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Prof. Ekkehard  Stegemann
Weber G. Briefe aus Gaza

 

 

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Weiter Seiten: Prof. Ekkehard  Stegemann • Weber G. Briefe aus Gaza  - e-mail von Prof. Dr. Wolfgang Stegemann

 

"DIE LIPPEN LACHEN UND DAS HERZ WEINT" (Palästinensische Mutter im Gaza-Streifen)

Dr. Gabriele Weber

 1. Brief - Seit Samstag befinde ich mich im Gaza-Streifen und habe entschieden, dass ich versuchen möchte, anstatt meiner üblichen Palästina-Rundmails, eine Art Reisebericht zu verschicken, um meine Eindrücke von hier an Sie weiter zu leiten. Dies werden vielleicht nur einzelne Begebenheiten sein, oder Beobachtungen, die ich mache. Auf jeden Fall ist es eine persönliche und damit subjektive Einschätzung der Situation hier vor Ort. (...)
Nachdem schon Herr Minister Niebel den israelisch-palästinensischen Grenzübergang in Erez nicht passieren durfte, ging ich davon aus, dass die einzige Alternative - nach Kairo zu fliegen und von dort mit einem Taxi über den Sinai zur ägyptisch-palästinensischen Grenze in Rafah zu fahren - die Klügere sein würde. Am Ende haben meine drei Kinder und ich es auch tatsächlich geschafft, doch kann man den Weg in den Gaza-Streifen über Rafah durchaus als eine moderne Form der "Via Dolorosa" betrachten - Hitzschlag, Mutlosigkeit und völliges Unverständnis über die Auswüchse "menschlichen" Zusammenlebens und menschlicher Unmenschlichkeit - inbegriffen (dies wohlgemerkt nur von ägyptischer Seite her).
Die ersten Eindrücke bei der Fahrt vom palästinensischen Rafah nach Gaza sind sehr bedrückend: zerstörte Häuser, halbfertige Gebäude, Einschusslöcher, Abwasser, das in manchen Straßen fließt, viel viel Schmutz.
Vor zehn Jahren waren wir zum letzten Mal hier - im Vergleich zu damals fehlen heute die hochbewaffneten israelischen Soldaten und Checkpoints, die ein permanentes, latentes Angstgefühl hinterlassen haben. Außer einem palästinensischen Polizeifahrzeug direkt am Grenzübergang, haben wir bis heute noch keinerlei Polizei oder Militär gesehen. Es ist ruhig und wir fühlen uns unter den Menschen sicher. Nach allem, was in Deutschland berichtet wird, erwartet man Brigaden von Hamas-Kämpfern in den Straßen, die das Volk in Angst und Schrecken versetzen. Dem ist in keinerlei Weise so.
Ich habe gestern begonnen, mit ganz unterschiedlichen Menschen zu sprechen und ihre Einschätzung der jetzigen Situation wieder zu geben. Wie überall auf der Welt sieht jeder die Dinge anders. Das macht die Vielfalt der Menschen ja aus. Was mir bei allen meinen Gesprächspartnern bis jetzt als Gemeinsamkeit aufgefallen ist, ist eine abgrundtiefe Traurigkeit, die hinter allem steckt. Ja, die Menschen in Gaza können trotzdem lachen, doch dieses Lachen hat einen sehr bitteren Beigeschmack. Die wirtschaftliche Lage der Meisten ist sehr schlecht. Es stimmt, dass es im Moment wieder viele Waren hier gibt, die vor allem über die Tunnel hereingebracht werden. Doch sind diese Dinge für den Großteil der Bevölkerung sehr teuer (ich persönlich finde, dass gerade wir Deutschen uns über auf die Waren auferlegte Steuern nicht aufregen sollten! Sie sind doch ein bewährtes Mittel von Regierungen, das Geld, das für (un)nötige Investitionen ausgegeben wird, beim Volk einzutreiben). Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Armut wächst, so dass immer mehr Menschen betteln müssen.
Katastrophal sind Abwasser-, Wasser - und Stromversorgung: Abwasser steht auf freien Flächen und strömt bei dieser Hitze einen bestialischen Gestank aus. Wasser ist knapp - wenn man mit warmem Wasser duschen möchte, muss man sich dieses auf dem Herd erst erhitzen und dann in einem Eimer mit kaltem Wasser mischen. Dann nimmt man ein Gefäß und "duscht", immer mit der Vorgabe, so wenig Wasser wie möglich zu verbrauchen, um nicht verschwenderisch mit diesem kostbaren Gut umzugehen. In Gaza ist tägliches Duschen ein Luxus, den sich kaum einer leisten kann.
Im Moment gibt es Strom, doch spätestens heute Nachmittag wird er ausgestellt hier in unserem Wohngebiet. Jede Region hat zu einer anderen Zeit keinen Strom. Wenn es keinen Strom gibt, gibt es auch kein fließendes Wasser aus dem Hahn, da beides aneinander gekoppelt ist. Kein Wasser, keine Toilettenspülung (sofern solch eine Toilette überhaupt vorhanden ist), keine Möglichkeit mit einem Ventilator die Hitze erträglicher zu gestalten - und dies über Stunden hinweg.
Meistens kommt der Strom kurz vor Sonnenuntergang wieder. Man sitzt beim Essen ( es ist Ramadan ) und plötzlich gehen die Lichter wieder aus. Hier in Gaza ist deshalb jedes Handy und jedes Feuerzeug mit einer kleinen Lampe ausgestattet, mit der man dann eine Art Notbeleuchtung hat.
Die in diesem Jahr auch im Nahen Osten bestehende Jahrhundert-Hitze hat natürlich, was die kleinen "unangenehmen Haustierchen" angeht, zur Hochkonjunktur geführt: tausende winziger Ameisen überall, lästige Fliegen und 5cm große Kakerlaken begleiten unseren Alltag.
All dies und vieles andere macht das Leben der Menschen hier wirklich schwer. Doch die eigentliche Schwierigkeit auch für mich persönlich besteht in der latenten externen Bedrohung, die man ständig spürt. Ich bin immer mit einem kleinen Kloß im Magen nach Gaza gekommen, aufgrund dieser Bedrohung der Menschen durch das israelische Militär. Nun, nachdem die jüdischen Siedler den Streifen vor einigen Jahren verlassen haben, fühlt man sich ausgeliefert, da man weiß, dass, ohne Rücksicht auf "wertvolles israelisches" Leben nehmen zu müssen, "unwichtiges palästinensisches" Leben einfach ausgelöscht werden kann. Wie die letzte Militäroffensive gezeigt hat, wird von allen Richtungen mit den entsprechenden abscheulichen Waffen gezielt und getötet. Eine Fluchtmöglichkeit gibt es nicht.
Mein Kloß im Magen ist seit gestern größer geworden: vier jüdische Siedler wurden in der Westbank getötet, anscheinend hat sich Hamas dazu bekannt. (Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass ich jede Form von Gewalt ablehne!). Nun besteht also durchaus die Chance, dass die nächste Vergeltungs-Aktion bevorsteht. Ein gefangener israelischer Soldat rechtfertigte im vergangenen Jahr hunderte von Toten, welche Dimension könnte dann die Racheaktion für vier getötete israelische Siedler annehmen? Ich mag es mir gar nicht vorstellen - ganz ehrlich - ich habe heute Angst - obwohl meine einheimischen Gesprächspartner dies im Moment eher gelassen einschätzen. Sie meinen, dass das Augenmerk zur Zeit auf die anderen "Feinde" Libanon, Iran und Syrien gerichtet ist. Ich wünsche den Menschen in diesen Ländern um Himmels willen keinen Krieg, doch bin ich im Augenblick froh um diese "Ablenkung". Da sieht man wieder, wie sehr uns das eigene Wohlbefinden doch am Herzen liegt! Das war´s für´s Erste! Drücken Sie uns die Daumen, dass es zu keiner Katastrophe kommt! Wie immer grüße ich Sie alle herzlich - heute aus dem Gazastreifen! G. Weber

 

 

 2. Brief Dr. Gabriele Weber aus Gaza - 8.9.2010 - Obwohl ich vorhatte, regelmäßig einen kleinen Bericht aus Gaza zu schicken, ist mir dies nicht gelungen, angesichts der chaotischen Zustände - was Strom und Internetzugang anbetrifft. Auch jetzt gerade habe ich keine Internetverbindung (es ist Mittwoch morgen, 00h15), da der Strom wieder ausgefallen ist.
Morgen müssen wir die Zelte hier abbrechen, da die ägyptische Grenze ab Donnerstag für drei Tage geschlossen wird - Anlass ist das Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan. Die Trauer ist auf allen Seiten groß - Abschied nehmen in Gaza grenzt an ein Drama, da man nie weiß, ob und wann man sich wieder sehen wird. Es bleibt immer ein Stück des Herzens bei diesen armen Menschen.

Wie schon in meinem Anfangsbericht geschildert, empfinden meine Kinder und ich die latente Bedrohung vor allem aus der Luft, als psychisch nur sehr schwer erträglich. Wenn man abends im Dunklen an Gaza´s herrlichem Strand sitzt, den Sternenhimmel über sich hat und das Meeresrauschen hört, glaubt man fast daran, dass dies ein schöner, harmloser Urlaubsstrand ist, wie man ihn überall auf der Welt finden kann. Doch dann kommen die israelischen Überwachungsflugzeuge, erzeugen ein entsprechendes Motorengeräusch und automatisch erlebt man ein Gefühl der Bedrohung. Als wir diese Flugzeuge zum ersten Mal hörten, hatten wir solche Angst, dass uns die Einheimischen ausgelacht haben. Sie versuchten natürlich, uns zu beruhigen, doch gelang dies nur schwer. Sie erklärten uns, dass nur die Helikopter gefährlich seien.
Heute nun, ein Tag vor dem Ramadanfest, kamen dann auch die Helikopter. Sie kreisten minutenlang unweit von uns. Allen war klar, dass dies kein gutes Zeichen sei, da sie berüchtigt für die sogenannten "gezielten Tötungen" mit entsprechenden "Kollateralschäden" (wie ich dieses Wort hasse) sind. Bis jetzt wissen wir nicht, ob sie wirklich "zugeschlagen" haben, da wir keine Nachrichten hören können. Unsere Angst hielt sich diesmal in Grenzen, da wir zwischenzeitlich einen kleinen Fatalismus entwickelt haben - man sagt sich, dass man, wenn es soweit kommen sollte, es doch nicht ändern kann - und hofft darauf, verschont zu bleiben.

Vorgestern habe ich eine Hilfsorganisation für Frauen und Kinder in Gaza Stadt besucht. Mir wurde dort bestätigt, was ich selbst bei meinen vielen Gesprächen empfunden habe - diese Menschen sind ALLE traumatisiert. Sie befinden sich in einem Dauertrauma (ongoing trauma), und keiner kann ihnen heraus helfen. Sie haben im Laufe der letzten 43 (oder besser gesagt 62) Jahre ein Trauma nach dem anderen durchleben müssen, ohne Zeit zu einer Auf- und Verarbeitung für jedes Einzelne zu haben. Ein schreckliches Ereignis reiht sich an das Nächste.
Es gibt hier zwar viele Universitätsabgänger im Fach Psychologie, sie alle haben aber keinerlei klinische Erfahrung - auch fehlt ein Studiengang in klinischer Psychologie. Es kommen viele verschiedene HelferInnen vom Ausland, doch bleiben diese meist nur wenige Wochen, können Impulse geben und auch entsprechende Informationen mit nach Hause nehmen. Das große Grundproblem der Palästinenser aber- das FEHLENDE SICHERHEITSGEFÜHL - hat bis jetzt noch keiner gelöst. Ob wohl unsere "westliche-Werte-Demokratien", die sich so gerne mit hehren Ansprüchen und Eigenschaften schmücken, endlich dafür eintreten, die völkerrechtswidrige BESATZUNG ohne Bedingungen zu beenden und einen gerechten Frieden in Palästina zu schaffen? Es ist schon lange an der Zeit und die armen Menschen hier, haben es mehr als verdient, endlich ihren Wunsch nach einem "normalen" Leben erfüllt zu bekommen. Viele meiner Gesprächspartner haben kein Interesse an Politik, sie wünschen sich einfach nur zu leben, ihren Alltag zu bewältigen und ihre Kinder zu glücklichen Menschen heranwachsen zu sehen. Die unglaublich hohe Geburtenrate in Gaza hat auch damit zu tun - die meisten Eltern verlieren mehrere Kinder im Laufe der Jahre. Kinder sind die Altersvorsorge, die Eltern werden von den Söhnen versorgt , sie bleiben im Familienverbund bis sie sterben.

Ein weiterer Besuch galt vorgestern der Samouni-Familie, die bei der israelischen Militäroffensive "Gegossenes Blei" im vergangenen Jahr 29 Familienmitglieder verloren hatte. Ich konnte mit den betreuenden ErzieherInnen am Nachmittag zwei Stunden ca. 40 Kinder beim Spielen, Singen und Toben zusehen. Ein ebenso anwesender amerikanischer NGO-Mitarbeiter kritisierte zu Recht, dass aus dem Schicksal dieser Kinder ein Medienspektakel geworden ist. Wöchentlich kommen Fernsehteams und bringen Unruhe in die Arbeit der Therapeuten. Manche der Kinder kommen automatisch vor die Kamera, leiern ihre traumatische Geschichte herunter und werden so ständig an diese schrecklichen Ereignisse erinnert. Auch schilderte mir der Amerikaner, dass Gaza überschwemmt wird mit unnötigen "Hilfsgütern", die eigentlich gar nicht angepasst sind an die Situation hier vor Ort. Anstatt wirklich auf die Bedürfnisse der Gesellschaft einzugehen, die unbedingt dazu gebracht werden muss, aus dem Status des "Bettelns" in den Status des aktiven Handelns gebracht zu werden, beruhigt die Staatengemeinschaft ihr schlechtes Gewissen durch solche Hifslieferungen. Welche Verschwendung von Material, Logistik und Geld!

Es gibt noch viel zu berichten, doch möchte ich mich nun, da es zwischenzeitlich 1h30 geworden ist, von Ihnen verabschieden.

Die nächste Rundmail wird Sie voraussichtlich wieder aus Freiburg erreichen, wenn alles so klappt, wie es sein sollte. Doch man weiß ja nie - hier in Gaza noch weniger als irgendwo sonst auf dieser Welt.
Noch einmal sende ich Grüße aus dem schönen, armen, vor Leben und Schmutz überbordendem, traurigen und dennoch hoffnungsvollem Gazastreifen

G. Weber

 

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