Machsom Watch Matria[1]
– Mai 5/2007
Machsom Watch – eine Organisation israelischer Frauen gegen die
Besatzung und für Menschenrechte, die sich mit einem der
härtesten Aspekte der Besatzung befasst – der Einschränkung der
Bewegungsfreiheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten.
Du hast noch einen Mantel, du musst unser
Anführer sein. Sei der Herr dieser Trümmer!
(Jesaja 3,6)
Auch heute ist in den besetzten Gebieten
jeder Uniformträger König und kann dank seiner Uniform und
seiner Waffe jede beliebige Entscheidung über das Leben der in
den von Checkpoints umgebenen Enklaven Eingesperrten fällen.
Die in der Zivilverwaltung der Besetzten
Gebiete tätigen Soldaten sind damit beschäftigt, "Antoine zu
suchen" und sehen nicht die Not von hunderten, die sich an sie
wenden. Lässt das gepanzerte Fenster, durch das sie ihren Dienst
verrichten, die Sinne abstumpfen? All die Verbesserungen, die
neuen Büros, die per Fernbedienung betriebenen Drehkreuze, das
biometrische Identifizierungsgerät – sie alle halten den
menschlichen Aufschrei von den Ohren fern. Auch wir, die das
Geschehen dokumentieren, gelten als "Gefahr für die Sicherheit",
die vom Anblick der Besatzung ferngehalten werden muss und daran
zu hindern ist, vor israelischen Augen "militärische Geheimnisse"
zu enthüllen, die jeder Palästinenser tagtäglich sieht.
An der Straßensperre steht ein junger
Palästinenser, etwa Mitte zwanzig, und dokumentiert, was vor
sich geht. Er erzählt uns, dass dies seine eigene Initiative sei,
aber den Soldaten sagt er, dass er zu Machsom Watch gehört. Die
Anwesenheit des jungen Mannes an der Sperre setzt den Vertreter
des DCO (District Coordinating Office – Regionales
Koordinierungsbüro) unter Druck. Die Soldaten
beschlagnahmen sein Notizbuch und der Vertreter des DCO setzt
sich mit seinen Vorgesetzten in Verbindung und berichtet, dass
es sich bei dem Notizbuch um "IvK" – Information vor einem Krieg
– handle. Wir versuchten, ihm klar zu machen, wie idiotisch das
ist, denn schließlich gibt es hier keine Militärgeheimnisse, die
Palästinenser wissen, wie die Sperren funktionieren – vergebens.
Der junge Mann wurde in die Zelle gebracht und der Brigade
übergeben. Einer der Soldaten übersetzte die Notizen, und der
Vertreter des DCO behauptete, dass dort politische Erklärungen
stünden – es heißt dort, dass es keine Straßensperren geben
sollte und dass das Gebiet hier unter der Herrschaft der
palästinensischen Autonomie stehen müsste. All das verstört den
Vertreter des DCO zutiefst und bestätigt ihm, dass er Recht
hatte, in dem jungen Mann eine Gefahr für die Sicherheit zu
sehen. Der junge Mann befand sich noch in der Zelle, als wir die
Sperre verließen. (Chawara, südlich von Nablus, 7.5.2007)
Der renovierte DCO
Jeder, der für eine Arbeitserlaubnis zum DCO
kommt oder vom Geheimdienst vorgeladen wurde, muss vor dem Tor
in der sengenden Sonne warten. Ein paar Mal kam ein Soldat
heraus und brüllte: "Macht, dass ihr hier wegkommt, verzieht
euch hinter den Block" (d.h. etwa hundert Meter weit entfernt
auf den Parkplatz). Nach etwa einer Viertelstunde rief es vom
Tor: "Antoine! Antoine!" Wir machten die Soldaten darauf
aufmerksam, dass keiner sie hört, da sie ja von allen verlangt
haben, sich bis hinter den Absperrungsblock zu entfernen. Die
Antwort lautete: "Gut, wenn er uns nicht hört, ist das, als wäre
er gegangen. Danach stieg ein Soldat auf das Dach und brüllte
auch von dort: "Antoine! Antoine!" Die Szene wiederholte sich
noch ein paar Mal. (DCO Etzion, südlich von Betlehem, 21.5.2007)
Einige Arbeiter sollten ihren Handabdruck neu
registrieren lassen. Sie fuhren zu diesem Zweck zum DCO von
Hebron, aber als sie zum Checkpoint von Betlehem zurückkamen,
war im Computer das für sie geltende Passierverbot noch nicht
gelöscht worden. (Betlehem-Checkpoint, 9.5.2007)
Die biometrische Identifizierung
identifiziert einen Menschen nach seinem Handabdruck. Jeder, der
den Checkpoint passiert, hat eine biometrische Karte, die
Informationen enthält, die ihn aufgrund verschiedener
Fotografien und des Handabdrucks identifizieren. Die Handflächen
der Arbeiter aus den besetzten Gebieten, die mit schweren
Handarbeiten (Landwirtschaft, Bau, Arbeiten, bei denen die Hände
stundenlang in Wasser gehalten werden) beschäftigt sind, sind
rauh und rissig, und das biometrische Identifizierungsgerät kann
sie nicht identifizieren. Im Konflikt zwischen der
perfektionierten und teuren Elektronik und der Handarbeit der
Gastarbeiter aus den Besetzten Gebieten hat die Elektronik
versagt. Die Arbeiter mit den harten, rauhen Händen werden
zwischen dem Checkpoint und dem DCO hin- und hergeschickt.
Um 12.00 rief A. an und berichtete, dass an
der Straßensperre von Bet Furik eine Familie festgehalten wird,
Muhammad und sein Bruder Jihad, ihre beiden Frauen und ihre fünf
Kinder, und die Soldaten verbieten ihnen, aus dem Auto zu
steigen. Der Grund: Muhammad, der in einem Hühnerstall arbeitet,
hat dummerweise bei einem Trödelhändler in Nablus für 50 Shekel
eine Gasmaske ("so ein Plastikding aus dem Krieg mit Saddam
Hussein") gekauft, um sich damit zu schützen, wenn er die Hühner
mit Schädlingsbekämpfungsmitteln bespritzt. Die Soldaten haben
ihn mit diesem Staatseigentum "erwischt" und laut dem
Notfalldienst der Armee die Polizei gerufen, damit diese
überprüfe, ob hier eine kriminelle Handlung vorliege. Die
Polizei machte sich nicht die Mühe zu erscheinen. Um 17.45, nach
fünfeinhalb Stunden, erhielten die Soldaten per Funk die
Anweisung, die gefährliche Familie freizulassen. Die Gasmaske
beschlagnahmten sie (und sie ist sowieso nichts mehr wert mit
einem Filter aus der Glanzzeit des Toten). (Bet Furik, östlich
von Nablus, 11.5.2007)
Eine junge Frau mit sechs Mädchen zwischen
zwölf Jahren und Säuglingsalter. Alle schön angezogen für eine
Hochzeitsfeier. Die Frau ist aus Bet Dejan und die Mutter von
zweien der Mädchen. Die anderen vier sind die Töchter einer
anderen Frau ihres Mannes. Alle sind aus Bet Dejan. Die andere
Frau ist bereits nach Nablus durchgelassen worden, und der
Ehemann wird aus Tulkarem kommen. Der Kommandant des Checkpoints
war nicht bereit, die Frau durchzulassen, weil vier der Mädchen
nicht in ihrem Personalausweis eingetragen waren und sie ihre
Geburtsurkunden nicht bei sich hatte. (Im Bezirk von Nablus
werden Kinder ohne Begleitung eines Elternteils und ohne das
Original ihrer Geburtsurkunde nicht durch die Checkpoints
gelassen.) G. vom humanitären Notfalldienst der Armee konnte
nach einer Stunde Nachprüfen die Namen der Töchter der anderen
Frau durchgeben und bestätigen, dass alle aus Bet Dejan sind. Er
bat uns, auf eine Entscheidung zu warten. Nach wiederholtem
Nachfragen beim Notfalldienst wird uns mitgeteilt, dass "Anweisung
erteilt worden sei, die Frau passieren zu lassen". Wir warten,
dass die Anweisung den Kommandanten des Checkpoints erreicht.
Die Hochzeit beginnt um 17.00, die kleinen Mädchen sind schon
eingeschlafen, die Frau ist verzweifelt, um 18.00 erhält der
Kommandant einen Anruf und verkündet, dass die Frau und die
Mädchen nicht passieren können. (Bet Furik, 31.5.2007)
Keiner der hier geschilderten Fälle hat
etwas mit Sicherheit zu tun.
An den "humanitären" Notfalldienst der
Armee - Zur Kenntisnahme
Ein Mann versuchte vergebens, für sich oder
eine(n) seiner Brüder und Schwestern eine Aufenthaltserlaubnis
für Israel zu bekommen, um die Mutter zu besuchen, die am Vortag
eine offene Herzoperation im Mukassed-Krankenhaus hatte und dort
allein ist. Die Bitte wurde verweigert, weil die ganze Familie
auf der Schwarzen Liste des Geheimdienstes steht.
Der Fall des Vaters eines 25 Tage alten
Säuglings. Seine Frau hatte aufgrund eines medizinischen
Problems etwa zwei Monate vor der Zeit per Kaiserschnitt
Zwillinge geboren. Die Operation wurde im Caritas-Babyhospital
in Betlehem durchgeführt, und einer der Zwillinge war dort an
einer Infektion gestorben. Der zweite Säugling wurde in die
Intensivstation des Hadassa-Krankenhauses gebracht. Der Vater
möchte dorthin kommen, um seine Frau abzulösen, die noch schwach
ist, kein hebräisch spricht und keine Kommunikation mit dem
Team, das sich um den Säugling kümmert, führen kann. Der Vater
steht auf der Schwarzen Liste des Geheimdienstes. (DCO Etzion,
14.5.2007)
[1]
"Matria" ist abgeleitet von
dem hebräischen Verb "lehatria", das "(als Alarmzeichen)
in die Posaune/ins Horn blasen" und "Protestgeschrei
erheben" bedeutet.
[1]
"Matria" ist abgeleitet von
dem hebräischen Verb "lehatria", das "(als Alarmzeichen)
in die Posaune/ins Horn blasen" und "Protestgeschrei
erheben" bedeutet.