Vorgestern, am Dienstag, waren wir in Bodros,
einem Dorf in der Nähe von Ramallah an der Grenze, wo die Mauer
gebaut wird. Wir wollten dort an einer friedlichen und gewaltfreien
Demonstration teilnehmen. Wir waren ca. 25 Internationale und ca. 35
israelische Friedensaktivisten (welche von Ta'Ayush und israelische
Anarchisten). Aus dem Dorf demonstrierten ungefähr 150 Menschen.
Es war von Beginn an kritisch, ob wir
überhaupt in das Dorf hineinkommen konnten - das Dorf war von den Israelis zu
einer geschlossenen Militärzone erklärt worden und es gab einige die
Probleme hatten, hineinzukommen. Da es aber zum Glück viele "Landüberfahrt"-
Möglichkeiten gibt, gelang es dennoch allen.
Ich werde hier nur eine kurze Zusammenfassung
machen können, da so viel passiert ist, dass ich Tage vor dem
Computer verbringen könnte. Die Demonstration war absolut friedlich.
Wir liefen ein paar hundert Meter bis wir am Ortsausgang neben einem
Schulgebäude waren. Dort an einer Mauer blieben die Palästinenser
stehen und riefen Parolen den elf Soldaten entgegen die etwa 20
Meter von uns standen. Wir Internationalen, sowie ein paar der
Israelis und palästinensische Frauen gingen vor die Mauer wo wir
dann ebenfalls stehen blieben und uns an den Parolen beteiligten.
Dies ging ungefähr eine Stunde lang.
Mansoor, ein Palästinenser der sich sehr aktiv
für die Gewaltlosigkeit der Demo einsetzte und alles tat, um eine
Eskalation zu verhindern, mahnte uns irgendwann zum Rückzug, denn
die Soldaten wurden unruhig und begannen sich uns langsam zu nähern.
Der lokale Koordinator war ebenfalls für einen Rückzug, nachdem er
sich mit den Dorfbewohnern unterhalten hatte. Er und ein Israeli
teilten den Soldaten mit, dass sie bitte stehen bleiben sollen und
wir uns nun zurückzögen. Wir machten dies auch, und begannen uns
umzudrehen und zu gehen.
Monsoor und andere sagten den Soldaten immer
wieder, sie sollen bitte stehen bleiben. Diese taten jedoch das
Gegenteil und näherten sich immer mehr was zu einer großen Spannung
führte. Auf einmal schmissen ein paar palästinensische Kinder im
Davongehen Steine auf die Soldaten. Es waren nicht viele- vor allem
taten sie dies und rannten sofort davon, es geschah alles in
Sekundenschnelle. Als hätten die Soldaten darauf gewartet, strömten
plötzlich von den Seiten und überall her Soldaten ein. Sie schossen
mit Tränengas und plastikummantelten Stahlkugeln auf uns und trieben
die Menschen in das Dorf hinein.
Ich schaute mich um, um zu sehen, ob alle
Frauen davongekommen waren bzw. was mit ihnen geschehen war. Es war
aber niemand mehr da, außer ein paar Internationalen (wir hatten
ursprünglich geplant, eine Kette zu bilden und erst dann zu gehen,
wenn die anderen sicher in das Dorf zurückgehen konnten- wir hatten
ja keine Ahnung dass Soldaten an allen Seiten stationiert waren).
Jedenfalls wollten die Soldaten uns nicht in
das Dorfzentrum (also von der Schule weg) gehen lassen und erklären
uns alle als "arrested". Es war schrecklich, wir standen zu
zwanzigst da, haben überall Geschrei und Schüsse gehört und konnten
nichts tun. Unter uns war Monsoor, der Palästinenser. Er sprach mit
den Soldaten und sagte ihnen, dass wir eine friedliche Demonstration
machen wollten und gegen jede Eskalation waren- und die Demo
friedlich beendet hatten. Sie hätten einfach stehen bleiben sollen
und nichts wäre geschehen.
Ich bin mir aber absolut sicher, dass die
Soldaten ihre Handlung sowieso geplant hatten- ansonsten hätten sie
nicht so gehandelt und hätten das Dorf nicht umzingelt gehabt.
Jedenfalls bin ich fast durchgedreht, ich habe mich so hilflos und
wütend in diesen Momenten gefühlt als wir da standen. Eine altere
Frau aus Australien redete auch auf die Soldaten ein.
Ein Soldat mit einer blauen Sonnenbrille stand
uns die ganze zeit gegenüber und schien sich prächtig zu amüsieren-
er grinste die ganze Zeit. Sein Grinsen wurde vor allem dann noch
breiter, als zwei seiner "Mannschaft" auf einmal Monsoor, den
einzigen Palästinenser aus unserer Gruppe herauszogen und auf ihn
einzuschlagen begannen. Es brach ein unglaubliches Chaos aus. Die
Australierin und ich stürzten uns auf Monsoor um seine Festnahme und
seine Misshandlung - anders kann man es nicht nennen - zu
verhindern.
Es war schrecklich, wir alle wurden
geschlagen, getreten, mit Knüppeln verprügelt, an den Haaren
gezogen, auf den Boden geschmissen... Auf Monsoor traten sogar
einmal drei Soldaten mit aller Kraft ein, als er wehrlos auf dem
Boden lag. Dies war in dem Moment als sie mich auch auf den Boden
schmissen. Ich sah auf, sah es, wollte aufstehen und zu ihm rennen.
Ein Soldat hielt mich aber einfach an den Haaren fest und als ich
aufsah, sah ich wie der Soldat mit der blauen Sonnenbrille mich
sadistisch angrinste- aus ca. 2 Meter Entfernung und in aller Ruhe.
Es war schrecklich und ich habe mich noch nie
so beschissen gefühlt wie in diesem Moment. Auf einmal kamen mehrere
Soldaten mit genau 16 festgenommenen Israelis. Monsoor wurde gegen
die Wand gedrückt und auf Waffen durchsucht. Dann kam wieder
Bewegung und die Israelis begannen uns zu trennen. Ich bekam das
alles nicht so recht mit, ich schaute nur zu Monsoor und betete dass
sie ihn nicht wider schlügen. Jedenfalls wurde ich von einem
Soldaten von der Schule weg, in die Richtung in der die Bagger
waren, geschubst.
Ich wurde mit Monsoor, einer Australierin
(nicht der älteren Frau, sondern einer, die mit den Israelis zuvor
festgenommen wurde) und den 16 Israelis abgeführt. Die anderen
Internationalen wurden freigelassen, ich weiß nicht genau weshalb
ich auch festgenommen wurde. Wahrscheinlich weil ich die ganze Zeit
in Monsoors Nähe war. Der Soldat mit der blauen Sonnenbrille begann
auf dem Weg zu einer Stelle etwas entfernt (wo wir ca. 2 1/2 Stunden
warte mussten bis wir zur Police Station gebracht wurden) neben mir
herzulaufen und unsere Parolen vor sich herzusummen ("One, two,
trhee, four, occupation no more..."). Er muss an diesem Tag wirklich
erstaunlich viel Spaß gehabt haben.
Ein weiterer Palästinenser wurde zu uns
gebracht. Er war absolut bleich im Gesicht und sah erschreckend
fertig aus. Er wurde in seinem Haus festgenommen, ihm wurde
vorgeworfen Steine geschmissen zu haben- und dies obwohl er absolut
krank war, kaum laufen konnte und Fieber hatte. Ihm waren auch
Handschellen angelegt worden- als ob er in seinem Zustand einen
Soldaten hätte angreifen können!!!!
Auf der Police Station, zu der wir mit einem
Wagen gebracht wurden, wurde uns immer wieder versucht Angst
einzujagen (Abschiebung, dann mindestens erst mal 4 Tage im
Gefängnis, da irgendwelche Ferien am Tag danach begannen... dann
hieß es auf einmal, wenn wir kooperieren würden könnten wir
vielleicht schon am Tag darauf entlassen werden...). Sie haben es
jedoch nicht geschafft irgendeinen von uns einzuschüchtern. Die
Israelis waren total solidarisch und haben von Anfang an klar
gemacht, dass sie bleiben würden (im Gefängnis) bis wir alle
entlassen seien.
Die anderen Israelis die nicht verhaftet
wurden brachten und Essen und Trinken. Während wir auf die
Vernehmung warteten, hatte ich viele gute Gespräche mit ihnen und
habe den Verlauf ihrer Verhaftung erfahren: Sie waren mit anderen
Internationalen und Palästinensern eingekesselt wurden und dann von
diesen getrennt worden. Sie gehen stark davon aus, dass die Soldaten
es auf sie abgesehen hatten, da die Soldaten keine Zeugen bei ihren
Militäroperationen wollen.
Ich fand es jedenfalls unglaublich
beeindruckend wie sie sich verhalten haben. Sie haben einen Anwalt
angerufen und sichergestellt, dass sich dieser auch um die
Palästinenser und mich und die Australierin kümmern wird, falls es
Probleme gibt. Auch ISM war toll- die Leute meiner Gruppe haben
Kontakt zu einem Anwalt aufgenommen und alles gemacht, was sie tun
konnten.
Monsoor wurde ebenfalls vorgeworfen, Steine
geschmissen zu haben. Sie Soldaten behaupteten sie hätten einen
Zeugen dafür. Dies kann aber gar nicht sein, andere und ich waren
die ganze Zeit in seiner Nähe. Er hat das Gegenteil getan: er hat
die ganze Zeit alles versucht, um eine Eskalation der Demonstration
zu verhindern.
Jedenfalls hatte ein Israeli das Ganze (die
Festnahme, bei der man sehen konnte, wie die Soldaten Monsoor
geschlagen hatten, obwohl er absolut nichts getan hatte) gefilmt.
Dies und die Weigerung der Israelis (nachdem diese "freigelassen"
wurden) half ihm, denke ich, dass er später freigelassen wurde. Auch
ich wurde freigelassen, nach einem ewigen Verhör in dem ich aber nur
sagte "I want to talk to my lawyer". Zu Beginn wurde der Officer,
der mich verhörte, immer wütender und hat mir mit allem möglichen
gedroht.
Ich weiß nicht weshalb- wohlmöglich wegen der
Israelis, dem Beweismaterial und der Drohung das wir vor Gericht
gehen würden, da sie Monsoor so zusammengeschlagen hatten - wurden
wir jedenfalls alle freigelassen. Der letzte (Monsoor) um 23:30 Uhr.
Wir haben jedoch alle auf ihn gewartet. Gegen den anderen
Palästinenser haben sie auch nichts finden können, die Israelis
haben 5 000 Shekels (ca. 1 000 Euro) für ihn bezahlt - er ist also
auf eine Art Bewährung freigelassen worden. Dies alleine ärgert mich
unglaublich, da er wirklich nichts getan hatte und total krank war -
aber zum Glück ist er so weiteren Befragungen usw. entkommen.
Ich fand es auch sehr toll, wie die Israelis
das Geld sofort für ihn sammelten. Sie waren wirklich großartig in
dieser Situation. Sie sind generell gegen die Idee des Zionismus und
gegen die Mauer und verweigern den Militärdienst den jeder für 4
Jahre nach Abschluss der Schule machen muss.
Von: ism-germany(at)gmx.net [mailto:ism-germany(at)gmx.net]
Für weitere Informationen
ISM Media Office (Englisch):
00972-2-277-4602 oder 0097-547-358-579
www.palsolidarity.org
ISM (International Solidarity Movement) ist
einer Bewegung palästinensischer, internationaler und israelischer
Friedens- und Menschenrechtsaktivistinnen, die mit gewaltfreien
Mitteln für ein Ende der israelischen Besatzung arbeiten und sich
für einen gerechten Frieden in ISrael und Palästina einsetzen.