Kapitulation gegen Existenzrecht
Oder Wer muss wessen
Existenzrecht anerkennen ?*
Kathleen Christison, Counterpunch, 30.5.06
Ehud Olmert äußerte sich bei einer
gemeinsamen Sitzung am 24. Mai gegenüber dem Kongress,
er sei mit der tiefen Überzeugung aufgewachsen, das
jüdische Volk müsse niemals irgend einen Teil des Landes
der Urväter aufgeben: „Ich glaubte und glaube es noch
heute, dass es das ewige und historische Recht unseres
Volkes sei, das ganze Land zu besitzen.“
Er
räumte dann ein, dass Träume allein keinen Frieden
bringen und Israel keinen sicheren demokratischen Staat
erhalten können. Was aber in diesem wenig beachteten
Statement über jüdische Verbindung zu diesem Land
deutlich hervortrat, ist die Bestätigung eines obersten
jüdischen Rechtes auf ganz Palästina, ganz gleichgültig,
wer sonst noch dort lebt. Im Kontext irgendwelcher
Hoffnung auf ein gerechtes und unparteiisches
Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern,
wäre dies ein Geschäftsbrecher par excellence – also
Verrat.
Im
Licht dieser offiziellen israelischen Ansicht, das
jüdische Volk habe ein „ewiges und historisches Recht
auf das ganze Land“, ist man über die Heuchelei der
Forderung erschrocken, die Palästinenser müssten
Israels Existenzrecht anerkennen, bevor jemand mit
ihnen verhandelt und bevor sie der zivilisierten
Gemeinschaft der Völker hinzugefügt werden können. So
wurde universell von Israel, der EU und dem größten
Teil der internationalen Gemeinschaft deutlich
behauptet. Bedeutet diese Forderung, dass Palästinenser
Israels Existenzrecht anerkennen, dass sie “Israels
Recht auf das ganze Land“ anerkennen müssen, so wie es
Olmert definiert hat? Und falls dies der Fall ist , wie
kann den Palästinensern möglicherweise versichert
werden, selbst wenn Israel ihnen großzügig einen
„Staat“ oder ein Bantustan in einem Teil des ganzen
gewährt , der ihnen Israel zu einem späteren Zeitpunkt
wieder abgenommen wird, da Juden ein ewiges und
historisches Recht auf dieses ganze Land haben . Warum
sollte irgend jemand glauben, dass eine israelische
Konzession von Land auf Dauer sei?
Olmerts Geltendmachung dieses all-umfassenden jüdischen
„Rechtes“ ist sicher kein neues Kennzeichen des
israelischen und zionistischen Dogmas. Der Gedanke lag
dem Zionismus von Anfang an zugrunde, zuweilen verborgen
hinter einem linken Anstrich von Anpassung an die
Realität der palästinensischen Präsenz in diesem
heiligen Land , aber nie sehr tief unter der Oberfläche.
Der zionistische Glaube an eine jüdische Überlegenheit
ist niemals wirklich verborgen worden. Ich begegnete
dieser primitiven Form vor ein paar Jahren. Kurz nachdem
die Intifada 2000 begann, schrieb mir ein Bekannter –
kein Freund, aber ein verärgerter Fanatiker, der immer
Israels Fall offen debattierte, jüdische Interessen
lägen über denen der Palästinenser – eine Email, in der
er schloss, da es einfach nicht genügend Platz für
Juden und Palästinenser in Palästina gäbe, sollten die
Palästinenser zurück nach Jordanien gehen, wo sie
hergekommen seien und Palästina den Juden überlassen,
denen es ja gehöre, und die es dringend als Heimat
brauchen. ( Die irrtümliche Vorstellung, dass die
Palästinenser aus Jordanien kommen, ist ein das Gewissen
reinigender Kniff der zionistischen Vorstellung, um zu
„beweisen“, dass die Palästinenser ursprünglich nicht
aus Palästina kommen, sondern einfach Eindringlinge in
einem jüdischen Land sind, und deshalb würde ihnen kein
Schaden zugefügt, wenn sie dorthin zurückkehren, wo sie
hergekommen sind.) Ich sagte ihm, dass er unrecht habe
und vollkommen unmoralisch sei – ich fürchte, dies wird
sein Gewissen nicht besonders belasten- es führte
aber, glücklicherweise, zum Ende unseres Briefwechsels.
Die
besondere Behauptung, die dieser besondere Mann
vorbrachte, drückte ungeschminkteren Rassismus aus als
die meisten Unterstützer Israels zugeben würden –
tatsächlich spiegelt seine Position die offizielle
Ansicht der israelischen Regierung und der US-Regierung
wieder, die sie unterstützt. Letzten Endes enthält seine
Position, die identisch ist mit der von Olmert, das
Wesen des Zionismus und bestimmt die Basis der
US-Politik gegenüber Israel und des Zionismus seit 58
Jahren also noch vor der Staatsgründung. D.h. dass
Israels Interessen als jüdischer Staat und Israels
„Rechte“ immer Vorrang haben – ohne Rücksicht auf die
Interessen und Rechte der Palästinenser und dass
palästinensische Bedürfnisse nur dann berücksichtigt
werden, wenn sie nicht mit denen der israelischen
kollidieren oder die Palästinenser den israelischen
Forderungen nachgeben. Im Grunde ist dies eine Politik,
die sich auf die Annahme gründet, dass es „ in
Palästina einfach keinen Raum für beide Völker gibt, für
die Juden und die Palästinenser“ und dass es nur eine
einzige Lösung auf Dauer für die Palästinenser gibt, in
irgend einer Weise zu verschwinden. Es ist wie der
PLO-Botschafter Afif Safieh in den USA gerne sagt:
„Israel wünscht die palästinensische Geographie aber
nicht ihre Demographie – das Land aber nicht das Volk.
Dieses palästinensische Verschwinden kann nach
israelischer Kalkulation auf verschiedene Weise erfüllt
werden. Zunächst könnten sie, veranlasst werden, ganz
Palästina zu verlassen; Israel hat seit seiner
Entstehung mit verschiedenen Versionen auf diese Option
hin gearbeitet:
Direkte Vertreibung, wie sie 1948 geschah, oder ein
„freiwilliges“ Weggehen, indem man das Leben
unerträglich macht, wie es heute geschieht – als den
besten Weg, sich selbst vom palästinensischen „Problem“
zu befreien. Oder – als zweite Option – die
Palästinenser könnten gezwungen werden, sich zu
unterwerfen; das ist das Schicksal der 20% der
israelischen Bevölkerung, die palästinensisch ist und es
war das Schicksal der Palästinenser in der Westbank und
im Gazastreifen während der ersten zwanzig Jahre der
Besatzung, als sie ruhig unter israelischen Kontrolle
waren. Diese Möglichkeit ist jedoch vom israelischen
Standpunkt aus nicht mehr machbar, da in absehbarer Zeit
es mehr Palästinenser als Juden in Palästina gibt, was
den Zwang zur Unterwerfung für einen Staat
unwahrscheinlich macht, der behauptet, ein
demokratischer Staat zu sein .Dann gibt es noch eine 3.
Option: die Palästinenser könnten in eine politische
Unterwürfigkeit gebracht werden, die sie aus
Verzweiflung dahin führt, sich jeder Bedingung Israels
zu unterwerfen. Genau das war es, was Yassir Arafat beim
Unterzeichnen des Oslo-Abkommens tat und mit der
Anerkennung von Israels Existenzrecht. So gab er alle
Verhandlungspunkte der Palästinenser aus der Hand, ohne
dafür irgend ein Vereinbarung von Israel zu bekommen als
Verhandlungen zu führen.
Da
die 3. Option in Camp David im Jahr 2000 in sich
zusammenstürzte, ist Israel wieder zur 1. Option
zurückgekehrt. Der Oslo-Prozess scheiterte im
Wesentlichen daran, dass Arafat im letzten Augenblick
aufwachte, nachdem Israel versucht hatte, ein total
ungenügendes Endabkommen zu erzwingen, und er sich
weigerte, mit einer kompletten Kapitulation sich
beschwichtigen zu lassen. Seit Arafats Aufwachen
verfolgt die israelische Agenda - rückhaltslos
unterstützt von den USA und etwas weniger vom übrigen
Westen - wieder die Option eins: man versucht auf die
eine oder andere Weise, die Palästinenser dahin zu
bringen, Palästina zu verlassen – mit anderen Worten,
man versucht, die Palästinenser zur Kapitulation zu
zwingen, zu Bedingungen, die totale jüdische
Überlegenheit voraussetzt.
Die
USA und der Westen arbeiten sehr daran, Israel bei der
Kapitulation der Palästinenser zu helfen. Während diese
unter dem augenblicklichen Finanzboykott der
Internationalen Gemeinschaft hungern, setzen die Chefs
der Medien wie die Washington Post noch eines darauf:
den palästinensischen Opfern die Schuld dafür zu geben.
„Die palästinensischen Führer haben eine lange
Tradition,“ so kürzlich die W-Post in einem Editorial
über die Hilfsgelder-Krise, „das Leiden ihres eigenen
Volkes für politische Ziele auszunützen; Hamas sei
zufrieden gewesen, die humanitäre Krise in der Westbank
und im Gazastreifen zu fördern.“. Auch wenn die Logik
dieser Beschuldigung, dass die Palästinenser ihre
Katastrophe selbst verursacht haben, weil sie es
unterlassen haben, so zu wählen wie die Washington Post
und Israel es wollten, und weil die Hamas sich weigert,
Israels Diktat nachzugeben, nicht sofort klar ist, so
hilft sie zu verstehen. dass die grundlegende Annahme
Israels und seiner Unterstützer in den USA die ist, dass
Israels Forderungen und Rechte immer den Vorrang haben
und die Palästinenser nur dann annehmbar sind, wenn sie
diese anerkennen.
Kurz
nach der Hamas-Wahl im Januar stellte Robert Satloff,
der Direktor des Washingtoner Instituts für
Nahost-Politik – dem Beraterstab, der mit der
Israel-Lobby AIPAC verknüpft ist – die wichtige
Forderung auf. Satloff erklärte, das palästinensische
Volk müsse den Preis für seine Wahl zahlen und dass es
sollte ein „strategisches Ziel“ der Weltgemeinschaft
sein, die Hamas-Regierung zu stürzen. Vor 20 Jahren
beobachtete Satloff mit verblüffender Arroganz, dass die
PLO in das einwilligte, was er die „Minimum
–Eintrittsbedingungen“ nannte, um Israel anzuerkennen –
Eintritt in Israels und seine Lobby –Welt, wo Juden die
Vorrechte in Palästina haben und wo Palästinenser nur
dann zählen, wenn sie sich der jüdischen Herrschaft
beugen.
Diese Methode – tu,-was-ich-sage-oder - charakterisiert
jetzt die Stellungnahmen Israels und des Westens
gegenüber den Palästinensern und setzt über die
Forderung in Kenntnis, dass Hamas Israels Existenzrecht
anerkennen müsse. Bei einer Pressekonferenz am 23.Mai
mit Olmert schalt Bush die Palästinenser und erklärte,
dass von keinem Land ( in diesem Fall Israel) erwartet
werden kann, dass es Frieden mit denen macht, die ihr
Existenzrecht leugnen. Doch von den Palästinensern
selbst wird erwartet, dass sie Frieden mit denen machen,
die ihnen das Existenzrecht als Nation verweigern. Bush
sieht hier keinen Widerspruch, weil er nicht an der
sich anmaßenden Vorherrschaft von Israels Rechten in
Palästina vorbeisehen kann.
Die
Hamas-Wahl und die israelische und westliche Reaktion
darauf, hat tatsächlich zwei grundlegende Probleme
aller Friedensverhandlungen offen gelegt, die Israel und
die USA während der letzten Jahrzehnte formulierten: den
Palästinensern war es erlaubt worden, daran
teilzunehmen - es war ihnen überhaupt keine Rolle bei
Versöhnungsbemühungen gegeben worden – nur wenn sie mit
Israels Forderungen übereinstimmten. Aber diese
Hauptforderung an die Palästinenser ist ein
fundamentales Hindernis zu jeder wirklichen Lösung des
Konfliktes. Die Hartnäckigkeit, dass die Palästinenser
„Israels Existenzrecht anerkennen müssen“ bedeutet für
Israel und die USA nicht einfach, dass die Palästinenser
schwören müssen, die Juden nicht ins Meer zu werfen .
Solch drastische Schritte zu unternehmen, würden nicht
einmal die militantesten Islamisten. Es bedeutet
vielmehr die Anerkennung von Israels moralischer
Rechtmäßigkeit. Für einen Palästinenser bedeutet dies,
dass Israel richtig gehandelt hatte, als es die
Palästinenser vertrieb, ihre Häuser und ihr Land nahm.
Diese Forderung ignoriert die Realität, dass Israel als
ein spezifisch jüdischer Staat in einem Land mit
überwiegend nicht-jüdischer Bevölkerung errichtet wurde
und dass die Erhaltung der jüdischen Mehrheit die
Vertreibung von einem großen Teil dieser
nichtjüdischen Mehrheit bedeutet. Um George Bush frei
zu zitieren, kann von keinem Volk erwartet werden, dass
mit ihm Frieden gemacht wird oder seine moralische
Rechtmäßigkeit anerkannt wird, wenn dieses versucht hat
und noch weiter versucht, es zu zerstören. Die Forderung
der palästinensischen Anerkennung von Israels
moralischer Rechtmäßigkeit setzt eine Priorität Israels
über palästinensische Interessen bei
Friedens-verhandlungen voraus, die total jeden
Verhandlungsprozess unterminieren, der beiden Seiten
Gerechtigkeit bringen soll. Die palästinensische
Anerkennung kann nicht die zentrale Voraussetzung für
irgend einen Friedensprozess sein – zwangsmäßig
akzeptiert noch bevor der Prozess beginnt – solange
Israel sich weigert, ein ähnlich moralisches Recht der
Palästinenser anzuerkennen.
1988
erkannte die PLO Israels Existenzrecht als eine
Bedingung für ihre Teilnahme an Friedensverhandlungen
an, aber jeglicher palästinensischen Verpflichtung,
an dieser Anerkennung festzuhalten, ist mit einer
Weigerung Israels, eine entsprechende Anerkennung der
palästinensischen Existenz anzubieten, begegnet worden.
Die schwerwiegende Ungerechtigkeit, die den
Palästinensern 1948 und in den Jahrzehnten danach
zugefügt wurde, ist nie wieder gut gemacht worden – und
dies muss das Hauptthema eines Verhandlungsprozesses
werden. Aus genau diesem Grund, dass es keinen
palästinensischen Staat gibt, sollte der Hauptkern
jeglicher Verhandlung nicht der sein, dass Israels
Rechtmäßigkeit anerkannt wird, sondern die Anerkennung
des palästinensischen Rechtes zu existieren als ein
unabhängiger, lebensfähiger, souveräner Staat. Israel
besteht und ist in keiner Gefahr. Die dauernde Sorge um
seine Existenz und die dauernden Forderungen, dass die
Palästinenser ihn als jüdischen Staat anerkennen, ohne
eine entsprechende Forderung an Israel bestätigt, dass
die jüdischen Rechte übergeordnet sind. Dies ist eine
grundsätzlich ungerechte und unmoralische Vermessenheit
in den internationalen Beziehungen, wie in allen
menschlichen Beziehungen. Weder Israel noch die USA
werden jemals Frieden haben, solange Israel nicht dahin
gebracht wird, das Volk, das es in Palästina verdrängt
hat, als Gleichberechtigte im Land anzuerkennen.
Kathleen Christison ist
frühere politische Analytikerin der CIA gewesen und
arbeitete seit 30 Jahren über Nahostprobleme .
Sie ist die
Autorin von „ Perceptions of Palestine and the Wound of
Dispossession”.
Kathy.bill@christison-santafe.com
(dt. und *Untertitel : Ellen Rohlfs)
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