Berichte vom Rand
Israelisches Durchgreifen gegenüber Dissidenten
Conn Hallinan
( portside.org) 27.2.10
Ein hartes Durchgreifen
gegenüber israelischen Dissidenten zieht scharfe Kritik von
Seiten der Menschenrechtsorganisationen nach sich und
mindestens einen sanften juristischen Schlag auf das
Handgelenk der Regierung von Benjamin Netanjahu. Die
Behörden zielen auf Gruppen wie B’tselem, New Israel Fund (NIF),
die Association for Civil Rights in Israel (ACRI) und auch
auf ausländische Aktivisten in den besetzten Gebieten.
„Es gibt einen Versuch,
Dissidenten zum Schweigen zu bringen“, sagte die Sprecherin
von B’tselem Sarit Michaeli zu Tobias Buck von der Financial
Times. „Seit dem Gazakrieg ist das politische Klima in
Israel äußerst polarisiert. Und diese Polarisierung hat
einen Punkt erreicht, wo jeder, der kritisch ist, als
Verräter abgestempelt wird.“
Die Netanjahu-Regierung hat
einen Gesetzesentwurf unterzeichnet, der , wenn er
durchgeht, schwerwiegende Registrierbedingungen für NGOs und
einzelne Gesetzesverletzer anwenden wird - bis zu einem
Jahr Gefängnisstrafe.
„Dies sind klassische
McCarthy-Techniken, wenn man unsere Organisationen als
Feinde des Staates darstellt und behauptet, wir würden der
Hamas und Terrorgruppen helfen,“ sagte der ACRI-Vorsitzende
Hagai Elad zum Journalisten Jonathan Cook (Nazareth).
Am 15. Januar brach die Polizei
eine friedliche ACRI-Demo in Ost-Jerusalem ab und verhaftete
Leute. Die Rallye protestierte gegen die Vertreibung von
Palästinensern aus dem Sheikh Jarrah-Stadtteil und den
Einzug von Siedlern in deren Wohnungen. Demonstranten wurden
36 Stunden lang festgehalten, bis ein Richter vom
Jerusalemer Schiedsgericht sie ohne Anklage entließ. Der
Richter weigerte sich auch, eine polizeiliche Forderung zu
erfüllen: den Demonstranten den Zutritt zu diesem Stadtteil
zu verbieten.
Gepanzerte Personenwagen und
ein Trupp schwer bewaffneter Soldaten umstellte die Wohnung
der Tschechin Eva Novakova in Ramallah und zwang sie, sich
vor gezückten Waffen anzuziehen, und deportierten sie nach
Prag, weil ihr Visum nicht mehr gültig gewesen sei.
Soldaten verhafteten auch ein australisches und spanisches
Mitglied von ISM in Ramallah. Aber das Oberste Israelische
Gericht befahl ihre Entlassung.
Jared Malsin, eine US-jüdische
Redakteurin der Palästinensischen Nachrichtenagentur wurde
am Flughafen Ben-Gurion festgenommen und kam in Haft, um
deportiert zu werden. Die Haft- und Deportationsorder wurden
vom Internationalen Bund der Journalisten als eine
unerträgliche Verletzung der Pressefreiheit verurteilt.
Der israelische
Menschenrechtsanwalt Omar Schatz sagt, bei den Verhaftungen
geht es darum, den Spiegel fest zu machen, nicht um das
Festmachen des Spiegelbildes, das die Israelis im Spiegel
zeigt.
Das Durchgreifen hat sogar eine
Gruppe Frauen erreicht, die gegen ultraorthodoxe Juden
kämpfen, weil sie für ihr Recht, an der Klagemauer zu beten,
kämpfen. Im November wurde Nofrat Frenkel von den Frauen der
Klagemauer (WW) verhaftet, weil sie eine Torah getragen
hatte und einen Gebetsschal.
Eine Woche vor den Verhaftungen
in Sheik Jarrah wurde Anat Hoffman, Direktorin des
Religiösen Aktionszentrum Israels verhaftet; es wurden
Fingerabdrücke von ihr genommen und sie wurde über die
Unterstützung der Organisation der WW und ihre Proteste
verhört.
Naomi Chazan, die israelische
Präsidentin der NIF-Organisation mit Sitz in den USA, wurde
einer Diffamierungskampagne ausgesetzt, einschließlich
Postern, auf denen sie mit Hörnern dargestellt wird. Eine
Regierungspresseagentur verteilte einen Artikel an die
Auslandspresse, der sie anklagt, sie würde „der Agenda des
Iran und der Hamas dienen.“ Sie verlor auch ihren Job als
Kolumnistin bei der Jerusalem Post .
Der Versuch, jede
Herausforderung gegenüber der Netanyahu-Regierung zu
unterdrücken, ist eine Reaktion der weltweiten Kritik, die
Israel nach dem Gazakrieg erntet. Tel Avivs fortgesetzte
Weigerung, jeden Wiederaufbau der mehr als 3500 bei der
Invasion zerstörten Häuser im Gazastreifen zu verweigern,
hatte einen von 53 US-Kongressmitgliedern unterzeichneten
Brief zur Folge, der ein Ende der de-facto-Kollektivstrafe
der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens fordert.
Der US-Rep.Brian Baird (D-Wa)
schlug vor, eine kraftvolle Aktion zu unternehmen, um die
Gazablockade zu beenden. „Wir müssen Schiffe bringen, die
direkt ans Ufer schwimmen und Hilfsgüter bringen, wie damals
während der Berliner Luftbrücke“.
Aber da gibt es auch interne
Spannungen hinter der harten Politik. Die lange Besatzung
der Westbank hat das israelische Militär stark
mitgenommen. Nach dem Chef des isr.
Militärpersonaldirektorats, Generalmajor Avi Zamir,
verweigert eine größer werdende Anzahl von Israelis den
Militärdienst in den besetzten Gebieten. Drei Jahre ist für
Männer Pflicht, 21 Monate für Frauen.
Wenn man an die
israelisch-arabische Jugend denkt, so wollen 70% der
Jugendlichen keinen Militärdienst machen (Anscheinend sind
Beduinen und Drusen hier gemeint – die Araber in Galiläa
machen keinen Militärdienst ER).
Die „Mut zum
Verweigern-Bewegung“ unterstützt seit langem Soldaten, die
keinen Militärdienst machen wollen. Und nun gibt es eine
Organisation – Shministin – die junge Leute berät, wie man
ein Gewissensverweigerer wird, und die die“Refuseniks“
unterstützt. Die Polizei hat auch mehrere Aktivisten von
„New Profile“ verhaftet, einer Gruppe, die gegen die
Militarisierung der israelischen Gesellschaft ankämpft.
Ein neues Gesetz macht allein
das Gedenken der Palästinenser an die Nakba (Vertreibung von
1948 und der Verlust des Landes) zu einem Verbrechen.
Nach Menschenrechtsgruppen ist
die Polarisierung eine ernste Bedrohung für das Recht der
Redefreiheit. . Eine vor kurzem abgehaltene Umfrage fand
heraus, dass 57% der Israelis denken, dass „nationale
Sicherheit“ wichtiger ist als die Menschenrechte. Das Land
geht auf eine „totalitäre Demokratie“ zu , sagt der Tel
Aviver Uni-Prof. für Politikwissenschaften und Autor Amal
Jamal.
Folgende tapfere Organisationen
benötigen Hilfe:
www.Newprofile.org;
www.NIF.org
www.acri.org;
www.palsolidarity.org
www.couragetorefuse.org
www.shministim.org .
www.WomenoftheWall.blogspot.com
(dt. Ellen Rohlfs)