Über Menschenrechte, MRO und
Menschenrechtsverletzungen in Israel/Palästina
Ellen Rohlfs: Am 18.1.2012 in Osnabrück gehalten
Liebe Freunde der Remarque-Gesellschaft
Ich soll heute hier ein Kurzreferat halten - ich
wollte es ursprünglich in Form eines Briefes an unsere
Regierung machen - egal ob er abgeschickt wird oder nicht.
Auf jeden Fall werde ich Tacheles - die Wahrheit - reden
also
Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, -
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Sie mit dem
Thema konfrontiere, das mich seit 45 Jahren als Deutsche mit
Scham und Sorge beschäftigt: der Nahostkonflikt, bes. über
die Lage der Menschenrechte.
Ich möchte Ihnen zunächst einige Fakten nennen; meine
Quellen sind die Nachrichten aus der israel. Tageszeitung
Haaretz, die ich täglich im Internet auf englisch lese und
isr. Menschenrechtsorganisationen, von denen ich fast
täglich 1 Artikel übersetze - es gibt allein in Israel 17
isr. und 6 internat. Menschenrechtsorganisationen - und in
den besetzten Gebieten auch noch neun ( u.a. PHRIC, Al-Haq,
Al Mezan, Adalah, die aber alle irgendwie zusammenarbeiten.)
Auch einige der isr. HRO möchte ich mit Namen nennen
B'tselem, (hier( in OS) einige Berichte von B'selem),
Physician for HR, Rabbiner for HR, Machsom Watsch, Yesh Din;
ICAHD ( Jeff Halper), New Profile, WOFPP, Kavla Oved, ACRI,
Bustan und Rechtsanwälte, wie Felicia Langer ( bis1990) Lea
Tzenel, Linda Brayer, Sfard u.a.)
Internationale: Human Rights Watch, Amnesty, Medico, Save
the Children, Oxfam, UN-Ocha und einige isr. Gruppen, die
Friedensarbeit mit HR arbeit verbinden wie Alternative
Information Center (AIC), Gush Shalom, Frauen in Schwarz,
Peace Now, Breaking the Silence, Combatants for the Peace, .
Näher auf sie einzugehen, würde jetzt den Zeitrahmen
sprengen.
So viele Menschenrechtsorganisationen in so einem kleinen
Land - warum wohl?
Seit 65 Jahren werden die Palästinenser, die entmenschlicht
und dämonisiert werden, aus ihrem Land vertrieben - es
geschieht seit 65 Jahren ethnische Säuberung, sagt die
isr. Journalistin Amira Hass in Haaretz 2010 und Ilan Pappe
in seinem Buch "Ethnische Säuberung" und Miko Peled vor
kurzem in einem Artikel.
Täglich wird palästinensisches Land geraubt
rund um die jüdischen Siedlungen - allein um Bethlehem sind
es jetzt 21 Siedlungen. Inzwischen leben eine halbe Million
Siedler illegal auf gestohlenem Land - und die pal. Gebiete
werden zu immer kleiner werdenden Enklaven/Bantustans
Mit dem Landraub wurden seit 1967 Millionen von
pal. Olivenbäume von Siedlern und Soldaten zerstört
unter ganz verschied. Vorwänden: Sie sind aber die
Lebensgrundlage für viele pal. Bauern. In den letzten Tagen
wurden wieder 100. zerstört.
In Ost-Jerusalem werden von Jahr zu Jahr mehr paläst.
Häuser zerstört oder jährlich ca 1000 pal. Bewohner aus
ihren Häusern vertrieben - Ost-Jerusalem wird
judaisiert - ethnisch gesäubert, wie Ilan Pappe es nennt -
auch der Jordangraben und die Beduinen im Negev werden
vertrieben und ihre Hütten zerstört. Die Beduinensiedlung
Al-Araqib wurde inzw. zum 30. Mal behelfsmäßig wieder
aufgebaut ….
Landraub geschieht aber auch durch den isr. Straßenbau
für Straßen, auf denen nur Israelis, die Siedler fahren
dürfen - ja es sind Apartheidstraßen. Gestern schrieb A.
Hass darüber.
Landraub geschieht auch mit dem Bau der inzwischen über 500
km langen /8 m hohen und mit allen Begleit-Straßen und
Sicherheitsstreifen 50-100m breiten Apartheidmauer , die
zuweilen ein Zaun ist - meist auf pal. Land - nicht
wegen Sicherheit, sondern wegen Land und Wasserquellen. Und
damit bin ich bei einem der größten Probleme und
MR-Verletzungen.
Die Palästinenser erhalten den 4-8. Teil des eigenen
Wassers, manche Orte zuweilen nur jeden 3. oder 4. Tag.
Die Siedler aber 8 mal so viel.
Das Wasser im Gazastreifen ist nicht einmal Trinkwasser.
Es ist schwer kontaminiert. Es gibt deshalb inzw. viele
Nierenkranke und blaue Babys. Es gibt kaum Kläranlagen.
Israel lässt kein oder kaum Baumaterial nach Gaza. Millionen
l verschmutzer Abwässer fließen so täglich ins Meer.
Jeden Tag werden bei nächtlichen Überfällen in Dörfern
Palästinenser verhaftet, auch Kinder ab 10 mitten in der
Nacht - ohne Grund. (Fast immer gibt es etwa 5-8000
Gefangene in isr. Gefängnissen, auch ca. 300 Frauen und
(2010) etwa 428 Kinder 2010, die wenigsten "haben Blut an
ihren Händen")) Die wenigsten sind also Terroristen - einige
haben Steine geworfen, die keinen Schaden anrichteten -
viele beteiligten sich an den gewaltfreien Demos gegen die
Mauer, den Landraub, die Besatzung.
In den Gefängnissen wird routinemäßig gefoltert.( s.
Btselem Bericht von 1990)
Fast täglich werden Palästinenser erschossen oder
verletzt - bes. bei den gewaltfreien Demos in Bilin,
Nilin und andern in der Nähe der Mauer gelegenen Orten.
Unliebsame polit. bedeutsame Palästinenser. und Personen aus
andern Ländern (ISM), die deutlich zu verstehen geben, dass
sie mit der Besatzung nicht einverstanden sind, werden nicht
nur verhaftet, sondern schwer verletzt oder umgebracht also
außergerichtliche Todesstrafe: Rachel Corry z.B. durch einen
Bulldozer, Tom Hurndall durch einen Schuß, der
Hamasvertreter in einem Hotel in Dubai durch Gift, der
Schriftsteller Kanafani in Beirut erschossen, ein enger
Mitarbeiter von Arafat in Tunis durch Erschießen, ja Arafat
höchstwahrscheinlich ( nach Uri Avnery) auch durch Gift. Und
in letzter Zeit Juliano Mer Khanis vom Jeniner Theater und
der ital. ISM Mitarbeiter Arragoni im Gazastreifen, das sind
natürlich alles Menschenrechtsverletzungen von isr. Seite -
und über Menschenrechtsverletzungen könnte ich eigentlich
noch stundenlang weiterreden oder z.B. über die Frage: Wieso
kommt es zu diesen HR-Verletzungen ? Und warum wird Israel
deshalb nicht verurteilt?
Miko Peled, der selbst israel. Soldat war, schreibt ( 4.1.12
in einem Artikel) vom isr. Militär, es sei eine
"terroristische Organisation".
Der Gazastreifen hat besonders unter
Menschenrechtsverletzungen zu leiden
In ihm wurden bei milit. Operationen neue Waffen getestet
und verbotene Waffen angewandt: Depletet Uranium, Dime,
Phosphorbomben und in drei Wochen 1400 vor allem Zivilisten
getötet und Tausende verletzt; 58 000 Wohnhäuser beschädigt,
6300 völlig zerstört, 280 Schulen und Kindergärten, 6
Uni-Gebäude, 1400 Fabriken, die letzte arbeitende
Getreidemühle, 80% der Ernte, eine Hühnerfarm usw.
vernichtet.
Die Grenze zum Gazastreifen mit 1,5 Mill. Bewohnern ist
völlig gesperrt und schwer bewacht oder belagert vom
Land, der Luft und vom Meer . So durften z.B. 127 kranke
Kinder nicht in ein Krankenhaus in Israel oder in die
Westbank zu Fachärzten - sie starben.
Der 500 - 1000 m breite innerhalb der Mauer entlanglaufende
Landstreifen, der sonst von paläst. Bauern
landwirtschaftlich genützt wurde, darf jetzt nicht betreten
werden - hier sind schon eine Reihe Menschen bes. Kinder
erschossen worden.. Die Free-gaza-Aktionen per Schiff
durften nicht in Gaza landen. (Auch hier gab es einmal 9
Tote)
Der Gazastreifen ist also noch immer besetzt - auch wenn
innerhalb keine Siedler und Soldaten mehr sind - so ist er
aber mit Zaun und vielen Wachtürme versehen. Die vier
Zugänge sind meist geschlossen. Für die Versorgung wäre nach
dem Völkerrecht Israel verantwortlich - es schickt aber nur
ein Minimum an Nahrungsmitteln hinüber, gerade so viel, dass
die Leute nicht verhungern ( nach Aussage eines Ministers).
Außerdem wäre Israel nicht nur verpflichtet, die Menschen im
Gazastreifen richtig zu versorgen, sondern wäre auch
verpflichtet, Ersatzteile für medizin. und andere Geräte
z.B. Pumpen zu liefern.
Und genügend Strom und Wasser - Strom kommt sehr
unregelmäßig und nur für wenige Stunden ---
So könnte ich noch viele andere Menschenrechtsverletzungen
aufzählen, z.B. die 400 -700 Checkpoints, nicht nur an der
Grenze zu Israel, sondern auch zwischen pal. Städten und
Dörfern. Es gibt keine Bewegungsfreiheit. Das stundenlange
Warten, die demütigende, diskriminierende Behandlung und
ohne Passierschein darf man gar nicht durch. Hier stehen die
isr. Machsom Watchfrauen und achten darauf, dass es weniger
unmenschlich zugeht und sie berichten.
Wenn man die 29 Artikel der Allgem. Erklärung der
Menschenrechte vom 10.Dez 48 liest und mit dem vergleicht,
wie Israel die Pal. behandelt. Dann gibt es kein einziges
Recht, das nicht grob verletzt wird.
Israel soll die einzige Demokratie im Nahen Osten
sein - es ist aber nicht für alle seine Bürger eine
Demokratie, sondern nur für Juden; Es ist ein
Apartheidstaat, schlimmer als die in SA, sagen Kasrils
und Tutu u.a. SA. Es gibt nicht nur zwei Straßensysteme,
zwei Bildungssysteme, sondern auch zwei Rechtssysteme, sehr
ungleiche Bewegungsfreiheit, ungleiche Verteilung des
Wassers. Was das Recht betr. : eines für jüd. Bürger, das
andere für Nicht-Juden. Wenn z.B. ein Israeli/Siedler einen
Palästinenser tötet, bekommt er kaum eine Strafe oder nur
eine sehr geringe , wenn aber ein Pal. einen Israeli tötet,
bekommt er jahrelange Gefängnisstrafe, wenn nicht gar
lebenslang.
Bei den sog Friedensverhandlungen gibt es keine Fortschritte
außer Zeit- und Geldverschwendung - nach Ziad Clot. Es wird
nichts Konkretes geredet, keine Karten vorgelegt, . Israel
will keinen Frieden, es will das Land mit möglichst
wenig einheimischer Bevölkerung . Das kann sogar in
Haaretzartikeln gelesen werden.
Sharon sagte einmal zum US-Präsidenten: "Wir machen nichts
anderes als ihr in den USA" (mit den amerik. Ureinwohnern) -
mit andern Worten gesagt: Ethnische Säuberung bzw .
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, ja
Genozid, wie das inzwischen immer mehr Fachleute, auch isr,
sagen. ( s. mein Buch : "Nie wieder!?") Die Schuld, dass die
"Friedensverhandlungen" keinen Erfolg bringen, wird
natürlich den Pal. zugeschoben: Sie würden unerfüllbare
Bedingungen stellen ( die Grenze von 67, Ost-Jerusalem , die
Flüchtlingsfrage
Zur Situation der Palästinenser bes. im Gazastreifen, der
wie eben schon gesagt, ein großes Freiluftgefängnis ist,
aber auch in der Westbank: es herrscht große
Arbeitslosigkeit, keine Zukunftsperspektiven, darum
Verzweiflung, Frustration, Wut und Zorn. Wenige wie z.B.
Sumaya Farhad-Naser, Mitri Raheb, Daud Nasser versuchen mit
isr. Friedensgruppen, die Hoffnung aufrecht zu erhalten.
"Wir weigern uns, Feinde zu sein".
Und dass da mancher durchdreht, Steine wirft oder gar eine
Rakete bastelt und nach Is. hinüber wirft - was natürlich
auch eine Menschenrechtsverletzung ist (meist ohne Schaden
anzurichten - wundert uns das ? - mich nicht ….Ich wundere
mich über die unglaubliche Geduld, das Durchhaltevermögen,
das die Pal. haben. Und noch etwas Wichtiges: ich bin in
Israel Juden begegnet, die vorbildliche, ja prächtige
Menschen sind - sie alle engagierten sich in den MR- und
Friedensgruppen.
Meine Frage: wie ist es möglich, dass die deutsche Regierung
den rassistischen Unterdrücker der Palästinenser unterstützt
und diese eben genannten u. viele andere
Menschenrechtsverletzungen, um nicht Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu sagen, an einem Volk zulässt, das nichts,
gar nichts mit dem Jahrhunderte langen christl. und den
knapp 100 Jahre langen rassistischen Antisemitismus in
Europa , geschweige denn mit dem Holocaust, zu tun hat. Auf
dem Rücken der Palästinenser glaubt die deutsche Regierung,
die Schuld der Deutschen abtragen zu können. Das ist ein
Irrtum und für mich ist es einfach unerträglich.
Die Verbrechen der Nazi- Deutschen können nicht durch andere
Verbrechen wieder gut gemacht werden. (s. auch Ilan Pappes
Interview!!)
So wie Deutsche eine besondere Verpflichtung gegen
Juden/Israelis haben - so haben sie auch gegenüber den
Palästinensern eine Verantwortung, denn sie sind "die Opfer
der Opfer".
Noch eins: Israels Politik, die inzwischen immer mehr von
Neofaschisten (Siedler) und Ultraorthodoxen bestimmt wird,
ist dabei, sich selbst von innen her zu zerstören - das
sagen inzwischen immer mehr Israelis selbst - viele wandern
aus. Und die EU, auch D hilft mit bei der
Selbstzerstörung…..
Was die Palästinenser brauchen, ist weniger die finanzielle
Entwicklungshilfe, die zur Hälfte den Geberstaaten und
Israel wieder zu gute kommt, sondern ein Ende der Besatzung,
Gerechtigkeit und Freiheit, die menschliche Würde - eben die
Menschenrechte.
Hier ist die Hilfe der EU nötig, also auch von der deutschen
Regierung: Druck auf Israel z.B. durch BDS ( Boykott-
Investitionsstop- Sanktionen), um die illegale Besatzung zu
beenden, ja möglichst einen pal. Staat neben Israel zu
ermöglichen.
Zum Schluss einen Satz aus der Präambel der Allgem.
Erklärung der Menschenrechte:
"Es ist wesentlich, die Menschenrechte durch die
Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht
zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung gezwungen
wird."
und im 1. Artikel: alle Menschen sind frei und gleich an
Würde und Rechten geboren - sie sind mit Vernunft und
Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der
Brüderlichkeit begegnen.
Danke