs Jahrhunderte verloren
gegangen.“
Nach dem
internationalen Gesetz ist eine Besatzungsmacht dafür
verantwortlich, den kulturellen Besitz derjenigen zu schützen,
die unter Besatzung leben. Die Haager Konvention, die Israel
1957 ratifiziert hat, ruft tatsächlich insbesondere eine
Besatzungsmacht dazu auf, sich jedweder Kriegshandlungen gegen
solchen Besitz zurückzuhalten und solches Eigentum und seine
Umgebung nicht für militärische Zwecke zu nutzen.
Bis jetzt sind
seit Ende 2000 während der israelischen Militäroperationen eine
noch ungezählte Menge von palästinensischen historischen Stätten
von Rafah im Süden bis Jenin im Norden beschädigt oder zerstört
worden. Die Belagerung der Geburtskirche in Bethlehem 2002 war
die bekannteste Stätte der Christenheit, die durch israelische
Einschüsse beschädigt wurde. Der Schaden dort verschwindet
jedoch im Vergleich zu dem in Nablus, das von allen
palästinensischen Orten während der al-Aqsa-Intifada am
härtesten getroffen wurde.
Die Altstadt
von Nablus datiert bis in die kanaanäische Zeit zurück. Nablus
wurde in den Tel-Armarna-Briefen ( 1400 v. Chr.) als Sichem
bezeichnet. Etwa 2600 Gebäude der Altstadt können auf die
ottomanische Zeit zurückdatiert werden und einige gehen auf die
mameluckische und die byzantinische Zeit zurück.
Während der
drei Wochen im Dezember 2003/ Januar 2004 haben wiederholte
israelische Militärüberfälle auf die Altstadt von Nablus mehrere
historische Gebäude und archäologische Stätten zerstört oder
beschädigt zurückgelassen. Besonders bemerkenswert war der
Schaden am Abdel-Hadi -Palast und dem Khan (?), den Sadeq und
Shabihäusern im Qaryounstadtteil. Das israelische Militär
zerstörte auch die östliche Mauer der Salahmoschee, die
ursprünglich eine byzantinische Kirche war, und die
Khadra-Moschee, früher eine Kreuzfahrerkirche.
„Die
Zerstörung in Nablus hat sich vor allem auf die Häuser der
Altstadt konzentriert,“ sagt Naseer Arafat, Vorsitzender des
Vereins „Schutz der Altstadt Nablus“. Die Zerstörung schloss
Läden und Wohnungen innerhalb der Altstadt ein, die entweder
teilweise oder vollständig zerstört worden sind. „Fast 60 Häuser
sind vollkommen zerstört und 250 teilweise zerstört worden.
Zusätzlich erlitt die Infrastruktur der Altstadt massiven
Schaden. Es ist unsere Identität, die sie zerstören. Unser
kulturelles Erbe ist unsere Identität.“
Der
Abdel-Hadi-Palast ist 250 Jahre alt. Er erstreckt sich über eine
Fläche von 3000 qm und gehört der wohl etablierten
Abdel-Hadi-Großfamilie. Während der Invasion behauptete die
israelische Armee, dass sich darin oder in den Tunneln, die
unter der Altstadt verlaufen, Widerstandskämpfer verstecken. Sie
machten nach ihnen eine Haus-zu-Haus-Durchsuchung.
Diese
Behauptung wurde von Ali Touqan, dem Direktor der
Nablusbibliothek zurückgewiesen. Er sagte, den
Abdel-Hadi-Palast gezielt anzugreifen, war deutlich Absicht .
Sie machten
Löcher durch die 1m dicken Wände. Sie wollten ihn einfach
zerstören.“
Touqan sagte
auch, dass die israelischen Behauptungen, die Tunnel würden von
Widerstandskämpfern benutzt werden, völlig grundlos seien. Die
Tunnel gibt es seit der byzantinischen Zeit, in der sie als
Wasserkanäle Verwendung fanden – aber unter keinen Umständen
könnten sie von Widerstandkämpfern benutzt werden. Diese Tunnel
sind ein kulturelles Vermächtnis, das die Besatzung zerstört
hat.“
Die Identität als Zielscheibe
„Das Hauptziel
hinter den Angriffen ist es “, so Hamdan Taha, Generaldirektor
der Antikenabteilung des Tourismusministeriums, „der
palästinensischen kulturellen Identität politischen Schaden
zuzufügen. Dies ist seit jeher die Quelle der Einschüchterung
der zionistischen Bewegung und der israelischen Besatzung
gewesen. Und seit Jahren die historischen Stätten absichtlich
als Zielscheibe zu nehmen, ist auch dazu bestimmt, die
zukünftige kulturelle, sowie wirtschaftliche Entwicklung und den
Tourismus zu zerstören.“
Taha glaubt,
dass die Zerstörungen in Hebron nur gerade ein Glied in einer
Kette einer absichtlichen Kampagne ist, um Symbole des
palästinensischen Kulturerbes zu zerstören. Er wies auf die über
450 Dörfer hin, die ( 1948) zerstört wurden und so von der
Bildfläche verschwunden sind . Man versucht so, den historischen
Charakter gewisser Orte von historischer und archäologischer
Bedeutung zu ändern.
„Wenn Israel
diesen „Pfad der Zerstörung“ weitergeht,“ sagt Taha, werden die
Palästinenser keine andere Wahl mehr haben, als zukünftige
Generationen mit Bildern und Büchern über ihr historisches Erbe
aufzuklären.“ Tatsächlich bereitet sich seine Abteilung auf
diese Möglichkeit vor. Die Abteilung für Altertümer dokumentiert
die Schäden, die bei diesen archäologischen Stätten, aufgetreten
sind,“ sagte er, „um sicherzustellen, dass dieses kostbare Erbe
weitergegeben wird, selbst wenn es Israel gelingt, es
auszulöschen.
Der während
der militärischen Operationen verursachte direkte Schaden ist
jedoch nur ein Teil der Geschichte. Nach einer Studie vom März
2004, das vom Palästinensischen Institut für Studien von
Kulturlandschaft veröffentlich wurde und von den Forschern Jamal
Barghout und Mohammed Jaradat vorbereitet wurde, wird die von
Israel errichtete Trennungsmauer in der Westbank so gesetzt,
dass die kulturellen Verbindungen zwischen archäologischen
Stätten in der Westbank und dem umgebenden archäologischen
Gebiet getrennt werden.
Die Westbank
ist aus archäologischer Perspektive eines der reichsten Gebiete
der Welt. Seit der kanaanäischen Zeit an haben alle die antiken
griechischen, mesopotamischen, persischen, römischen,
byzantinischen und die arabisch-islamischen Zivilisationen hier
im Boden ihre Spuren hinterlassen.
Gemäß der 1.
Haager Konvention, die Israel auch unterzeichnet hat, ist
kultureller Besitz in archäologische Stätten eingeschlossen.
Aber es gibt keine spezifische Erwähnung über archäologische
Ausgrabungen durch eine Besatzungsmacht. Das wurde 1999 in
einem 2. Protokoll der Haager Konvention berichtigt, die im
einzelnen aufführt, dass eine Besatzungsmacht darauf achten
muss, dass in besetzten Gebieten ( von ihr) keine Ausgrabungen
stattfinden. Das zweite Protokoll trat am 9.März 2004 in Kraft,
wurde aber von Israel noch nicht unterzeichnet.
Barghout und
Jaradats Studien fanden heraus, dass jüdische Siedlungen in der
Westbank direkt 924 archäologische Orte entweder schon oder
durch zukünftige Expansionspläne annektiert haben. Diese Zahl
wird sich aber noch auf 4264 Orte und archäologische
Orientierungspunkte erhöhen; 466 von ihnen sind größere
archäologische Stätten , wenn erst einmal die Mauer vollständig
gebaut wurde. Diese Zahl entspricht 47 % aller bekannten
größeren Stätten in der Westbank, einschließlich Ostjerusalem –
von insgesamt 1084 Stätten, nach einem britischen Plan von 1944,
der alle archäologischen Stätten der Westbank vermessen und
aufgenommen hatte.
Die
ideologische und historische Prämisse hinter dem Festlegen des
Mauerverlaufs in dieser Weise – sagten Bargouth und Jaradat -
ist, dass die Westbank als das historische und geographische
Gebiet betrachtet wird, auf dem die israelitischen Stämme
während der Eisenzeit um etwa 1000 v.Chr. gesiedelt haben, und
wo damals Judäa und Samaria geschaffen wurden.
Zwischen 1967
und 2000 wurden die nördlichen und zentralen Gebiete und sogar
der Raum Jerusalem gründlichst vermessen und aufgenommen -
sagten die beiden Forscher - was Israel nun in die Lage
versetzt, genau die Orte für jüdische Tradition als bedeutsam
zu beurteilen und nun zu bestimmen, was unter israelischer
Herrschaft bleibt. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die
archäologischen Stätten zu einem der Maßstäbe wurde, nach denen
man den Lauf der Mauer bestimmte.
„Die Mauer ist
für das palästinensische kulturelle Erbe eine Katastrophe“, sagt
Taha . Zusätzlich zur Tatsache, dass sie fast 50% der
archäologischen Stätten vom palästinensischen Gebiet isoliert,
wird sie den religiösen Tourismus, für den Palästina berühmt
ist, beeinträchtigen. Die Hauptstätten des religiösen Tourismus
sind schon isoliert. Schauen Sie sich Jerusalem und Bethlehem
an. Das Reisen zwischen diesen beiden Städten, was Jahrtausende
lang kein Problem war, ist jetzt für Palästinenser fast
unmöglich geworden.“
Veröffentlicht am 1.September
2004 in Palestine Report
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs) |