Gazas ägyptische Hoffnung
Vera Macht
Als die Nachricht vom Sturz Mubaraks
kommt, strömen die Menschen Gazas ausgelassen auf die
Straßen. Sie feiern den Sieg, sie feiern die ägyptische
Revolution, die zum Symbol ihrer eigenen Ambitionen geworden
ist. Ein Volk vereint im Kampf gegen den verhassten
Diktator, die Stärke einer Gemeinschaft, die schließlich zum
Erfolg geführt hat. Wer hätte das geglaubt, vor ein paar
Wochen. Und das ist es, was den Menschen Gazas neue Hoffnung
gegeben hat, an einem Fleckchen Erde, wo Hoffnung schwer zu
finden ist.
Dabei hätte man meinen können, die
Revolution würde das Gegenteil auslösen, hier in Gaza. Als
die Unruhen begannen, wurde der Grenzübergang von Ägypten zu
Gaza augenblicklich geschlossen. Niemand weiß bis jetzt,
wann oder ob er wieder öffnen wird, die große Angst ist,
dass er wieder unter israelische Kontrolle fällt. Zahlreiche
Palästinenser sitzen auf ägyptischer Seite fest, für
Dutzende in Gaza ist die erwartete Ausreise in weite Ferne
gegitten. Menschen die dringend für medizinische Versorgung,
die hier nicht möglich ist, ins Ausland müssen, Studenten
mit Visa für die lang ersehnte Freiheit.
Und das Leben in Gaza ist härter
geworden. Mit dem Grenzübergang schlossen auch alle Tunnel.
Israel hatte nach der Attacke auf die Mavi Marvera zwar
medienwirksam angekündigt, die Blockade gelockert zu haben,
in der Realität hieß das allerdings, dass zwar die
Bandbreite der Produkte stieg, dafür aber die Quantität
fiel. Das hatte zur Folge, dass es nun auch israelische
Chips in den Supermärkten gibt, Weizenmehl jedoch oft
bedrohlich knapp wird. Doch der Mensch von heute braucht
mehr als Brot, um am Leben zu bleiben, und vor allem mehr um
menschenwürdig am Leben zu bleiben. Dies scheint der fast
zynische Diskurs darüber, ob die Menschen Gazas verhungern
würden, vollkommen außer Acht zu lassen. Und so bedeutet das
Schließen der Tunnel zum Beispiel, dass seit dem kein neues
Benzin nach Gaza hinein gekommen ist. Die Schlangen vor den
Tankstellen sind endlos, und die die erfolglos nach Hause
gehen, halten ihr Auto mit Küchenöl am Laufen. Jeden Tag,
wenn der Strom ausfällt, der normalerweise durch dutzende
von qualmenden und lauten Generatoren ersetzt wird, bleibt
es nun still. Gaza sitzt im Dunkeln.
Doch da auch das Licht des
Medieninteresses von Gaza nach Ägypten gewandert ist,
scheint Israel die Chance für Angriffe zu sehen, die das
Palästinensische Zentrum für Menschenrechte als
„rücksichtslose Angriffe auf ziviles und humanitäres
Eigentum" bezeichnet hat, denen mit einer „verschwörerischen
Stille der Weltöffentlichkeit" begegnet wird. In der Nacht
vom 8. zum 9. Februar flog das israelische Militär
Luftangriffe auf Gaza, bei denen zehn Menschen verletzt
wurden, darunter zwei Frauen und ein Kind. Eine der Bomben
schlug östlich von Gaza-Stadt in eine Holzfabrik, das Feuer
zerstörte etliche Klassenräume der angrenzenden Nour
Al-Maaref Schule, sowie einige Geschäfte und Familienhäuser.
Doch am härtesten traf die Menschen Gazas, dass auch ein
Medikamentenlager des Gesundheitsministeriums durch den
Angriff in Flammen aufging. Medizin, die von internationalen
Delegationen gespendet wurde wurde zerstört, was den derzeit
bedrohlichen Medikamentenmangel noch weiter verschlimmert
hat.
Doch wenn man glaubt, dass all das die
Menschen Gazas davon abhalten würde zu hoffen, dann hat man
sich getäuscht. Selten war die Stimmung auf Gazas Straßen so
euphorisch. Und es ist nicht nur die Hoffnung darauf, dass
ein neues Ägypten auch eine neue Politik gegenüber Gaza
einschlagen würde, während es bis jetzt durch seine
Grenzpolitik Gaza gleichsam in ein Gefängnis verwandelt hat.
Es ist viel eher die leise Hoffnung, dass
der Funke der Revolution auch nach Gaza überschlägt, die vor
allem die Jugend hier ergriffen hat. Auf Facebook und
Twitter werden die neusten Meldungen über die Ereignisse
ausgetauscht, und die Helden der Revolution gefeiert, als ob
sie die eigenen Helden wären. Doch die
Ägypten-Solidaritätsdemonstration einiger Jugendlicher wurde
mit Stärke von der Hamas-Regierung niedergeschlagen, die
Besorgnis der arabischen Herrscher hat auch nach Gaza
übergeschlagen. Nicht dass die Fatah Regierung mit den
Demonstranten in Ramallah anders verfahren wäre. „Das
einzige, worin sich die Palästinensischen Parteien gerade
einig sind", sagte Marwan Barghouti, ein gefeierter
palästinensischer Politiker, „ist die Unterdrückung der
Menschenrechte ihres eigenes Volkes". Und so wissen die
Jugendlichen gar nicht, gegen wen sie als erstes rebellieren
sollen. Angst vermischt mit Unsicherheit, keine gute
Ausgangslage für eine Revolution.
Doch die Menschen Gazas wären nicht die
Menschen Gazas, wenn sie sich von so etwas ihre Freude und
ihren Überlebenswillen nehmen lassen würden. Heute ist
Mubarak gefallen, heute feiern sie auf den Straßen, und wenn
Ägypten das Unmögliche schafft, allein durch die Kraft der
Gemeinschaft, dann kann Gaza das auch. Zumindest in diesem
Moment, inmitten der Menschenmenge auf Gazas Hauptstraße,
hat man da keinen Zweifel daran.
Vera Macht
lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist
Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen
Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen (Vera.Macht@uni-jena.de)