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„Eskaltion“ – „Vergeltung“  und die Doppelmoral der BBC  in Gaza
Jonathan Cook, the Electronic Intifada, 26.6.06

 

Das Töten von zwei  israelischen Soldaten durch zwei palästinensische Militante und die Gefangennahme eines dritten aus einem Armeeposten nahe an der Grenze zum Gazastreifen  bereitet die Szene  für israelische Vergeltungsmaßnahmen vor, entsprechend den Wochenend-Berichten der BBC-Korrespondenten in Israel und Gaza.

Der Angriff  der Palästinenser, die durch einen Tunnel unter dem den Gazastreifen  umgebenden Elektrozaun hindurchkrochen, wird ( von Alan Johnston)  als „größere Eskalation der grenzübergreifenden Spannung“ bezeichnet, die das Vorspiel „einer Woche von Fortschritten auf beiden Seiten“ (John Lyon) bedroht: nämlich die kürzlich stattgefundenen Gespräche zwischen dem Ministerpräsident Ehud Olmert und dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas in Jordanien und zwischen den rivalisierenden Gruppen Fatah und Hamas.

 

Nach der BBC-Analyse  beendet dieser Angriff die unmittelbare Chance für „Friedens“-Verhandlungen, gibt aber stattdessen den Kontext für die nächste Runde des Konfliktes zwischen der israelischen Armee und den Palästinensern im Gazastreifen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu folgern, dass alles Leiden, das die Armee in der nächsten Zeit verursacht, diesem Moment der „Eskalation“ durch die Palästinenser geschuldet ist.

 

Ignorieren sollen wir also das wochenlange Beschießen von Gaza durch die israelische Armee,  das Abfeuern von Hunderten von Granaten  in den übervölkerten Streifen, das palästinensisches Leben und Besitz zerstört, Terror unter der Zivilbevölkerung verbreitet und das psychologische Trauma einer ganzen Generation  von Kindern vertieft hat.

Ignorieren sollen wir auch die mehr als 30 toten Zivilisten und Dutzende von schrecklich Verletzten  der letzten paar Wochen durch israelisches Militär, einschließlich der drei Kinder, die bei einem  fehlerhaften Angriff aus der Luft ums Leben kamen und einen Tag später eine hochschwangere Frau und deren Bruder, die  in ihrem Wohnzimmer tödlich getroffen wurden, als sie beim Mittagessen saßen.

 

Ignorieren sollen wir die seit Monaten andauernde Blockade von Gazas „Grenzen“ durch die israelische Armee, die die Palästinenser im Gazastreifen daran hindert, an Grenzübergängen mit Israel Handel zu treiben und lebensnotwendige Nahrung und Medizin  zu erhalten. Als gefangen genommene Bevölkerung, die von israelischen Soldaten belagert wird, ist die Bevölkerung von Gaza  mit einer humanitären Katastrophe konfrontiert, die von der israelischen Regierungspolitik sanktioniert und von der israelischen Armee vollstreckt wird.

 

Ignorieren sollen wir Israels Einschüchterung der internationalen Gemeinschaft, damit sie stillschweigend nicht nur  dem Austrocknen der Hilfsgelder  der Hamas-geführten Regierung  zustimmt und sondern auch der Behinderung  jeder  diplomatischen Bewegung und so die gewählte palästinensische Führung daran hindert, den Gazastreifen zu regieren. Die Lage dort ist so verzweifelt, dass Hamasoffizielle gezwungen sind, Koffer - mit  Millionen Dollar  Bargeld vollgestopft - über die Grenze zu schmuggeln, um Gehälter auszahlen zu können.

 

Und schließlich sollen wir auch die Verletzung palästinensischen Gebietes durch ein israelisches Kommando ignorieren, das – einen Tag vor dem palästinensischen Angriff –  in den Gazastreifen eindrang, um zwei Palästinenser zu kidnappen, von denen Israel behauptet, sie seien Terroristen . Sie sind „verschwunden“ und werden zweifellos in Administrativhaft gehalten, wo ihnen der Zugang zu Anwälten, Gericht und natürlich Gerechtigkeit verweigert wird.

Nichts von alle dem liefert – nach Ansicht  der BBC - den Kontext für den palästinensischen Angriff auf den Armeeposten, ganz zu schweigen von den vorausgegangenen vier Dekaden der Besatzung. Nichts davon scheint relevant zu sein, um den palästinensischen Angriff zu verstehen oder  die Rechtmäßigkeit von Israels drohender  militärischer „Vergeltung“ richtig zu beurteilen.

 

Kurz gesagt – gemäß BBC – sollten wir auch Israels lang andauernde Politik der Einseitigkeit  ignorieren  d.h. die Weigerung,  ernsthaft  mit den Palästinensern zu verhandeln ...ignorieren sollten wir auch Israels Strategie der Kollektivstrafen der Bevölkerung von Gaza, um diese   einer fortdauernden Besatzung zu unterwerfen.

Nach der verdrehten Moral  und  den Nachrichten-Prioritäten der BBC liefert das Töten von zwei Soldaten  durch palästinensische Militante – die sog, „Eskalation“ – eine Rechtfertigung für „wilde Vergeltung“ gegen den Gazastreifen mit dem unvermeidlichen Blutzoll palästinensischer Zivilisten und Militanten.

Das vorausgegangene Töten von zig palästinensischen Zivilisten  jedoch durch das israelische Militär  wird nicht als Rechtfertigung für palästinensische Vergeltung gegen die Armee angesehen.

In andern Worten: auf der BBC-Messlatte moralischer Verbrechen rangiert  der Tod israelischer Soldaten, die eine illegale Besatzung  erzwingen, weit über dem palästinensischer Zivilisten, die eine illegale Besatzung erdulden.

Da gibt es eine weitere  bemerkenswerte Asymmetrie in der Einschätzung  der BBC, was die „Eskalation“ betrifft. Die Teilnahme des militärischen Flügels der Hamas  bei dem Angriff  ist ein Beweis für die Rolle der palästinensischen  Führung bei  der „eskalierenden gespannten Atmosphäre“ , suggeriert der Reporter. Aber der Mord  an einer 7 köpfigen palästinensischen Familie am Strand von Gaza - und viel mehr Zivilisten seitdem  - durch die israelische Armee  am 9. Juni war anscheinend keine „Eskalation“, obwohl genau dies die Hamas provozierte, die Waffenruhe aufzugeben, die sie 16 Monate durchgehalten hat – trotz der  fortgesetzten israelischen militärischen Angriffe.

 

Wie kann also ein gewöhnlicher Fernseh-Zuschauer  sich aus diesen Ereignissen  - „der endlosen Gewaltspirale“ -  mit Hilfe der BBC einen Reim machen? ( und die BBC ist nicht  schlechter, möglicherweise sogar besser als die meisten westlichen Sender. Sie hat wenigstens den Reporter Alan Johnston im Gazastreifen positioniert) . Ihre Reporter zeigen nicht nur die Vorurteile, die mit einem institutionalisierten Rassismus verbunden sind– als Organisation identifiziert sich die BBC eher mit den israelischen Belangen als mit den palästinensischen – sie verbindet diese Verdrehung der Tatsachen durch unkritische Wiederholung von Israels eigener Fehldarstellung des Geschehens.

 Die Reporter fallen wie so viele andere in die Falle, den Konflikt durch die Brille der israelischen Regierung zu sehen, derselben Regierung, deren Ministerpräsident Ehud Olmert letzte  Woche stolz seinen ethnischen Chauvinismus zeigte, indem er das Leiden der jüd. Bevölkerung von Sderot,  die sich meistens nicht tödlichen selbstgebastelten Qassem-Raketen  gegenüber sieht, im Gegensatz zu der größer werdenden  Todesrate von Gazas Zivilisten durch  ständiges Bombardement aus der Luft und vom Lande her. „Die Bevölkerung von Gaza tut mir von Herzen leid,“ sagte Olmert, „aber das Leben und Wohlbefinden der Bewohner von Sderot ist wichtiger, als das der Bewohner von Gaza.“ In andern Worten: die mögliche Bedrohung eines einzelnen Juden ist wichtiger, als der Tod von Dutzenden  palästinensischer Unschuldigen.

So erfahren wir ohne Kommentar durch die BBC, dass Olmert den Tod an zwei Soldaten als „Terrorismus“ betrachtet ... Wie ist es für ein paar Männer mit leichten Waffen möglich, eine der mächtigsten  Armeen der Welt zu terrorisieren? Noch etwas?  Müssen wir vielleicht mitfühlend den US Behauptungen zuhören, dass ihre Soldaten von irakischen  Aufrührern „terrorisiert“ werden ?

......

Und beide BBC-Reporter erwähnen besonders, wie sehr Israel davon betroffen ist, dass palästinensische Militante  das erste Mal  seit dem Rückzug Israels  aus Gaza vor fast einem Jahr aus dem  eingezäunten Gazastreifen ausgebrochen seien. Irgendwie macht die Tatsache, dass Palästinenser kurz aus ihrem Gefängnis ausbrechen, den Angriff  nicht nur für die Israelis, sondern auch für die Reporter  besonders schockierend. ... Man ignoriert die Tatsache, dass der Angriff gegen israelische Soldaten war, die  die Palästinenser belagern, einsperren und beschießen. Sollte die BBC  nicht einmal innehalten und über die doppelte Moral nachdenken, die sie anwendet?

War der Überfall der israelischen Armee einen Tag vorher, um zwei angebliche palästinensische Militante  gefangen zu nehmen nicht eine gleiche Verletzung der palästinensischen Souveränität ? Natürlich nicht.  Die BBC weiß genau wie wir, dass die Armee den Gazastreifen  nie wirklich verlassen und die Besatzung nie wirklich geendet hat. Aber das hört man nicht  von einem ihrer Reporter.

 

Jonathan Cook, Nazareth, ist der Autor von “Blut und Religion: die Entlarvung des jüdischen und demokratischen Staates, veröffentlicht bei Pluto-Press und in den USA über die Universität der Michigan Press erhältlich.  Seine Website: www.jkcook.net.

 

(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)

 

 

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