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Machsom Watch

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Machsom Watch Matria[1] – Oktober 2007

 

 

Machsom Watch – eine Organisation israelischer Frauen gegen die Besatzung und für Menschenrechte, die sich mit einem der härtesten Aspekte der Besatzung befasst – der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten.

 

Der Tourismusminister hat Anweisung gegeben, am "Rachel-Übergang" [Betlehem-Checkpoint] einen getrennten Übergang für die Touristen einzurichten, der angenehmer und freundlicher als der jetzige trist-graue Übergang ist. (Radio Kol Israel, 8.11.2007). Der Anblick von hunderten von Palästinensern, die den Checkpoint tagtäglich überqueren müssen, stundenlang Schlange stehen müssen und demütigende Durchsuchungen über sich ergehen lassen müssen, verträgt sich nicht mit dem touristischen Image Israels in der Welt!

 

Trotz der noch frühen Nachmittagsstunde warten am "Rachel-Übergang" (Betlehem-Checkpoint) etwa zweihundert Personen, in zwei Reihen angeordnet. Im Saal sind drei der zwölf Kontrollschalter geöffnet. Wir bitten darum, weitere Schalter zu öffnen. Man erklärt uns, dass der Computer ausgefallen sei und es zur Zeit keine Möglichkeit gebe, zusätzliche Schalter zu öffnen. Außerhalb des Checkpoints haben sich inzwischen einige hundert Menschen angesammelt. Alle paar Minuten werden etwa zwanzig hineingelassen. Unruhe macht sich breit, die Menschen stoßen einander und werden gestoßen, die beiden geraden Reihen sind spurlos verschwunden, es hat sich eine einzige große Woge von hunderten von Männern gebildet, die es nach einem anstrengenden Arbeitstag eilig haben, nach Hause zu kommen. Niemand wird mehr zu den Schaltern im Saal durchgelassen. Die Wächter haben den einen Türflügel geschlossen und rufen nach der Polizei. Die Polizisten schreien und helfen, die Woge, die sie niederzureißen droht, zurück nach draußen zu drängen. Laute Schreie. Diejenigen, die aus der umgekehrten Richtung kommen und auf dem Weg von Betlehem nach Jerusalem sind, können den Checkpoint nicht verlassen. Es gibt keinerlei Möglichkeit, dass jemand hier durchkommt. Die Polizisten rufen das Computerzentrum an, schreien und warnen, dass, wenn die Situation so bleibe, "hier in einer Viertelstunde Mittel eingesetzt werden". Sie drohen den Palästinensern: "Wenn gedrängelt wird, kommt keiner hinein. Von uns aus kann sich die Katastrophe draußen abspielen. Nicht drinnen – drinnen ist es verboten. Dafür ist der Gebietskommandant verantwortlich". ... Die Polizisten lassen die Wächter die Tür wieder öffnen, und etwa hundertfünfzig Personen werden hineingelassen. Furchtbares Gedränge. Menschen fallen, verlieren Ausweise. Wieder wird die Eingangstür geschlossen. Der Druck hat etwas abgenommen. Etwa hundertfünfzig Menschen sind noch im Saal. Die Polizisten sind gereizt, schreien. Weisen die Soldaten in den Kontrollschaltern an, die Leute "so schnell wie möglich" durchzulassen. Die Polizei bemüht sich, die Spannung abzubauen. Aber außerhalb des Saals steigt sie nur. Nach etwa einer Stunde funktionieren die Computer wieder, und die Lage hat sich beruhigt. Der Druck ist gesunken. Der Weg, der zum Saal führt, ist wieder leer. Im Saal etwa fünfzig Personen. Die Wächter beginnen, die Palästinenser wieder in zwei Reihen aufzustellen. Die Polizei sorgt dafür, dass bis sechs Uhr vier Schalter geöffnet bleiben. Was wird passieren, wenn der Regen beginnt und die Menschen in Wind und Regen vor dem Eingang stehen werden? (Betlehem-Checkpoint, 18.10.2007)

 

 

Der Verteidigungsminister hat der amerikanischen Außenministerin mitgeteilt, dass 24 Sperren in der Westbank entfernt werden und die Entfernung weiterer Sperren erwogen werde. Die Armee hat OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – Büro der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten in der Westbank) eine Liste von 33 Sperren, die angeblich entfernt worden sind übergeben. Am 12. November haben wir uns die Situation vor Ort angesehen: Neun der Sperren, von denen die Armee behauptet, dass sie entfernt worden seien, bestehen immer noch; zehn der in der Liste erwähnten Sperren haben nie existiert; acht der Sperren wurden vor mehreren Monaten entfernt; zwei konnten wir nicht überprüfen; vier sind tatsächlich in letzter Zeit entfernt worden und drei neue sind hinzugefügt worden: ein Erdwall neben der Schule in Chawara (südlich von Nablus), Checkpoint 408 (Shave Shomron) nördlich von Nablus und eine Sperre an der Hauptausfahrt aus Sebastiya (nördlich von Nablus).

 

 

"Eine erzieherische Lektion"

Hier die Abfolge der Befehle, die ein Soldat am Checkpoint von Chawara einem Studenten zubellte, der das Pech hatte, nach den "Ordnungsübungen" [Aufstellung der Wartenden in ordentlichen Reihen] als erster in der Reihe zu stehen. Ihm fiel die Aufgabe zu, darzustellen, wie man den Checkpoint "richtig" passiert. "Komm jetzt hierhin. Was hast du in den Taschen? Jetzt alles raus. Raus. Spiel mir nicht den Naiven. Hände, Füße, zweite Seite [d.h: Streck Hände und Füße aus, und dreh dich herum, als Teil des "Untersuchungstanzes"]. Schön. Geh zurück, geh durch [durch den Metalldetektor]. Sie verstehen hebräisch ausgezeichnet." All das spuckt der Soldat in kurzen, gemessenen Befehlen aus. Der Student kommt aus dem Drehkreuz heraus, nach dieser furchtbaren Demütigung, und fragt uns: "Was sind wir – Tiere?" (Chawara, südlich von Nablus, 29.10.2007)

 

 

Tausendundeine Nacht

 

Um 19:30 kam A. mit seiner schwangeren Frau und seiner kleinen Tochter zum Checkpoint von Chawara und hielt dem Soldaten den Erlaubnisschein für das Betreten von Nablus mit dem eigenen Wagen hin. Es wurde ihm nicht erlaubt, mit dem Wagen zu passieren, da er, so der Soldat, eine halbe Stunde nach Schließen des Übergangs für Fahrzeuge gekommen sei. A. erklärte den Soldaten, dass er am Checkpoint von Sa'tara lange aufgehalten worden sei und es daher nicht geschafft habe, bis 19:00 hierhin zu kommen. Der Erlaubnisschein für das Betreten Israels, den er vorwies, überzeugte den Kommandanten nicht: "Das ist hier nicht relevant", entschied er kategorisch. Zusammen mit A. kamen noch vier weitere Fahrzeuge an, und auch ihnen wurde die Weiterfahrt mit derselben Begründung verweigert. Zwei der Fahrer fingen an, mit den Soldaten zu diskutieren, diese reagierten mit Schlägen mit dem Gewehrkolben und schickten sie weg zum nahegelegenen Parkplatz. Sie riefen den DCO (District Coordinating Office – Regionales Koordinierungsbüro) an und baten um Hilfe. Darauf der Kommandant: "Auch wenn ihr den DCO anruft, hilft nichts, ihr kommt nicht durch". Auf das Argument hin, dass eine schwangere Frau und ein Säugling im Auto sitzen, erwiderte er: "Was geht mich das an, von mir aus können sie krepieren ...".

Auf dutzende von Telefonanrufen beim "humanitären" Notfalldienst der Armee, bei denen wir versuchten, den Fall zu erklären, zu argumentieren und die Entscheidung des Kommandanten zu ändern, erhielten wir das Versprechen, dass die Sache überprüft und behandelt werde. Trotz aller Bemühungen erhielten wir als Antwort hauptsächlich Lügen. Die Soldaten am Checkpoint behaupteten immer wieder, dass niemand am Checkpoint warte.

Beim DCO erklärten sie uns, dass es nicht möglich sei, einen ihrer Offiziere zum Checkpoint zu schicken, denn die beenden ihren Dienst gegen 17-18 Uhr und können sowieso gegenüber der Brigade vor Ort nur Empfehlungen aussprechen, und außerdem werden gleich alle durchgelassen, und eigentlich wartet ja überhaupt niemand am Checkpoint, der durchgelassen werden muss, und sie kennen A., und er "macht immer Probleme" (d. h. er verspätet sich wegen eines anderen Checkpoints um eine halbe Stunde). Wir dachten, dass vielleicht A. selber den DCO überzeugen könne, aber er erhielt nur einen Rüffel wegen der "Probleme", die er bereitet. "Wenn du dich um eine halbe Stunde verspätet hast, musst du bis 2 Uhr warten" – was sich im Nachhinein als richtig herausstellte. Uns sagte der DCO: "Man muss sie erziehen, sonst machen sie das jeden Tag,und wir haben sowieso schon genug Arbeit".

Alle Telefone der Generale und ihrer Assistenten schliefen gemeinsam mit ihren Besitzern. Um 24.25 weckten wir D. B. und baten sie um Hilfe. Nachdem sie sich von der Echtheit der Fakten überzeugt hatte, entschloss sie sich zu helfen, denn sie begriff, dass der DCO die Sache hinzieht und die Soldaten lügen und sich einen Spaß auf Kosten der Wartenden machen. A. berichtete, dass sie jedes Mal, wenn sie am Fernmeldegerät mitteilen, dass niemand am Checkpoint sei, in Gelächter ausbrechen und danach den Palästinensern sagen, sie hätten keine Anweisung erhalten, sie durchzulassen.

Um 1.10 beschloss A.s Frau, mit dem Baby zu Fuß nach Hause zu gehen, in der Hoffnung, dass jemand aus der Familie sie auf der anderen Seite des Checkpoints abholen werde. A. wollte nicht riskieren, das Fahrzeug auf dem Parkplatz beim Checkpoint zu lassen aus Angst, dass Siedler es in der Nacht verbrennen werden oder dass es gestohlen werde. Genauso verhielten sich die anderen Fahrer, die mit ihm warteten.

1.20 – Wir sprachen noch einmal mit dem DCO. Der diensthabende Soldat sagte wieder, dass die Soldaten leugnen, dass sich jemand am Checkpoint befinde. Dieser ist nur drei Minuten vom Armeelager entfernt. Sechseinhalb Stunden beschweren wir uns, dutzende von Telefonanrufen haben ihn erreicht, aber er hat nicht einen Augenblick daran gedacht, jemanden dorthin zu schicken, um der Geschichte ein Ende zu setzen.

1.40 – Der Befehl, die Leute durchzulassen, ist ausgegeben worden. Jetzt muss die Quälerei noch ein bisschen hingezogen werden: Die Soldaten nahmen das Auto auseinander, verlangten von dem LKW-Fahrer, den Sitz herunterzunehmen, wühlten in jeder Ecke und unter jedem Sitz, und schließlich verabschiedeten sie jeden Einzelnen mit: "Los, nun fahr schon durch". (Chawara, Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 2007)

 

Um 20.44 rief M. an, der an einer Nierenkrankheit leidet und eine Transplantation braucht, und berichtete, dass er so schnell wie möglich ins Krankenhaus nach Nablus müsse, um eine Spritze zu bekommen. Er hat einen "humanitären" Erlaubnisschein, der ihm ermöglicht, mit dem eigenen Wagen nach Nablus hineinzufahren. Da der Checkpoint von Beit Iba, der sich in der Nähe seines Dorfes befindet, um 20.00 geschlossen wird, musste er zu dem weiter entfernten Checkpoint von Chawara fahren. Am Chawara-Checkpoint sagte ihm der Soldat, dass er nicht nach Nablus hineinfahren kann, weil er nach 19.00 angekommen ist, denn um 19.00 wird der Fahrzeugübergang geschlossen. "Du wirst die ganze Nacht hier verbringen", sagte der Soldat. Die medizinischen Unterlagen, die M. den Soldaten vorlegte, halfen nicht. Er rief beim DCO von Nablus an, und eine halbe Stunde später wurde Befehl gegeben, ihn nach Nablus hineinzulassen. (Chawara, 5.10.2007)

 

Und das sind nur einige der Geschehnisse an den Checkpoints im vergangenen Monat ....


 

[1]  "Matria" ist abgeleitet von dem hebräischen Verb "lehatria", das "(als Alarmzeichen) in die Posaune/ins Horn blasen" und "Protestgeschrei erheben" bedeutet.

 

 

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