Analysen/ Features
Palästina ist unverkäuflich!
Die Volksbewegung will
den Widerstand gegen die Apartheidmauer nicht einschränken.
Jamal Juma, Koordinator
der palästinensischen Grassroot-Anti-Apartheidmauer Kampagne, 18.März 2005 (StopTheWall.org)
Hier folgen zwei Berichte
des palästinensischen Widerstands während des Februar und März, 2005.
Zwei Dinge sind besonders zu betonen:
Erstens: es gab eine weit
verbreitete Eskalation des Volkswiderstands gegenüber der immer
intensiver werdenden israelischen Besatzung und Apartheid, die sich
inzwischen auf alle Gebiete der Westbank erstreckt. Hebron, Beit Surik,
Safa, Ni’ilin und besonders Budrus waren die Orte, wo es in den letzten
Wochen intensiven Widerstand gab. Die Ramallah-Demonstration vom 14. März
zeigte außerdem die Höhepunkte der augenblicklich in der ganzen Westbank
laufenden Mobilisierung gegen die Apartheidmauer.
Zweitens eskaliert der
palästinensische Kampf auf dem Hintergrund politischer Entwicklungen:
einerseits will man die Palästinenser zu passiven Subjekten machen,
andrerseits geht die rassistische Kolonisierung des
Apartheidmauerprojekts unvermindert auf palästinensischem Land weiter. Wir
können diese Entwicklungen kurz zusammenfassen:
Die
Sharm-El-Sheich-Konferenz; die Ankündigung durch die Besatzungsmacht, dass
sie Abänderungen am Verlauf der Apartheidmauer vornehmen wird; die
Konferenz in London und die immer offensichtlichere Haltung der UN, die
sich entschieden hat, das Problem der Apartheidmauer nur noch mit
„humanitären“ Termini zu diskutieren.
In der Reihe der
Ereignisse gibt es kein zufälliges Zusammentreffen. Um zu verstehen, warum
sich der Kampf intensiviert hat, muss man die hauptsächlichen Faktoren
betrachten, mit denen sich alle politischen Diskurse und Entwicklungen
der letzten Zeit befassen: Es ist der Versuch, die palästinensische
Opposition gegen die Mauer zu ersticken und ihre „Normalisierung“
innerhalb der Westbank voranzutreiben.
Das Thema Mauer wurde
beim Sharm el-Sheikh-Treffen gar nicht erst angesprochen oder nur
oberflächlich in einem nichtssagenden gemeinsamen Statement, das
feststellt, dass es ein „kontroverses Thema“ sei. Als ein Ergebnis der
Konferenz wurde außerdem betont, dass eine beruhigte Phase im
palästinensischen Widerstand nötig sei. Dies wird (selbstverständlich)
erwartet, während der Bau der Apartheidmauer und die Erweiterung der
Siedlungen unvermindert weitergehen. Die Besatzungskräfte haben sogar die
ausweglose Situation dazu benützt, die dritte Phase des Mauerbaus, die im
November im Süden begann, mit Schwung aufzunehmen. Mit besonders großem
Eifer geht der Bau der Apartheidmauer rund um Jerusalem und Bethlehem
voran.
Als ob Palästinenser und
Zionisten sich in einem Krieg befänden – und als ob die Palästinenser
nicht ein Volk unter Besatzung wäre, gegen die es sich wehrt, befasst
sich die Rhetorik von „Beruhigung“ und „Waffenstillstand“ (
seltsamerweise) nicht mit der Apartheidmauer und dem Siedlungsbau als Teil
der israelischen Gewalt. Die Durchführung der Entscheidung des
Internationalen Gerichtshofes ( ICJ)– das Abreißen der Mauer – ist weder
ein verhandelbares noch ein kontroverses Thema, sondern bildet die
Grundlage des Internationalen Gesetzes.
Während man so
(einesteils) die Entscheidung des ICJ untergräbt und ( andernteils) die
Wünsche der USA und der Europäer - durch eine neue Festlegung des
Mauerverlaufs - stärkt, verkündigt das Besatzungsregime einen
„modifizierenden“ Plan . Auch wenn im Mauerverlauf in einzelnen Dörfern
Veränderungen vorgenommen wurden, annektiert die Mauer und das Siedlungs-
und Straßennetzwerk( „nur für Juden“) und die militärischen Zonen
weiterhin – genau wie zuvor – 47% der Westbank. Es lässt die
Palästinenser in Ghettos und Halbghettos, die mit Tunnel und Brücken
untereinander verbunden sind, auch weiterhin unter Kontrolle der
Besatzung. Neu an der veränderten Mauerroute ist, dass sie jetzt unter
der Bezeichnung „Abzugsplan“ läuft, der von den Amerikanern und Europäern
als Teil der „Road Map! angesehen wird.
Dem palästinensischen
Volk wurde bewusst, dass die Besatzungsmacht mit irreführenden
Bezeichnungen rund um ihr Kolonialprojekt eine Apartheid über sie zu
setzen versucht – und zwar von ganz oben her. Es wurde ihm klar, dass die
Mauer die Endverhandlungen bestimmen wird, noch bevor die Verhandlungen
begonnen haben. Die Palästinenser lehnen die Vorstellung der überall in
der Westbank geschaffenen isolierten Ghettos als eine Art „lebensfähiger
Staat“ vollkommen ab. Dass die Mauer das Zerstörungsinstrument und der
Katalysator des expansionistischen zionistischen Kolonialprojektes in
Palästina ist, ist für die Palästinenser unschwer zu erkennen, da sie seit
Jahrzehnten mit dem Kolonialismus und der Zerstörung ihrer
Lebensgrundlage, Würde und ihrer Gemeinschaften Erfahrungen machten.
Es ist seit der
Eröffnungssitzung des ICJ länger als ein Jahr her und mehr als 8 Monate,
dass die Entscheidung über den Stopp des Mauerbaus, ja, über den Abriss
der Mauer fiel. Während man damit rechnete, dass Israel diese
Entscheidung zurückweisen würde ( es war niemals bereit, sich an
internationales Recht zu halten), war es um so überraschender, dass der
Ruf zur Erfüllung der ICJ-Entscheidung vom offiziellen Diskurs der
Palästinensischen Behörde verdrängt wurde. Die Mauer wurde in den
Hintergrund gedrängt, als ob sie nur eine Illusion im palästinensischen
Bewusstsein wäre. Für die Europäer und die Amerikaner war der Verlauf der
Mauer das Problem, nicht die Mauer selbst. So schien es, dass die
ICJ-Entscheidung von allen Parteien annulliert worden wäre, außer vom
palästinensischen, dem direkt betroffenen Volk, das bei jeder sich
ergebenden Möglichkeit danach ruft, das Internationale Recht zu
respektieren und die ICJ-Entscheidung vollständig zu erfüllen.
Der Prozess, die
Apartheidmauer – durch Nichtbeachtung des internationalen Rechtes – zu
normalisieren, ist in der UN immer klarer zu einem Diskurs geworden, der
ihn eher als „humanitäres“, denn als politisches Problem behandelt. Bei
seinem Besuch auf der Westbank wiederholte Kofi Annan die voreiligen
UN-Ankündigungen, man wolle ein Schadensregisterbüro für all jene
errichten, die durch die Mauer geschädigt worden seien. Diese Maßnahme ist
in einem Kontext, in dem der Druck der UN auf Israel, den Mauerbau zu
stoppen, völlig fehlt, höchst alarmierend. Versucht die UN, das
palästinensische Volk mit Geld statt mit der Achtung vor dem
internationalen Recht ruhig zu stellen? Die Fülle der Berichte und
Statements durch UN-Offizielle betont außerdem die humanitären
Auswirkungen, ignoriert aber das reale Problem der Mauer und hilft so mit,
den tatsächlichen Bau der Apartheid-Mauer zu legitimieren. Die konkreten
Auswirkungen des Ausverkaufs des palästinensischen Volkes, seines Landes
und Kampfes hatte seinen Anfang bei der Konferenz, die im letzten Monat
(Februar 2005) in London stattfand. Außenminister, Vertreter der Weltbank
und Annan trafen sich mit Vertretern der Palästinensischen Behörde, um
Vorträge über „innere Reformen“, „Sicherheitsangelegenheiten“ und vor
allem über Geld zu hören. Bis zu 1,2 Milliarden ist der Palästinensischen
Behörde versprochen worden. Das war ein bisschen mehr als die Minimalsumme
( 900 Millionen $), die von der Weltbank in ihrem Bericht vom Dezember
2004 berechnet worden war. Er erschien wie eine Heimwerkeranleitung mit
detaillierter Analyse der finanziellen Lebensbedürfnisse, und wie man ein
ganzes Volk in einem Freiluftgefängnis hinter der Apartheidmauer am besten
verwaltet. Der Engpass der Durchführbarkeitsstudie der Weltbank – die
Hi-Tech-Tore der Apartheidmauer – ist mit einer Spende der Bank gelöst
worden und steht nun im Wettbewerb mit einem laufenden Angebot der USA,
das Projekt zu finanzieren. Doch trotz der peinlich genauen Berechnungen
der bedeutendsten Finanzexperten der Welt und der „Großzügigkeit“ der
Geberstaaten – das palästinensische Volk verkauft sein Land und Leben
nicht.
Der palästinensische
Volksaufstand hat auf diese Entwicklungen mit eskalierender
Grassroot-Mobilisierung an verschiedenen Orten reagiert. In Jerusalem
kämpft die Bevölkerung von Beit Hanina, Beit Surik, Biddu, Dahya und Ram
gegen die Mauer, die dort gebaut wird, um Jerusalem von der Westbank
abzutrennen. Wieder ist Land bei einer systematischen Kampagne ethnischer
Säuberung für die Siedlungserweiterung und die Judaisierung Jerusalems
enteignet worden.
Die dritte Phase des
Mauerbaus führte auch in Hebron, Yatta und der Altstadt (Hebron) zu
weiterer Landenteignung und bringt als Reaktion darauf Bewohner zum Kampf
gegen die Apartheidmauer.
In West-Ramallah, Safa
und Beil’in gab es während der letzten zwei Wochen täglich Zusammenstöße
mit Tränengas, angeschossenen, verletzten und verhafteten Palästinensern.
Die Demonstration am 14.
März 2005, die von der Anti-Apartheidmauer-Kampagne organisiert worden
war, war die Krönung in einem „Monat andauernden Kampfes“. Die große
Beteiligung der Menschen an der Demo aus allen Teilen der Westbank,
spiegelt die Volksbewegung gegen die Mauer wider. Slogans und Statements
enthüllten die tiefsitzende Angst der Leute vor dem unvermindert
weitergehenden Bau der Apartheidmauer und die weit verbreitete Opposition
gegenüber den politischen Entwicklungen, die dafür bestimmt sind, den
Widerstand gegen die Besatzung aufzuweichen und zu befrieden.
Die Ablehnung der
betrügerischen „Abänderungen der Mauer“ wurde in Aufrufen betont, die für
die Wiederherstellung des Internationalen Rechtes und für den Abriss der
Mauer plädierten. Kritik wurde auch gegenüber der offiziellen Position und
dem Diskurs der palästinensischen Behörde laut, die nicht versuchte, die
ICJ-Entscheidung durchzusetzen.
Es war Annan und die
Unterabteilungen der UN in Palästina, die den Löwenanteil des Volkszornes
am 14.März abbekamen. Annan versäumte es, ein einziges Wort darüber zu
äußern, wie notwendig es sei, das Internationale Gesetz zu respektieren.
Er konzentrierte sich auf das Register-Office und behauptete, es sei ein
humanitäres Problem, das mit ein paar Dollar gelöst werden kann. Auch der
OCHA-Bericht (?) kam zum selben Schluss. Die Unfähigkeit, die
Apartheidmauer als politisches Problem zu betrachten – eines, das zum
Wesen des zionistischen Kolonialprojektes der Westbank gehört – ist eine
zu tiefst beunruhigende Entwicklung innerhalb der UN.
Was Annan und die UN
vorgebracht haben, reflektiert die Rhetorik der Zionisten. Diese
betrachten das Problem als „humanitär“ und zeigen „Verständnis“, sich in
diesem Sinne, damit zu befassen. Auch sie schätzen die Entscheidung des
ICJ gering ein – genau wie Annan und der UN-Bericht.
Uns bleibt nichts
anderes übrig, als darüber nachzudenken, welche Verantwortung der
Generalsekretär der UN eigentlich genau hat? Geht es darum, die
israelisch-amerikanische Position in Beziehung zu den UN-Entscheidungen zu
bringen, die sich auf doppelter Moral gründen? Oder geht es darum, die
Durchführung des Internationalen Rechtes zu fördern und das
palästinensische Volk in seinem legitimen Kampf für Gerechtigkeit,
Souveränität und Freiheit zu unterstützen.
(dt.
Ellen Rohlfs) |