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Weitere Texte von Mohssen Massarat

Reform durch Revolution

Beginn eines neuen Abschnitts in der Geschichte Irans
Mohssen Massarrat*
15. Juni 2009

„Wenn die da unten nicht mehr wollen und die da oben nicht mehr können, dann entsteht eine revolutionäre Situation.“ Diese auf Lenin zurückgehende Beschreibung der revolutionären Situation ist jetzt (Montag, 15. Juni, 22 Uhr) in der Islamischen Republik Iran eingetreten.

Der in Gang gekommene, bisher glücklicherweise gewaltfreie Aufruhr ist nicht mehr zu stoppen. Die Gegner der Diktatur haben keine Angst vor den Schlägertrupps der Basidji-Milizen, der paramilitärischen Verteidiger des Systems. Diese werden vielmehr in die Flucht geschlagen. Die um ihre Stimme Betrogenen und Gedemütigten befreien sich von ihrer Lethargie. Sie fühlen sich zu Hunderttausenden auf den Straßen von Teheran als eine geballte Kraft, die stark genug ist, um sich gegen die Beleidigungen eines populistischen Machthabers zu wehren, der sich seiner mit Geldgeschenken gekauften Macht und der Legitimation eines uneinsichtigen geistlichen Staatsoberhaupts sicher wähnte.

Der kalte Putsch durch die offensichtliche Fälschung der Wahlergebnisse scheint gescheitert zu sein, vor einem heißen Putsch dürfte sich Ayatollah Khamenei fürchten. Die Allianz zwischen dem geistlichen Staatsoberhaupt und dem missionarisch machtbesessenen Präsidenten Ahmadinedschad hat einen tiefen Riss bekommen.

Heute steht Iran in derselben Situation wie vor 30 Jahren im Februar 1979. Damals ging es darum, die Monarchie zu beenden und das System zu stürzen, heute geht es vielmehr darum, das System des Gottesstaates durch eine friedliche Revolution zu reformieren und die Barrieren für eine echte Demokratisierung freizulegen.

Mir Hussein Mussawi wagte als erster in der Geschichte der Islamischen Republik, dem Votum des geistlichen Staatsoberhaupts zu widersprechen. Er ignorierte schlicht dessen Votum, das Wahlergebnis zu akzeptieren und sich hinter den gewählten Präsidenten zu stellen. Die sonst übliche Masche „Dem Feind sollte durch innere Einheit eine Absage erteilt werden“, hat diesmal nicht gezogen. Offensichtlich hatte Ayatollah Khamenei mit dem Mut und der Risikobereitschaft von Mussawi nicht gerechnet. Durch seine Entschlossenheit, den Wahlbetrug nicht zu akzeptieren und für die Durchsetzung des Volkswillens zu kämpfen, ermutigte Mussawi seine Wähler zu einem Aufbruch. Auch die Wähler widersetzten sich fest entschlossen und ohne Angst vor der Staatsgewalt dem Demonstrationsverbot und ermutigten so ihrerseits Mussawi nicht nachzugeben.

Diese sich wechselseitig verstärkende soziale Energie mündete binnen zwei Tagen in eine Art revolutionäre Situation. Ahmadinedschad mag nun versuchen, das Staatsoberhaupt für den nächsten und vielleicht allerletzten Schritt, nämlich den heißen Putsch, hinter sich zu bringen. Doch würde Ayatollah Khamenei aller Wahrscheinlichkeit nach diesen Schritt nicht mehr riskieren. Ahmadinedschad ging es bisher um seine eigene Macht und die Macht seiner Klienten, die er mit den dem Volk gestohlenen Ölmilliarden hinter sich brachte. Mit dem Rücken zur Wand würde er daher jetzt alles auf eine Karte setzen.

Khamenei geht es dagegen um den Systemerhalt und steht daher vor der Alternative, Ahmadinedschad zu folgen und damit seine eigene Macht und die Legitimation des gesamten Systems aufs Spiel zu setzen oder aber Ahmadinedschad im Interesse des Systemerhalts zu opfern. Denn im Unterschied zu dem verblendeten Präsidenten muss das geistliche Staatsoberhaupt damit rechnen, dass ein Teil der Streitkräfte den heißen Putsch gegen die Bevölkerung nicht mitträgt und dass die Rechnung Ahmadinedschads abermals nicht aufgeht. Ein erneutes Scheitern nach dem Wahlbetrug, nun auch nach einer Zustimmung zum Gewalteinsatz würde das Ende der Islamischen Republik einläuten.

Deshalb werden wir mit der überwältigenden Mehrheit der Menschen im Iran – hoffentlich – in den nächsten Stunden und Tagen Zeugen einer revolutionären Reform werden, die im Endeffekt dem System des Gottesstaates durch eine friedliche Revolution die diktatorischen Zähne zieht und den Weg für einen neuen und besseren Abschnitt in der Geschichte Irans freilegt. Ayatollah Khamenei bleibt einzig und allein die Wahl, dem Wächterrat nahezulegen, nicht erst in zehn Tagen, sondern sofort Neuwahlen zu beschließen.

Es dürfte den Herren im Wächterrat auch nicht schwer fallen, sich theologische und politische Rechtfertigungen einfallen zu lassen, um Khameneis Gesicht zu wahren. So oder so, die Islamische Republik Iran wird nie wieder so sein, wie sie bis vor dem Wahlbetrug war. Das Ende des Gottesstaates würde allerdings noch lange nicht ein Ende der Islamischen Republik implizieren. Denn die Reformbewegung in ihren nicht zu vernachlässigenden Bestandteilen (Mussawi selbst, Khatami, Karrubi und zahlreiche andere Führungspersönlichkeiten mit sozialer Basis) identifiziert sich weiterhin mit einer Republik Iran, die ein islamisches Gesicht hat.

Die Islamische Republik spaltete von Anfang an die Gesellschaft in zwei Teile, in den systemtragenden und den systemkritischen Teil. Dank des aktiven Einmischens des systemkritischen Teils gewann 1997 und 2001 der Reformer Mohammad Khatami mit überwältigender Mehrheit die Wahl zum Staatspräsidenten. Durch Khatamis mangelnden Mut und fehlende Risikobereitschaft, die moralische Kraft des Volkswillen für echte politische und soziale Reformen zu nutzen, zog sich der systemkritische Teil der Gesellschaft resigniert zurück. Dadurch konnte 2005 der Populist Ahmadinedschad die Wahlen überhaupt erst gewinnen. Im Juni 2009 entdeckte der systemkritische Teil der Gesellschaft ziemlich am Ende des Wahlkampfes erneut seine Chance und beschloss, den Fehler von 2005 nicht zu wiederholen. Alle Oppositionsgruppen, die mit dem Argument, „das System des Gottesstaates nicht legitimieren zu wollen“ zum Wahlboykott aufriefen, wurden durch den spontan artikulierten Volkswillen eines Besseren belehrt.

Die Wahlboykotteure übersahen den zweiteiligen Charakter der iranischen Gesellschaft und damit die Möglichkeit, dass der Gottesstaat gerade durch Wahlen auch delegitimiert werden kann. Die Grundlagen einer durch revolutionäre Reformen in Gang gebrachten Abschaffung des Gottesstaates sind in der Verfassung eben dieses Staates selbst angelegt, die Gesellschaft de facto in einen systemtragenden und einen durch das System ausgegrenzten Teil zu spalten – ähnlich wie damals der südafrikanische Apartheid-Staat, der ein jähes Ende gefunden hat.

* gebürtiger Iraner. Professor (i. R.) für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück

 

 

© inamo Nr. 58, Sommer 2009. S. 41-44

 

Revolutionen finden statt, wenn die da oben nicht mehr können und die da

unten nicht mehr wollen. Diese zutreffende Erklärung Lenins trifft auch auf die

Islamische Revolution im Iran zu. Mohammed Reza Pahlewi, der letzte Monarch

einer 2500 Jahre alten Herrschertradition, war nicht nur als Tyrann und als ein

durch einen CIA-Putsch auf den Thron gehievter Monarch vom Volk verhasst.

Er hatte auch Ende der 1970er Jahre keinen Halt innerhalb der Herrscherelite

mehr. Es folgte der Sturz der Monarchie und der Beginn einer revolutionären

Umwälzung unter islamischem Vorzeichen unter der Führung von Ayatollah

Khomeini und der Beteiligung des iranischen Bürgertums, das jedoch an

seiner eigenen Entscheidungsschwäche im Kampf für Meinungs- und

Pressefreiheit scheiterte. Unter Ahmadinejad manövriert sich der Staat immer

mehr in die Sackgasse. Für Massarrat steht jetzt die Überwindung der

Selbstblockade der Islamischen Republik auf der politischen Agenda.

30 Jahre Islamische Revolution: Fortschritt, Rückschritt, Stillstand

Von Mohssen Massarrat

Der „letzte Kaiser“ von Iran hatte den Weg der absolutistischen Monarchie dem

europäischen Weg der repräsentativen Monarchien vorgezogen. Dank sprudelnder

Öleinnahmen in den 1970er Jahren war Reza Pahlewi der Illusion verfallen, er könne

durch den Ausbau der Armee und umfangreicher Aufrüstung die Machtbasis für eine

dauerhafte Alleinherrschaft klientelistisch, d. h. von oben nach unten und durch Geld

und Posten, ausbauen. Seine Strategie musste aber scheitern. Der Iran war im

Unterschied zum Irak, zu Libyen oder zu den Scheichtümern am Persischen Golf

schon lange keine Stammesgesellschaft mehr. Die Soldaten seiner neuen und auf

400 000 Mann rasant ausgebauten Armee waren Söhne der sozial und kulturell

entwurzelten Bauern.

Der Konsumrausch und die importierte westliche Kultur mag zwar die Reichen und

die herrschende Elite befriedigt haben, die Soldaten und die große Mehrheit

traditionalistischer und durch die rasante Verwestlichung verunsicherter Iranerinnen

und Iraner fanden jedoch im Islam und der eigenen Tradition den verlässlicheren

Halt, den sie gerade brauchten. Die Spaltung der Gesellschaft in eine pseudomodernisierte

aber mächtige Minderheit und eine politisch religiös radikalisierte aber

machtlose Mehrheit wurde unüberwindbar.

Sturz der Monarchie

Schließlich folgte die überwältigende Mehrheit einschließlich der einfachen Soldaten

dem Ruf einer Bewegungsallianz aus radikalen Mullahs und Intellektuellen, die mit

ihrer Kritik der Verwestlichung und der aufgesetzten Scheinmodernisierung durch die

Monarchie überall im Land Millionen Marginalisierte, Landflüchtige, Tagelöhner,

traditionelle Händler und Angehörige der Mittelschicht, Studenten und Schüler

mobilisierten und den Weg für den vergleichsweise gewaltlosen Sturz der Monarchie

freilegten. Den letzten Ausschlag für den Sturz der Monarchie und den Beginn einer

revolutionären Umwälzung unter islamischem Vorzeichen gab allerdings Ayatollah

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Khomeini. Der charismatische Revolutionsführer trat, im Unterschied zu allen

anderen politischen Führern, für die Abschaffung der Monarchie ein. Durch seine

kompromisslose Haltung und die Ablehnung jedweder Versuche, die

abgewirtschaftete Monarchie doch noch zu erhalten, gewann er bei allen Gegnern

der Monarchie eine unerschütterliche Autorität und Legitimation, die er benötigte, um

die Islamische Republik aus der Taufe zu heben.

Grundsätzlich wäre nach der Revolution auch die Entstehung einer islamisch

demokratischen Republik möglich gewesen. Tatsächlich entstand aber ein

islamischer Staat, der sich durch den „göttlichen Willen“ legitimierte. Legislative (das

Parlament) und Exekutive (der Präsident) sind im neuen politischen System dem

Alleinvertretungsanspruch des Religionsführers untergeordnet, der sich im Zweifel

gegen das Volk stellen und auf seinen göttlichen Auftrag beziehen kann.

Ohne Monarchie in die Sackgasse

30 Jahre nach Abschaffung der Monarchie sitzt die neue islamische Herrschaftselite

zwar machtpolitisch fest im Sattel, politisch hat sie sich aber in dieselbe Sackgasse

hineinmanövriert, wie seinerzeit der Schah Reza Pahlewi. Auch sie hat sich die

Fesseln eines rentiersstaatlich-klientelistischen Herrschaftssystems angelegt, das die

Transformation Irans in die Moderne blockiert. Gegenwärtig ist eine Perspektive für

Entwicklung und Demokratisierung der Gesellschaft, selbst im Rahmen eines

islamischen Wertekodex und einer islamisch rechtsstaatlichen Verfassung, nicht in

Sicht (Ausführlich dazu M. Massarrat: Irans wirtschaftliche Miseren, inamo Nr. 54,

Sommer 2008).

Der Rentiersstaat orientalischer Prägung weist drei Merkmale auf: er steht in der

Tradition des asiatisch-orientalischen Zentralismus und Despotismus, er finanziert

sich nicht durch Steuern, sondern durch externe Finanzquellen, vor allem durch die

Ölrenteneinnahmen, und er verfügt auch über das Privileg, die eigene Machtbasis

selbst zusammenzuschmieden, sie ist also in der Lage, klientelistische

Abhängigkeitsbeziehungen zu kreieren. Der Monarchie gelang zwar die Schaffung

einer loyalen Machtbasis, sie war allerdings nicht stark genug, um das Regime von

Schah Reza Pahlewi vor politischen Turbulenzen nachhaltig zu schützen.

Die neuen islamischen Machthaber erfreuten sich dagegen einer unvergleichbar

größeren sozialen Trägerschaft mit revolutionärem Impetus. Es gelang ihnen, ihren

islamischen Staat im ersten Jahrzehnt nach der Revolution von 1979 trotz oder

gerade wegen eines acht Jahre andauernden Krieges gegen den Irak unter Saddam

Hussein zu festigen. Es entstand eine zweigeteilte, zahlenmäßig annähernd gleich

große Gesellschaft: eine den neuen Machthabern loyale klassenübergreifende

islamische Gesellschaft mit traditionalistisch orientierten sozialen Schichten. Diese

Gesellschaft war privilegiert, hatte also direkten Zugang zu den Öleinnahmen, zu

staatlichen Institutionen, zu Machtorganen, zu staatlich kontrollierten

Wirtschaftsunternehmen und sonstigen Vorteilen. Und eine zweite ebenfalls

klassenübergreifende, der Moderne zugeneigte Gesellschaft jenseits der islamischen

Loyalitätsbeziehungen, d. h. ohne Zugang zu Öleinnahmen, ohne politische Rechte

und ohne Einflussmöglichkeiten. Für diese parallelen Gesellschaften machten

authentische Begriffe die Runde: Khodi und Ghaire Khodie (die von uns und die

Anderen, die nicht zu uns gehören). Da die Grenzen zwischen beiden Gesellschaften

fließend sind, war und ist es einer beträchtlichen Zahl besonders cleverer

geldgieriger Charaktere, Spekulanten und korrupten Personen möglich gewesen

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Loyalitäten vorzutäuschen, um umso dreister an den Renteneinnahmen zu

partizipieren.

Das Reformlager unter Khatami

Inzwischen ist der ursprünglich politisch halbwegs homogene islamische Teil der

Gesellschaft in mindestens drei konkurrierende Lager zerfallen, in das reformistische,

das pragmatisch konservative und das konservativ-radikale Lager. Das islamische

Reformlager unter dem Präsidenten Mohammad Khatami unternahm nach seinem

überraschenden Sieg 1997 den zaghaften Versuch, die durch Korruption

durchsetzten rentiersstaatlich-klientelistischen Strukturen durch rechtsstaatliche zu

ersetzen. Obwohl Khatami aus beiden Gesellschaftsteilen mit ca. 80 % der Stimmen

gewählt wurde, scheiterte er vor allem an der Blockadepolitik der konservativradikalen

Kräfte und der uneingeschränkten Macht des Revolutionsführers. Eine

wichtige Rolle spielte wohl auch die mangelnde Entschlossenheit des Präsidenten,

der aus Angst, das System insgesamt zu gefährden, fast immer den Kürzeren zog.

Des weiteren versäumte die Reformbewegung, wenigstens ein vorzeigbares soziales

Projekt, wie z. B eine gesetzliche Krankenversicherung oder

Arbeitslosenversicherung etc., in die Diskussion zu bringen und auch durchzusetzen.

Stattdessen beschränkte sie sich auf politische Reformen, somit lediglich auf das

Herzensanliegen der Intellektuellen, die eher dazu führten, die konkurrierenden

konservativen Strömungen gegen den Präsidenten und die politischen Reformen,

wie beispielsweise ein neues Pressegesetz, das mehr Meinungsfreiheit bringen

sollte, zu verbünden. Zwar sind Reformen im politischem System und eine

Demokratisierung der Islamischen Republik unabdingbar. Jedoch müssen sie mit

dringenden sozialen Reformen verknüpft und in einer Allianz mit im Machtapparat

verankerten Strömungen auch machtpolitisch abgesichert werden.

Ahmadinejad: Vom Bürgermeister Teherans zum Präsidenten Irans

Genau im sozialpolitischen Vakuum ansetzend, konnte der populistische

Bürgermeister von Teheran, Ahmadinejad, mit dem Slogan, er werde die

Öleinnahmen auf die Essenstische der Menschen bringen, die enttäuschte

Bevölkerung überraschend für sich mobilisieren. Mit dem neuen Präsidenten

Mahmud Ahmadinejad wurde seit dessen Wahlsieg 2005 das alte System des

unkontrollierten Zugangs zu den Öleinnahmen zielstrebig restauriert, um es für die

Absicherung der eigenen sozialen Basis für die nächste Präsidentenwahl konsequent

auszubauen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Nutznießer des Systems

erneut zu einer Mehrheit bei der nächsten Präsidentenwahl im Juni dieses Jahres

verhelfen könnten.

Die Politik und vor allem die Verwendung der Öleinnahmen folgen in diesem System

nicht der Logik einer soliden ökonomischen Entwicklung und zum Wohl des

gesamten Volkes, sondern vielmehr der Logik der Erweiterung der eigenen

Machtbasis. Die ökonomischen und sozialen Folgen dieser Politik des konservativradikalen

Lagers in den letzten vier Jahren sind daher für Iran verhängnisvoll:

steigende Inflation, Bodenspekulation, sich vergrößernde Kluft zwischen Armen und

Reichen, wachsendes Misstrauen der Menschen gegenüber der Elite der

Islamischen Republik und eine sich ausbreitende Resignation in der Opposition, im

gegenwärtigen Stillstand weiter verharren zu müssen. Dieses Ergebnis einer in die

Sackgasse geratenen gesellschaftlichen Transformation nach dem Sturz des

Pahlawi-Regimes steht in krassem Widerspruch zu den gesellschaftlichen Reformund

Transformationspotentialen des Landes in ökonomischer, kultureller und

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intellektueller Hinsicht. Diese Entwicklung war, wie eingangs erwähnt, keineswegs

zwingend.

Die Rolle des Bürgertums

Irans Bürgertum war angesichts staatskapitalistisch-zentralistischer Strukturen zwar

ökonomisch immer schwach, politisch jedoch aufgrund dessen aktiver Teilnahme an

mehreren politischen Umwälzungen im 20.Jahrhundert der ökonomischen

Entwicklung weit voraus. Das iranische Bürgertum beteiligte sich an der ersten

Revolution zur Abschaffung der absoluten Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts

und an der Demokratisierung und Nationalisierung der Ölindustrie in den 1950er

Jahren. Zum politisch einflussreichen Bürgertum gehörten national verankerte

Industrielle und Händler sowie Intellektuelle aus allen Schichten und Berufszweigen.

Doch scheiterte dieses Lager teilweise auch an eigener Entscheidungsschwäche und

an der Risikobereitschaft seiner politischen Eliten immer dort, wo Standhaftigkeit

gefordert war, nämlich bei der Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit:

Dies betrifft zum einen das Verbot der wichtigsten linksliberalen Tageszeitung

„Ayandegan“ ein halbes Jahr nach der Revolution, die sich zu der auflagenstärksten

Zeitung und zum Sprachrohr des laizistischen Lagers entwickelt hatte. Zu diesem

Zeitpunkt standen sich die Protagonisten der radikal-islamischen wie auch der

islamisch-liberalen Ordnung als reale Optionen gegenüber. Der islamisch-liberale

und charismatische Mehdi Bazargan, der erste Ministerpräsident nach der Revolution

mit Rückhalt in allen bürgerlichen Schichten, versäumte es allerdings, sein

politisches Schicksal mit dem Erhalt der Tageszeitung „Ayandegan“ und der

Verteidigung der Pressefreiheit zu verknüpfen. Die Chancen, den Kampf zu

gewinnen, standen angesichts der noch ungebrochenen Stimmung für Freiheit und

Demokratie nicht schlecht. Mit dem Verbot der Zeitung wurde der hegemoniale Elan

für die Demokratie jedoch durch Angst und Unsicherheit verdrängt, die dadurch erst

Recht forcierte Islamisierung überrollte alsbald auch Bazargan selbst und seine

einflussreiche Freiheitsbewegung.

Zum zweiten fand sich der 2001 gerade mit überwältigender Mehrheit

wiedergewählte Staatspräsident Mohammad Khatami, trotz einzigartig starker

Stimmung für Meinungsfreiheit und Demokratisierung des Systems, ziemlich

geräuschlos damit ab, dass sein dem Parlament vorgelegter Entwurf für ein neues

Pressegesetz auf eine Anordnung des Revolutionsführers hin von der Tagesordnung

abgesetzt und nicht einmal im Parlament diskutiert werden durfte. Angesichts dieser

Schmach hätte Khatami das Risiko einer offenen Auseinandersetzung mit dem

absolutistischen Anspruch des Revolutionsführers auf sich nehmen und zurücktreten

müssen. Denn die Chancen einer machtvollen Unterstützung durch das Volk, um den

Revolutionsführer zur Rücknahme des religiösen Dekrets zu bewegen, standen m. E.

nicht schlecht. Immerhin hatten auch Angehörige der Machtorgane

(Revolutionswächter und Armee) mit großer Mehrheit wenige Wochen zuvor für

Khatami gestimmt. Die Folge der fehlenden Entschlossenheit des Präsidenten selbst

bei der Durchsetzung von einem der wichtigsten Projekte politischer Reformen

(dazu, wie oben begründet, das Fehlen komplementärer sozialer Reformprojekte)

war die abermalige Stärkung des islamisch-antidemokratischen Lagers innerhalb des

Systems und der Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit.

Pressefreiheit ist ein hohes Gut und ein fundamentales Prinzip der Demokratie.

Daher ist sie auch unverhandelbar. Verteidiger der Demokratie, die darüber

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hinwegsehen, haben längst verloren. Deshalb hätte es sich in beiden Fällen gelohnt,

einen Machtkampf zu riskieren, zumal die Unterstützung breiter

Bevölkerungsschichten sehr wahrscheinlich war. Bazargan und Khatami haben sich

jedoch trotz jeweils politisch günstiger Bedingungen 1979 bzw. 2001 vor einem

Machtkampf mit dem konservativ-radikalen Lager gescheut und verloren. Mossadegh

bestand 1951 im Kampf gegen die Monarchie kompromisslos auf der Trennung

zwischen Regierung und Monarchie und gewann ihn, weil er durch seinen Rücktritt

seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellte und die Bevölkerungsmehrheit

spektakulär auf seine Seite zog. Der Schah akzeptierte in einem unblutigen Kampf

Mossadeghs Forderung. Achtundzwanzig Jahre später zwang Ayatollah Khomeini, in

der Hauptsache dank seiner Standhaftigkeit und mit der Unterstützung der

Bevölkerung, den Schah zum Rücktritt und schließlich zum Verlassen des Landes.

Die charismatische Führung sorgte dafür, dass die islamische Revolution, im

Unterschied zu allen anderen Revolutionen, nicht durch einen gewaltsamen Umsturz,

sondern vergleichsweise unblutig stattfand.

Die Überwindung der Selbstblockade

Dreißig Jahre islamische Revolution im Iran war und ist voller Widersprüche. Diese

Zeit ist bei einer rückblickenden Betrachtung gekennzeichnet durch teils Fortschritte,

teils Rückschritte und schließlich auch teils Stillstand: Zu den tatsächlichen

Fortschritten gehören die Alphabetisierung, der Ausbau der Bildungseinrichtungen,

der drastisch steigende Anteil der Frauen aus allen sozialen Schichten an den

Schulen und Universitäten, flächendeckende Erschließung der ländlichen Regionen

und Versorgung nahezu aller Dörfer mit Straßenverbindungen, Strom, sauberem

Wasser sowie der Ausbau des Gesundheitswesens mit einer, wenn auch sehr

bescheidenen Grundversorgung bei einer auf beinahe das Dreifache

angewachsenen Bevölkerungszahl. Positiv zu erwähnen ist auch die Entwicklung der

iranischen Zivilgesellschaft, vor allem während der achtjährigen Präsidentschaft von

Mohammad Khatami. Als eindeutige Rückschritte sind die im Grunde

zusammenhängenden Erscheinungen wie die Ausweitung der Korruption als

Ergebnis klientelistischer Strukturen zu nennen. Hinzu kommen Phänomene wie

Werteverfall, wachsendes Misstrauen, Opportunismus, Perspektivlosigkeit bei der

Jugend einerseits, Entpolitisierung, Verbreitung von Sucht und konsumistischen

Neigungen andererseits. Zu den Rückschritten zählt auch die steigende Schere

zwischen Arm und Reich, und die Isolation Irans von einem Teil der Welt mit allen

ihren Folgen für die Menschen und die Wirtschaft des Landes. Hinsichtlich der

politischen und ökonomischen Entwicklung hat die Zeit im Iran offensichtlich

stillgestanden. Trotz einer weiterhin lebendigen Zivilgesellschaft tritt die

Demokratisierung der Gesellschaft auf der Stelle, Menschenrechtsverletzungen,

Pressezensur, polizeistaatliche Willkür sind an der Tagesordnung. Und trotz einer

quantitativen Entwicklung der Inlandsproduktion bleibt die wirtschaftliche Entwicklung

Irans weit hinter den eigenen Potentialen zurück. Hier ist der Iran über die

Nachahmung von ökologisch längst überholten westlichen Produktions- und

Konsummustern dazu noch mit deutlich höherer Energieintensität und schlechterer

Qualität nicht hinausgekommen.

Nun steht die Überwindung der Selbstblockade der Islamischen Republik auf der

politischen Agenda. Dies setzt eine Stärkung der demokratischen Institutionen

voraus. Für die größte politische Herausforderung nach der Revolution reicht jedoch

das Reformlager allein nicht aus. Erforderlich und durchaus auch realistisch wäre

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eine Allianz mit den Moderaten aus dem konservativ-radikalen Lager, die auch in den

Machtinstitutionen des Landes über eine starke Basis verfügen.

Ahmadinejads Gegenkandidaten

Vier Personen stellen sich zur Wahl: der amtierende Präsident Mahmud

Ahmadinejad, der Kandidat des „Systems“. Trotz seiner wirtschafts- und

außenpolitisch ruinösen Politik und einer breiten Allianz aller, die weder kurz- und

langfristig zu den Nutznießern seiner klientelistischen Almosenpolitik zählen, hat

Ahmadinejad gute Chancen, gewählt zu werden. Es sind immer noch viele, zu viele

Wähler, die dem Populismus eines Politikers vom Schlage Ahmadinejads auf den

Leim gehen. Typisch für seine Politik sind die Wahlgeschenke bei allen seinen

Reisen in die Provinz, die er in den Vorwahlmonaten verstärkt unternommen hat.

Auch die Millionen Staatsangestellten köderte er mit einer Gehaltserhöhung drei

Monate vor dem Wahltermin. Es ist auch von einer Zuwendung von 50 – 100 USDollar

pro Kopf die Rede, die demnächst der Bevölkerung gewährt werden soll.

Außerdem stehen die Bassidjis, eine halb öffentliche paramilitärische

Basisorganisation mit Hunderttausenden aktiver Mitglieder hinter ihm. Das

staatlichen Fernsehen macht offen Werbung für die Wahl Ahmadinejads.

Die drei Gegenkandidaten sind Mohssen Rezai, Mir Hussein Mussawi und Ayatollah

Mehdi Karubi. Mohssen Rezai ist sicherlich der Überraschungskandidat, der erst

sechs Wochen vor der Wahl seine Kandidatur bekannt gab. Er war seit 1981 16

Jahre lang der Oberkommandierende der paramilitärischen Revolutionswächter, der

sich im iranisch-irakischen Krieg einen Namen gemacht hat. Rezai gehört politisch

zum konservativ bürgerlichen Lager des Systems um Rafsandjani, er könnte

Ahmadinejads Wahlchancen schmälern, da Millionen Wähler im Umfeld des

Machtapparats in Rezai einen weiteren Kandidaten ihres Vertrauens zur Auswahl

hätten. Rezai hat übrigens die klarsten und realistischsten außenpolitischen

Vorstellungen. Er plädiert für die Versöhnung mit den USA und für eine gemeinsame

Urananreicherung mit Beteiligung von USA; EU und Russland, jedoch auf iranischem

Boden. Des weiteren befürwortet er eine regionale Sicherheitsstruktur. Dennoch

scheint er keine echten Wahlchancen zu haben. Ayatollah Mehdi Karubi ist ein

weiterer Kandidat des Reformlagers. Er war Parlamentspräsident, der offensichtlich

über finanzkräftige Unterstützer aus Händlerkreisen verfügt, jedoch nicht über die

Glaubwürdigkeit und das Charisma von Mohammad Khatami. Karubi werden wenig

Chancen eingeräumt.

Der Hauptgegner Ahmadinejads ist jedoch inzwischen eindeutig Mir Hussein

Mussawi aus dem Reformlager, der sich selbst als konservativen Reformer

bezeichnet. Mussawi war in den 1980er Jahren während des iranisch-irakischen

Krieges Ministerpräsident. Ihm wird allgemein ein gutes Management der acht Jahre

andauernden Kriegswirtschaft bescheinigt. Er ist jedoch nicht der Politiker, der das

Reformlager auf Vordermann bringen könnte. Selbst Khatami-Anhänger haben sich

widerwillig hinter Mussawi gestellt und führen nun, mangels Alternativen und um

Ahmadinejad zu verhindern, eine Wahlkampagne für ihn. Mussawi hat allerdings die

offizielle Rückendeckung des Ex-Präsidenten. Bei einer kürzlich durchgeführten

Wählerbefragung sind 48 % für den Reformkandidaten Mussawi und 43 % für den

amtierenden Präsidenten. Insofern ist ein Sieg Mussawis im zweiten Wahlgang trotz

mancher Zweifel an seiner Person durchaus in den Bereich des Möglichen gerückt,

wohl auch deshalb, weil die Mehrheit der Iraner entschlossen zu sein scheint,

Ahmadinejad auf jeden Fall abwählen zu wollen. Die unverhohlenen

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Wahlmanipulationen durch Geldgeschenke könnten letztlich für ihn zum Bumerang

werden.

Mohssen Massarrat, Prof. em. für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück.

 

 

 
 

 

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