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Ende einer Odyssee
Jeff Halper, 1.9.08

 

Nachdem ich nun vor einigen Tage aus dem Gefängnis, in das ich nach meiner Reise nach Gaza musste, entlassen wurde, möchte ich Euch zusammenfassend einige Notizen schicken.

 

Erstens, der Versuch der Bewegung Free Gaza, die israelische Belagerung zu durchbrechen, wurde durch unerwartet guten Erfolg gekrönt. Dass wir Gaza erreicht haben und wieder verlassen, hat einen richtig freien Kanal zwischen Gaza und der Außenwelt geschaffen. Das ist passiert, weil es die israelische Regierung dazu zwang, eine klare politische Erklärung abzugeben: Sie besetze Gaza nicht und werde deshalb die Bewegungsfreiheit von Palästinensern in und aus Gaza (zumindest über den Seeweg) nicht beschränken. (Israels Sicherheitsbelange können leicht befriedigt werden, indem ein technisches Kontrollsystem ähnlich dem auf anderen Häfen installiert wird.) Jeder Versuch von Seiten Israels, diese Stellungnahme zu revidieren – indem es in Zukunft Schiffe daran hindert, Gaza mit Gütern und Passagieren, einschließlich Palästinensern, zu erreichen oder zu verlassen – wird unweigerlich als Versuch, Kontrolle auszuüben, und damit als Besatzung, gewertet werden, was Israel die Möglichkeit eröffnet, für Kriegsverbrechen vor internationalem Recht zur Verantwortung gezogen zu werden,  –  etwas, das Israel um jeden Preis zu verhindern sucht. Keine Vernebelung mehr, die es Israel bisher erlaubt hat,  die Kontrolle über die besetzten Gebiete zu behalten und nicht dafür zur Verantwortung gezogen zu werden: Von jetzt an ist Israel entweder Besatzungsmacht und verantwortlich für seine Aktionen und seine Politik, oder die Palästinenser haben jedes Recht, ihr Menschenrecht auf freies Reisen in ihr Land und aus ihrem Land wahrzunehmen. Israel kann nicht länger beides haben. Unsere zwei kleinen Boote haben Israels Regierung und Militär nicht nur gezwungen, zu diesem Zeitpunkt nachzugeben, sie haben auch den Status israelischer Kontrolle über Gaza geändert.

 

Als wir Gaza nach anderthalb Tagen Seefahrt erreichten, hießen uns 40 000 Gazaner freudig willkommen. Es war überwältigend und sehr bewegend.  Manche suchten gezielt Kontakt zu mir, offenbar, um nach Jahren des Eingeschlossenseins endlich mit einem Israeli Hebräisch zu sprechen. Die Botschaft, die ich während meines dreitägigen Aufenthalts von Leuten aller Fraktionen hörte, war immer die selbe: Wie kommen wir aus diesem Schlamassel? ("Wir" im Sinne von: alle die in diesem Land leben, nicht nur Israelis oder Palästinenser.) Wo gehen WIR hin? Die Diskussion war nicht einmal politisch: Was ist die Lösung; Ein-Staat, Zwei-Staaten, etc., etc. Sie war einfach vernünftig und gerade heraus, basierend auf der Annahme, wir werden alle weiter im selben Land leben, und dieser dumme Konflikt, mit seinen Mauern, Belagerungen und seiner Gewalt, ist schlecht für alle. Sehen die Israelis das nicht? fragten mich die Leute.

 

(Die Antwort heißt leider "nein". Um der Wahrheit die Ehre zu geben, wir israelischen Juden sind das Problem. Die Palästinenser haben unsere Existenz in diesem Land als Volk schon seit vielen Jahren akzeptiert und  sind bereit, IRGENDEINE Lösung zu akzeptieren – zwei Staaten, ein Staat, kein Staat, was auch immer. Wir sind es, die das "Land Israel" exklusiv beanspruchen, die es nicht fertig bringen, an ein Land zu denken, die die nationale Präsenz von Palästinensern nicht akzeptieren können (in unserem Land sprechen wir von "Arabern"), wir haben durch unsere Siedlungen sogar die Zwei-Staaten-Lösung unmöglich gemacht, bei der wir 80 % des Landes hätten.  Es ist also traurig, wirklich traurig, dass unsere "Feinde" Frieden und Koexistenz wollen (und mir das auf HEBRÄISCH sagen), wir aber nicht. Jaaa, wir Israelis wollen "Frieden", aber mittlerweile haben wir fast keine Angriffe mehr, ein Gefühl der Sicherheit, ein palästinensisches Volk, das "verschwunden" ist, die Wirtschaft und der Tourismus wachsen und blühen, der internationale Status verbessert sich unaufhaltbar, -- alles wunderbar. Wenn "Friede" heißt, Siedlungen, Land und Kontrolle aufzugeben, warum sollten wir das tun? Was ist verkehrt an der jetzigen Situation? Wenn es funktioniert, warum daran herumbasteln?)

 

In Gaza gelang es mir auch, alte Freunde zu sehen, besonders Eyad al Sarraj vom Gaza Community Mental Health Program und Raji Sourani, den Direktor des Palestinian Center for Human Rights, den ich in seinem Büro besuchte. Ich habe auch die palästinensische Ehrenbürgerschaft mit einem Pass erhalten, für mich als israelischen Juden bedeutet das sehr viel.

 

Als ich mich in Gaza aufhielt, warnten mich in Israel alle – inklusive Presse, die mich interviewte – vorsichtig zu sein, mein Leben nicht zu gefährden. Hast du keine Angst? fragten sie. Also, die einzige Gelegenheit, bei der ich auf meiner gesamten Reise wirklich und spürbar Angst hatte, war, als ich nach Israel zurückkam. Ich kehrte aus dem Gazastreifen durch den Grenzübergang Erez zurück, da ich betonen wollte, dass die Belagerung nicht nur an der Küste stattfindet. Auf der israelischen Seite wurde ich sofort verhaftet, mit der Begründung, ich habe einen Militärbefehl verletzt, der es Israelis verbietet, sich in Gaza aufzuhalten, und im Shikma-Gefängnis in Ashkelon inhaftiert. Jemand in der Zelle erkannte mich von den Nachrichten her. Die ganze Nacht über wurde ich von rechten Israelis bedroht – ich war sicher, ich würde die Nacht nicht überstehen. Ironischerweise befanden sich auch drei Palästinenser in der Zelle, die versuchten, mich zu beschützen. Die Gefahr ging also von Israelis, nicht von Palästinensern aus, in Israel wie in Gaza. (Ein Palästinenser aus Hebron war inhaftiert wegen illegalen Aufenthalts in Israel; Ich war inhaftiert wegen illegalen Aufenthalts in Palästina.) Zur Zeit bin ich auf Kaution draußen. Die Staatsanwaltschaft wird wohl in den nächsten Wochen Anklage erheben; es könnte sein, dass ich für zwei Monate oder so ins Gefängnis muss. Jetzt bin ich in jeder Hinsicht ein Palästinenser: Am Montag bekam ich die palästinensische Staatsbürgerschaft, am Dienstag saß ich schon in Israel im Gefängnis.

 

Obwohl die Aktion erfolgreich war,  –  die Belagerung wird erst dann wirklich durchbrochen sein, wenn wir die Bewegung in und aus Gaza aufrechterhalten. Laut Plan sollen die Boote in 2-4 Wochen zurückkehren und ich arbeite gerade daran, ein Boot voller Israelis zu bekommen.

 

Meine einzige Frustration in dieser zweifellos erfolgreichen Aktion war die Tatsache, dass die Israelis es einfach nicht kapieren – und nicht kapieren wollen. Die Folgerungen daraus, dass wir die Stärkeren sind, und aus der Tatsache, dass die Palästinenser diejenigen sind, die sich wirklich um Frieden bemühen,  bedrohen zu sehr ihre Vorherrschaft und so-empfundene Unschuld. Was ich in ungefähr einem Dutzend Interviews angetroffen habe, und was ich über mich und unsere Reise von Journalisten, die nicht einmal versucht haben, mit mir oder den anderen zu sprechen, gelesen habe,  – war ein kollektives Bild von Gaza, den Palästinensern und unserem unlösbaren Konflikt, das nur als phantastisch bezeichnet werden kann.  Anstatt sich nach meinen Erfahrungen, Motiven und Einstellungen zu erkundigen, suchten die Interviewer, besonders die vom 'mainstream radio', mir ihre Parolen und uniformen Vorurteile aufzudrängen, als könne es, gäben sie mir die Gelegenheit, mich zu erklären, den Todesstoß für ihre ängstlich gehüteten Vorstellungen bedeuten.

 

Ben Dror Yemini von der populären Zeitung "Ma'ariv" nannte uns einen Satans-Kult. Jemand anderes behauptete, einer der Haupt-Unterstützer der Free Gaza - Bewegung sei ein amerikanischer Palästinenser, der vom FBI verhört worden war, als spiele das irgendeine Rolle. (Er wollte wohl andeuten, wir würden unterstützt, sogar manipuliert oder schlimmer,  von "Terroristen".) Andere drückten sich deutlicher aus: Hätten wir nicht der Hamas zu einem PR-Sieg verholfen? Warum stellte ich mich mit palästinensischen Fischern-Waffenschmugglern an eine Seite gegen mein eigenes Land, das nur versuchte, seine Bürger zu schützen? Manche brüllten mich einfach an, wie ein Interviewer vom Sender 99. Und wenn gar nichts mehr half, konnten meine Gesprächspartner immer noch auf guten alten Zynismus zurück fallen: Friede ist nicht möglich. Juden und Araber sind unterschiedliche Spezies. Du kannst "ihnen" nicht trauen. Oder die armselige Behauptung: Sie wollen uns nur zerstören. Dann gibt es noch die patronisierende Variante: Na ja, vielleicht ist es ganz gut, wenn es noch ein paar Idealisten wie dich gibt....

 

Nirgendwo in all den Interviews habe ich wirkliche Neugier darauf gefunden, was ich denn in Gaza tue oder wie das Leben in Gaza ist. Keiner ist an einer neuen Perspektive interessiert, besonders dann nicht, wenn sie gut gehegte Vorurteile in Frage stellt. Keiner geht über die alten, ausgeleierten Parolen hinaus. Aber häufige Erwähnung von Terrorismus, Qassam-Raketen und Palästinensern, die unsere tapferen Friedensbemühungen zurückweisen. Keine Erwähnung von Besatzung, Häuserzerstörungen, Belagerung, Landenteignung oder Siedlungserweiterung, ganz zu schweigen von Tötungen, Inhaftierungen und  Verarmung ihrer zivilen Bevölkerung. Als hätten wir nichts mit diesem Konflikt zu tun; als lebten wir nur unser normales,  unschuldiges Leben, und böse Menschen hätten beschlossen, Qassam-Raketen zu werfen. Vor allem: Kein Verantwortungsgefühl, keine Bereitschaft, für die geschehende Gewalt und den Konflikt Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen gedankenloses, automatisches sich berufen auf ein Bild von Gaza und "Arabern" (wir benützen das Wort "Palästinenser" eher nicht), das dem, was ich gesehen und erfahren habe, genau entgegen gesetzt ist. Ein sklavisches Wiederkäuen sinnloser (und falscher) Schlagworte, die nur dazu da sind, jede Möglichkeit, die Situation wirklich zu begreifen, auszuräumen. Kurz: ein phantastisches Gaza aus einer sorgfältig konstruierten Seifenblase heraus gesehen, um jeder unbequemen Wahrheit auszuweichen.

 

Die größte Einsicht, die ich auf dieser Reise gewonnen habe: Ich habe verstanden, warum Israelis "es nicht kapieren". Eine Medienlandschaft mit Leuten, die es besser wissen müssten, aber wenig Kritikfähigkeit besitzen, die sich auch wohler fühlen innerhalb einer von sich selbst bedienenden Politikern gebauten Kiste, als bei einer weit kreativeren Aufgabe: Zu verstehen versuchen, was zum Teufel hier los ist.

 

Trotzdem habe ich meine Botschaft an meine Mit-Israelis klar formuliert; der hauptsächliche Inhalt meiner Interviews und Gespräche ist folgender:

 

  • Entgegen den Aussagen unserer politischen Führung gibt es eine politische Lösung für den Konflikt, und es gibt Partner für den Frieden. Wir von der Friedensbewegung dürfen den Mächtigen nicht erlauben, den Konflikt zu mystifizieren, ihn als "Kampf der Kulturen" darzustellen. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist politisch und ist somit politisch zu lösen.

  • Die Palästinenser sind nicht unsere Feinde. Ich rufe meine jüdischen Mit-Israelis auf, sich von der Sackgassen-Politik unserer bankrotten politischen Führung zu verabschieden, und gemeinsam mit israelischen und palästinensischen Friedens-Machern zu erklären: Wir weigern uns, Feinde zu sein.

  • Als unendlich stärkere Partei im Konflikt, und als einziger Besatzungsmacht, müssen wir Israelis für unsere fehlgeschlagene Unterdrückungspolitik Verantwortung übernehmen.

 

 

Lasst mich zum Abschluss den Organisatoren der Initiative danken – Paul Larudee und Greta Berlin aus den USA, Hilary Smith und Bella aus Großbritannien, Vaggelis Pissias, einem griechischen Teammitglied, der politisch wie praktisch notwendiges Material beitrug, und Jamal Al Khoudri, ein unabhängiges Mitglied des PLC aus Gaza und Leiter des Popular Committee Against the Siege und anderer – plus der wundervollen Gruppe der Teilnehmer auf den Booten und dem großartigen Kommunikationsteam an Land.  Besonderer Dank gilt unserer Angela Godfrey-Goldstein vom ICAHD, die beim Verbreiten der Botschaft von Zypern und Jerusalem aus eine entscheidende Rolle spielte. Nicht zu vergessen unsere Gastgeber in Gaza (deren Namen man auf der Free Gaza - Website nachlesen kann) und die zehntausende von Menschen im Gazastreifen, die uns willkommen hießen und ihr Leben mit uns teilten. Mögen unsere Völker endlich im gemeinsamen Land den Frieden und die Gerechtigkeit finden, die sie verdienen.

 

Jeff Halper ist der Direktor des israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen – Israeli Committee Againt House Demolitions ICAHD, erreichbar unter jeff@icahd.org .

 

(dt.Weichenhan-Mer)

 

 

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