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Offener Brief an den Kreisvorsitzenden der GEW
Oldenburg, Heinz Bührmann
Ekkehart Drost
„Die GEW ist eine demokratische und antirassistische Organisation“ –
so hat der Kreisvorsitzende der GEW Oldenburg, Heinz Bührmann, seine
Stellungnahme zu einem Artikel des GEW-Mitglieds und Kollegen
Christoph Glanz überschrieben (s. Anlagen in der Email).
Als Mitglied einer Gewerkschaft, die
sich entsprechend ihrem Auftrag vor allem um das Wohl und Wehe von
Kindern, Jugendlichen sowie im Erziehungswesen beschäftigten
Personen zu kümmern hat, wäre der Vorsitzende besser beraten
gewesen, er hätte eine andere Überschrift gewählt und seine
Ausführungen daran orientiert. Mein Vorschlag: „Die GEW ist eine
Organisation, die sich der Universalität der Menschenrechte
verpflichtet fühlt.“
In seinem Text unterstellt der
Vorsitzende dem Kollegen Christoph Glanz, mit seinem Plädoyer für
BDS gegen alle demokratischen und antirassistischen Grundsätze der
GEW verstoßen zu haben und vermutet bei ihm indirekt auch
Antisemitismus.
Wir haben gerade in jüngster Zeit
wieder Versuche beobachten müssen, wo eine kritische
Auseinandersetzung mit der israelischen Regierungspolitik mit dem
Ziel, die Besatzung zu beenden – und darum geht es bei der
BDS-Kampagne - unter Antisemitismus-Verdacht gestellt wurde. Dies
war in Bremen anlässlich der Nakba-Ausstellung, in der ESG Oldenburg
sowie zuletzt in massiver Weise in der HAWK Hildesheim der Fall.
Schützenhilfe leisteten stets Henryk M. Broder, der Zentralrat der
Juden in Deutschland sowie die Deutsch-Israelische Gesellschaft. Das
„Hildesheim-Tribunal“ in Hannover am 15.9.2016 stand unter der Frage
„antiisraelischer Antisemitismus“ – eine Wortschöpfung, die
Einblicke in die Ignoranz und Unkenntnis seiner Urheber gibt.
Offenbar hat man gemerkt, dass es sich beim Antisemitismus per
Definition immer gegen „das Judentum“ richten muss. Um aber die
israelische Regierungspolitik aus der Schusslinie zu nehmen,
versucht man nun, diesen neuen, verräterischen Ausdruck in den
allgemeinen Sprachgebrauch einzuführen. Man lässt dabei außer Acht,
dass die Menschenrechtsverstöße, vor allem die Siedlungspolitik,
auch von der Bundesregierung mehr oder weniger offen kritisiert
werden – ganz abgesehen von internationalen Organisationen wie zum
Beispiel dem Internationalen Roten Kreuz, Human Rights Watch und den
Vereinten Nationen, allen voran der Generalsekretär.
Lesen Sie die zahllosen Dokumente
von UNICEF und Amnesty International über die Menschenrechtsverstöße
gegen Kinder, obwohl Israel im Jahr 1991 die
UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat. Derzeit befinden sich
etwa 350 palästinensische Kinder (!!!) in israelischen Gefängnissen,
die von ihren Eltern nur besucht werden dürfen, wenn sie ein Permit
bekommen – was nach Auskunft der Organisation „Defense for Children
International – Palestine“ in der Regel erst nach drei Monaten
erfolgt. „12
000 palästinensische Minderjährige im Alter zwischen 12 und 17
Jahren sind seit dem Jahr 2000 von israelischen Sicherheitskräften
festgenommen worden, die meisten wegen Steinewerfen. 422 Kinder
haben zum Jahresende 2015 im Gefängnis gesessen, meist nach kurzem
Prozess.“ Dies schreibt Dr. Peter Münch, SZ-Korrespondent in einem
Artikel mit der Überschrift „Das Gefängnis der Kinder“
http://www.sueddeutsche.de/politik/nahost-konflikt-das-gefaengnis-der-kinder-1.3028534
Wir dürfen uns in Deutschland nicht
davor scheuen, deutlich auszusprechen, dass die israelische
Besatzung von Anfang an mit einer massiven Verletzung der
Menschenrechte einherging und diese Beeinträchtigung bis heute
weitergeht. In diesem Sinne appelliert der amerikanische Jude Mark
Braverman in seinem Buch „Verhängnisvolle Scham. Israels Politik und
das Schweigen der Christen“, das er auch als „Anleitung zum Handeln“
begreift, an uns. Alfred Grosser wird deutlich: „Es kann und darf
nicht sein, dass die Palästinenser die letzten Opfer des Holocaust
sind.“
Daher müssen wir die deutsche
Bevölkerung darüber informieren,
- dass im kommenden Jahr der Staat
Israel, den auch die Bundesrepublik als demokratisch bezeichnet, als
einziger Staat der Welt ein anderes Volk seit nunmehr 60 Jahren
völkerrechtswidrig besetzt,
- dass im Jahr 2017 die
Apartheidsmauer seit 15 Jahren im Bau ist,
- dass im Westjordanland Hunderte
von Checkpoints und Barrikaden den Palästinensern ihr MENSCHENRECHT
auf Freizügigkeit beschneidet,
- dass über 700 Palästinenser,
darunter 350 Kinder, in sog. Administrativhaft, also ohne Anklage,
in israelischen Gefängnissen einsitzen.
Da ich als ehemaliger Lehrer, der 40
Jahre unterrichtet hat, der Meinung bin, dass Menschenrechte
UNIVERSALE Gültigkeit haben und nicht nur für jüdische Israelis
gelten dürfen, halte ich in ganz Deutschland Vorträge über
palästinensisches Leben unter israelischer Besatzung, über
„Palästinas vergessene Kinder“, wie es Lord Norman Warner,
Vorsitzender der All Parliamentary Humanist Group nach einem Besuch
im besetzten Westjordanland 2015 schrieb. Oft werde ich zu diesen
Vorträgen von Schulen eingeladen.
In den letzten Jahren bin ich
sechsmal im Westjordanland gewesen, darunter zweimal für jeweils
drei Monate als Menschenrechtsbeobachter im Auftrag des
Weltkirchenrates. Zuletzt habe ich das Land im Frühjahr dieses
Jahres besucht - die Situation wird unerträglich. Im Jahr 2013 haben
über einhundert Rabbiner einen Aufruf an alle Juden in der Welt
veröffentlicht, in dem sie ihre Betroffenheit über die
Menschenrechtsverletzungen zum Ausdruck gebracht und ALLE Menschen
aufgefordert haben, sich dagegen im Sinne eines wahren Judentums zu
wehren (Originaltext:
„If you Care about Israel, Silence is no longer an Option! A Call for
Action from Israel” – verbreitet am Freitag 22. März 2013 zur
Pessach-Woche durch Prof. Daniel Bar-Tal, Tel Aviv – veröffentlicht
unter
www.facebook.com/pages/ Jewish-Call-for-Peace-and-Morality/452496561493637)
Lieber Kollege, mir ist
unbegreiflich, wie man die Augen vor diesen wieder und wieder
dokumentierten Tatsachen verschließen kann. Bereisen Sie die
besetzten Gebiete, besuchen Sie – wie ich es mehrfach getan habe –
Militärgerichtsprozesse, bei denen Kinder ihrem Richter in Uniform
in Fußfesseln und Handschellen vorgeführt werden. Sie werden dies in
Ihrem Leben nicht wieder vergessen. Oder laden Sie mich zu Vorträgen
ein, zum Beispiel über meinen letzten Besuch, über den ich ein neues
Buch mit dem Titel „Freedom Bus. Kunst und Kultur gegen Intoleranz
und Gewalt“ geschrieben habe und das gerade heute erschienen ist.
Ich grüße Sie freundlich aus
Göttingen!
Ihr Ekkehart Drost |