Sehr geehrte
Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
als ich mich
-lassen Sie mich das vorwegschicken - anlässlich Ihrer
Vorverurteilung von Hamas als Verursacher des Gaza-Krieges
in einem Offenen Brief (vom 14.01.2009) an Sie kritisch zu
Wort meldete, ahnte ich nicht einmal im Traum, mich einige
Monate später auch anlässlich Ihrer Haltung zu Irans
jüngster Entwicklung zu Wort melden zu müssen. Mit Ihrem
Fehlurteil zum Gaza-Krieg haben Sie seinerzeit Israel zu
seinen Kriegsverbrechen mit über tausend Toten und zur
flächendeckenden Zerstörung des Gazastreifens – dies kann
man leider nicht anders sagen - ermutigt.
Nun sind Sie
dabei, der Reformbewegung im Iran Schaden zuzufügen.
Im Fall Iran
kann und will ich erst recht nicht schweigen, da ich als
Deutsch-Iraner großes Interesse daran habe, dass sich
Deutschlands und Irans Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil
und im Interesse des Weltfriedens zum Besseren wenden und
dass beide Länder in ihrer jeweiligen Region eine
Schlüsselrolle für eine friedliche Kooperation zwischen
Europa und dem Mittleren und Nahen Osten übernehmen.
Sie haben
mit Ihrer Stellungnahme am 21. Juni zu Iran, außer Ihrer die
Menschenrechte betreffenden Forderungen an Irans Führung,
die ich für selbstverständlich halte, auch eine Neuauszählug
der Stimmen verlangt. Mit dieser letzteren Forderung haben
Sie m. E. die Schwelle einer Neutralität, die in diesem
speziellen Konflikt besonders geboten erscheint, eindeutig
überschritten und sich unaufgefordert in einen noch
schwelenden Konflikt eingemischt. Des weiteren scheinen Sie
sich von nicht gerade kenntnisreichen Experten beraten zu
lassen.
Die Führer
der Reformbewegung verlangen schlicht Neuwahlen. Sie aber
möchten, im Unterschied dazu, dass die abgegebenen Stimmen
neu ausgezählt werden. Mir ist erstens schleierhaft, wie Sie
zu dieser eigenwilligen Forderung gekommen sind.
Offensichtlich scheinen Sie zum zweiten die Möglichkeit
auszuschließen, dass die Stimmen in den Wahlkreisen
weitgehend richtig gezählt und auch elektronisch korrekt
erfasst wurden, aber dass das Wahlergebnis zentral im
Innenministerium in unvorstellbarem Ausmaß erst gefälscht
und dann als offizielles Ergebnis zu Gunsten des amtierenden
Präsidenten verkündet wurden. Diese Variante, dass die
Wahlfälschung nicht in den Wahlkreisen, sondern im Teheraner
Innenministerium stattgefunden hat, ist nach Vorlage aller
Indizien sogar die wahrscheinlichste. So gesehen tappen Sie
mit Ihrer Forderung der Neuauszählung der Stimme n in die
Falle des Regimes, das genau mit der Neuauszählung in
bestimmten Wahlkreisen von dem großen Betrug ablenken will.
Ich bin,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, erstaunt darüber, dass
Sie, die Sie ja stets in der Iran-Politik Washington
bereitwillig, manchmal – so könnte man sagen – sogar fast
„hörig“ gefolgt sind, ausgerechnet jetzt, wo aus Washington
ein friedlicher Wind weht, sich über die Haltung eines
klugen und behutsamen Barack Obamas hinwegsetzen. Trotz
massiven Drucks der neokonservativen Hardliner, die keine
andere Sprache als die Drohung und keine andere
Politikhaltung gegenüber den Dritte-Welt-Staaten als die
Einmischung kennen, ließ sich Obama bisher nicht zu einer
Reaktion hinreißen, die von Irans Machthabern leicht
instrumentalisiert werden könnte. Obama hat bisher keine
Handlung der iranischen Führung, die direkten Bezug zum
Konfliktgegenstand widerstreitender Parteien im Iran hat,
verlangt.
Vielmehr hat
er sich darauf beschränkt, vor Gewaltanwendung zu warnen. Er
vergaß auch nicht, eindringlich drauf hinzuweisen, dass die
demokratische Entwicklung eine Angelegenheit der Menschen im
Iran selbst sei. Obamas Berater haben – das sei hier nur
informationshalber erwähnt – die politischen Gründe für die
Haltung des USPräsidenten für jeden, der sie verstehen
wollte, unmissverständlich dargelegt. Der Präsident der USA
möchte nichts unternehmen, – so oder ähnliches verlautete
sinngemäß – was dazu führen könnte, die Reformbewegung als
Handlanger der USA zu diskreditieren und aus einem realen
internen Konflikt einen Iran-USA-Konflikt zu machen, der die
bestehenden Verhältnisse nur zementierte.
Ist denn,
Frau Bundeskanzlerin, dieses Einmaleins einer friedlichen
und Konflikt entschärfenden Denkweise, die Obama an den Tag
legt, so schwer zu verstehen, dass Sie, aber auch Ihre
anderen EU-Kollegen, Nicolas Sarkosy und Gordon Brown, genau
das Gegenteil davon zur Grundlage Ihrer Iran-Politik machen?
Sehen Sie, Frau Bundeskanzlerin, nicht, dass der moderate
Präsident des iranischen Parlaments, Ali Laridschani, nun in
das Dilemma geraten ist, mit dem delegitimierten
Staatspräsidenten Ahmadinedschad gegen die EU an einem
Strang ziehen zu müssen? Sehen Sie, Frau Bundeskanzlerin,
nicht, dass Ihre Haltung und die der anderen EU-Regierungen
dabei ist, genau jene Entwicklung zu provozieren, die Obama
verhindern will?
Mir fällt
auf, Frau Bundeskanzlerin, dass auch im Atomkonflikt mit dem
Iran die EU3, also Sie und die beiden genannten Kollegen aus
Frankreich und Großbritannien, jahrelang uneinsichtig,
unnachgiebig und einseitig zusammen mit den Neokonservativen
jenseits des Atlantik mit verteilten Rollen konsequent eine
Politik des „Zuckerbrot und Peitsche“ verfolgten, die den
Westen zweimal an den Rand eines neuen Krieges im Mittleren
Osten, diesmal gegen den Iran, geführt hätte.
Könnte gar
die destruktive Haltung der EU3 im gegenwärtigen
inneriranischen Konflikt etwas mit der Haltung der
EU-Verbündeten im Nahen Osten, nämlich Israels Regierung, zu
tun haben, die, unmittelbar nach Bekanntgabe der gefälschten
Wahlergebnisse, Ahmadinedschad eine breite Unterstützung des
iranischen Volkes bescheinigte, um weiterhin die wachsende
iranische Gefahr zu apostrophieren? Ist Ihnen und Ihren
Kollegen in der EU klar, dass eine friedliche Revolution im
Iran in die gesamte Region ausstrahlen und die
Voraussetzungen für einen Nahostfrieden verbessern könnte?
Wissen Sie eigentlich, dass genau aus diesem Grund Israels
politische Elite – mögen ihre politischen Repräsentanten nun
Olmert, Livni, Barak oder Netanjahu heißen - ihre
ideologische und expansionistische Politik fortsetzen kann,
wenn Ahmadinedschad Staatspräsident bliebe und dass
umgekehrt Israels gegenwärtige Politik im Innern in eine
Legitimationskrise geriete, wenn die revolutionäre
Demokratisierung der Islamischen Republik Erfolg hätte?
Diese Zusammenhänge sind real vorhanden, jeder
kenntnisreiche und scharfsinnige Experte kennt diese
Zusammenhänge. Man muss sie nicht konstruieren.
Als Kenner
der Region und enthusiastischer Befürworter der friedlichen
Transformation des Mittleren und Nahen Ostens bitte ich Sie,
Frau Bundeskanzlerin, daher dringend, die bisher
gescheiterte Iran-Politik der EU einer ernsthaften Kritik zu
unterziehen. Ich bitte Sie inständig, Frau Bundeskanzlerin,
sich im gegenwärtigen inneriranischen Konflikt jedweder
Äußerung, die als Einmischung verstanden werden muss, zu
enthalten. Durch Ihre Ablehnung der demokratisch gewählten
Hamas in Palästina und ihre unverhohlene Unterstützung
Israels im Gazakrieg haben Sie Ihre Glaubwürdigkeit in der
islamischen Welt längst verspielt. Jedwede Ihrer wenn auch
gut gemeinten Parteinahmen im gegenwärtigen Konflikt wird
der bewundernswerten Reformbewegung im Iran nur schaden.
Mit
vorzüglicher Hochachtung
(Prof. Dr. Mohssen
Massarrat)