Reisebericht aus Bethlehem
Wer
nach Bethlehem als Ausländer kommt, kann den Eindruck bekommen,
dass bei der hohen Zahl von Pilgern und Touristen scheinbar
alles wieder in normale Verhältnisse gekommen ist und es den
Bethlehemern gut geht. Dem ist jedoch nicht so. Gerade für den
größten Teil der Bevölkerung wird die Armut von Monat zu Monat
spürbarer und existenzbedrohender. Die Arbeitslosigkeit ist auf
Grund der gestiegenen Pilgerzahlen nicht mehr so hoch wie noch
vor einem Jahr (dennoch sicherlich bei 50 %), doch bei geringen
Löhnen haben sich die Preise im letzten Halbjahr teilweise
verdoppelt und sind vergleichbar mit den unsrigen. Bei Löhnen
von 300 - 600 Euro im Monat (falls ein Arbeitsverhältnis
besteht) und meistens grossen Familien mit 3 und mehr
Kindern ist das mit den hohen Nebenkosten wie Schulgeld (500
Euro bei den meist christlichen Privatschulen pro Kind/Jahr),Unigebühren
(zwischen 2500 und 4500 Euro/Jahr), Krankheitskosten (keine
Krankenkasse), Lebensunterhalt, usw. für viele nicht mehr zu
schaffen. Kreditaufnahme und Verschuldung sind daher für die
meisten Familien unumgänglich und "normal" geworden. Eine
konkrete Form der Unterstützung kann unsererseits daher die
Übernahme eines Schuldgeldes für ein Kind an einer Schule sein.
Die Schulen haben Komitees eingerichtet, die je nach
Bedürftigkeit und Soziallage der Familie Schulgebühren von dafür
zweckgebundenen Spenden abschreiben.
Der
Siedlungsbau geht ungebremst weiter. Trotz der Abmachung von
Annapolis im November 2007 sind ganze Siedlungsringe z.B. in Har
Homa/Bethlehem oder Beta Illit entstanden. Kleinere benachbarte
Siedlungen werden durch neue Siedlungsanlagen miteinander
verbunden. Der Gush EtZion Block zwischen Bethlehem und Hebron
erstreckt sich inzwischen fast geschlossen auf den Hügelketten.
Die Mauer wird weiter im Raum Bethlehem gebaut. Z. Teil müssen
inzwischen grosse Umwege in Kauf genommen werden, um ehemals
benachbarte Ortschaften zu erreichen. Es ist eine Frage der
Zeit, wie lange die Strasse 60 nach Hebron noch von Palästinern
befahren werden darf.
Ein immer
größer werdendes Problem ist die Gewaltbereitschaft vieler
Siedler. In Nablus, Hebron oder manchen Siedlungen südlich von
Bethlehem greifen sie immer mehr mit Gewalt Palästinenser an.
Die israelische Armee schaut zu oder hat selbst Angst vor ihnen.
Bestrafung erfolgt fast nie.
Wiederholt
war ich für längere Zeit am Checkpoint in Bethlehem, sowohl an
den Freitagen des Ramadan, wo weit über 10.000 Moslems zum
Freitagsgebet nach Jerusalem wollten, also auch frühmorgens,
wenn die Arbeiter mit einer Arbeitserlaubnis nach Jerusalem
wollen. Zu beobachten ist eine zunehmende Gewalt der
israelischen Soldaten gegenüber den Palästinensern, selbst
Frauen werden geschlagen.
Am Checkpoint
in Qalandia/Ramallah wurden zusätzlich vor die Schalter der
Passkontrolle noch weitere Gittergänge mit einer Breite von ca.
60 cm gebaut, nur relativ schlanke Menschen können noch normal
hindurchgehen, anderenfalls muss man im Quergang passieren.
Allerorten neue Schikane.
Bei den
wöchentlichen Demonstrationen gegen den Mauerbau und den
Landraub vor allem in der Region Bilin und Nilin/Ramallah (im
Raum Bethlehem fielen die Demonstrationen wegen des Ramadans an
den Freitagen aus) werden massenweise Tränengaskanister auf die
gewaltlos demonstrierenden Dorfbewohner, Israelis und Ausländer
geschossen. Aus Wasserwerfern werden die Demonstranten mit einem
mit Chemikalien oder Abwasser gemischten Wasser beschossen.
Immer wieder werden Menschen verletzt. In verschiedenen
Stadtteilen oder Dörfern in der Umgebung von Bethlehem dringt
die israel. Armee mehrmals in der Woche ein und verhaftet
willkürlich Bewohner. Während meines Aufenthalts wurde wie schon
im vergangenen Jahr an der Bushaltestelle in Tekoa neben dem
Herodion ein 17-Jähriger von Soldaten erschossen.
Die
Wassersituation ist in diesem Jahr besonders schlimm. Seit
mehreren Jahren hat es nicht mehr genügend geregnet. Für
Bethlehem wird die aus Jerusalem kommende Wasserversorgung
derzeit nur noch ca. 2 mal die Woche geöffnet. Die drei
Flüchtlingslager in Bethlehem hatten im September ca. 25 Tage
kein Wasser. Die Konsequenzen können Sie sich selber ausmalen.
Grund dafür ist z.T., dass die Campbewohner die Rechnung nicht
zahlen können. Wer es sich leisten kann, hat die Möglichkeit,
Wasser per Tanklastwagen zu einem 3-fach höheren Preis zu
kaufen. Das Wasser kann in der von Bethlehem 15 km entfernten
israelischen Siedlung an der Gush Etzion Kreuzung getankt
werden.
Bei
ausländischen Mitarbeitern von Hilfseinrichtungen ist zu
beobachten, dass z.B. dreimonats Visa willkürlich vom jeweiligen
Soldaten bei der Wiedereinreise nach Israel nach kurzfristigen
Aufenthalten in Ägypten oder Jordanien auf einen Monat verkürzt
werden. Das macht ihre Arbeit unsicherer und schwieriger.
Alles
in allem ist die Hoffnung auf eine positivere Veränderung der
Situation für die meisten in Frustration und Resignation
umgeschlagen. Was kann noch schlimmer werden?! Besonders
bedrückend ist dies für die Jugend. Warum noch studieren, wenn
es dann doch keine Chance für eine Arbeitsstelle gibt!
Viele Eltern sehen für ihre Kinder kaum noch Chancen für die
Zukunft und ringen zwischen Bleiben und Auswandern.
Was
kann von uns aus getan werden? Von größter Bedeutung ist meiner
Meinung nach, ins Heilige Land zu fahren, selbst zu sehen, was
passiert, aber damit auch ein Zeichen der Solidarität
sowohl den Palästinensern wie aber auch den Friedensgruppen in
Israel zu geben. Nur wer gesehen hat, kann letztlich glauben,
was konkret geschieht.
Der
deutsche Direktor einer christlichen Schule in
Bethlehem sagte mir sinngemäß auf die Frage, warum er in dieser
so schwierigen Situation immer noch weitermache und die Hoffnung
nicht verliere: "Unsere palästinensischen Sportplätze
sind Schotterfelder ohne Rasen wie in Deutschland. Solange es in
irgendeiner Ecke noch einen grünen Grashalm gibt, mache ich
meine Arbeit hier!"
A. V.
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