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Israels falsche Freunde 
Sophia Deeg

Als Experte in Sachen Antisemitismus machte unlängst ein unbekannter Diplompolitiloge bei einem öffentlichen Gespräch Furore, zu dem alle Fraktionen des Bundestages geladen hatten. Es handelte sich um eine Diskussionsrunde, zur Umsetzung der Beschlüsse, die auf der Berliner Antisemitismus-Konferenz vom April letzten Jahres gefasst worden waren. Bundestagsabgeordnete, hochrangige Beamte aus dem Innen- und dem Außenministerium sowie namhafte Wissenschaftler wie Prof. Alfred Grosser und Prof. Bryan Klug saßen auf dem Podium und Vertreter verschiedener NGOs in der Runde.

Nun wäre es durchaus zu begrüßen, wenn ein noch nicht durch zahlreiche Veröffentlichungen hervorgetretener und mit Titeln ausgestatteter junger Akademiker als Experte ernst genommen würde, hätte er tatsächlich seriös zum fraglichen Thema gearbeitet. Davon ist allerdings nichts bekannt, und seine Äußerungen in dem besagten Expertengespräch lassen dies noch weniger vermuten. Dennoch wurde er vom Vorsitzenden, dem SPD-Abgeordneneten Weisskirchen als „glänzend ausgewiesen“ in der Runde begrüsst, „seine wissenschaftliche Arbeit“ habe das dokumentiert. Herr Weisskirchen verwechselte offenbar den hochgelobten Jörg Rensmann mit Dr. Lars P. Rensmann, der eigentlich als Ersatz für den verhinderten Prof. Micha Brumlik hätte eingeladen werden sollen – ein Versehen, das von Jörg R. dem einladenden Gremium gegenüber jedoch nicht aufgeklärt wurde. Auch einem Teil der anwesenden Experten war die Verwechselung bekannt, aber auch sie schwiegen.

Bei der „wissenschaftlichen Arbeit“, durch die der abwesende Dr. Rensmann sich so „glänzend ausgewiesen“ hat, handelt es sich um eine wissenschaftliche Buchveröffentlichung, in der der Bonner Publizist Ludwig Watzal in plumper Weise falsch zitiert wird, um ihm die Rechtfertigung des Hamas-Terrorismus und „die Befreiung Palästinas von Juden“ unterstellen zu können. Inzwischen hat sich Dr. Lars Rensmann “angesichts der Androhung gerichtlicher Schritte außergerichtlich verpflichtet, unzutreffende Behauptungen über Dr. Ludwig Watzal (...) zu unterlassen bzw. nicht weiter zu verbreiten.“ (siehe Freitag, 36/05). Zahlreiche Bibliotheken haben daraufhin diese inkriminierenden Stellen geschwärzt. Auch honestly concerned und andere Internetseiten mussten die Textstellen aus dem Netz nehmen. Das Landgericht Hamburg hat dem Betreiber der Internetseite „juedische.at“, Herrn Samuel Laster, am 19. August 2005 die Weiterverbreitung dieser falschen Tatsachenbehauptungen durch ein Versäumnisurteil untersagt. Prüft man jeweils das Original, kann man feststellen, dass Watzal sich immer nur für das Ende der israelischen Besatzung der Westbank und des Gaza-Streifens eingesetzt hat.  Auch die Befürwortung des Terrorismus kann weder aus den fraglichen Textstellen noch allgemein aus der publizistischen Tätigkeit von Dr. Watzal herausgelesen werden. 

Warum eigentlich muss man – nicht nur im Fall von Ludwig Watzal – Antisemitismus erst herbeireden? Der zunehmend zu beobachtende Antisemitismus auf deutschen Straßen und an deutschen Stammtischen bereitet offenbar nicht die Sorge, die dazu motivieren würde, sich mit aller Kraft dagegen zu stellen, anstatt Menschen zu diskreditieren, die schlicht die israelische Politik anders beurteilen als man selber. Der real existierende Antisemitismus ist solchen „Experten“ offenbar gleichgültig genug, um den schwerwiegenden Vorwurf durch inflationären Gebrauch zum leeren Allgemeinplatz zu machen, der alles und nichts beinhaltet.

Der eigentliche Skandal jedoch ist das Verhalten von „höchsten Stellen“ der Bundesrepublik, von Parlamentariern wie in diesem Fall Professor Weisskirchen. Skandalös ist die sträfliche Leichtfertigkeit, mit der das Thema Antisemitismus verhandelt wird, wenn man diesen „Experten“ in Gremien, die sich vorgeblich dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben haben, ein Forum bietet. Wie kann es sein, dass in einem solchen Gremium ein Jörg Rensmann unwidersprochen haltlos und verhetzend herumschwadroniert: „Wir haben es wie z.B. in Frankreich mit dem Phänomen zu tun, dass sowohl islamischer als auch arabischer Antisemitismus in gewisser Weise nach Europa zurücktransportiert wird...und hier vor allem von linken Basisbewegungen aufgegriffen wird.“ – Tendenziöse, suggestive Äußerungen, die keiner Überprüfung allein schon der darin verwendeten Begrifflichkeiten und postulierten Zusammenhänge standhalten. Ein Phänomen, das genuin europäischer Provenienz und Prägung ist, soll „islamisch“ oder „arabisch“ sein und nach Europa „zurücktransportiert“ werden? Falls es, selten belegt, in Frankreich, Deutschland oder anderswo Übergriffe auf jüdische Einrichtungen oder Menschen und anti-jüdische Äußerungen durch arabischstämmige Europäer oder – was wiederum deutlich abzugrenzen wäre - aufgrund religiöser (muslimischer) Motive gegeben hat, wäre dies, wissenschaftliche Redlichkeit vorausgesetzt, nicht unbesehen mit dem Begriff des Antisemitismus (christlich-europäischer Tradition) zu belegen. Dass irgendwelche „linken Basisbewegungen“ diesen von Rensmann behaupteten „arabischen“ oder „islamischen Antisemitismus“ „aufgreifen“ würden, wird auch durch wiederholte Behauptung nicht wahr. 

Die Ausführungen zweier der geladenen Experten, beide nicht in Deutschland lebend, atmeten allerdings einen anderen Geist – die von Alfred Grosser (Frankreich) und von Brian Klug (U.S.A. bzw. GB). Während Experten und Diskutanten immer wieder für klare Definitionen und Kriterien als Grundlage einer Bekämpfung des Antisemitismus plädierten, jedoch mit ungeklärten Begriffen und unbelegten Behauptungen hantierten, war es vor allem Brian Klug, der tatsächlich einen konstruktiven Beitrag zur Klärung leistete, indem er den häufig diffus verwendeten Begriff vom „Existenzrecht Israels“ auf seine verschiedenen möglichen Bedeutungen hin abklopfte und auf dieser Grundlage der Frage nachging, ob es antisemitisch sei, das Recht Israels auf Existenz zu verneinen. Jörg Rensmann antworte, Professor Klug verkenne den Vernichtungswillen der Hamas. Mit dieser Antwort offenbarte er sein schlichtes Unvermögen, eine Begriffsklärung von einer Aussage über real existierende politische Akteure zu unterscheiden.

Alfred Grosser sprach als erster Experte und wurde in erschreckender Weise von fast allen, die sich im Laufe der Diskussion zu Wort meldeten, ins Abseits gestellt und vom Vorsitzenden nicht in Schutz genommen. Vielmehr distanzierte sich dieser sofort, nachdem Grosser gesprochen hatte. Ralf Schröder (ebenso wie Jörg Rensmann von „die Jüdische“, Berlin) zeigte sich „befremdet“, dass eine Position wie die Grossers „tatsächlich ernsthaft und relevant in diesem Hause diskutiert wird“.

Was hatte Herr Grosser Ungeheuerliches geäußert, das derart inkompatibel mit den Einstellungen der anderen TeilnehmerInnen der Runde war, dass sie nicht einmal darüber reden wollten?

Er hatte aus seiner Sicht die Frage beantwortet, was es heiße, Israel zu kritisieren, da die Abgrenzung von Israelkritik und Antisemitismus eine der Aufgaben der Gesprächsrunde war. Es gehe, so Grosser, nicht nur um die Politik Israels, es gehe um Verbrechen. Damit sprach er etwas aus, was auch viele Israelis, selbst führende Vertreter des israelischen Establishments inzwischen glauben aussprechen zu müssen, gerade weil ihnen ihr Land, ihre Gesellschaft am Herzen liegt und sie deren Absturz nicht ruhig mit ansehen können. Alfred Grosser begründete sein kritisches Engagement im Zusammenhang mit Israel mit seiner jüdischen Identität, so wie er sein kritisches Engagement in Bezug auf den Algerienkrieg mit seiner französischen Identität begründete und sein kritisches Engagement in Bezug auf das Nachkriegsdeutschland mit seiner deutschen Herkunft und seinen republikanischen Überzeugungen, die ihm geboten sich einzumischen, wenn ihm die Bundesrepublik von grundlegenden demokratischen Prinzipien abzuweichen drohte (so seinerzeit im Zusammenhang mit den Berufsverboten).

Des weiteren warf Grosser die Frage auf, was Juden gegen Antisemitismus tun könnten und kam zu dem Schluss: „Es ist Antisemitismus fördernd, wenn man nicht zugleich (mit dem Kampf gegen Antisemitismus) andere Rassismen bekämpft.“ Dies sei Aufgabe von Juden und jüdischen Organisationen. Mit dieser Auffassung steht er unter französischen Juden durchaus nicht allein. Die Union Juive Francaise pour la Paix beispielsweise arbeitet eng mit der Association des Travailleurs Maghrebin de France zusammen und ist wie diese selbstverständlich Teil verschiedener antirassistischer Bündnisse, weil sie den Kampf gegen Antisemitismus und andere Formen von Rassismus und Diskriminierung als ein gemeinsames Anliegen von Juden, Arabern/Muslimen und anderen BürgerInnen der Republik verstehen.  

Grossers Argumentation, die man als humanistisch und republikanisch beschreiben könnte, ein politisches Selbstverständnis jenseits partikularer Interessen oder Ambitionen war für die Teilnehmer einer Gesprächsrunde bundesrepublikanischer Parlamentarier und Experten in Sachen „Antisemitismus“ unerträglich - sie sprechen eine g r u n d s ä t z l i c h andere Sprache. Eine wahrlich gespenstische Situation, vor allem für den mit wenigen dämonisierenden Worten als Gesprächpartner Ausgeschlossenen. Immerhin durchbrachen zwei Abgeordnete das menschlich vollkommen inakzeptable Verhalten der Runde einschließlich ihres Vorsitzenden; Frau Pfeiffer und Frau Philipp, beide CDU/CSU, gestanden Grosser das Recht zu, eine abweichende Auffassung zu äußern und bedauerten, dass sich niemand argumentativ mit ihm auseinandergesetzt hatte. Auch die Grünen-Abgeordnete Claudia Roth wies die unflätigen Einlassungen von Ralf Schröder („Die Jüdische“) zurück.

Es bleibt die Frage: Wie kommt es in der Bundesrepublik und in einem solchen für ihre politische Kultur einigermaßen repräsentativen Gremium zu einer derart monolithischen, geradezu totalitär verfestigten Ideologie zum Thema Antisemitismus und Israel (denn es handelt sich um Ideologie - im Marx’schen Sinne: falsches Bewusstsein - und nicht um  rational begründbare Einschätzungen oder Standpunkte)? Wie kommt es dazu, dass die Mitarbeiterin eines anerkannten Instituts wie des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Frau Dr. Juliane Wetzel sich in teils nebulösen, teils schlicht falschen Behauptungen verlor, und das ausgerechnet im Zusammenhang mit der so schwerwiegenden Problematik des Antisemitismus, bei deren Diskussion die größte Sorgfalt angebracht ist?

Frau Dr. Wetzel behauptete, neben anderen bedienten sich „Teile der globalisierungskritischen Bewegung und der pro-palästinensischen Linken in ganz Europa“ heute „neu geschaffener antisemitischer Stereotypen“. „Antisemitische Konnotationen haben sich insofern grundlegend geändert, als an Stelle der Juden der Zionismus und insbesondere Israel getreten sind...Der Begriff Jude wird durch Zionist ersetzt...“. Dies tun tatsächlich Rechtsextreme, da ist Frau Dr.Wetzel zuzustimmen, und man merkt es auch sehr schnell; denn sie reden abwechselnd von „Israel“ und „den Juden“, etwas, was niemals in der globalisierungskritischen Bewegung oder in der „pro-palästinensischen Linken“ in Europa geschieht, die die Expertin offenbar nur vom entfernten Hörensagen kennt. Beide Bewegungen oder Strömungen kämpfen für gleiche Rechte aller Menschen, überall (insofern dürfte es schwerfallen, eine „pro-palästinensische Linke“ überhaupt ausfindig zu machen, da es kein linker Standpunkt ist, „für“ irgendwelche Völker zu sein).

In der europäischen Linken und in der globalisierungskritischen Bewegung arbeiten besonders zahlreich Juden und Araber zusammen. Das könnte Frau Wetzel erleben, wenn sie einmal ein europäisches oder ein Weltsozialforum besuchen und dort diese Bewegungen genau beobachten würde. Auch die Aussagen der Expertin über die Konferenz „Stop the Wall“, die im Frühjahr in Köln stattfand (und übrigens entgegen Frau Dr. Wetzels Behauptung nicht von attac veranstaltet wurde), sind nicht nur unzutreffend, sondern darüber hinaus eine Zumutung gegenüber den israelischen Teilnehmern. Juliane Wetzel unterstellt, „bewusst oder unbewusst“ würden bei solchen Veranstaltungen die geladenen israelischen Referenten „missbraucht, um die eigene Haltung, die durchaus nicht frei ist von antisemitischen Vorurteilen, zu legitimieren.“ Sie unterstellt also beispielsweise Prof. Zuckermann oder Prof. Raz-Krakotzkin, die auf der bewussten Konferenz aufgetreten sind, sie seien derart unbedarft, dass sie sich in einem antisemitischen Kontext missbrauchen lassen würden.

Was mich an dem Protokoll jener Gesprächsrunde erschreckt hat, ist ein Ungeist, der in Deutschland durchaus salonfähig ist und sogar die öffentlichen Diskurse dominiert. Eine derart fanatische Parteinahme für „Israel“, für ein abstraktes, monolithisches „Israel“ jenseits aller Facetten der israelischen Gesellschaft, jenseits ihrer lebendigen, kritischen und selbstkritischen Debatten, eine Parteinahme fernab von den Menschen, Israelis und Palästinensern, die dort leben, wird natürlich diesen Menschen und Israel oder Palästina in keiner Weise gerecht und scheint mir in ihrer Kälte und schlechten Abstraktion einer Geisteshaltung zu entspringen, wie sie in Deutschland traurige Tradition hat. Gegenüber diesen falschen Freunden möchte man die israelische Gesellschaft verteidigen. Sie ist nicht totalitär und menschenverachtend wie sie von diesen an die Wand gemalt wird! Und alles sträubt sich angesichts rassistischer Verallgemeinerungen, als seien nicht nur „die Israelis“, sondern auch „die Juden“ als solche alle gleich in ihren Interessen, ihren Ambitionen, ihren politischen Einstellungen und unmittelbar zu identifizieren mit dem israelischen Staat und dessen Politik oder dem zionistischen Projekt. Wie kann man so verächtlich sein, die vielen Juden in Israel und weltweit zu ignorieren oder als „self-hating Jews“ abzustempeln, die rufen „Not in my name!“      (Sophia Deeg)

 

Im Detail etwas anders geschrieben erschien dieser Artikel im Freitag am 5.8.2005.
Sophia
Deeg
Israels falsche Freunde

 

Interessant sind die Erkenntnisse einer Berichtigung die der Freitag daraufhin abdruckte:

Berichtigung des "Freitag" vom 8.9.2005

Dr. LARS RENSMANN KORRIGIERT SICH - UNZUTREFFENDE BEHAUPTUNGEN WERDEN UNTERLASSEN; NICHT MEHR WEITER VERBREITET, GESCHWÄRZT......................

Der Freitag schreibt (ausschnittweise zitiert): ""...

Es trifft nicht zu, dass Dr. Lars Rensmann kürzlich zu einer Unterlassung von Behauptungen über den Publizisten Dr. Ludwig Watzal verurteilt wurde. Richtig ist, dass sich Dr. Lars Rensmann angesichts der Androhung gerichtlicher Schritte außergerichtlich verpflichtet hat, unzutreffende Behauptungen über Dr. Ludwig Watzal in seiner wissenschaftlichen Buchveröffentlichung Demokratie und Judenbild (Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden) zu unterlassen bzw. nicht weiter zu verbreiten.

Dr. Lars Rensmann hat sich danach verpflichtet, nicht mehr zu behaupten, Dr. Ludwig Watzal streite »für die Befreiung Palästinas von Juden«. Er werde in seinem Buch dies dahingehend ändern, dass Dr. Watzal für »die Befreiung der von Israel besetzten Gebiete des Gaza-Streifens und West-Jordan-Landes« streite. Ferner verpflichtet er sich, in seiner Unterlassungserklärung, nicht weiter zu behaupten und zu verbreiten: »... er (Dr. Watzal - die Red.) habe noch im Juni 2003 den Terrorismus als »Befreiungskampf« im völkischen Jargon gerechtfertigt mit den Worten:

 

»Ein Volk, das so in die Hoffnungslosigkeit getrieben wurde, das eingemauert wird, dessen Existenzgrundlagen man zerstört, dessen Territorium man kolonisiert, greift zu solchen Verzweiflungstaten

 

ohne hinzuzufügen, dass es an der zitierten Stelle/Satz weiter heißt:

 

»Das heißt nicht, dass die willkürlichen Terroranschläge im israelischen Kernland gerechtfertigt sind - ich halte sie für abscheulich und unmoralisch -, aber man muss das ganze Bild sehen. Der Terror muss gestoppt werden, ja - aber zuerst muss die Besatzung beendet werden, denn das eine ist die Ursache des anderen.«...."  Quelle und mehr >>>: Freitag vom 8.9.05

 

 

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