Die Kolonisierung Palästinas verunmöglicht den Frieden
Jimmy Carter, Haaretz, 17.3.
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Seit mehr als einem Vierteljahrhundert
ist die israelische Politik mit der der USA und der
internationalen Gemeinschaft im Konflikt. Israels
Besatzung von Palästina hat ein umfassendes
Friedensabkommen im Heiligen Land vereitelt, egal, ob
die Palästinenser eine offizielle Regierung hatten, an
deren Spitze Yasser Arafat oder Mahmoud Abbas stand oder
mit Abbas als Präsident und der Hamas, die das Parlament
und das Kabinett kontrolliert.
Die gleichbleibende US-Position seit
Dwight Eisenhauers Regierung war die, dass Israels
Grenzen sich mit denen von 1949 decken. Und seit 1967
hat die weltweit angenommene Resolution 242 den Rückzug
Israels aus den besetzten Gebieten vorgeschrieben. Diese
Politik war sogar 1978 und 1993 von Israel und von
allen US-Präsidenten bestätigt worden, einschließlich
George W.Bush. Als Teil des Quartetts - mit Russland,
der UN und der EU – hat er die „Roadmap“ zum Frieden
gut geheißen. Aber Israel hat offiziell seine
grundlegenden Prämissen mit offensichtlich
unannehmbaren Einsprüchen und Vorbedingungen
zurückgewiesen.
Mit Israels Genehmigung hat das
Carter-Zentrum alle drei palästinensischen Wahlen
beobachtet. Überwacht von einer besonderen Kommission
von Präsidenten und ausgezeichneten Juristen, sind die
Wahlen alle ehrlich, fair und friedlich verlaufen, und
die Ergebnisse wurden von Siegern und Verlierern
gleichermaßen akzeptiert.
Die Hamas wird das Kabinett und das
Büro des Ministerpräsidenten kontrollieren, aber Mahmoud
Abbas behält alle Autorität und Macht, die Yasser Arafat
ausübte. Er steht weiterhin der PLO vor, der einzigen
von Israel anerkannten palästinensischen Entität. Er
wird mit israelischen Führern in diesem Rahmen weiter
verhandeln, unabhängig von der Kontrolle der Hamas. Er
hat eindeutig die Roadmap des Quartetts unterstützt.
Meinungsumfragen nach den Wahlen zeigen, dass immerhin
noch 80 % der Palästinenser ein Friedensabkommen mit
Israel wünschen, und fast 70% unterstützen Abbas als
Präsidenten.
Israel hat ( vielleicht zusammen mit
den USA) eine Politik der Isolierung und
Destabilisierung der neuen Regierung angekündigt . Den
gewählten Abgeordneten und den Arbeitern wird die
Reisegenehmigung, vom isolierten Gaza durch Israel zu
fahren, verweigert; und jede Bemühung, den
Palästinensern Geld zukommen zu lassen, wird blockiert.
Der Sonderbotschafter des Quartetts, James Wolfensohn,
hat vorgeschlagen, dass Geberstaaten dem
palästinensischen Volk beistehen, ohne die
Antiterror-Gesetze zu verletzen, die verbieten, dass
Gelder direkt an die Hamas geleitet werden.
Fürs Nächste wäre es das beste, man
würde Wolfensohns Rat folgen, bis sich die Aufregung in
Palästina gelegt hat und bis die Ergebnisse von Israels
Wahl Ende des Monats bekannt sind. Hamas will nun seine
politischen Erfolge festigen, Ordnung und Stabilität im
Innern aufrecht erhalten und sich von Kontakten mit
Israel fernhalten. Es wird eine Tragödie werden
- besonders für die
Palästinenser – wenn sie Terror verbreiten oder dulden.
Das größte Hindernis zum Frieden ist
Israels Kolonisierung Palästinas. Es gab bei meinem
Amtsantritt als Präsident nur ein paar hundert Siedler
in der Westbank und im Gazastreifen, aber der Likud hat
die Siedlungsaktivitäten nach meiner Amtszeit sehr
ausgedehnt. Präsident Ronald Reagan verurteilte diese
Politik und bestätigte, dass die Resolution 242 der
„Grundstein für Amerikas Nahost - Friedensbemühungen“
sei. Präsident George. H.W. Bush drohte sogar damit, die
amerikanische Hilfe für Israel zu reduzieren.
Obgleich Präsident Bill Clinton sich
große Mühe gab, den Frieden zu fördern, wuchs die
Siedlerzahl während seiner Amtszeit massiv an , nämlich
auf 225 000 – besonders als Ehud Barak Ministerpräsident
war. Ihr bestes offizielles Angebot an die Palästinenser
war, 20% von ihnen herauszuholen und 180 000 in 209
Siedlungen zu lassen, die 5% des besetzten Landes
bedeckten.
Doch diese 5 % -Zahl ist irreführend:
mit den umgebenden Gebieten, die weggenommen oder für
die Ausdehnung bestimmt sind, und den Straßen, die die
Siedlungen miteinander und mit Jerusalem verbinden, und
den weiten Flächen, über die das Wasser hin-, die
Abwässer abgeleitet, der Strom geliefert und
Telefonleitungen gelegt werden ... Dieses komplizierte
Gewebe teilt die ganze Westbank in eine Unzahl von
Gebietssplittern auf, die oft unbewohnbar und
unerreichbar sind. Vor kurzem haben israelische Führer
einseitige Aktionen entschieden, ohne die USA oder die
Palästinenser daran zu beteiligen: den Rückzug aus dem
Gazastreifen als ersten Schritt. So wie Gaza
augenblicklich begrenzt und isoliert ist, ohne
Lufthoheit, ohne Seehafen, ohne Verbindung zur Westbank,
ist der Gazastreifen nicht lebensfähig, weder
wirtschaftlich noch politisch.
Die Zukunft der Westbank sieht genau
so trostlos aus. Besonders besorgniserregend ist Israels
Bau der großen Betonmauer in bevölkerten Zonen und der
hohen und breiten Zäune in ländlichen Zonen, völlig auf
palästinensischem Gebiet gebaut, oft mit weiten
Schleifen, um noch mehr Land und Siedlungen
einzuschließen. Der Zweck der Mauer ist es, ein sehr
beschnittenes Palästina völlig zu umgeben. Und ein
Netzwerk von Schnellstraßen (nur für Siedler) wird das
restliche Palästina durchschneiden und mit Israel und
dem Jordantal verbinden.
Das wird weder von den Palästinensern
noch der internationalen Gemeinschaft jemals akzeptiert
werden können und wird unvermeidbar zu wachsender
Spannung und Gewalt innerhalb Palästinas führen und zu
stärkerem Unmut und zu Feindseligkeit der arabischen
Welt gegen Amerika, das für die Notlage der
Palästinenser verantwortlich gemacht wird.
Der amtierende Ministerpräsident Ehud
Olmert und andere wiesen schon vor Jahren darauf hin,
dass Israels ständige Besatzung der Westbank zunehmend
schwieriger werden wird, da die relative Zahl der
jüdischen Bürger demographisch abnimmt – in Israel und
in Palästina. Dies ist den meisten Israelis bekannt, die
auch die dominante Rolle Israels als eine Verzerrung
ihrer alten moralischen und religiösen Werte sehen. Seit
Jahren zeigen Meinungsumfragen beständig, dass etwa 60 %
der Israelis den Rückzug aus den besetzten Gebieten
wollen – im Gegenzug für einen dauerhaften Frieden.
Ganz ähnlich wünscht eine überwältigende Anzahl von
Israelis und Palästinensern eine verlässliche
Zwei-Staaten-Lösung.
Die Todesfälle sind in den letzten
Jahren, als die Besatzungskräfte härter ( kriegsartig !
ER) vorgingen, gestiegen. Vom September 2000 bis März
2006 wurden 3982 Palästinenser und 1084 Israelis in
diesem Konflikt getötet. Dies schließt viele Kinder ein:
708 Palästinenser und 123 Israelis.
Zweifellos könnte eine Übereinkunft
mit den Palästinensern Israel die volle Anerkennung der
Araber bringen und das Recht, in Frieden zu leben. Jede
ablehnende Politik von Hamas oder jeder terroristischen
Gruppe würde von einer gesamt-arabischen Verpflichtung,
sich von weiterer Gewalt zurückzuhalten und das
Wohlergehen des palästinensischen Volkes zu fördern,
überwunden werden .
Während all der Jahre sah ich, wie
sich Verzweiflung und Frustration in Optimismus und
Fortschritt verwandelten – und selbst jetzt sollten wir
die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden für die
Israelis und die Freiheit und Gerechtigkeit für die
Palästinenser nicht aufgeben, wenn drei grundsätzliche
Voraussetzungen Beachtung fänden:
-
Israels Existenzrecht und das Recht, in Frieden zu
leben, muss anerkannt und von den Palästinensern und
allen anderen Nachbarn akzeptiert werden.
-
Das Töten von unschuldigen Menschen durch
Selbstmordattentate oder andere Gewaltakte kann
nicht entschuldigt werden und
-
Palästinenser müssen in Frieden und Würde leben –
die dauerhaften israelischen Siedlungen auf ihrem
Land stellen aber ein großes Hindernis zu diesem
Ziel dar.
Der frühere US-Präsident Jimmy Carter
leitete das Carter-Zentrum, National- Demokratisches
Institut für die Beobachtung der
palästinensischen Wahlen im Januar 2006
(Copyright :
Project syndicate and the Council on Foreign Relations,
2006)
(dt. Ellen Rohlfs/
Christoph Glanz) |