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Die Zeit für eine Zwei-Staaten-Lösung läuft davon
Akiva Eldar, Haaretz,16.8.08

 

Zum Ende meines Gesprächs  mit Sari Nusseibeh im Amerikan Colony-Hotel in Jerusalem sagte mir der hoch geachtete Präsident der Al Quds-Universität und Mitunterzeichner von „The People’s Choice“ * , er wäre nicht überrascht, wenn ein palästinensischer Bewohner von Jerusalem  im November für die Bürgermeisterwahlen antreten würde. Der Kandidat würde nicht als Vertreter von Jerusalem per se antreten, betonte Nusseibeh. Eher würde er im Namen aller Palästinenser in den besetzten Gebieten antreten.

 

„Warum tun Sie es nicht?“ platzte ich heraus. Der 59 jährige Sohn von Anwar Nusseibeh, einem jordanischen Regierungsminister lächelte nicht. „Es ist möglich,“ sagt der Professor für islamische Philosophie, der vor ein paar Jahren  kurz Faisal Husseini als  obersten palästinensischen Vertreter in Ost-Jerusalem vertrat. „Alles ist möglich,“ fügt er  hinzu, ohne mit  der Wimper zu zucken.

 

Nusseibehs vorrausgegangene Behauptung, dass das „Kartenhaus“von Oslo begonnen hätte , zusammenzubrechen, wurde durch  den Haaretz-Bericht  dieser Woche weiter bestätigt, wenn man Ministerpräsident Olmerts letztes Friedensangebot ansieht: Israel würde 7 % der Westbank annektieren und die Palästinenser mit  einem Gebiet im Negev kompensieren, das etwa 5,5 %  Westbankland entspräche. Ein Abkommen über Jerusalem wird auf einen späteren Termin verschoben; es gibt keine Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge;  und der ganze Plan wird  erst erfüllt, wenn die Hamas ihre Macht im Gazastreifen aufgegeben hat.

 

Nusseibeh sagt, er wüsste sehr wohl, was  während dieser Verhandlungen geschieht – oder besser, was nicht geschieht. Seit 20 Jahren versucht die palästinensische Führung, ihr Volk von einem Staat entlang der Grenze von 4.Juni – also neben Israel - zu überzeugen, während Israel  diese Option zerstört hat, erklärt Nusseibeh  und fügt hinzu: „Man kann nicht über einen Endstatus reden, wenn man nicht über Jerusalem und die Flüchtlinge redet. In den Endstatusverhandlungen sollte – so glaube ich -  in erster Linie über Jerusalem und die Flüchtlingsfrage gesprochen werden. Wenn die Frage über Jerusalem hinausgeschoben wird, dann schiebt man auch das Flüchtlingsproblem hinaus.  Tatsächlich befasst man sich aber gar nicht mit diesem Problem. Man muss aber über diese Probleme sprechen…

 

Ist Sari Nusseibeh, der säkulare Palästinenser, das Symbol von Mäßigung, Ayalons Typ, um die Zwei-Staaten-Lösung zu beerdigen?

„Ich bin noch immer für eine Zwei-Staatenlösung und werde mich auch weiter dafür einsetzen, aber nur so weit, bis man erkennt, dass es nicht mehr ausführbar ist – dann muss man über eine andere Alternative nachdenken. Da gibt es unter der Bevölkerung beider Seiten zwei sich widersprechende Ansichten. Auf der einen Seite hat man das Gefühl, dass  wir für eine Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr viel Zeit haben und dass sie deshalb schnell ausgeführt werden müsse.

Andrerseits, wenn wir sehen, was in Israel und in den besetzten Gebieten, also vor Ort geschieht, so passieren dort genau die Dinge, die dem widersprechen - als ob sie nicht mit der Realität verbunden wären. Die Meinung läuft in die eine Richtung – die Realität aber in die andere.

 

Nusseibeh sagt, der Kampf für eine Ein-Staat-Lösung könnte eine ähnliche Form annehmen,  wie bei unterdrückten ethnischen Gruppen in anderen Gegenden mit gewaltfreiem Widerstand.

 

„Wir könnten für gleiche Rechte kämpfen, für das Existenzrecht, das Recht auf Rückkehr und Gleichheit. Es wäre ein Kampf über Jahre hinweg. Es könnte eine friedvolle Bewegung sein – wie die in Südafrika,“  bemerkt er. „Ich denke, man sollte  auf der palästinensischen Seite  mit einer Debatte beginnen , um die Idee von einem Staat  wieder zu beleben.

 

 

Jerusalem steht vor dem Aus.

„Wir haben in den letzten 15 Jahren versagt“, fährt Nusseibeh fort, „um eine Welt, wie wir sie haben wollten, zu schaffen. Wir nahmen an, wir sind klug. Wir waren davon überzeugt, dass wir sehr demokratisch und sauber seien, ein vorbildliches Modell für die arabische Welt . Und Jerusalem sollte unsere Hauptstadt sein. Davon waren wir überzeugt. Aber dann stellte es sich heraus, dass dies alles Blödsinn war. Jerusalem können wir abschreiben. Alles, was wir haben, ist Ramallah. Und Gaza haben wir verloren. Da gibt’s es Korruption und Ineffizienz. Dafür haben wir uns nicht verbürgt, als wir uns in den frühen 80igern zurücklehnten und eine Zwei-Staaten-Lösung ideologisierten.

Die Fatah als die Partei der Mitte und die einzig lebensfähige Alternative zu den Extremen auf der Linken oder auf  der Rechten braucht jetzt eine Strategie, eine Ideologie. Weil die Ideologie, die  Fatah während der letzten 15 Jahre vertreten hat,  nur halbherzig eine Zwei-Staaten-Lösung war schwindet mit ihr nun auch die Fatah. Darum mag es nun an der Zeit sein, neu nachzudenken und die Fatah auf eine neue Idee zu bringen, auf die alt-neue Idee des einen Staates.

 

Wirft der „Bulldozer-Terror“ in Jerusalem  kein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten, die einem bi-nationalen Staatsmodell  inne wohnen?

 

Dies sind isolierte Vorfälle, aber sie spiegeln eine schwerwiegende Krankheit in unserer Jerusalemer arabischen Gesellschaft wieder. Eine Krankheit als Folge des Druckes, Schizophrenie: die Leute sprechen hebräisch, lauschen hebräischen Liedern, haben eine israelische Freundin, leben aber in einem arabischen Stadtteil und unter dem Einfluss der muslimischen Kultur. Es zerren widersprüchliche Kräfte an ihnen .

 

Welches ist die treibende Kraft hinter der Zwei-Staaten-Lösung? Die Tatsache,  dass sie für die Mehrheit der Bevölkerung auf beiden Seiten annehmbarer ist . Es geht in erster Linie darum, das menschliche Leiden zu verringern . Darauf sollten wir vor allem achten. Wenn es eine Ein-Staaten-Lösung geben wird, dann nicht von heute auf morgen. …

 

Ich denke, dass wir in 50, 100 oder 200 Jahren  mit einander irgendwie  in Frieden leben  werden . Ich weiß nicht wie, ob in einem oder in zwei Staaten oder in einem Staatenbund.

In der Zwischenzeit werden wir einander Leid antun. Es ist tragisch. Es ist sehr tragisch, weil wir wissen, wir könnten es schon jetzt tun mit einigem Mut, geeigneter Führung - mit Visionen könnten wir es schon heute erreichen. „Die Arabische Friedensinitiative, die 2002 vorgeschlagen wurde, wäre eine phantastische Chance. Die Palästinenser hatten sie angenommen… sie erwähnt nicht einmal das Rückkehrrecht. Sie wäre sogar besser als der Ayalon-Nusseibeh-Plan. Ich wäre bereit ihn zu akzeptieren.“

 

Verlorenes/ vergeudetes Geld

 

Gefragt, warum er, dem  sehr bewusst ist, wie kompliziert eine faire und logische Lösung  für Jerusalem zu erreichen ist, warum er gegen Olmerts Idee ist, diese Diskussion aufzuschieben. Nusseibeh  sagt, er hoffe, der Ministerpräsident wiederhole nicht denselben Fehler, den Ehud Barak in Camp David gemacht habe, wobei der Gedanke des Hinausschiebens nur für PR-Zwecke angeschnitten worden war.

 

Für Israel ist Jerusalem zwar wichtig – wichtiger jedoch ist der jüdische Charakter des Staates.  Und so wichtig das Problem der Flüchtlinge sei, so  ist für die Palästinenser und die Muslime Jerusalem wichtiger. Es ist das Problem, bei dem sogar die Extremisten bereit wären, ein Opfer zu bringen. Hoffen wir, dass  es nicht   dies ist, worin Olmert und Mahmoud Abbas nicht übereinstimmen. …Wir müssen alle Fragen auf den Tisch legen.

 

„Das was vor Ort geschieht, macht die Situation  unumkehrbar“, warnt Nusseibeh. Nehmen wir die Clinton-Parameters: die palästinensischen Stadtteile unter palästinensische Herrschaft, die jüdischen unter jüdische Herrschaft. Sie sind im Prinzip annehmbar, aber die Realität vor Ort wie die Vertreibung  arabischer Familien aus ihren Häusern im Sheikh Jarrah-Stadtteil und  die Besiedlung durch jüdische Siedler macht es praktisch  nicht annehmbar. Deshalb haben wir keine Zeit mehr.

 

 

Sie haben kürzlich die palästinensische Führung aufgebracht, als Sie die Europäer darum baten, mit der finanziellen Hilfe für die palästinensische Behörde ein Pause zu machen. Irgend jemand fragte, ob Sie bereit seien, auf die Hilfe für die Al-Quds-Universität  zu verzichten.

„Ramallahs Reaktion war ein bisschen besorgt. Sie riefen mich ein paar mal an …“

Nusseibeh fügt hinzu, dass die PA noch immer von Korruption bestimmt sei – anders als die, wegen der Olmert verklagt wurde. Die Geberstaaten subventionieren  Tausende von Gehaltsempfängern von gemeinnützigen Organisationen. Dies sieht er als ungesunde Abhängigkeit von ausländischen  Entitäten an.

 

„Wir stecken in einer schrecklichen Situation. Unsere politische Bibel, unsere Plattform, unsere moralischen Werte – wir müssen wieder zu einander gebracht werden. Wenn nicht für die Schaffung eines Staates – so doch für unsere eigene geistige Gesundheit als Volk. Abgesehen von Ramallah lebt jeder unter sehr schlechten Bedingungen. Die Besatzung ist schrecklich. Überall ist die Besatzung zu spüren als Unterdrückung. Und die Europäer finanzieren die Besatzung. Sie sind glücklich, weil sie glauben, sie tun etwas, das ihr Gewissen entlastet. Und die Israelis sind glücklich, dass sie die Besatzung nicht zahlen müssen. Und die Palästinenser sind glücklich, weil sie ihren Lohn ausgezahlt bekommen. Das hält die Wirtschaft in Gang. Und die (verantwortlichen) Leute sind damit zufrieden. Es ist  im Grunde wertloses (dead) Geld.“

 

Nusseibeh  erwähnt, das vor kurzem stattgefundene Treffen mit dem britischen Ministerpräsidenten Gordon Brown im britischen Konsulat in Jerusalem mit noch vier anderen Palästinensern. Brown erklärte, er würde bei dem Friedensprozess lieber eine  zentralere Rolle übernehmen als nur die  einer Registrierkasse. „Ich sagte , ich möchte Ihnen sagen, was sie tun können, um aus einem Zahlenden zu einem Mitwirkenden ( from a Payer into a Player) zu werden: Machen Sie ihre Zahlungen von Bedingungen abhängig, von realem Fortschritt im Friedensprozess.“

 

„Vor noch nicht langer Zeit“, fährt der Professor fort „ war ich in Brüssel und hielt dort eine Rede und sagte den Europäern: wenn  Sie weiter Geld schicken wollen, tun Sie es nur unter der Bedingung, dass wir einen Staat bauen. In diesem Falle wäre es sinnvoll, Geld zu spenden, um uns einen internationalen Flughafen  bauen zu können . Aber wenn es keinen unabhängigen palästinensischen Staat geben wird, warum dann das Geld verschwenden? Wenn Sie unbedingt Geld verschwenden wollen, helfen Sie uns, uns in die israelische Gesellschaft zu integrieren. Das ist sinnvoller. Zahlen Sie uns das Geld, um ein Teil der israelischen Gesellschaft zu werden, um die gleichen Rechte zu haben. Helfen Sie mit, das Bildungsniveau zu erhöhen und unsern Lebensstandard zu verbessern. Der PA all das Geld zu vermachen, in dem es all diese Schulden  macht, hat keinen Sinn. Die Europäer sollten ihre Hilfe an wirklichen Fortschritt bei den Friedensgesprächen knüpfen, so dass beide, die Israelis  genau wie die Palästinenser aus ihrer Selbstzufriedenheit oder dem Fehlen an Engagement aufgeschreckt werden .

Unter Palästinensern wächst der Wunsch, die PA aufzulösen – Könnten Sie dies nicht unterstützen?

 

Die PA ist (für niemanden) von Nutzen. Wenn es uns bis zum Ende des Jahres nicht gelingt, ein Friedensabkommen zu erlangen, ist es wohl am besten, wir gehen zurück zu der Periode, wo wir glücklich unter der Besatzung lebten. Wir hatten eine kleine zivile Verwaltung. Sie zahlte etwa $20 Millionen im Jahr ans israelische Finanzministerium. Also verdienten sie an uns. Heute machen wir von Jahr zu Jahr größere Schulden. Wir  verbrauchen Milliarden, wir haben 160 000 Angestellte, die Hälfte von ihnen Sicherheitspersonal, die uns trotzdem keine Sicherheit gibt; wir verbrauchen zu viel Geld für Waffen, die wir nur gegen einander gebrauchen und die uns keine Sicherheit geben. Die ganze Sache ist ein großes Tohuwabohu.

 

Nusseibeh sagt, bis zum heutigen Tag haben sich die Palästinenser geweigert, an den Jerusalemer Gemeindewahlen teilzunehmen, weil sie fürchteten, wenn sie dies täten, dann würde die Verbindung zwischen den Jerusalemer Arabern und den Palästinensern in der Westbank und im Gazastreifen noch mehr getrennt. Jetzt wo die Wahrscheinlichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung immer mehr schwindet, ist es vielleicht für die Palästinenser an der Zeit, die Sache neu zu überdenken. …

Die Gemeindewahlen in Jerusalem könnten der Anfang sein, um in einem bi-nationalen Staat gleiche Rechte zu erlangen. Wir beginnen mit Jerusalem, nicht als einem separaten Teil, sondern als der Speerspitze der ganzen palästinensischen Entität . Warum nicht? Warum nicht die Schwäche in Stärke verwandeln?  …

Ami Ayalon sagt: Ich stimme mit Sari Nusseibeh überein, dass die Zeit für eine Zwei-Staatenlösung ausläuft. Er bringt  die Frustration und Verzweiflung der Palästinenser zum Ausdruck, und das müssen wir berücksichtigen. Wenn ein Mann wie er, ein Sohn eines palästinensischen Flüchtlings sein Recht auf Rückkehr aufgibt und deshalb auch schon physisch angegriffen wurde und nun zu dem Schluss kommt, dass die Zwei-Staaten-Lösung keine Option mehr ist, bedeutet das, dass die ganze pragmatische palästinensische Einstellung ins Wanken gerät. …

 

(dt. und stark gekürzt: Ellen Rohlfs)

 

 

http://www.haaretz.com/hasen/objects/pages/printArticleEn.jhtml?itemNo=1011859

 

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