Häufig wurden in den arabischen Medien zuletzt die Folgen
des internationalen „Kampfes gegen den Terrorismus“ für
Muslime und arabische Immigranten in Europa als Bedrohung für
deren politische und soziale Rechte dargestellt. Immer wieder
wurde dabei etwa auf die Verschärfungen von Einwanderungs- und
sicherheitspolitischen Regelungen in Deutschland und der EU
hingewiesen.
Beispielhaft wird dies auch in einem Bericht von Abdel
Azim Hammad, Berliner Korrespondent der führenden
ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram, über die Politik des
deutschen Innenministers Otto Schily gegenüber
muslimischen und arabischen Einwanderern deutlich. Diese steht
für Hammad in direktem Zusammenhang mit den Entwicklungen im
Nahen Osten und den Interessen, die dort von Deutschland und
Europa verfolgt werden. Der Autor erklärt, dass Schilys
Haltung der deutschen Außenpolitik im Nahen Osten widerspreche
und kritisiert, dass Schily sich einseitig für Israel einsetze
und mit seiner Antiterrorpolitik den Islam sowie alle Araber
und Muslime unter Generalverdacht stelle.
Der Artikel, der zunächst am 20. September 2004 in der
arabischsprachigen Tageszeitung Al-Ahram erschien, wurde am
23. September 2004 in einer leicht veränderten Fassung in der
englischsprachigen Wochenzeitung Al-Ahram Weekly unter
dem Titel „Guter Bulle, böser Bulle?“ erneut
veröffentlicht. Die folgende Übersetzung basiert auf der
längeren arabischen Fassung, die unter dem Titel „Das
Phänomen Otto Schily in der deutschen Politik“ erschienen
ist:
„Genauso wie die Muslime und Araber in Deutschland werden sich
unsere Leser an viele unfreundliche Erklärungen über den Islam
und die Muslime sowie die Araber im Allgemeinen und die
Palästinenser im Besonderen vom deutschen Innenminister Otto
Schily erinnern. Seine jüngsten Ausführungen in Israel dürften
also kaum noch jemanden überraschen. Schily hatte dort die von
der rechtsextremen Regierung Ariel Sharons errichtete
rassistische Trennungsmauer geradeheraus verteidigt. Zudem
sprach er in bewusst verallgemeinernder Form vom Phänomen des
islamischen Terrorismus: Dieser sei das größte Problem der
zivilisierten Welt.
[...] Anlässlich des dritten Jahrestages der Terroranschläge
vom 11. September gegen die USA hatte Schily in der
vergangenen Woche in Israel an einer Konferenz zum Thema
Terrorismus teilgenommen. Wären nicht bereits zahlreiche
negative Äußerungen Schilys über den Islam, die Muslime, über
die Araber und Palästinenser bekannt, hätte man seine jüngsten
Äußerungen als Zugeständnis an Ort und Zeitpunkt [dieser
Konferenz] betrachten können.
Die [trotzdem zu beobachtende] Verwunderung über das Phänomen
Schily rührt daher, dass dieser mit seiner Verteidigung der
israelischen Verstöße gegen internationales Recht und der
fortwährenden israelischen Aggression gegen das
palästinensische Volk in den Augen vieler über die offizielle
Position seiner eigenen Regierung hinausgeht. Er nimmt sich
darüber hinaus das Recht, in nahezu schamloser Weise nicht
über den islamistischen Terror, sondern über den Islam als
Religion insgesamt herzufallen.“
[Im folgenden wird daran erinnert, dass der deutsche
Innenministers „in seiner Jugend“ Anwalt der „wichtigsten
deutschen Terroristen“ und selber „linksextrem orientiert“
gewesen ist. Er habe seine politische Karriere als Trotzkist
begonnen, sich den Grünen angeschlossen und sei dann „ins Boot
der sozialistischen Partei gesprungen“.]
„All dies kann geschehen, ohne dass man solche Veränderungen
von politischen Einstellungen als opportunistischen Wandel
deuten muss. Sie waren wohl Teil einer natürlichen
Entwicklung. Trotzdem hängt die Frage, die auch die Deutschen
selbst verwundert, mit Schilys Biographie zusammen: Wie kann
sich jemand, der wie kein anderer deutscher Politiker die
Grausamkeit des deutschen Terrors kennt und weiß, dass
politische und wirtschaftliche Gründe in jeder Kultur und in
jeder Gesellschaft zum Entstehen und zur Verbreitung von
Terrorismus führen können, zu solch einem politischen
Demagogen entwickeln? Wie kann er auf der allgemeinen Welle
reiten, indem er den Terrorismus mit dem Islam in Verbindung
bringt und Muslime und Palästinenser immer wieder angreift?
Hier mag die Besonderheit eine Rolle spielen, dass [Schily]
mit einer jüdischen Frau verheiratet ist. Aber daran allein
ist natürlich nichts auszusetzen. Und all dies reicht nicht
aus, um das Phänomen Schily im Rahmen der aktuellen deutschen
Politik zu verstehen: [Diese ist davon geprägt], dass das
wiedervereinigte Deutschland unter der
sozialdemokratisch-grünen Regierungskoalition begonnen hat,
sein Dasein als ökonomischer Riese und politischer Zwerg zu
überwinden. Deutschland entschied sich, eine größere Rolle in
der internationalen Politik einzunehmen, womit [auch]
verbunden war, sich für einen gerechten und andauernden
Frieden im Nahen Osten - dem nächsten Nachbarn der von
Deutschland vor allem zusammen mit Frankreich geführten EU –
zu engagieren. Wie kam es also dazu, dass Schily eine dieser
Politik widersprechende Haltung einnimmt?
Wir werfen dazu einen Blick auf einige seiner Erklärungen,
unter denen sich wie bereits erwähnt feindselige,
unkonstruktive und unsachliche Bemerkungen [über Muslime und
Araber] befinden.
Erstens:
Inmitten des Fiebers, von dem die Welt nach den Anschlägen vom
11. 9. befallen war und die europäischen und amerikanischen
Fanatiker der politischen Rechten über die Rückständigkeit des
Islam und der Muslime sprachen und Gewalt zu einem natürlichen
Teil des Islam erklärten, überraschte Schily alle mit einer
merkwürdigen und abwegigen Bemerkung: ‚Wenn die Muslime
beweisen wollen, dass sie tolerant sind, müssten sie die
Beschreibung ihrer Religion als Häresie akzeptieren können.’
[1] Mit diesem Begriff [der Häresie] ist die Abweichung vom
richtigen Glauben gemeint.
Zweitens:
Als der deutsche Innenminister die zunehmende Sympathie in der
deutschen Bevölkerung für die Leiden der Palästinenser
erkannte und sah, wie sich in den vergangenen zwei Jahren über
100.000 Deutsche den Aufrufen der Friedensorganisationen
anschlossen und in zahlreichen deutschen Großstädten an
Solidaritätsdemonstrationen mit der palästinensischen
Bevölkerung teilnahmen, war es seine eigene Initiative, sich
in Frankfurt an die Spitze einer zionistischen Demonstration
zu stellen.
Drittens:
Vor zwei Jahren hatte der Berliner Innensenator und andere
Berliner Behörden ein Projekt der Arabisch-Deutschen
Frauenunion genehmigt, die eine große
Wohltätigkeitsveranstaltung für palästinensische Waisen
veranstalten wollte. Nachdem aber schon alle organisatorischen
Vorbereitungen abgeschlossen und alles Nötige bezahlt war,
weigerten sich die deutschen Botschaften in den arabischen
Hauptstädten, den [...] zu der Veranstaltung eingeladenen
Künstlern, die [zur Einreise erforderlichen] Papiere
auszuhändigen. Sie erhielten ihre Pässe von den Botschaften
erst wieder zurück [..] als sicher war, dass sie auch mit
einem Einreisevisum aus einem anderen europäischen Land,
welches ihnen nach dem Schengener Abkommen die Einreise nach
Deutschland erlaubt hätte, nicht rechtzeitig zur Veranstaltung
in Berlin hätten reisen können. Es ist klar, dass die
Botschaften ihre Anweisungen vom Innenministerium erhalten
hatten.
Viertens:
In allen Phasen der Vorbereitung und Diskussion des [neuen]
Einwanderungsgesetzes und der Anpassung der strafrechtlichen
Regelungen war Schily derjenige, der die härteste Linie
gegenüber Arabern und Muslimen anführte. Er war es, der darauf
bestand, dass das Gesetz sicherstellte, dass die
Sicherheitsbehörden jemanden, der verdächtig wird, mit
terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen, ohne
Gerichtsurteil ausweisen können.
Fünftens:
Das deutsche Innenministerium unterstützte das Projekt, von
allen in Deutschland lebenden arabischen und muslimischen
Studenten persönliche Daten zu sammeln - unabhängig davon, ob
diese eingebürgert waren oder nicht. Die Universitäten
protestierten indes und verwiesen darauf, dass sie gegen das
Gesetz verstießen, wenn sie den Forderungen des
Innenministeriums nachkommen würden. Sie erwirkten schließlich
ein Urteil, dass die Forderung des Innenministeriums
zurückwies.
Sechstens:
Die fadenscheinig begründeten Razzien gegen Moscheen gehen
weiter. Die letzte – und lächerlichste - dieser Razzien fand
in Frankfurt statt, wo man sich auf die Aussagen eines
neunjährigen Kindes berief. In keinem dieser Fälle, die
[mittlerweile] in die Hunderte gehen, fand die deutsche
Polizei etwas Gesagtes, Getanes oder Geschriebenes, das
irgendwie gegen ein Gesetz verstoßen würde.
Siebtens:
Als der Kapitän eines deutschen Schiffes im Mittelmeer von den
italienischen Behörden unter dem Vorwurf festgenommen wurde, [il-]legale
Immigranten zu befördern, nutzte der deutsche Innenminister
Otto Schily die Gelegenheit: Während sich der Kapitän damit
verteidigte, er habe die Menschen [...] vor dem Ertrinken
gerettet, trat Schily mit dem Vorschlag an seine europäischen
Kollegen heran, in einem nordafrikanischen Land Aufnahmelager
für illegale Immigranten zu errichten. Dorthin sollten
illegale Einwanderer, die in Europa oder im Mittelmeer
aufgefunden würden, abgeschoben werden. Dieser Vorschlag war
[für viele] ein solcher Schock, dass ein grüner Parlamentarier
davon sprach, dass ihn dies an die nationalsozialistischen
Konzentrationslager erinnern würde.
Achtens:
Schilys jüngste Verteidigung der von Israel errichteten
rassistischen Mauer sieht nur die eine Seite: Schily sieht
nichts als den palästinensischen Terrorismus, ohne dass er
auch von der Beendigung der Besatzung sprechen würde. Er tut,
als ob die Besetzung etwas ganz normales und ein gutes Recht
Israels sei, dass es mit allen Mitteln – vom Staatsterrorismus
bis hin zur Internierung aller Palästinenser in einem
[einzigen] großen Gefängnis - zu verteidigen gelte. Dabei läge
die Lösung doch in einer schlichten Beendigung der Besetzung.
Genau wie ich werden Sie sich vielleicht noch mehr darüber
wundern, dass zu dem Zeitpunkt, als Schily in Herzliya davon
sprach, dass Israel das weltweit am stärksten vom Terrorismus
betroffene und nicht das einzige Land sei, welches fremde
Länder besetzt halte, der ehemalige israelische Außenminister
Shlomo Ben-Ami einen Vortrag vor einer Versammlung deutscher
Botschafter im Berliner Außenministerium hielt. Darin erklärte
Ben-Ami, dass die Trennungsmauer ein offenes Eingeständnis des
Scheiterns der Politik der israelischen Rechten darstelle. Die
Lösung liege [vielmehr] in einer Beendigung der Besetzung.
Ohne diese, so Ben-Ami, seien die Forderungen nach
vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Palästinensern und
Israelis nicht ernst zu nehmen.
Schily war, kurz gesagt, israelischer als Shlomo Ben-Ami. Und
das ist unverständlich angesichts der neuen deutschen Politik
im Nahen Osten, die doch darauf abzielt, sich aus der
Gehorsamkeit gegenüber Israel zu lösen und über die
ausgleichende Rolle Europas in der Region aktiv auf einen
gerechten Frieden hinzuarbeiten.
Ist die Position Schilys in der deutschen Politik also
letztlich nur mit seiner persönlichen radikalen
anti-arabischen und anti-muslimischen Ideologie zu erklären,
die sich selbst dann gegen Araber und Muslime richtet, wenn
die wie im Fall der Palästinenser wegen der Besatzung im Recht
sind - ohne dass damit die Mordanschläge gegen Zivilisten
verteidigt werden sollen? Oder gibt es andere Faktoren, die
nicht auf die Persönlichkeit Schilys zurückzuführen sind?
Es ist nicht auszuschließen, dass wir in der deutschen Politik
[gegenwärtig] ein Spiel mit verteilten Rollen erleben. Niemand
wäre dabei geeigneter als Schily, die Rolle des Hüters der
israelischen und zionistischen Interessen in Deutschland zu
übernehmen. Als Innenminister und angesichts der Bedeutung des
durch den Terrorismus in den Vordergrund getretenen Themas
Sicherheit ist es nahe liegend, dass Schily [...] dieses Thema
angeht. Und da das Phänomen des Terrorismus heute islamisch
besetzt ist, attackiert Schily die Islamisten und mit ihnen
manchmal auch den Islam selbst. Dies und Schilys teils ohne
jeden konkreten Anlass vorgebrachte Verteidigung Israels,
bewahren die Balance, die in Deutschland erforderlich ist, um
dem starken zionistischen Einfluss im politischen Leben und in
den Medien ausweichen zu können. Denn dies erleichtert es dem
Duo Schröder-Fischer, eine ausgewogenere Diplomatie für einen
Frieden im Nahen Osten zu verfolgen und sich für eine Rolle
Deutschlands und Europas in diesem Prozess einzusetzen.
Das Prinzip der Ausgewogenheit zwischen Arabern und Israel ist
ein alter Grundsatz der deutschen Politik, der in jeweils
spezifischer Weise umgesetzt wurde. Bis heute begründet der
Grundsatz die der arabischen Seite gewährte technologische und
finanzielle Unterstützung, während Israel militärische
Unterstützung erhält. In der Vergangenheit erforderte es der
Anspruch der Ausgewogenheit, dass sich Deutschland in der
Nahost-Diplomatie ‚neutral’ verhalten musste. In Wirklichkeit
aber war die deutsche Politik niemals neutral, denn im Namen
eben dieser Ausgewogenheit verhinderte Deutschland jeden
europäischen Beschluss, der nicht von Israel im Vorfeld gut
geheißen wurde.
Im aktuellen Kontext bedeutet Ausgewogenheit die Übernahme
einer Rolle, die Deutschland von Seiten Israels und der
Palästinenser im Namen Europas zur Belebung des
Friedensprozesses zugesprochen wird. Kritik an der
palästinensischen Seite ist dabei die Voraussetzung dafür,
dass auch an einigen Aspekten israelischer Politik Kritik
geäußert werden kann.
So kritisierte Fischer [kürzlich] den Verlauf der
Trennungsmauer und die fehlende Bereitschaft Scharons, den
Abzug aus Gaza als Schritt in Richtung einer umfassenden
Lösung im Rahmen der Roadmap zu begreifen. Wird darin die
letztendliche und sehr einfache Erklärung für Schilys ganze
Polemik deutlich? [2]
[1] Hier und im Folgenden sind Zitate so wiedergegeben wie sie
der Autor des Textes ins Arabische übersetzt hat.
[2] Der letzte Satz fehlt in der arabischen Version. Er wurde
hier zum besseren Verständnis aus dem englischen Text ergänzt.
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