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Die Botschaft der Palästinenser an
Israel: Gebt uns Gerechtigkeit oder verschwindet.
Jeff
Halper, 28.August 2014
Bis zur
Operation ‘Fels in der Brandung’ (Protective Edge)
kamen die meisten ‘Botschaften’ bezüglich des
israelisch-palästinensischen Konfliktes – zumindest
diejenigen, die durch die Mainstream-Medien gingen –
von israelischer Seite. Von den Anfängen des
Zionismus in Palästina – vor etwa 110 Jahren – an
hat die jüdische Gemeinschaft, und zwar weder der
Yishuv (diejenigen Juden, die vor1948 in Palästina
lebten) aus der Zeit vor der Staatsgründung, noch
diejenige, die sich dann als Staat Israel
konstituierte, die Palästinenser ernst genommen. Sie
waren dunkelhäutige ‘Eingeborene’ mit
Palästinensertüchern um den Kopf, Fedayin oder
Terroristen ohne Namen, Geschichte oder
Menschlichkeit. Sie wurden als existenzielle
Bedrohung unter der Rubrik ‘Araber’ wahrgenommen.
Auch im
Jahre 1967, als Israel sich dann einer
organisierten, sichtbaren und politisch bewussten
palästinensischen Gesellschaft von Angesicht zu
Angesicht gegenüber sah, kam die israelische Führung
nicht im Traum auf die Idee, mit ihr zu reden.
Stattdessen nahmen sie lieber alles Land und alle
Ressourcen, die sie in der West Bank gebrauchen
konnten. Die palästinensische Bevölkerung sollte
gefälligst an Jordanien ‘zurückgegeben’ werden.
(Niemand in Israel hat bis auf den heutigen Tag die
geringste Idee, was mit Gaza geschehen sollte,
außer, es zu isolieren). Premierministerin Golda
Meir leugnete lautstark und entschieden, daß es
überhaupt ein ‘palästinensisches’ Volk gebe. Keine
israelische Regierung hat jemals die nationalen
Rechte des palästinensischen Volkes auf
Selbstbestimmung in ihrem eigenen Land anerkannt,
noch nicht einmal in einem winzigen, abgeschnittenen
Staat in Teilen der Besetzten Gebiete. Selbst in den
hoffnungsvollsten Tagen des Osloer
‘Friedensprozesses’ war alles, worauf sich die
Labor/Meretz-Regierung einließ, die Anerkennung der
PLO als Verhandlungspartner. Niemals hat die
israelische Regierung die Idee eines wirklich
souveränen, lebensfähigen palästinensischen Staates
anerkannt, selbst, wenn er demilitarisiert wäre und
nur auf einem Fünftel des Gebietes des ehemaligen
Palästina bestehen würde.
Sicher,
das palästinensische Volk leistete Widerstand und
versuchte, wenn es möglich war, zu verhandeln. Seine
Führung war oft schwach. Aber es gilt Folgendes zu
bedenken: Seit 1948, als die neugegründete IDF von
Dorf zu Dorf ging mit Listen, auf denen die Namen
derer standen, die umgebracht werden sollten, bis
zur versuchten Ermordung von Muhammed Deif vor
einigen Tagen, hat Israel eine systematische
Kampagne durchgeführt, die das Ziel hatte, jeden
Palästinenser, der tatsächliche oder potenzielle
Führungsqualitäten zeigte, durch Ermordung oder
Einkerkerung zu eliminieren. Sie haben Angst, auf
palästinensische Friedensangebote einzugehen,
könnten sie damit doch ihre eigenen absoluten
Ansprüche unterminieren, dadurch dass sie eine
palästinensische ‘Seite’ anerkennen, bzw.
legitimieren. Somit ignorieren oder verhöhnen sie
jede palästinensische Hand, die sich ihnen
entgegenstreckt. Wer erinnert sich beispielsweise
noch an die bewegenden Worte Yassir Arafats
anlässlich des (erfolglosen) Abschlusses der
Wye-Plantation-Verhandlungen im Jahre 1998? Das war,
als Netanyahu sich dazu entschloss, den verabredeten
israelischen Rückzug in der West Bank zu stoppen und
als sein Außenminister Sharon die Siedler öffentlich
dazu aufforderte, ‘jeden Hügel zu okkupieren’.
Trotzdem sagte Arafat in der abschießenden
Pressekonferenz (und zwar ohne konkrete Veranlassung
und ohne dass es etwas für ihn zu gewinnen gab:
Ich
glaube im Namen aller Palästinenser zu sprechen wenn
ich Ihnen versichere, dass uns allen die Sicherheit
eines jeden Kindes, einer jeden Frau und eines jeden
Mannes in Israel am Herzen liegt. Ich werde tun, was
ich kann, damit keine israelische Mutter sich Sorgen
machen muss, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter sich
verspätet, oder dass kein Israeli sich fürchten
muss, wenn er eine Explosion hört.
Die
Botschaft der Palästinenser von Frieden, Sicherheit,
ja, und Gerechtigkeit ist immer unter israelischer
Meinungsmache begraben worden. Während genau des
Wye-Plantantion-Treffens weigerte sich Sharon vor
laufenden Kameras demonstrativ, Arafat die Hand zu
geben. ‘Diesem Hund die Hand geben?’ sagte er zu
Reportern: ‘Niemals.’
Mahmoud
Abbas ging es mit Sharon und Netanyahu nicht
besser, trotz wiederholter gefilmter Treffen mit
israelischen Studenten, Knessetmitgliedern und
anderen, die bereit waren, seinen Friedenvorschlägen
zuzuhören, selbst, als er bereit war, Teile von
Ost-Jerusalem und einige größere Siedlungsblöcke
aufzugeben.
Abbas
und seine Palästinensische Autonomiebehörde tragen
auch ihren Teil der Verantwortung. Abbas hat seine
profiliertesten Sprecher zum Schweigen gebracht, hat
die diplomatischen Posten größtenteils mit unfähigen
politischen Mitläufern besetzt und macht es für
Reporter nahezu unmöglich, Informationen oder
Antworten zu bekommen – alles im Gegensatz zu
Israels gepriesener öffentlicher Diplomatie und
seinen Legionen von professionellen Meinungsmachern.
Die
Konsequenz: es gibt überhaupt nur wenige offizielle
Aussagen von palästinensischer Seite. Was die
Situation bislang halbwegs gerettet hat, ist die
Unterstützung der palästinensischen Sache in der
Zivilgesellschaft: da sind die Mitarbeiter der
Elektronischen Intifada, die wortgewaltigen
palästinensischen Aktivisten bei Al Shabaka (palästinensiches
politisches Netzwerk), die Veranstaltungen und
Aktionen an den Universitäten durch Studenten für
Gerechtigkeit in Palästina (SJP) und die unzähligen
Analysten, Aktivisten und Organisationen der
internationalen Zivilgesellschaft, einschließlich
kritischer Israelis, und da ist, nicht zu vergessen,
die BDS-Bewegung.
Dies
alles schien sich plötzlich zu wandeln, als Israel
am 26.8.2014 erklärte, es habe einen dauerhaften
Waffenstillstand ohne Vorbedingungen akzeptiert, auf
den vierwöchige Verhandlungen über alle wichtigen
Punkte in Bezug auf Gaza folgen sollten. Zu den
wichtigen Punkten gehören: Öffnung der Grenzen,
Wiederaufbau unter internationaler Aufsicht,
Wiederaufbau des Flughafens und des Hafens,
Beendigung der Beschränkungen für die Fischer von
Gaza, Landwirtschaft in der ‘Pufferzone’, die
Wiederöffnung einer ‘sicheren Verbindung’ in die
West Bank, die Freilassung von Gefangenen und vieles
mehr.
Die
Hamas, die die Konfrontation mit Israel angeführt
hatte, achtete darauf, Gaza nicht vom weitergehenden
Kampf um nationale palästinensische Rechte
abzukoppeln: Es war Abbas, der den Waffenstillstand
verkündete, nicht Khaled Mashla oder Ismail Haniya.
Hierdurch betonten sie, dass der Kampf der
palästinensische Kampf ist, nicht nur der von Gaza.
In der Tat ist es so, dass, obwohl Netanyahu die
Operation Fels in der Brandung begonnen hatte mit
dem Ziel, die palästinensische Einheitsregierung von
Fatah und Hamas zu zerstören, er das Gegenteil
erreicht hat. Hamas geht als Favorit des
palästinensischen Volkes aus dem Krieg hervor,
zumindest, was den Widerstand angeht. Es wurde
bekannt gegeben, dass Hamas und der Islamische Jihad
der PLO beitreten. Und, um eine Art von zivilem
Verhältnis zu Ägypten zu ermöglichen, nahm die
Hamas ihr pan-islamisches, der Muslimbruderschaft
nahestehendes Profil zurück zugunsten ihres
palästinensischen Profils.
Dennoch,
die Botschaften gehen von der Hamas aus, die nicht
nur gegen die israelische Besatzung kämpft, sondern
auch die politische Initiative ergriffen hat. Abbas
hat die Kooperation mit Israel in Sicherheitsfragen
für ‘sakrosankt’ erklärt. Er duldet es, dass Israel
sich de facto der C-Zone bemächtigt und sie
kontrolliert, diejenigen 62% der West Bank, in denen
die Siedlungen, das massive Netzwerk israelischer
Autobahnen und die Mauer das Ende der
Zwei-Staaten-Lösung dokumentieren. Hamas hat, im
Gegensatz dazu Israel eine machtvolle Botschaft
geschickt: Wir werden uns nicht ergeben, selbst wenn
ihr uns tötet. Behandelt uns gerecht – oder
verschwindet.
In der
Tat, selbst im Augenblick ihres Triumpfes – ein
israelischer Kommentator bemerkte in dieser Woche
trocken im Fernsehen, dass ‘dies kein
sechs-Tage-Krieg sein wird’, und Umfragen zeigen,
dass 59% der Israelis nicht glauben, dass Israel
gewonnen hat – hat Hamas die Tür für eine
Zwei-Staaten-Lösung offen gehalten. Ihre Position,
soweit ich sie verstehe und wie sie im Nationalen
Versöhnungsdokument der Gefangenen von 2006
niedergelegt ist, ist nuanciert, hat aber Prinzipien
und ist kohärent: Die Hamas und der Jihad leugnen
völlig die Legitimität Israels. Sie sehen es als
einen Kolonialstaat an und lehnen daher jegliche
Verhandlungen mit Israel oder eine daraus folgende
Anerkennung ab. Dennoch: Wenn andere
palästinensische Parteien (z. B. die Fatah) in
Verhandlungen mit Israel eintreten und wenn das
Ergebnis dieser Verhandlungen der vollständige
Rückzug aus den Besetzten Gebieten ist, und zwar
unter Bedingungen, die es ermöglichen, dass ein
wirklich souveräner und lebensfähiger
palästinensischer Staat entstehen könnte, und wenn
ein solches Ergebnis von einem Referendum, dass
unter allen Palästinensern in der Welt abgehalten
würde, gebilligt würde, dann würden Hamas und Jihad
dies als den Willen der Palästinenser respektieren.
Also, während die Hamas immer noch die Legitimität
Israels prinzipiell leugnet, hat sie sich dennoch
darauf eingelassen, einer Einheitsregierung
beizutreten, die eine zwei-Staaten-Lösung akzeptiert
– Das reichte für die Regierung Netanyahu, um zu
versuchen, die Einheitsregierung zu zerbrechen.
Daher nun Hamas’ Botschaft an Israel nach der
Operation Fels in der Brandung: Behandelt uns
gerecht, oder verschwindet. Dies ist eure letzte
Gelegenheit. Die Alternative zur
Zwei-Staaten-Lösung, von der zurecht nur wenige
Palästinenser noch glauben, dass sie möglich ist,
ist die Ein-Staat-Lösung. Das ist ein demokratischer
Staat in den Augen der palästinensischen Linken,
nach Meinung von Hamas und Jihad eine Situation wie
es sie seinerzeit in Algerien gab, nämlich in der
die Kolonisten das Land verlassen.
Dies
sollte Israel zum Nachdenken veranlassen.
Ironischerweise war es Israel, das die
Zwei-Staaten-Lösung eliminiert hat und nur die
Möglichkeit eines einzigen Staates gelassen hat –
eines Apartheidstaates nach den Vorstellungen aller
israelischer Regierungen, einschließlich der
Labourregierungen. In der Tat, erst im letzten Monat
sagte Netanyahu öffentlich: ‘Es wird keine Situation
geben, bei keinem Übereinkommen, in der wir die
Sicherheitskontrolle des Gebietes westlich des
Jordans abgeben.’
Seit 110
Jahren glaubt der ‘praktische Zionismus’ er könne
die Eingeborenen besiegen, er könne Palästina
judaisieren und könne, mithilfe seiner
metaphorischen und physischen Eisernen Mauern ‘die
Araber’ davon abbringen, dass das Land Israel jemals
Palästina wird.
Nun,
Israel hat getan, was es konnte. Es hat den größten
Teil des Landes an sich gerissen, es hat die meisten
Palästinenser vertrieben, ins Gefängnis geworfen und
verarmt in kleine Enklaven gesperrt, sowohl
innerhalb Israels als auch in den besetzten
Gebieten. Es hat die palästinensische Präsenz und
das palästinensische Erbe unter ausschließlich
israelischen Städten, Kibbuzen und Nationalparks
begraben, es hat seine Führer umgebracht und seine
Jugend ohne Hoffnung auf eine Zukunft
zurückgelassen. Nunmehr hat es die volle Macht einer
der am besten ausgestatteten Armeen der Welt gegen
ein Bevölkerung von 2 Millionen Menschen
aufmarschieren lassen, die in einem Gebiet leben,
das etwas so groß ist, wie die Stadt Mobile in
Alabama. Mehr als 2000 Tote gab es in Gaza, weitere
12000 Menschen wurden verletzt. Ca. 20000 Häuser
wurden zerstört, 475000 Menschen wurden obdachlos.
Der Sachschaden an Gebäuden und Infrastruktur
beträgt ca. 6 Milliarden Dollar. Für was?
Vielleicht hat Israel endlich die Grenzen von Macht
und Gewalt entdeckt. Nach diesen vielen Versuchen,
das Problem mit Gewalt zu lösen – und, es stimmt,
nachdem sie den Palästinensern vernichtende Schläge
zugefügt haben, wie Netanyahu und die IDF stolz
verkünden – hat Israel eine Möglichkeit gewonnen: Zu
erkennen, bevor es zu spät ist, dass die
Palästinenser militärisch nicht zu besiegen sind,
dass Israel niemals in Sicherheit ein normales Leben
führen können wird, egal wie viele Schläge es den
Palästinensern austeilt, solang die Besatzung
bestehen bleibt. Trotz all seiner Stärke wird Israel
wahrscheinlich verschwinden, wenn es den
Einheimischen keine Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Zumindest Abbas scheint die Botschaft verstanden zu
haben. Er legt keinen Wert mehr auf weitere,
gegenstandslose Verhandlungen, wie die, die von den
USA vermittelt wurden. Er fordert, dass die UNO ein
Zieldatum setzt für den israelischen Rückzug,
vielleicht geht er damit auch zum Internationalen
Strafgerichtshof. Hamas wird dafür sorgen, dass er
nicht hinter diese Position zurückfällt. Vielleicht
wird Israel die Botschaft nicht hören, weil seine
Hybris es blind macht für die tektonischen
Verschiebungen in der geopolitischen Landschaft,
besonders unter den Völkern der Welt. Aber der
Zusammenbruch findet statt. Vielleicht wird er
langsamer vor sich gehen als in dem Apartheitsstaat
von Südafrika, als in der Sowjetunion, dem Iran des
Schah oder Mubaraks Ägypten, aber er wird
stattfinden. Nachdem es nun die Kraft der
Abschreckung verloren hat, muss Israel entweder die
Palästinenser gerecht behandeln oder in der Tat
verschwinden.
http://icahd.de/?p=924
Jeff
Halper ist der Direktor des israelischen Kommitees
gegen Hauszerstörungen (Israeli Committee Against
House Demolitions – ICAHD). Man kann ihn erreichen
unter: jeff@icahd.org.
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