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Ein Mediziner, der nicht hassen, der aber verzweifeln könnte:
Dr. Izzeldin Abuelaish

Zu einem aufrüttelnden Buch, das viel Mut macht

Von Rupert Neudeck

20.4.11

 

Mit dem immerwährenden Schmerz dessen, der die Lage der Palästinenser und der Israelis selbst erkundet hat und jetzt das – ich weiß nicht wievielte - Buch darüber liest, stelle ich eines von einem palästinensischen Arzt vor, das in Kanada und Frankreich erschienen ist. Das Buch ist geschrieben von Dr. Izzeldin Abuelaish. Sein Titel ist Programm: „Ich werde niemals hassen. Ein Mediziner aus Gaza auf den Wegen des Friedens“ (Französisch erschienen bei Robert Laffont Paris 2011). Ich weiß nach der Lektüre nicht, wie man ein solches Leben aushält. Es wird mir schwarz vor Augen. Die Selbstgerechtigkeit der israelischen Politik wird mir noch einmal bewusst: Wie kann man mit einem Volk auf Dauer nebeneinander leben, dem man nicht die elementaren Menschenrechte gibt? Nach 43 Jahren Verweigerung?

 

Alles was Israel in seiner Politik zu seiner Verteidigung sagt, ist immer auch richtig und in der gleichen Sekunde  falsch. Man kann ein Volk, ein ganzes Volk auf Dauer nicht im Schwitzkasten belassen. Es bringt auch nichts, einzelne Palästinenser zu belobigen, wie es der jüdisch-israelische Arzt Dr, Marek Glezerman in seinem Vorwort tut. Glezermann leitet die Gynäkologische Abteilung des Hospitals Soroka bei Beersheba in Israel, in das Izzeldin Abuelaish immer wieder Patienten vom Gaza Streifen gebracht und dort selbst praktiziert hat.

 

Man muss doch irgendwann festhalten, dass Menschen nicht einfach zu Terroristen und zu Selbstmordattentätern werden, sondern dass da in ihnen ganz furchtbar viel angerichtet sein muss an Vergeblichkeit und Verweigerung normaler Bewegungs- und Entfaltungsmöglichkeiten.

Natürlich ist es schlecht, grundsätzlich, moralisch, theologisch, geschichtlich nach dem Holocaust, Israel das Existenzrecht zu verweigern. Aber wie würden sich die Herzen, Gemüter, Seelen der Palästinenser öffnen, wenn einmal Ihnen die gleichen Entfaltungsrechte zugestanden würden, auf die sie nach der Menschenrechtscharta Anspruch hätten

 

Der furchtbare Sicherheitskordon, den Israel um sich geographisch aber auch real um jeden seiner Staatsbürger zieht, schafft auf Dauer  keine Sicherheit. Man muss sich mit den unmittelbaren Nachbarn verständigen. Und das muss jetzt schnell geschehen.

Dr. Izzeldin beschreibt dieses Leben im Gefängnis, aus dem er – im Gegensatz zu der überwiegenden Mehrheit seiner Mitbewohner - immer noch mal herauskommen kann, z.B. für einige Wochen nach Afghanistan als Experte des WHO. Oder auch zu einem Lehrauftrag nach Harvard. Aber die jüdischen Amerikaner davon zu überzeugen, dass diese Palästinenser auch Menschen sind, ist schwierig.

70 Prozent der Menschen in dem dichtesten Menschengewirr vor Hongkong leben unter der Armutsgrenze. Der Autor zitiert aus dem Bericht des weltweit angesehenen ICRC (Internationale Komitee vom Roten Kreuz), um daraus eben ein wenig humanitäre und Menschenrechtsanerkennung zu erwirken.

 

Er ist aber genau so ratlos, wenn er von einer Patientin hört, die mit 5 Kilo Sprengstoff um den Gürtel sich auf den Weg beginnt, um das Hospital in Beersheba in die Luft zu jagen. Es gibt nicht die geringste vernünftige medizinische Versorgung in dem Al Shifa Hospital. Es gibt keine Ersatzteile, es gibt nicht genügend Ersatzteile für die Ventilatoren und nicht ausreichend Strom in den Räumen für die Neugeborenen. Für die vielen amputierten Menschen im Gaza Streifen gibt es keine Prothesen, die eingeführt werden können. „Stellt die Einfuhr der Prothesen ein Sicherheitsproblem dar? Oder ist es eine Bestrafung?“

 

Er bringt zum Beweis, wie weit man schon war, Fotos, auf denen er als palästinensischer Arzt mit dem damaligen (2001) Premierminister Ehud Barak zu sehen ist. Er hat den Tod, oder soll man nicht besser sagen, den Mord an seinen drei Töchter und seiner Nichte Noor zu beklagen, die am 16. Januar 2009 von israelischen Geschossen getötet wurden.

Zum wievielten Male lese ich die Odyssee eines privilegierten Arztes, der auf dem Weg nach Brüssel und dann nach Kampala ist, um dort als Experte zu arbeiten und der von der „Population Services International“ eingeladen wurde. Er beschreibt, wie mühselig und gegen alle Vernunft es ist, jemanden aus dem Hochsicherheitstrakt Gaza über das Mammut-Immigration Haus Erez durch Israel bis zur Allenby Bridge zu jagen, der sonst ein willkommener Arzt Kollege in Soroka/Beersheba ist. Und was es dabei immer noch für halbe Herzinfarkte zu bestehen gibt. Er, Izzildin ist dabei noch ein Privilegierter, der den Journalisten Shlomi Eldar anrufen kann, auch Vertreter des Hospitals wie Shabak, Vertreter des Geheimdienstes. Es gibt bei all diesen Gefängnistürstehern immer nur die Auskunft: „Sicherheitsgründe!“.

 

Dann in Kampala und später in Brüssel hört er von der plötzlichen schweren Krankheit seiner Frau Nadia. Statt am 25. 9 2008 fliegt er am 9. September von Brüssel über München nach Amman. Seien Frau ist an Leukämie erkrankt und da kommt es wirklich lebensrettend darauf an, dass sie schnell in ein israelisches Krankhaus kommt. Er rast von Amman mit einem Taxi an die Grenze, ist um 2 Uhr morgens da, der Arbeitsbeginn der Sicherheitsbeamten ist um 07.30 Uhr, schon in den fünf Stunden bis dahin wird er verrückt. Er ist aber in der Reihe der erste, den Platz gibt er nicht auf. Er verzögert sich, Izzildin wird halb verrückt, er kommt nach einem ganzen Tag erst um 18 Uhr über die Grenze bei der Allenby Bridge. Er wird im Taxi fast verhaftet, als er Jerusalem berührt. Kurz, das sind die allergewöhnlichsten Schikanen, denen – noch einmal gesagt – sogar die Privilegierten ausgesetzt sind. Diejenigen, die nichts vorweisen, keine internationale Einladung, kein bevorzugter Beruf, die können sehen, wo sie bleiben.

 

Das Buch hat einen Höhepunkt, der den Richard Goldstone-Bericht und alles, was wir über den Gaza Einmarsch und die 1400 Toten und Ermordeten dort wissen, in den Schatten stellt. Der Arzt Dr. Izzeldin berichtet, in welcher ausweglosen Verzweifelung jemand gerät, der sich nicht vorstellen kann, dass sich eine solche Zerstörungs-Kriegsmaschinerie sich gegen die Gaza Bevölkerung wandte. Er hat noch die Möglichkeit, Berichte an israelische Journalisten zu geben, die ihn regelmäßig anrufen auf seinem Handy, weil sie auch wissen, dass er fließend hebräisch spricht. Es kommt am 16. Januar 2009 zu einem direkten Angriff auf sein Haus, das nicht mitten in einem Gassengewirr liegt. Seine drei Töchter Bessan, Aya, Mayar und eine Nichte Noor sind sofort tot, ermordet. Ghaida kann wahrscheinlich gerettet werden. Die Anrufe hat der israelische Fernsehjournalist (Kanal 10) Shlomi Eldar protokolliert. Er war gerade in einem Fernsehinterview mit der Außenministerin Israels Tzipi Livni, da kam der Anruf von Dr. Izzeldin. Er kann weinend nur sagen: „Sie haben mein Haus bombardiert. Sie haben meine Töchter ermordet. Was haben wir getan?“

 

Izzeldin ist dann direkt in einer Fernsehsendung, dadurch dass Shlomi Eldar das Handy ganz nahe am Mikrophon hält. Shlomi fragt in der live Sendung, wo sich sein Haus befindet, Am Kreuzpunkt Zimmo. Und er sagt noch:  Einige der Verwundeten können gerettet werden. Ghaida die auch schon kurz vor dem Sterben ist, kann nur gerettet werden, wenn ein Helikopter sie zu einer OP Saal bringt. Sie kommt zunächst zum Hospital Barzilai, Nähe Ashkalon, dort ist ein Hubschrauber, der sie nach Sheeba bringt.

Er ist natürlich jemand, den man anhören muss, während im Vorurteil der israelischen selbstgerechten Gesellschaft sich die Menschen gegen diese in die Ewigkeit gehende Besatzung und die Einschränkung aller Menschenrechte sich nicht wehren darf. Er wird von einem israelischen Offizier vorwurfsvoll gefragt, warum er denn nicht aus der Kampfzone herausgegangen ist. Izzeldin ist ein tiefer Gläubiger, es schmerzt ihn, er darf nicht seine eigenen drei Töchter beerdigen. „Selbst im Tod sind wir von unseren Liebsten getrennt“, sagt er in dem Buch. Er wird gefragt: hassen Sie nicht die Israelis? Das System lehnt er ab: Man gebraucht den Hass und die Verachtung, um sich die Wahrheit zu verbergen. Er wird aufgefordert, Rache zu nehmen, aber so werden die eigenen Töchter nicht lebendig.

 

Das Buch hat eine so befreiende Botschaft, dass es einen aus der Tiefe der Verzweifelung wieder herausholt. Es wird ganz dringend sein, dieses Buch ins Deutsche zu übersetzen: Die Wahl der Finsternis, so sagt es Dr. Izzeldin Abuelaish sei die des Hasses, der wie ein Gift agiert, der Rache. Um aber den Weg des Lichtes zu gehen, „muss ich mich auf die Zukunft meiner Kinder konzentrieren“. Als er am 1. April 2009 mit dem im Hospital Sheeba operierten Kindern wieder zurückkommt, kann er Jabalia City kaum wiedererkennen: Man sprach von 500.000 Tonnen an Schutt, eine Mischung, die wahrscheinlich nur Sarajevo plus Afghanistan nach dem Bürgerkrieg aufzuweisen hatten. Alles in Jabalia und auf dem Gaza Streifen gab Zeugnis von der unbegrenzten Mordabsicht, die hier geherrscht hat, der Konsequenz des Hasses, der durch den Krieg wieder gesteigert wurde.

 

Dieses Buch gibt Zeugnis von einem palästinensischen Mediziner, der zugleich ein ganz großer Mediziner und Gläubiger ist, der sich versteht als jemand in der Nachfolge von Ayoub im Koran und von Hiob in der Bibel oder im Talmud. Von einem Menschen, dessen Glauben an Gott einer ganz großen Prüfung unterzogen wurde. In Brüssel erhält er im April 2009 den Niarchos Preis, der von der Organisation Survivor Corps vergeben wird. Aber traurigerweise zieht er weg, das ist ja leider die Absicht der Israel Politik: Nach Toronto in Kanada.

Es wird - sagt der Arzt Izzeldin – von Israel immer gesagt, man können in dieses Gebiet keine Rückkehrer aus Palästina, die dort gelebt haben, wieder aufnehmen wegen Raummangel. Aber das ist eine Lüge, denn Israel habe sowohl russische Juden, wie solche aus Argentinien wie aus Äthiopien in großer Zahl aufgenommen.

Ein Buch, das mich umgehauen hat. Ich würde es gern in den Händen ganz vieler deutscher Leser wissen.

 

Dr. Izzeldine Abuelaish: Je ne hairai point. Un medecin de Gaza sur les chemins de la paix.  Robert Laffont Paris 2011 321 Seiten

 

 

 

 

 

 


 

 

 

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